Entscheidungsstichwort (Thema)

Blankettstrafgesetz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei § 370 AO 1977 handelt es sich um ein Blankettstrafgesetz. In § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist hinreichend deutlich bestimmt, dass sich derjenige strafbar macht, der den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt. Blankettstrafgesetze genügen dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz nur, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund eines Gesetzes, auf das Bezug genommen wird, voraussehen lassen (Geltendmachung einer Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferung mit inhaltlich unrichtigen Belegen).

2. Soweit im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde eine nach § 349 Abs. 2 StPO ergangene Revisionsentscheidung, die zur Frage der Zulässigkeit der Verfahrensrügen nicht mit weiteren Gründen versehen ist, zu prüfen ist, setzt die Feststellung eines Verstoßes gegen das allgemeine Willkürverbot voraus, daß die Anwendung des einfachen Rechts im Ergebnis unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 S. 1, Art. 3 Abs. 1; AO 1977 § 370 Abs. 1 Nr. 1; UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 7, § 4 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4; StPO § 349 Abs. 2

 

Verfahrensgang

BGH (Entscheidung vom 04.01.1989; Aktenzeichen 3 StR 415/88)

LG Kleve (Urteil vom 03.02.1988; Aktenzeichen 9 I 13/86)

 

Gründe

Die angegriffenen Entscheidungen sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

1. In § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist hinreichend deutlich bestimmt, dass sich derjenige strafbar macht, der den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt (zu § 392 Abs. 1 Satz 1 RAO vgl. BVerfGE 37, 201 ≪206 ff.≫). Ob eine solche Steuerverkürzung vorliegt, richtet sich allerdings nach den Vorschriften des materiellen Steuerrechts. Insoweit handelt es sich bei § 370 AO um ein Blankettstrafgesetz (vgl. BVerfGE a.a.0., S. 208 f.). Blankettstrafgesetze genügen dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund eines Gesetzes, auf das Bezug genommen wird, voraussehen lassen (BVerfGE 14, 245 ≪252≫; 75, 329 ≪342≫; st. Rspr.). Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG hat der Gesetzgeber beim Erlass einer Strafvorschrift, die Freiheitsstrafe androht, mit hinreichender Deutlichkeit selbst zu bestimmen, was strafbar sein soll, und Art und Maß der Freiheitsstrafe im förmlichen Gesetz festzulegen. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe müssen entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einer anderen gesetzlichen Vorschrift, auf die das Blankettstrafgesetz Bezug nimmt, hinreichend deutlich umschrieben werden (BVerfGE 75, 329 ≪342≫).

Das ist hier der Fall. Die Umsatzsteuerpflichtigkeit der in Rede stehenden Ausfuhrlieferungen ergibt sich – ebenso wie die Voraussetzungen der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen – ohne weiteres aus dem Umsatzsteuergesetz in der jeweils zur Tatzeit geltenden Fassung (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 7 Satz 1, § 4 Nr. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4 UStG 1973 bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 7 Satz 1 und 2, § 4 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 UStG 1980). Die Höhe der Steuerschuld, die strafrechtlich für die Bewertung des Schuldumfanges bedeutsam ist, folgt aus den Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes über die Bemessungsgrundlage sowie über die Höhe des Steuersatzes (vgl. §§ 10 und 12 UStG 1973 bzw. §§ 10 und 12 UStG 1980).

Ein Verstoß gegen die Vorschriften der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung über den Ausfuhrnachweis ist, für sich betrachtet, nicht strafbar. Er hat lediglich zur Folge, dass gegenüber den Steuerbehörden eine steuerfreie Ausfuhrlieferung nicht nachgewiesen werden kann und der Umsatz steuerpflichtig bleibt. An diese durch das Umsatzsteuergesetz begründete Steuerpflicht knüpft die Strafvorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO an, wenn ein Steuerpflichtiger eine Steuerbefreiung geltend macht und diese durch inhaltlich unrichtige Belege nachweisen will. Die Vorschriften der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung, in denen bestimmt ist, in welcher Form der Ausfuhrnachweis erbracht werden soll (vgl. § 2 Abs. 1 und 3 2. UStDV vom 11. Oktober 1967 – BGBl. I S. 980 – bzw. § 13 Abs. 1 und 2 UStDV 1980 vom 21. Dezember 1979 – BGBl. I S. 2359 –), sind so klar gefasst, dass sich auch hieraus keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Normgefüge ableiten lassen, auf dem die Bestrafung des Beschwerdeführers beruht.

2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Verwerfung der Revision des Beschwerdeführers zu 1) im Verfahren nach § 349 Abs. 2 StPO gegen Art. 103 Abs. 1 GG oder andere verfassungsmäßige Rechte des Beschwerdeführers (vgl. § 90 Abs. 1 BVerfGG) verstößt.

Die Rüge, der Bundesgerichtshof habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ist nicht begründet. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Verfahrensbeteiligten auch zur Kenntnis genommen und erwogen hat (BVerfGE 54, 43 ≪45 f.≫). Besondere Umstände, die hier ausnahmsweise auf Gegenteiliges hindeuten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Im übrigen sind die Auslegung und Anwendung des sogenannten einfachen Rechts, die der Beschwerdeführer zu 1) hier beanstandet, allein Sache der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; st. Rspr.). Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen auf der Grundlage des allgemeinen Willkürverbots kommt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht; es erfordert, dass sich über eine fehlerhafte Rechtsanwendung hinaus der Schluss aufdrängt, diese beruhe auf sachfremden Erwägungen (vgl. BVerfGE 62, 189 ≪192≫). Gilt die verfassungsrechtliche Prüfung einer im Verfahren nach § 349 Abs. 2 StPO ergangenen Revisionsentscheidung, die zur Frage der Zulässigkeit der Verfahrensrügen nicht mit weiteren Gründen versehen ist (vgl. dazu BVerfG ≪Vorprüfungsausschuss≫, NJW 1982, S. 925; ferner BVerfGE 50, 287 ≪289 f.≫), so lässt sich allerdings nicht immer sagen, von welchen rechtlichen Erwägungen im einzelnen sich das Revisionsgericht bei der Beurteilung der Revisionsrügen und bei der Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO hat bestimmen lassen. Die Feststellung eines Verstoßes gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) setzt deshalb in solchen Fällen voraus, daß die Anwendung des einfachen Rechts im Ergebnis unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist. So liegt der Fall hier nicht. Die Auffassung, die der Generalbundesanwalt zu den Revisionsrügen des Beschwerdeführers vertreten hat, ist – auch bei Berücksichtigung der Gegenerklärung des Beschwerdeführers – naheliegend, keinesfalls willkürlich. Ob ihr aus der Sicht des sogenannten einfachen Rechts in allen Punkten gefolgt werden kann, hat das kann, hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen. Gleiches muss für die Entscheidung des Revisionsgerichts gelten, die dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprach.

Die Auferlegung einer Gebühr in Höhe von jeweils 350 DM ist nach den Umständen angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1560994

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