Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 18. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger, der an einer progredienten Schwerhörigkeit leidet, begehrt berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation für ein Studium an der Universität Hamburg, Studiengang Sonderlehramt für Schwerhörige und Gehörlose.
Der im Jahre 1966 geborene Kläger, gelernter Speditionskaufmann, studiert seit April 1993; im Juni 2000 hat er die erste Staatsprüfung für das Lehramt an Sonderschulen bestanden. Einem Antrag vom Mai 1996 auf Bewilligung einer Umschulungsmaßnahme als berufliche Rehabilitation gab die Beklagte mit Bescheid vom 10. September 1997 dem Grunde nach statt, lehnte jedoch gleichzeitig die Förderung des seit 1993 laufenden Studiums ab. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.
Das Sozialgericht Hamburg (SG) hat zur Begründung seines klagabweisenden Urteils vom 20. Januar 1999 ausgeführt, die nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) im Ermessen der Beklagten stehenden berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation durch Förderung der Teilnahme an einer nicht behindertenspezifischen Maßnahme könnten vom Kläger nicht beansprucht werden. Der Kläger habe nicht bereits vor Beginn des Studiums Rehabilitationsleistungen beantragt. Ein Anspruch auf Förderung einer Maßnahme von mehr als zweijähriger Dauer werde nicht allein aufgrund der Neigung des Klägers und einer eventuell günstigen Arbeitsmarktprognose ausgelöst. Ein Beratungsfehler, der einen Förderungsantrag bereits im Jahr 1993 verhindert hätte, sei nicht festzustellen. Das Landessozialgericht Hamburg (LSG) hat (Urteil vom 18. Januar 2001) zwar klargestellt, daß nach § 56 Abs 1 AFG in der auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung ein Rechtsanspruch auf berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation bestanden habe, der Beklagten habe also insoweit kein Ermessen zugestanden. Grundsätzlich seien Maßnahmen an einer Fachhochschule, Hochschule oder ähnlichen Bildungsstätten im Rahmen der Leistungen zur Rehabilitation nicht von vornherein ausgeschlossen; Voraussetzung sei, daß unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung nur auf diese Weise die Aussichten auf eine vollständige und dauerhafte Eingliederung des Behinderten wesentlich verbessert würden. Es lasse sich jedoch nicht feststellen, daß diese Voraussetzung hinsichtlich des Studiums des Klägers vorgelegen habe, als er es im Jahre 1993 aufgenommen habe. Die Beklagte habe in ihrem Schriftsatz vom 5. November 1998 eine Reihe von Berufsbereichen aufgeführt, in denen eine Förderung des Klägers in Betracht gekommen wäre. Daß diese aus Gesundheits-, Eignungs- oder anderen Sachgesichtspunkten von vornherein ausgeschieden wären, habe der Kläger nirgends substantiiert dargelegt. Der Berufswunsch sei nicht das allein entscheidende Kriterium für die Leistungspflicht eines öffentlichen Rehabilitationsträgers. Der mangelnde Förderungsanspruch des Klägers beruhe nicht auf einem Beratungsmangel der Beklagten.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensfehler des Berufungsgerichts, nämlich die Verletzung rechtlichen Gehörs und die der Amtsermittlungspflicht. Das Berufungsurteil stelle in seiner tragenden Begründung eine Überraschungsentscheidung dar. Die Ausführungen, es lasse sich jedenfalls rückschauend nicht feststellen, daß es zumutbare Bildungsmaßnahmen außerhalb des Hochschulbereichs für den Kläger im Zeitpunkt seines Studienbeginns nicht gegeben habe, sei nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gewesen. Vielmehr habe sich der Senat in der mündlichen Verhandlung nur zu § 58 Abs 2 Satz 2 AFG geäußert, wonach Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu berücksichtigen seien; damit habe der Senat angedeutet, daß die Förderung eines Hochschulstudiums gegen diese Grundsätze verstoßen würde. Er (der Kläger) und sein Bevollmächtigter seien davon ausgegangen, aus Sicht des Senats sei das Studium für eine Förderung schlichtweg zu teuer. Auf diese Argumentation habe sich der Senat in den Entscheidungsgründen des Urteils nicht mehr bezogen, sondern lediglich auf die – aus seiner Sicht unzulässige – Einengung zumutbarer Förderungsmaßnahmen auf das Hochschulstudium. Hätte der Senat ihn auf diesen Entscheidungsgrund angesprochen, hätte er ausführlich dargelegt, daß er im Vergleich mit Normalhörigen auch in den von der Beklagten genannten Verweisungsberufen faktisch chancenlos gewesen sei, daß seine Begabung für diese Berufe unterdurchschnittlich sei und damit auch seine Motivation und daß er gerade wegen seiner Intelligenz, seiner Hochschulreife und seiner Neigung für einen pädagogischen Bereich außerordentlich geeignet sei. Die daraufhin zu führenden Ermittlungen hätten zu einem für ihn günstigeren Ergebnis des Rechtsstreits führen können. Das LSG habe ferner seine Amtsermittlungspflicht dadurch verletzt, daß es sich darauf berufen habe, er (der Kläger) habe zu den von der Beklagten genannten Berufsbereichen nirgends substantiiert dargelegt, warum diese für eine Förderung hätten ausscheiden müssen. Das Gericht hätte jedoch selbst ermitteln müssen, ob die von der Beklagten genannten Verweisungsberufe seinen Eignungen entsprächen und der Wunsch nach der beantragten Förderung einer Hochschulmaßnahme angemessen sei.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Verfahrensrügen führen nicht zur Zulassung der Revision.
1. Durch die vom Kläger gerügte Vorgehensweise hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 62 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) nicht verletzt. Das Urteil des LSG war für ihn keine Überraschungsentscheidung. Eine solche liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte (zB BVerfG vom 19. Mai 1992, BVerfGE 86, 133 LS 1; BVerwG vom 3. Oktober 1985, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr 232). Insbesondere anwaltlich vertretene Verfahrensbeteiligte müssen grundsätzlich von sich aus alle vertretbaren Gesichtspunkte in Betracht ziehen und sich in ihrem Vortrag darauf einstellen (BVerfG, aaO, S 144 f). Nach diesen Maßstäben erging die Entscheidung des LSG zu der Frage, ob dem Kläger ein Förderungsanspruch zusteht, ent-gegen der Auffassung der Beschwerde nicht überraschend. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines derartigen Anspruchs waren Gegenstand des zweitinstanzlichen Verfahrens.
Unerheblich ist insoweit, ob diese – wie vom Kläger vorgetragen – in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG nur teilweise zur Sprache gekommen sind. Denn das rechtliche Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht bereits alle Aspekte der zu treffenden Entscheidung erörtert (vgl BSG vom 13. Oktober 1993, SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3). Im übrigen liegt es bereits nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nahe, daß die behaupteten Äußerungen des Berufungssenats in der mündlichen Verhandlung den – später tragenden – Gesichtspunkt des Bestehens anderer, weniger aufwendigere Förderungsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen haben. Im Gegenteil: Werden bei anerkannter Förderungswürdigkeit eines Behinderten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Förderungsalternativen (hier ein Stu-dium) ausgeschlossen, so setzt dies voraus, daß andere – wirtschaftlichere und spar-samere – Möglichkeiten (zB Lehre, Umschulung) der Eingliederung bestehen. Dies hatte der Kläger – auch schon vor der mündlichen Verhandlung – durchaus erkannt.
Bereits sein Berufungsschriftsatz vom 2. November 1999 weist darauf hin, daß – wie vom LSG bestätigt – die Förderungsleistungen bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ohne Ausübung von Ermessen zu gewähren waren; ebenso führt jener Schriftsatz an, daß eine längere Förderdauer als zwei Jahre unter der Voraussetzung möglich war, daß die Eingliederung nur über eine länger andauernde Maßnahme zu erreichen war. Bereits hieraus folgt denknotwendig, daß andere Förderungsmöglichkeiten von kürzerer Dauer Vorrang haben und die begehrte Förderung eines Hochschulstudiums nur dann in Betracht kommt, wenn andere Alternativen ausscheiden. Dementsprechend hat der Kläger bereits im Berufungsschriftsatz argumentiert, die von ihm beantragte Förderung sei „die optimalste und einzig sinnvolle” und dies damit begründet, daß er in Berufen, die normale verbale Kommunikation erforderten, faktisch chancenlos sei; das Studium mit dem Berufsziel eines Sonderschullehrers vermittle ihm als Selbstbetroffenen gute Arbeitsmarktchancen. Dem Kläger war bereits damals bewußt, daß ihm die begehrte Förderung seines Studiums nur dann zusteht, wenn nicht wirtschaftlichere (kürzere) Förderungsmöglichkeiten ebenfalls einen angemessenen Arbeitsplatz hätten sichern können; hierauf war seine ganze Argumentation ausgerichtet. Dann aber kann es nicht überraschend für ihn gekommen sein, wenn das Berufungsurteil seinen entsprechenden Darlegungen nicht gefolgt ist, sondern – ob mit zutreffender Begründung oder nicht – zumutbare Bildungsmaßnahmen außerhalb des Hochschulbereichs für den Kläger im Zeitpunkt seines Studienbeginns jedenfalls nicht ausgeschlossen hat.
2. Soweit der Kläger als weiteren Verfahrensfehler eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) rügt, ist dieses Vorbringen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nur dann statthaft, wenn es „sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist” (§ 160 Abs 2 Nr 3 am Ende SGG). Der Kläger behauptet jedoch selbst nicht, einen entsprechenden Beweisantrag gestellt zu haben.
Ob sich das Berufsgericht zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen, kann deshalb dahinstehen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen