Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame europäische Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)[5] enthielt bis zum 31.12.2019 keine detaillierten Vorgaben zur Umsatzbesteuerung von Reihengeschäften. Die Konsequenz war eine Zersplitterung des Mehrwertsteuerrechts für Reihengeschäftskonstellationen. Innerhalb der Europäischen Union reichte dies von gesetzgeberischem Aktionismus zu Reihen-/Ketten- oder Streckengeschäften über Verwaltungsvereinfachungen bis hin zu normativer Untätigkeit, da es ein Reihengeschäft als solches schlicht nicht gab. In all diesen Fällen wurde versucht, die Besteuerung nach den allgemeinen Regelungen des europäischen Mehrwertsteuersystems vorzunehmen. Es fehlte insbesondere an einer Zuordnungsregelung, um die Frage beantworten zu können, welche der hintereinandergeschalteten Lieferungen in der Reihe als solche einer Steuerbefreiung zugänglich sein könnte. Grenzüberschreitende Reihengeschäfte waren in manchen Fällen damit schlicht nicht durchführbar, wollte man nicht riskieren, in mehr als einem der am Reihengeschäft beteiligten Mitgliedstaaten zur Umsatzsteuer herangezogen zu werden. So sah das deutsche Umsatzsteuerrecht in § 3 Abs. 6 S. 6 1. und Halbs. 2 UStG ein Wahlrecht des Zwischenhändlers vor, ob er nun als Abnehmer der Vorlieferung oder als Lieferer auftreten wollte. Das österreichische Umsatzsteuerrecht kannte ein solches Wahlrecht nicht; das französische Recht sah nicht einmal besondere Regelungen für ein Reihengeschäft vor. Deutschland hatte sich zudem mit der uneinheitlichen Rechtsprechung des V. und XI. Senats des BFH auseinanderzusetzen, beim EuGH sah es nicht wesentlich besser aus.

Zum 1.1.2020 wurde mit der Umsetzung der sog. Quick Fixes[6] in nationales Recht eine Zeitenwende vollzogen. Der durch Art. 1 Nr. 2 Richtlinie (EU) 2018/1910 des Rates vom 4.12.2018 in die MwStSystRL eingeführte Art. 36a enthält erstmals eine ausdrückliche unionsrechtliche Regelung zur Zuordnung der Warenbewegung (Beförderung oder Versendung) beim Reihengeschäft im innergemeinschaftlichen Handel. Nach den Erwägungsgründen[7] werden als Reihengeschäft aufeinanderfolgende Lieferungen von Gegenständen bezeichnet, die eine einzige innergemeinschaftliche Beförderung bewirken. Zur Vermeidung von Doppel- oder Nichtbesteuerungen sowie insbesondere zur Verbesserung der Rechtssicherheit für die Wirtschaftsbeteiligten soll lediglich einer der Lieferungen die innergemeinschaftliche Beförderung der Gegenstände zugeordnet werden und nur diese eine Lieferung soll einer Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen zugänglich sein. Die anderen Lieferungen der Reihe sollten besteuert werden und können die mehrwertsteuerliche Registrierung des Lieferers im Mitgliedstaat der Lieferung erfordern.

Durch das Unionsrecht geregelt ist lediglich der Fall, in welchem der Zwischenhändler den Transport der Gegenstände durchführt bzw. durchführen lässt. Zwischenhändler bezeichnet nach dieser Vorschrift einen Lieferer innerhalb einer Reihe (mit Ausnahme des ersten Lieferers in der Reihe), der die Gegenstände selbst oder auf seine Rechnung durch einen Dritten befördert oder versendet, mithin eine Person, die nicht nur liefert, sondern an die gleichzeitig auch geliefert wird.

Zusammengefasst ist damit für folgende Lieferkonstellation eine unionseinheitliche Sichtweise vorgesehen:

  • dieselben Gegenstände werden nacheinander geliefert,
  • diese Gegenstände werden unmittelbar vom ersten Lieferer bis zum letzten Erwerber in der Reihe versandt oder befördert,
  • diese Gegenstände werden aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert,
  • diese Gegenstände werden durch einen sog. Zwischenhändler selbst oder auf seine Rechnung durch einen Dritten versendet oder befördert.

Liegen die genannten Kriterien vor, wird die Versendung oder Beförderung nur der Lieferung an den Zwischenhändler zugeschrieben, Art. 36a Abs. 1 MwStSystRL. Abweichend davon wird die Versendung oder Beförderung nur der Lieferung von Gegenständen durch den Zwischenhändler zugeschrieben, wenn dieser seinem Lieferer gegenüber die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer mitgeteilt hat, die ihm vom Mitgliedstaat, aus dem die Gegenstände versandt oder befördert werden, erteilt wurde, Art. 36a Abs. 2 MwStSystRL. Durch Art. 36a Abs. 2 MwStSystRL wird bestimmt, dass die gesetzliche Vermutung im Falle innergemeinschaftlicher Lieferungen durch die Verwendung einer dem transportverantwortlichen mittleren Unternehmer (Zwischenhändler) durch den Abgangsmitgliedstaat erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer widerlegt wird.[8]

Keine ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen hat der europäische Gesetzgeber für die folgenden Konstellationen vorgesehen:

  • dieselben Gegenstände werden nacheinander geliefert und werden durch den ersten Lieferer in der Reihe oder auf seine Rechnung durch einen Dritten versendet oder befördert;
  • dieselben Gegenstände werden nacheinander geliefert und werden durch den letzten Abnehmer in der Reihe oder auf seine Rech...

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