Gesetzestext

 

(1) Diese Verordnung gilt für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben.

(2) Diese Verordnung gilt nicht für Insolvenzverfahren über das Vermögen von Versicherungsunternehmen oder Kreditinstituten, von Wertpapierfirmen, die Dienstleistungen erbringen, welche die Haltung von Geldern oder Wertpapieren Dritter umfassen, sowie von Organismen für gemeinsame Anlagen.

1. Anwendungsbereich

 

Rn 1

Art. 1 Absatz 1 (vgl. dazu auch 1.3) enthält die Grundnorm für den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden hier auch der zeitliche und der territoriale Anwendungsbereich dargestellt, gleichwohl sich diese aus anderen Normen bzw. den Erwägungsgründen der EuInsVO erschließen.

1.1 Zeitlicher Anwendungsbereich

 

Rn 2

Die EuInsVO ist am 31.5.2002 in Kraft getreten. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und entfaltet unmittelbar Wirkung, Art. 47.

 

Rn 3

Die Verordnung findet für alle in den Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Dänemarks – nach dem 31.5.2002 eröffneten Verfahren Anwendung, Art. 43 S. 1. Die bilateralen Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten haben automatisch ihre Wirkung verloren, Art. 44.

1.2 Territorialer Anwendungsbereich

 

Rn 4

Die EuInsVO regelt nur die Fälle grenzüberschreitender Insolvenzen.[1] Auf reine Binnensachverhalte der jeweiligen Mitgliedstaaten findet sie keine Anwendung.

 

Rn 5

Die Verordnung erfasst außerdem allein grenzüberschreitende Insolvenzverfahren innerhalb des Binnenmarktes – mit Ausnahme Dänemarks.[2] Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners soll sich in der Gemeinschaft befinden (Erwägungsgrund 14 der Verordnung).

 

Rn 6

Ist ein solcher Schwerpunkt in einem Drittstaat lokalisiert, greift die EuInsVO nicht ein.[3] Wenn der Schuldner eine Niederlassung außerhalb des Binnenmarktes betreibt, der Schwerpunkt aber in einem Mitgliedstaat liegt, bleibt sie für Hauptinsolvenzverfahren anwendbar.[4]

 

Rn 7

Bezüglich der international-insolvenzrechtlichen Fragen im Verhältnis zu Drittstaaten muss sich das internationale Insolvenzrecht des jeweiligen Mitgliedstaates seinen Weg bahnen. Die Optionen sind die von England favorisierte zusätzliche Übernahme des UNCITRAL-Modellgesetzes,[5] der Abschluss bi- und multilateraler Abkommen oder aber die Gleichbehandlung des Rests der Welt mit den Mitgliedstaaten. Letzteres würde bedeuten, dass man das jeweilige internationale Insolvenzrecht der EuInsVO angleicht.

 

Rn 8

Das deutsche BJM arbeitet zur Zeit an einer Reform des internationalen Insolvenzrechts.

[1] Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136).
[2] Besonderheiten bestehen im Verhältnis zum Vereinigten Königreich, zu Irland und zu Dänemark, vgl. Art. 69 EGV. Das Vereinigte Königreich und Irland beteiligen sich an der EuInsVO, nicht aber Dänemark (32. und 33. Erwägungsgrund). Dänemark wird möglicherweise ein bilaterales Abkommen mit der EG auf der Grundlage der Verordnung schließen.
[3] Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (538); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (137).
[4] Leible/Staudinger, a.a.O.
[5] Zum UNCITRAL-Modellgesetz vgl. Wimmer, ZIP 1997, 2220.

1.3 Sachlicher Anwendungsbereich

 

Rn 9

Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung umfasst alle Gesamtverfahren, die die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben, Art. 1 Abs. 1.

 

Rn 10

Begriffe wie "Gesamtverfahren", "Insolvenz" oder "Vermögensbeschlag" sind auslegungsbedürftig. Um die Anwendung der Verordnung zu erleichtern, sind die erfassten Insolvenz- und Liquidationsverfahren gemäß Art. 2 lit. a Satz 2, lit. c deshalb in Listen (Anhang A und B) abschließend aufgeführt. Es findet keine Kontrolle im anerkennenden Staat statt, ob das jeweilige ausländische Insolvenzverfahren der Definition des Art. 1 Abs. 1 genügt.[6]

 

Rn 11

Nicht unter die Verordnung fallen zum Beispiel

  • als reines vorinsolvenzliches Vergleichsverfahren das französische "règlement amiable"[7] oder
  • das englische "receivership"[8].
[6] FK-Wimmer Anhang 1 Rn. 71; Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (4).
[7] Balz, ZIP 1996, 948; Lüke, ZZP 111 (1998) 275 (284); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (135). Hierbei handelt es sich um ein französisches Schlichtungsverfahren, vgl. dazu: Damann, ZIP 1996, 300 (301).
[8] Balz, ZEuP 1996, 326 f. Dies ergibt sich daraus, dass der "receiver" in erster Linie nur die Interessen des Gläubigers der "floating charge" wahrnimmt und so kein Gesamtverfahren stattfindet.

1.4 Persönlicher Anwendungsbereich

 

Rn 12

Die Verordnung gilt für alle Insolvenzverfahren, unabhängig davon, ob es sich bei dem Schuldner um eine natürliche oder juristische Person, einen Kaufmann oder eine Privatperson handelt, Erwägungsgrund 9.

 

Rn 13

Demgegenüber unterscheiden viele europäische Insolvenzordnungen zwischen dem Kaufmanns- und dem Nichtkaufmannskonkurs. Es sind zum Beispiel in Griechenland[9], Italien und dem Großherzogtum Luxemburg[10] nur Kaufleute insolvenzfähig. Aber auch in diesen Staaten muss die Insolvenz über einen Nichtkaufmann eines anderen Mitglie...

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