Rn 1

Die internationale Zuständigkeit wird bei europäischen Insolvenzverfahren durch Art. 3 EuInsVO (Art. 3 EuInsVO n. F.) festgelegt. Gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO n. F.) ist in dem Mitgliedstaat das Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (centre of main interests, COMI) hat.

 

Rn 2

Für die örtliche Zuständigkeit gilt in Deutschland § 3 InsO. Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO. Bei einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners greift jedoch § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO. Danach wird für die örtliche Zuständigkeit auf den Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners abgestellt.

 

Rn 3

Die EuInsVO (internationale Zuständigkeit) und die InsO (örtliche Zuständigkeit) weichen also in ihren Anknüpfungskriterien voneinander ab. Deshalb kann es zu der Konstellation kommen, dass zwar eine deutsche internationale Zuständigkeit, jedoch keine örtliche Zuständigkeit gegeben ist.

 

Rn 4

Ein Beispiel für eine Zuständigkeitslücke ist die Konstellation, dass ein Arbeitnehmer in Deutschland wohnhaft und in Frankreich abhängig beschäftigt ist und dort überdies einer nebenberuflichen selbständigen Tätigkeit nachgeht.[1] Nach der EuInsVO ist bei natürlichen Personen grundsätzlich der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts für die internationale Zuständigkeit entscheidend.[2] Mithin liegt die internationale Zuständigkeit in Deutschland. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO stellt für die örtliche Zuständigkeit jedoch auf den Mittelpunkt einer selbständigen Tätigkeit ab und eine selbständige Nebentätigkeit ist zumindest dann zuständigkeitsbegründend, wenn sie nicht lediglich nebensächlich ist.[3]

 

Rn 5

In derartigen Fällen richtet sich gemäß Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO die örtliche Zuständigkeit nach dem Kriterium des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. § 3 Abs. 1 InsO wird insoweit verdrängt.[4] Im Beispielsfall ist die örtliche Zuständigkeit damit am Wohnsitz des Schuldners gegeben.

 

Rn 6

Eine Allzuständigkeit des deutschen Insolvenzgerichts für sämtliche mit einem Insolvenzverfahren zusammenhängenden Fragen (vis to attractiva concursus) gibt es in Deutschland nicht. Art. 102 § 1 EGInsO regelt nur die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, nicht aber von Prozessgerichten.[5]

 

Rn 7

Mit der Deko Marty Belgium-Entscheidung des EuGH[6] ist Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dahin auszulegen, dass auch die Gerichte des Mitgliedstaates der Insolvenzverfahrenseröffnung für Insolvenzanfechtungsklagen und andere unmittelbar mit dem Insolvenzverfahren zusammenhängende Streitverfahren international zuständig sind, sodass die Möglichkeit einer Lücke der örtlichen Zuständigkeit bei Klagen gegen den inländischen Anfechtungsgegner bestehen kann. Diese planwidrige Regelungslücke ist im Wege einer analogen Anwendung von § 19a ZPO, § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO zu schließen,[7] der Gerichtsstand für das sachlich zuständige Gericht richtet sich nach dem Ort des zuständigen Insolvenzgerichts. In diesem Fall kommt auch der besondere Gerichtsstand nach § 32 ZPO nicht in Betracht, sofern die anfechtbare Rechtshandlung nicht zugleich ein Delikt darstellt.[8]

 

Rn 8

In einer weiteren Entscheidung bestätigt der 2. Zivilsenat des BGH[9] die vorgenannte Entscheidung[10] des 9. Zivilsenats und erstreckt die analoge Anwendung von § 19a ZPO, § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO auch auf die Ansprüche aus § 64 Satz 1 und § 43 Abs. 3 GmbHG.[11] Dies hat auch der EuGH[12] in der Kornhaas/Dithmar-Entscheidung aufrechterhalten, insbesondere führte er aus, eine Bestimmung wie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F.[13] trage zur Verwirklichung eines Ziels bei, das, mutatis mutandis, untrennbar mit jedem Insolvenzverfahren verbunden ist, nämlich die Verhinderung etwaiger Masseverkürzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger. Zugleich sind diese insolvenzrechtlichen Haftungsinstrumente nach der Rechtsprechung des EuGH mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 und 54 AEUV vereinbar, denn ein vergleichbarer Fall zu Überseering oder Inspire Art liegt nicht vor.[14]

 

Rn 9

Für die Zuständigkeitsregelung der Nachlassinsolvenz gilt jedoch eine Besonderheit. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich bei Inlandsfällen nicht nach § 3 InsO, sondern nach den Spezialregelungen des § 315 InsO. Denn der Fokus des deutschen Gesetzgebers bei Reglung des Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO lag allein auf dem Regelinsolvenzverfahren, sodass der Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO mit dem Verweis auf § 3 Abs. 1 InsO als gesetzgeberisches Versehen teleologisch zu reduzieren und die örtliche Zuständigkeit im Falle der Nachlassinsolvenz nach § 315 InsO zu bestimmten ist.[15]

[1] Wimmer, Einpassung der EU-Insolvenzverordnung in das deutsche Recht durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, in: Gerhardt/Haarmeyer/Kreft, Insolvenzrecht im Wandel der Zeit, Festschrift für...

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