Alle in der KW 31 veröffentlichten BGH-Leitsatzentscheidungen

Kompakt und aktuell: Hier finden Sie einen Überblick der in der KW 31 vom Bundesgerichtshof veröffentlichten sog. Leitsatzentscheidungen.

Senat

Leitsatz

Datum und Az.

12. Zivilsenat

Zur nachträglichen Zulassung der Rechtsbeschwerde auf eine Gegenvorstellung.

BGH-Beschluss, v.14.6.2023, XII ZB 517/22

12. Zivilsenat

Zu den Auswirkungen der sogenannten Test-Achats-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Unzulässigkeit geschlechtsspezifischer Kalkulation von Prämien und Leistungen bei privaten Versicherungen (Anschluss an EuGH Urteil vom 1. März 2011 - Rs. C-236/09, NJW 2011, 907 - Association belge des Consommateurs Test-Achats) auf die interne Teilung einer betrieblichen Direktversicherung im Versorgungsausgleich.

BGH-Beschluss, v. 31.5.2023, XII ZB 250/20

4. Zivilsenat

Eine Prämienanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, weicht nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG ab und benachteiligt diesen auch nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

BGH-Urteil, v. 12.7.2023, IV ZR 347/22

1. Zivilsenat

Silver Horse/Power Horse

1. Die Unterlassung einer an sich gebotenen Zulassung der Rechtsbeschwerde stellt keinen Begründungsmangel dar und kann deshalb nicht mit Erfolg gemäß § 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde angegriffen werden. Gegen eine nicht gerechtfertigte Unterlassung der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist allein die Verfassungsbeschwerde mit der Begründung der Verletzung des Grundrechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes eröffnet.

2. Für das Bestreiten der Benutzung einer Widerspruchsmarke gemäß § 43 Abs. 1 MarkenG ist eine eindeutige Erklärung erforderlich. Allgemeine Ausführungen zur Benutzungslage in anderem Zusammenhang, wie zum Beispiel bei der Erörterung der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Waren oder Dienstleistungen, der Kennzeichnungskraft oder anderer Aspekte der Verwechslungsgefahr können grundsätzlich nicht als Nichtbenutzungseinwand ausgelegt werden.

BGH-Beschluss, v. 1.6.2023, I ZB 65/22

9. Zivilsenat

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b, Abs. 3 AEUV folgende Fragen vorgelegt:

1. Ist Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 10 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (fortan: Europäische Insolvenzverordnung - EuInsVO) dahin auszulegen, dass der Tätigkeitsort einer selbständig gewerblich oder freiberuflich tätigen natürlichen Person auch dann eine Niederlassung darstellt, wenn die ausgeübte Tätigkeit keinen Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt?

2. Sofern Frage 1 verneint wird: Ist Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 Satz 1 EuInsVO dahin auszulegen, dass dann, wenn eine selbständig gewerblich oder freiberuflich tätige natürliche Person keine Niederlassung im Sinne von Art. 2 Nr. 10 EuInsVO unterhält, bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen derjenige Ort ist, an welchem die selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausgeübt wird?

3. Sofern Frage 2 verneint wird: Ist Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dahin auszulegen, dass bei einer selbständig gewerblich oder freiberuflich tätigen natürlichen Person, die keine Niederlassung im Sinne von Art. 2 Nr. 10 EuInsVO unterhält, gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 Satz 1 EuInsVO bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts ist?

EuGH-Vorlage, v. 29.6.2023, IX ZB 35/22

5. Zivilsenat

1a. Der Berechtigte eines dinglichen Vorkaufsrechts an einem Wohnungseigentum wird durch die reale Teilung des Grundstücks vor Eintritt des Vorkaufsfalls in seiner dinglichen Rechtsstellung nicht berührt, da sich das Vorkaufsrecht an dem abgeschriebenen, neuen Grundstück fortsetzt. Infolgedessen erfordert die Realteilung für sich genommen nicht die Zustimmung des dinglich Vorkaufsberechtigten.

1b. Die Aufhebung des Sondereigentums vor Eintritt des Vorkaufsfalls bedarf nicht der Zustimmung des dinglich Vorkaufsberechtigten.

2. Die Änderung einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer (hier: Aufhebung des Sondernutzungsrechts) bedarf ebenfalls nicht der Zustimmung des Berechtigten eines dinglichen Vorkaufsrechts an einem Wohnungseigentum.

BGH-Beschluss, v. 15.6.2023, V ZB 5/22

9. Zivilsenat

1. Der Anspruch auf Rückgewähr eines der Masse entnommenen, letztlich aber nicht verdienten Vorschusses auf die Vergütung des Insolvenzverwalters ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften über die Herausgabepflicht des Beauftragten.

2. Die Verjährung eines Anspruchs auf Rückgewähr eines überzahlten Vorschusses beginnt grundsätzlich erst mit dem Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Insolvenzgerichts zu laufen, aus dem sich die Überzahlung ergibt.

BGH-Urteil, v. 29.6.2023, IX ZR 152/22

5. Zivilsenat

1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte wird unter den Voraussetzungen des Art. 26 EuGVVO auch dann begründet, wenn der sich rügelos einlassende Beklagte seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union hat.

2. Die auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank stellt keine Eigentumsbeeinträchtigung i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB dar und begründet daher keinen auf Beantragung der Löschung gerichteten Anspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung.

BGH-Urteil, v. 21.7.2023, V ZR 112/22

5. Zivilsenat

1. Zur Beschaffenheit eines verkauften Grundstücks gehört es nicht, dass es sich auf ein Nachbargrundstück erstreckt; eine solche Vereinbarung legt den Kaufgegenstand selbst und nicht lediglich dessen Beschaffenheit fest.

2a. Der Wortsinn einer in einem notariellen Grundstückskaufvertrag enthaltenen Erklärung ist nicht maßgeblich, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien in der Erklärung Begriffe anders als nach dem Wortsinn verstehen oder mit Flurstücks- oder Grundbuchangaben andere Vorstellungen über den verkauften Grundbesitz verbinden (sog. versehentliche Falschbezeichnung bzw. falsa demonstratio). Eine solche Falschbezeichnung ändert nach § 133 BGB nichts daran, dass - wie auch sonst - nicht das fehlerhaft Erklärte, sondern das wirklich Gewollte gilt.

2b. Aus dem Umstand, dass die Kaufvertragsparteien die tatsächlichen Verhältnisse des im Eigentum des Verkäufers stehenden Grundstücks bei einer Besichtigung zur Kenntnis genommen haben, kann, auch wenn dieses Grundstück und das angrenzende Nachbargrundstück scheinbar eine Einheit bilden, nur im Ausnahmefall auf eine Einigung über den Mitverkauf des nicht im Eigentum des Verkäufers stehenden Nachbargrundstücks geschlossen werden (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 18. Januar 2008 - V ZR 174/06, NJW 2008, 1658).

3. Weckt der Verkäufer eines Grundstücks bei dem Käufer vor Vertragsschluss falsche - einseitige - Vorstellungen über den tatsächlichen Umfang seines Eigentums oder erkennt er eine entsprechende Fehlvorstellung über den Grenzverlauf, klärt den Käufer aber nicht über den wahren Grenzverlauf auf, fehlt es in aller Regel an einer Einigung über den Verkauf eines scheinbar zu dem Grundstück des Verkäufers zugehörigen fremden Grundstücks. Der Verkäufer kann allerdings wegen Verschuldens bei Vertrags-schluss zum Schadensersatz verpflichtet sein.

BGH-Urteil, v. 23.6.2023, V ZR 89/22

5. Zivilsenat

1a. Maßgeblich für die Beurteilung der Einheitlichkeit von Gebäuden ist bei einem Überbau immer die Verkehrsanschauung; die körperliche bautechnische Beschaffenheit stellt nicht das allein entscheidende Kriterium dar, sondern erlangt nur im Rahmen der festzustellenden Verkehrsanschauung Bedeutung.

1b. Erstreckt sich eine Tiefgarage als rechtmäßiger Überbau auf andere Grundstücke, führt allein die bautechnische und statische Verbindung der Tiefgarage mit auf den überbauten Grundstücken aufstehenden Gebäuden nicht dazu, dass die Tiefgarage kein einheitliches Gebäude ist.

1c. Auch Verbindungen der auf den überbauten Grundstücken aufstehenden Gebäude mit dem Tiefgaragenkörper durch Treppenhäuser, Aufzugsschächte, Fluchtwege und der Haustechnik dienende Versorgungseinrichtungen oder von den anderen Grundstücken ausgehende weitere Zufahrten stehen der Einordnung der Tiefgarage als einheitliches Gebäude nicht entgegen.

2. Ist in grundbuchmäßiger Form nachgewiesen, dass die im Wege des rechtmäßigen Überbaus grenzüberschreitend errichtete Tiefgarage durch eine Zufahrt von dem Stammgrundstück aus als Ganzes erreichbar ist, ist von dem Grundbuchamt aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss zu ziehen, dass der Tiefgaragenkörper unabhängig von einer aufstehenden Bebauung auf dem überbauten Grundstück eigentumsrechtlich dem Stammgrundstück zuzuordnen ist; dies setzt allerdings voraus, dass sich ein Gebäudeteil der Tiefgarage (wie etwa eine Rampe) auf dem Stammgrundstück befindet und dies grundbuchmäßig nachgewiesen ist.

BGH-Beschluss, v. 15.6.2023, V ZB 12/22

5. Zivilsenat

Beschließen die Wohnungseigentümer eine Erhaltungsmaßnahme und wird der Beschluss angefochten, richtet sich das Gesamtinteresse nach den voraussichtlichen Gesamtkosten der Maßnahme. Diese Grundsätze gelten auch für die Anfechtung eines Grundlagenbeschlusses über die Erhaltungsmaßnahme.

BGH-Beschluss, v. 15.6.2023, V ZR 222/22

12. Zivilsenat

1. Rechtsanwälte, die das Amt des Betreuers berufsmäßig ausüben und in dieser Eigenschaft im eigenen Namen eine Beschwerdeschrift nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG einreichen, haben diese gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG als elektronisches Dokument zu übermitteln.

2. Werden verfahrenseinleitende Anträge nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle, sondern schriftlich abgegeben, hängt deren Wirksamkeit nach § 23 FamFG - anders als bei bestimmenden Schriftsätzen im Beschwerdeverfahren (§ 64 Abs. 2 Satz 3 und 4 FamFG) - nicht von der Beachtung zwingender Formvorschriften ab, zu denen für einen Rechtsanwalt § 14 b Abs. 1 FamFG hinzutreten könnte. Auch ein Rechtsanwalt darf solche Anträge daher gemäß § 14 b Abs. 2 Satz 1 FamFG in gewöhnlicher Schriftform stellen; er ist in diesem Fall allerdings gemäß § 14 b Abs. 2 Satz 2 FamFG verpflichtet, auf Anforderung des Gerichts ein elektronisches Dokument nachzureichen.

BGH-Beschluss, v. 31.5.2023, XII ZB 428/22

12. Zivilsenat

Ein Rechtsanwalt hat durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anweisung, bei Verfahrenshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist im Fristenkalender zu notieren.

BGH-Beschluss, v. 21.6.2023, XII ZB 418/22

12. Zivilsenat

Zur Beiordnung eines Rechtsanwalts im Betreuungsverfahren (hier: Betreuerwechsel auf Antrag des Betreuten).

BGH-Beschluss, v. 21.6.2023, XII ZA 2/23

8. Zivilsenat

Zur Verjährung des Auskunftsanspruchs des Mieters gemäß § 556g Abs. 3 BGB bei Vereinbarung einer Staffelmiete.

BGH-Urteil, v. 12.7.2023, VIII ZR 60/22

12. Zivilsenat

Der auf künftige Räumung verklagte Mieter von Gewerberäumen ist zur Vermeidung der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht gehalten, sich auf eine Aufforderung des Vermieters zu seiner Bereitschaft zu erklären, die Mieträume bei Vertragsende an den Vermieter herauszugeben. Allein durch sein Schweigen auf eine solche Aufforderung des Vermieters gibt er noch keine Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO.

BGH-Beschluss, 28.6.2023, XII ZB 537/22

1. Strafsenat

1. Das innerstaatliche Strafanwendungsrecht umfasst im Falle des unbefugten Vertriebs von Betäubungsmitteln i.S.d. § 6 Nr. 5 StGB unabhängig vom Recht des Tatorts auch die erweiterte Einziehung von Taterträgen und deren Werts gemäß §§ 73, 73a, 73c StGB aus Auslandstaten.

2. Die erweiterte Einziehung von Taterträgen und deren Wert gemäß §§ 73, 73a, 73c StGB aus Auslandstaten setzt nicht voraus, dass sich die Auslieferung des Angeklagten auf die „anderen rechtswidrigen Taten“ i.S.d. § 73a Abs. 1 StGB erstreckt, die den Anknüpfungspunkt für die erweiterte Einziehung darstellen.

BGH-Urteil, v. 22.3.2023, 1 StR 335/22

9. Zivilsenat

Im Rahmen des echten Factorings muss sich der Factor die Kenntnis des Forderungsverkäufers von der Zahlungsunfähigkeit des späteren Insolvenzschuldners oder den die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen regelmäßig nicht allein wegen der den Forderungsverkäufer treffenden Pflichten zur Unterstützung des Factors bei der Forderungsdurchsetzung und zur Information des Factors über eine Zahlungsunfähigkeit begründende Umstände zurechnen lassen.

BGH-Urteil, v. 25.5.2023, IX ZR 116/21

6. Zivilsenat

Zur teilweisen Unzulässigkeit einer Filmberichterstattung über eine Kindesentführung wegen Schutzbedürftigkeit des Opfers.

BGH-Urteil, v, 6.6.2023, VI ZR 309/22

2. Zivilsenat

Die Beschwerdeberechtigung eines Gesellschaftsgläubigers, der nach einer formwechselnden Umwandlung die Löschung der Gesellschaft mit der Begründung angeregt hat, der Formwechsel sei rechtsmissbräuchlich unter Umgehung oder Einschränkung des Gläubigerschutzes vollzogen worden, ergibt sich nicht bereits daraus, dass das Registergericht die Löschung verweigert hat. Ein allgemeines Recht eines Gläubigers, zur Erleichterung der Verwirklichung seines Forderungsrechts bestimmte Eintragungen im Handelsregister herbeizuführen oder zu untersagen, besteht nicht.

BGH-Beschluss, v. 20.6.2023, II ZB 18/22

6. Zivilsenat

Für Klagen, die auf ansehensbeeinträchtigende Äußerungen gestützt werden, welche dazu dienen, einen Antrag auf Vereinsausschluss zu begründen und das entsprechende Verfahren der zuständigen Vereinsorgane in Gang zu setzen bzw. zu fördern, besteht in aller Regel kein Rechtsschutzbedürfnis (Fortentwicklung von BGH, Urteile vom 27. Februar 2018 - VI ZR 86/16, VersR 2018, 817; vom 28. Februar 2012 - VI ZR 79/11, VersR 2012, 502; vom 11. Dezember 2007 - VI ZR 14/07, VersR 2008, 357).

BGH-Urteil, v. 20.6.2023, VI ZR 207/22


Schlagworte zum Thema:  Bundesgerichtshof (BGH), Urteil