Rn 1

Die insolvenzrechtliche Regelung zum Unterhalt des Schuldners und seiner Familie während des Insolvenzverfahrens behält die schon früher geltenden Grundsätze (§ 129 Abs. 1, § 132 Abs. 1 KO) im Wesentlichen bei. Wegen der nach § 35 vorgenommenen Einbeziehung des sog. Neuerwerbs in die Insolvenzmasse dürfte sich aber nunmehr die Situation für den Schuldner und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen verschärfen. Während ihm und seiner Familie noch nach dem Konkursrecht sein nach Verfahrenseröffnung verdientes Arbeitseinkommen uneingeschränkt und sicher vor Gläubigerzugriffen zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stand, bleibt dafür nunmehr nur noch der nicht einer Zwangsvollstreckung unterliegende Betrag als sog. insolvenzfreies Vermögen übrig. Damit sind aber der Schuldner und seine Familie im Insolvenzverfahren nicht schlechter gestellt als bei Gläubigerzugriffen im Wege der Einzelzwangsvollstreckung. Außerdem erhöhen nachweisbare Unterhaltspflichten des Schuldners nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften auch die Pfändungsfreigrenzen und damit das unpfändbare Vermögen nach § 36 Abs. 1.

 

Rn 1a

Im RegE zur InsO war noch ein Anspruch des Schuldners und bestimmter naher Angehöriger auf den notwendigen Unterhalt sowie eine Entscheidungskompetenz des Insolvenzgerichts bei Meinungsverschiedenheiten über die Unterhaltsgewährung aus der Insolvenzmasse vorgesehen. Damit sollte vermieden werden, dass Insolvenzgläubiger auf Kosten der Sozialhilfeträger befriedigt werden.[1] "Aus Gründen der Gerichtsentlastung" hat der Bundestag aber auf Vorschlag seines Rechtsausschusses die Gewährung von Unterhalt aus der Insolvenzmasse bewusst wieder in das Ermessen der Gläubigerversammlung bzw. des Insolvenzverwalters gestellt.[2]

Trotz dieser eindeutigen Aussage des Gesetzgebers hat sich in den letzten Jahren eine insbesondere von Kothe[3] initiierte Meinung ausgebreitet, nach der in bestimmten Fällen doch eine Pflicht zur Gewährung von Unterhalt aus der Insolvenzmasse bestehen soll, dann nämlich, wenn der pfändungsfreie und daher nicht in die Insolvenzmasse fallende Teil des Einkommens des Insolvenzschuldners hinter dem Existenzminimum, d.h. hinter den Sozialhilfesätzen, zurückbleibt.[4] Begründet wird diese Aussage mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG), und als Stütze dienen steuerrechtliche Entscheidungen des BVerfG, die es als verfassungsrechtlich geboten erklären, dem Bürger bei der Einkommensbesteuerung das Existenzminimum, das sich nach den Sozialhilfesätzen bestimmen lasse, steuerfrei zu belassen.[5] Entsprechendes (keine Entziehung des Existenzminimums) soll nach der referierten Meinung auch für den Hoheitsakt des Insolvenzbeschlags gelten. Nun werden Fälle, in denen die Pfändungsfreibeträge des § 850c ZPO unter den Sozialhilfesätzen liegen, nach der kräftigen Erhöhung der Pfändungsfreibeträge zum 1.1.2002 und nach der durch Gesetz vom 13.12.2001 eingeführten Dynamisierung dieser Freibeträge (§ 850c Abs. 2a ZPO)[6] erheblich seltener vorkommen als früher. Mit § 100 haben sie jedenfalls nichts zu tun. Denn es geht bei ihnen nicht um die Gewährung von "Unterhalt aus der Insolvenzmasse", sondern um die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit von Teilen des Arbeitseinkommens zur Insolvenzmasse.[7] Dieser Fall ist durch das InsO-Änderungsgesetz vom 26.10.2001[8] ausdrücklich in § 36 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 850f Abs. 1 Buchst. a ZPO, § 36 Abs. 4 geregelt worden.[9] Diese Regelung unterscheidet sich auch praktisch von einer Unterhaltsgewährung nach § 100, weil sie im Falle der Masseunzulänglichkeit nicht nur einen letztrangigen (§ 209 Abs. 1 Nr. 3) Masseschuldanspruch, sondern volle Teilhabe an der Masse verschafft.

Für § 100 verbleiben also vor allem die Fälle, in denen der Schuldner über kein "Arbeitseinkommen" (in dem weiten Sinne, in dem dieser Begriff verstanden wird) verfügt, sondern nur unregelmäßige Einkünfte oder Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit oder ein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen hat. Auch für diese Fälle ist verschiedentlich die Ansicht zu hören, dem Insolvenzschuldner müssten nach Verfassungsrecht aus der Insolvenzmasse Beträge überlassen werden, die ihm das an den Sozialhilfesätzen orientierte Existenzminimum sichern.[10] Dem ist nicht zu folgen. Die angeführten Entscheidungen des BVerfG[11] sagen zur Verschonung sonstigen Vermögens zwecks Gewährleistung des Existenzminimums nichts, und auch die Pfändungsverbote für die Einzelvollstreckung kennen eine solche Rücksichtnahme nicht (bzw. nur sehr punktuell in § 851a ZPO). Im Übrigen sind es zweierlei Dinge, ob der Staat selbst einen Bürger durch Besteuerung unter das Sozialhilfeniveau hinabdrückt oder ob er im Widerstreit der Interessen von Gläubigern einerseits und Insolvenzschuldnern (bzw. Sozialhilfeträgern) andererseits sich auf die eine oder andere Seite schlägt. Es handelt sich beim Insolvenzverfahren aus nahe liegenden Gründen zwar um ein staatlicherseits veranstaltetes...

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