Leitsatz

Billigkeitsmaßnahmen der Verwaltung zur Anpassung der Verwaltungspraxis an eine von der bisherigen Verwaltungsmeinung abweichende Rechtsauffassung sind von den Gerichten jedenfalls dann zu beachten, wenn sie vom FA im Rahmen der Steuerfestsetzung getroffen wurden und bestandskräftig geworden sind.

 

Normenkette

§ 3b EStG , § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG , § 163 AO

 

Sachverhalt

Die Kläger (Eheleute) erzielten in den Streitjahren 1995 bis 1997 als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Die GmbH zahlte an sie u.a. auch pauschale Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit nach § 3b EStG.

Das FA ging davon aus, dass die Zuschläge als verdeckte Gewinnausschüttungen zu behandeln seien. Mit den gegen die entsprechenden Einkommensteuerbescheide erhobenen Einsprüchen trugen die Kläger vor, dass es sich bei den ausgezahlten pauschalen Zuschlägen zwar nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich um verdeckte Gewinnausschüttung handele, dass der BMF aber in seinem Schreiben vom 28.9.1998 (BStBI 1 1998, 1294) festgelegt habe, dass aus dieser Rechtsprechung keine nachteiligen steuerlichen Folgen zu ziehen seien, soweit die Zuschläge i.S.v. § 3b EStG für vor dem 1.1.1998 endende Lohnzahlungszeiträume geleistet worden seien.

Das FA hat daraufhin geänderte Einkommensteuerbescheide erlassen, in denen es nunmehr die an die Kläger ausgezahlten pauschalen Zuschläge als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelte. Das FG wies die Klage ab (EFG 2002, 951).

 

Entscheidung

Der BFH wies die Sache an das FG zurück. Die Zuschläge könnten nach Verwaltungsauffassung bis einschließlich 1997 noch nach § 3b EStG steuerbefreit sein, wenn das FA eine entsprechende Billigkeitsentscheidung treffe und den Sachverhalt nicht als verdeckte Gewinnausschüttung beurteile. Werde dieser Verwaltungsakt bestandskräftig, müsse das FG ihn als verbindlich hinnehmen. Das FG müsse deshalb prüfen, ob die Voraussetzungen der Steuerfreiheit der Zuschläge nach § 3b EStG erfüllt seien.

 

Hinweis

Der Fall ist von großer Bedeutung für alle Fälle, in denen die Finanzverwaltung ihre Rechtsauffassung ändert, eine das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Rechtmäßigkeit dieser Auffassung schützende Übergangsregelung erlässt und diese Übergangsregelung bestandskräftig wird.

Im Streitfall ging es darum, dass die Finanzverwaltung bisher angenommen hatte, auch Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH könnten die Steuerfreiheit für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge nach § 3b EStG in Anspruch nehmen und dass sie diese Ansicht nach der gegenteiligen Rechtsprechung des BFH (es lägen verdeckte Gewinnausschüttungen vor) zwar aufgegeben hatte, aber der Besteuerung für einen bestimmten Zeitraum noch ihre bisherige Auffassung zugrunde legen wollte. Da die Umqualifizierung der verdeckten Gewinnausschüttung in Arbeitslohn im Rahmen einer Steuerfestsetzung rechtswidrig gewesen wäre, konnte sie nur als konkludente Billigkeitsentscheidung unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens aufrechterhalten werden.

Solche Billigkeitsentscheidungen kann das FA im Rahmen einer Steuerfestsetzung ausdrücklich oder konkludent treffen (§ 163 AO). Die Entscheidung ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ein selbstständiger Verwaltungsakt, und dieser ist ?- wenn er bestandskräftig wird – als Grundlagenbescheid i.S.v. § 171 Abs. 10 AO für die Steuerfestsetzung verbindlich. Im Streitfall bestand die Billigkeitsentscheidung darin, die Zuschläge bei der Steuerfestsetzung nicht als verdeckte Gewinnausschüttungen, sondern als Arbeitslohn zu behandeln, also ein in jedem Fall steuerverschärfendes in ein möglicherweise – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3b EStG – steuerbefreiendes Tatbestandsmerkmal umzuqualifizieren.

Eine am Gesetzeszweck orientierte – auch für Gewinnfeststellungsbescheide, die keine Steuerfestsetzung enthalten, geltende (§ 181 Abs. 1 AO) – Auslegung des § 163 AO mit dem Ziel, die Prüfung einer gesetzlichen Steuerbefreiung zu eröffnen, hat der I. Senat des BFH in seinem Urteil vom 8.8.2001, I R 25/00 (BFH-PR 2002, 140) für zulässig gehalten. Der VIII. Senat folgt ihm nunmehr darin mit dem Hinweis, dass dies jedenfalls dann gelte, wenn die Billigkeitsentscheidung bestandskräftig werde; da sie zwar ggf. formal mit der Steuerfestsetzung zusammen, materiell-rechtlich aber isoliert von dieser ergeht, wird dies regelmäßig der Fall sein; die begünstigende Übergangsregelung des BMF schlägt deshalb regelmäßig auf die Steuerfestsetzung durch.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 16.3.2004, VIII R 33/02

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