Entscheidungsstichwort (Thema)

Körperschaftsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die in § 10 Ziff. 1 KStDV 1950 vorgenommene Begrenzung der steuerbegünstigten Pensionskassen und ähnlichen Kassen ist rechtsgültig.

 

Normenkette

KStG § 4 Abs. 1 Nr. 7; KStDV § 10 Ziff. 1

 

Tatbestand

Die Beschwerdegegnerin (Bgin.), eine Sterbekasse, wurde durch vorläufigen Bescheid für das Steuerjahr 1950 nach einem geschätzten Einkommen von 800 DM zu einer Körperschaftsteuer von 400 DM herangezogen. Sie machte hiergegen geltend, nach § 4 Abs. 1 Ziff. 7 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) seien rechtsfähige Sterbekassen nach näherer Maßgabe einer Rechtsverordnung von der Körperschaftsteuer und damit auch von der Abgabe "Notopfer Berlin" befreit. Im § 10 Ziff. 1 der Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes (KStDV) 1950 werde der Kreis der nach dem Gesetz befreiten sozialen Kassen auf betriebliche Kassen beschränkt. Diese Bestimmung bedeute eine änderung des Gesetzes und gehe weit über eine "nähere Maßgabe" hinaus. Eine Durchführungsverordnung könne nach anerkannten Rechtsgrundsätzen das Gesetz nicht ändern. Die Sterbekasse sei deshalb von der Körperschaftsteuer freizustellen. Das Finanzgericht gab der Berufung statt und begründete seine Entscheidung wie folgt:

Die Frage, ob § 10 Ziff. 1 KStDV 1950 rechtsgültig erlassen sei, verneine das Gericht. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen könnten die zu einem Steuergesetz erlassenen Durchführungsbestimmungen die Steuergerichte nur insoweit binden, als sie auf Grund einer Ermächtigung und im Rahmen dieses Steuergesetzes ergangen seien. Wenn § 4 Abs. 1 Ziff. 7 KStG 1950 die Durchführung "nach näherer Maßgabe einer Rechtsverordnung" vorsehe, so enthalte diese Gesetzesbestimmung keinerlei Ermächtigung, daß die steuerliche Begünstigung irgendwie eingeschränkt werden dürfe, insbesondere, daß sie sich nur auf die betriebliche Fürsorge beschränken solle. Auch würde eine dahingehende Auslegung zu einer Benachteiligung breiter Bevölkerungsschichten führen - nach Angabe der Bgin. würden dann 90 v. H. der Kassen körperschaftsteuerpflichtig werden -, eine solche Auslegung würde dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Ziff. 7 KStG widersprechen. Im übrigen würde die Anerkennung der Beschränkung der Vergünstigung durch § 10 Ziff. 1 KStDV 1950 zur Folge haben, daß nur größere Betriebe, die nach ihrem Umfang finanziell in der Lage seien, eine Betriebsfürsorgekasse zu errichten, in den Genuß der Vergünstigung kämen, während Kleinbetriebe, die nur wenige Arbeitnehmer beschäftigten und nicht in der Lage seien, eine rechtsfähige Kasse zu errichten und zu unterhalten, von den Vorteilen des Gesetzes ausgeschlossen wären. Damit würden die Angehörigen derartiger Kleinbetriebe sowie sonstige, wirtschaftlich selbständige Personen, die "für Fälle der Not" z. B. eines Sterbefalles, vorsorglich eine Versicherung in beschränktem Umfange abschließen wollten, schlechter gestellt als die Angehörigen größerer Betriebe.

Die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts ist der Auffassung, daß § 10 Ziff. 1 KStDV 1950 rechtswirksam erlassen sei. Der Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Er hat sich der Rechtsauffassung des Vorstehers des Finanzamts angeschlossen. Die Sterbekasse führt zur Rechtsbeschwerde folgendes aus:

Bereits im KStG 1920/1922 und im KStG 1925 seien die rechtsfähigen sozialen Kassen ohne Einschränkung (ohne Bindung an Voraussetzungen) steuerfrei gewesen. (Hinweis auf den Aufsatz "Die Besteuerung der Sterbekassen" in "Der Betrieb" - 1952 S. 498). Das KStG 1934 habe gleichfalls die Steuerbefreiung ausgesprochen, jedoch mit dem Zusatz "nach näherer Anordnung des Reichsministers der Finanzen". Der Reichsminister der Finanzen habe im Ergebnis die Bestimmung des § 13 der Ersten KStDV, die die Vergünstigung des Gesetzes für die große Masse der Sterbekassen wieder beseitigt habe, nur in sehr begrenztem Umfange angewandt. Durch eine übergangsbestimmung seien alle Kassen, die am 1. Januar 1936 bereits bestanden hätten, wieder steuerfrei gestellt worden, zuletzt für 1940. (Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 15. Dezember 1938, Reichssteuerblatt - RStBl. - S. 1181, Körperschaftsteuer-Ergänzungsrichtlinien - KStER - für 1940 Abschnitt II, RStBl. 1941 S. 161). Als sich dann die Unmöglichkeit ergeben habe, alle kleinen Kassen zu veranlagen, seien durch den Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 15. Juli 1943 (RStBl. S. 585) Kassen bis zu einer gewissen Beitragseinnahme für steuerfrei erklärt worden, z. B. Sterbekassen bis zu 100.000 RM Beitragseinnahmen im Jahr. Die Bestimmungen dieses Erlasses seien in die Körperschaftsteuer-Richtlinien (KStR) 1950 Abschnitt 58 unter V (steuerliche Behandlung der kleinen Versicherungsunternehmen) übernommen, der Erlaß nochmals veröffentlicht als Anlage 4 zu Abschnitt 58.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt folgendes:

Dem Finanzgericht wird darin beigepflichtet, daß es zweifelhaft erscheint, ob es auf Grund des § 4 Abs. 1 Ziff. 7 KStG 1950 zulässig wäre, eine Rechtsverordnung zu erlassen, die im Ergebnis die in dieser Vorschrift grundsätzlich gewährte Steuervergünstigung in dem vom Finanzgericht angenommenen Umfange wieder beseitigt. Die Ermächtigung "nach näherer Maßgabe einer Rechtsverordnung" ist in ihrem Umfange nicht ausreichend bestimmt. Es fehlt ihr das Programm. Siehe hierzu im einzelnen Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 38/53 U vom 25. August 1953, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1954 III S. 36. Trotzdem wird man dem § 10 Ziff. 1 KStDV 1950 die Wirksamkeit nicht versagen können. Die Vorschrift geht auf § 10 Ziff. 1 KStDV 1949 zurück, die vom Direktor der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes unter dem 4. Juli 1949 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes - WiGBl. - 1949 S. 183) erlassen worden ist. Die Verordnung zur änderung der Verordnung zur Durchführung des KStG vom 11. Juli 1950 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - S. 329) hat § 10 Ziff. 1 KStDV 1949 nicht geändert. Die KStDV 1950 ist lediglich eine Neufassung unter Berücksichtigung der Verordnung zur änderung der Verordnung zur Durchführung des KStG vom 11. Juli 1950. Sie hat also insoweit lediglich bestehendes Recht weitergeführt. Die KStDV 1949 gründete sich auf Art. XII des Anhangs zum Gesetz der Militärregierung Nr. 64, der lediglich die Ermächtigung zum Erlaß von Durchführungsbestimmungen gewährt hat. Wie sich ebenfalls aus der Entscheidung I 38/53 U vom 25. August 1953 ergibt, würde diese Ermächtigung keine ausreichende Grundlage für § 10 Ziff. 1 KStDV 1949 bilden.

Aber auch § 10 Ziff. 1 KStDV 1949 hat das geltende Recht nicht verändert. Bereits § 13 Ziff. 1 Erste KStDV 1935 enthält die gleichlautende Vorschrift. Den Ausgangspunkt der Beurteilung der Rechtswirksamkeit der umstrittenen Bestimmung muß deshalb die Beurteilung des § 13 Ziff. 1 Erste KStDV 1935 bilden. Es ist zu entscheiden, ob diese Vorschrift rechtsgültig erlassen worden ist. Die Frage ist zu bejahen.

Die Erste KStDV vom 6. Februar 1935 (Reichsgesetzblatt I S. 163) gründet sich auf § 12 der Reichsabgabenordnung (AO) in der Fassung des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) vom 16. Oktober 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 925) und auf § 4 Abs. 1 Ziff. 7 sowie § 24 Abs. 2 KStG vom 16. Oktober 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 1031). Nach § 12 AO 1934 war der Reichsminister der Finanzen ermächtigt, zur Durchführung und zur Ergänzung der Steuergesetze Rechtsverordnungen zu erlassen, sowie den Umfang der Steuerbefreiungen näher zu bestimmen. Nach § 4 Abs. 1 Ziff. 7 KStG 1934 waren Sterbekassen nach näherer Anordnung des Reichsministers der Finanzen von der Körperschaftsteuer befreit. Für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit des § 13 Ziff. 1 Erste KStDV 1935 müssen die seinerzeitigen staatsrechtlichen Verhältnisse beachtet werden. An die Stelle des demokratischen Rechtsstaates war ein autoritärer Staat getreten. Man kann für das totalitäre System nicht die gleichen Grundsätze wie für den demokratischen Rechtsstaat anwenden. Der totalitäre Staat lehnt die Trennung der Gewalten ab und betont die Einheit der Staatsmacht. Er kennt nicht die genaue Abgrenzung der Gesetzgebung von der Verwaltung, wie dies dem demokratischen Rechtsstaat eigentümlich ist. Vor dem Zusammenbruch wurde deshalb in weitem Umfange der Verwaltung die Befugnis übertragen, Rechtsnormen zu schaffen. Ein Ausdruck dieser staatsrechtlichen Auffassung ist auch § 12 AO. Beim Erlaß der Steuergesetze 1934 wurde in der Weise verfahren, daß wesentliche Teile der Steuergesetze 1925 hinsichtlich ihres materiellen Inhalts in die Durchführungsverordnungen übernommen worden sind. Dies ist ein Ausdruck der damaligen Staatsauffassung.

Unter diesen Verhältnissen muß davon ausgegangen werden, daß der Reichsminister der Finanzen zu einer gesetzlichen Regelung im Sinne des § 13 Ziff. 1 Erste KStDV 1935 berechtigt war. Die Rechtswirksamkeit dieser Bestimmung war bei der Verwaltung und der Rechtsprechung nicht umstritten. Sieht man sie aber als ordnungsmäßig erlassen und als wirksam an, so haben die Durchführungsverordnungen von 1949 und 1950 das geltende Recht nicht verändert. Sie führen eine bereits wirksame Rechtsnorm unverändert weiter. Es muß deshalb § 10 Ziff. 1 KStDV 1950 die Rechtswirksamkeit zuerkannt werden.

Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache zur nochmaligen Würdigung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.

Die Sterbekasse hat gegen den Bescheid vom 30. Juli 1954 mündliche Verhandlung beantragt.

Hinsichtlich des Tatbestandes wird auf den Bescheid verwiesen. In der mündlichen Verhandlung wandte sich die Beschwerdegegnerin (Bgin.) gegen die Auffassung des Bescheides, daß sich § 13 Ziff. 1 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes (KStDV) 1935 auf eine ausreichende Ermächtigung gestützt habe. Das Gutachten des Bundesfinanzhofs IV D 1/51 S vom 22. November 1951, Slg. Bd. 56 S. 14, Bundessteuerblatt (BStBl.) 1952 III S. 6, habe ausgesprochen, daß eine Ergänzung des Gesetzes nicht mehr vorliege, wenn gegen Grundsätze des Gesetzes verstoßen werde. Der Reichsminister der Finanzen habe im Jahre 1935 kein "Gesetz" erlassen können. In dem Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs I 8/49 S vom 25. Februar 1950, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Körperschaftsteuergesetz (KStG) § 4 Abs. 1 Ziff. 6 Rechtsspruch 4, BStBl. 1951 I S. 452, sei die Veränderung des Begriffes wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb durch die Gemeinnützigkeits-Verordnung (GemV) als rechtlich unwirksam angesehen worden.

Der Senat hat zu dem Rechtsproblem bereits in dem Bescheid eingehend Stellung genommen. Er verbleibt bei der dort vertretenen Rechtsauffassung.

Der Sterbekasse ist darin beizupflichten, daß man bei den Verordnungen des totalitären Staates, die rechtsvertretenden Charakter haben, also nicht lediglich zur Durchführung des Gesetzes im Sinne des demokratischen Rechtsstaates ergangen sind, im Einzelfall mit guten Gründen verschiedener Auffassung sein kann, ob sie auf einer ausreichenden Ermächtigung beruhen. Die Bestimmung des § 12 der Reichsabgabenordnung (AO) "Ergänzung des Gesetzes" ist sehr weit gefaßt. Bedeutungsvoll ist des weiteren, daß das autoritäre System die Trennung der Gewalten nicht kennt, und deshalb die Nachprüfung der Verordnungen durch die Gerichte auf ihre Rechtsgültigkeit jedenfalls im Rahmen der praktischen Handhabung sehr beschränkt (siehe Bühler, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1940 Spalte 575 ff.).

Der Oberste Finanzgerichtshof hat § 7 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der §§ 17 bis 19 des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1941 durch Urteil I 8/49 S vom 25. Februar 1950 für rechtsunwirksam erklärt. Bei einem Vergleich erscheint es beachtlich, daß die Veränderung des Begriffes "wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb" durch § 7 Abs. 3 GemV sich lediglich auf § 12 AO stützte, während § 4 Abs. 1 Ziff. 7 KStG selbst die Abgrenzung, "nach näherer Anordnung des Reichsministers der Finanzen" vorsieht. Die Erste KStDV ist am 6. Februar 1935, also wenige Monate nach Erlaß des von der Reichsregierung beschlossenen Gesetzes ergangen. Innerhalb der Reichsregierung kam dem Reichsminister der Finanzen für den Erlaß des Gesetzes besondere Bedeutung zu. Man muß deshalb davon ausgehen, daß das Gesetz und die Durchführungsverordnung von einem einheitlichen gesetzgeberischen Willen getragen worden sind. Diese Verhältnisse liegen bei der GemV vollkommen anders. Hier steht fest, daß der gesetzgeberische Wille ein anderer war als der in der GemV festgelegte Rechtssatz. Im übrigen ist es auch nicht unbeachtlich, daß die GemV politischen Zwecken diente (Bekämpfung religiöser Stiftungen, Anstalten und Vereine), die mit Art. II des Gesetzes der Militärregierung Nr. 1 (Kontrollgebiet des obersten Befehlshabers) im Widerspruch stehen.

Die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts ist begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Würdigung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408077

BStBl III 1955, 28

BFHE 1955, 77

BFHE 60, 74

BB 1955, 89

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