Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung Körperschaftsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

§ 1 Abs. 3 Erste KStDVO vom 6. Februar 1935 ist rechtsgültig entstanden. Die unverändert gebliebene Bestimmung hat ihre Rechtsgültigkeit bis zum 31. Dezember 1954 behalten.

Der Senat nimmt im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung an, daß eine Stadtgemeinde, die in II / 1948 eine eingerichtete Apotheke verpachtet hat, mit den Einkünften aus der Verpachtung nach § 1 Abs. 1 Ziff. 6 KStG in Verbindung mit § 1 Abs. 3 KStDV in der Fassung der Verordnung vom 16. Oktober 1948 der Körperschaftsteuer unterliegt, sofern ihr das Inventar der Apotheke ganz oder wenigstens in der Hauptsache gehört.

GG Art. 80, 123 Abs. 1; AO 1934 § 12; KStG § 1 Abs. 1 Ziff. 6; Erste KStDVO 1935 § 1 Abs. 3; KStDV

 

Normenkette

AO § 12; KStG § 1 Abs. 1 Ziff. 6; KStDV § 1 Abs. 3; GG Art. 80, 123 Abs. 1

 

Tatbestand

Die beschwerdeführende Stadtgemeinde (abgekürzt: Stadt) ist Eigentümerin eines Grundstücks. Darauf ruht auf Grund fürstlicher Verleihung seit Jahrhunderten eine Apothekengerechtigkeit, verbunden mit dem Recht, allein eine Apotheke in der Stadt zu betreiben. Mit Vertrag vom 10. Januar 1946 ist die vollständig eingerichtete Apotheke auf sechs Jahre bis zum 31. Dezember 1951 an einen Apotheker verpachtet worden. Dem Pächter selbst gehören nur einige verhältnismäßig unbedeutende Inventarstücke. Der Pachtzins beträgt 15 v. H. des Rohumsatzes der Apotheke.

Das Finanzamt zog die Stadt mit dem überschuß der Pachteinnahmen über die Ausgaben zur Körperschaftsteuer heran. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht hat auf Antrag der Beschwerdeführerin (Bfin.) nur für II/1948 dem Grunde nach entschieden und ausgesprochen, daß die Stadt mit den Einkünften aus der Verpachtung der Apotheke der Körperschaftsteuer unterliege. Es hat die Entscheidung wie folgt begründet: Der Gesetzgeber habe zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit die Gewinne aus der privatwirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand der Körperschaftsteuer unterworfen (§ 1 Abs. 1 Ziff. 6 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG -). Der Gesichtspunkt der steuerlichen Gleichmäßigkeit gebiete es, die privatwirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand auch dann zu besteuern, wenn sie den Betrieb gewerblicher Art nicht selbst ausübe, sondern durch Verpachtung nutze. § 1 Abs. 3 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes (Erste KStDVO 1935) vom 6. Februar 1935 in der Fassung der Verordnung vom 16. Oktober 1948 (KStDV 1948) bedeute nicht eine Erweiterung der Steuerpflicht, die in einer Durchführungsverordnung nicht hätte getroffen werden können, sondern stelle nur eine Erläuterung der Gesetzesbestimmung dar, die Klarheit über die Rechtslage schaffen solle. Im Falle der Verpachtung müsse allerdings bei Betrieben, deren Ausübung das Vorhandensein und die Benutzung von größerem Inventar erfordere, der öffentlich-rechtlichen Körperschaft auch dieses Inventar, wenigstens in der Hauptsache, gehören (Urteil des Reichsfinanzhofs I 143/36 vom 23. August 1939, Slg. Bd. 47 S. 220, Reichssteuerblatt - RStBl - 1939 S. 1039; Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs I 2/47 vom 13. September 1947, Steuerblatt Niedersachsen 1950 S. 469, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Rechtsspruch 2 zu § 1 KStDV). Die erwähnten Voraussetzungen der Steuerpflicht seien im vorliegenden Fall erfüllt.

Mit der Rechtsbeschwerde bestreitet die Bfin. weiterhin die Steuerpflicht.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Die Vorentscheidung steht unstreitig im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung. Die Bfin. wendet sich aber grundsätzlich gegen diese Rechtsprechung, weil sie im Gesetz keine Stütze finde. § 1 Abs. 1 Ziff. 6 KStG setze voraus, daß die Körperschaft des öffentlichen Rechts den Betrieb selbst führe. Die Verpachtung eines Betriebs, auch wenn er vollständig eingerichtet sei und das Inventar in der Hauptsache der Verpächterin gehöre, sei kein Betrieb gewerblicher Art im Sinne des § 1 Abs. 1 Ziff. 6 KStG, sondern eine Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 21 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die die Körperschaftsteuerpflicht nicht auslösen könne. § 1 Abs. 3 KStDV 1948 stelle zwar dem Betrieb gewerblicher Art die Verpachtung eines Betriebs gleich, der steuerpflichtig wäre, wenn er vom Verpächter unmittelbar betrieben würde. Diese Erstreckung der Steuerpflicht auf Betriebsverpachtungen bedeute aber eine Erweiterung der Steuerpflicht, zu der der Verordnungsgeber nicht gesetzlich ermächtigt gewesen sei. Die Verpachtung eines Betriebs gewerblicher Art sei erst ab 1. Januar 1955 körperschaftsteuerpflichtig, nachdem § 1 Abs. 1 Ziff. 6 KStG durch das Steuerneuordnungsgesetz vom 16. Dezember 1954 (Bundesgesetzblatt - BGBl - I S. 373; Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 I S. 575) im Sinne des bisherigen § 1 Abs. 3 KStDV 1948 erweitert worden sei. Der Senat tritt dieser Rechtsauffassung nicht bei. Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie das Finanzgericht meint, § 1 Abs. 1 Ziff. 6 KStG nach seinem Sinn und Zweck dahin ausgelegt werden kann oder ausgelegt werden muß, daß bei Körperschaften des öffentlichen Rechts die Verpachtung eines eingerichteten Betriebs dem eigenen Betrieb gleichzustellen ist. Denn auf jeden Fall enthält § 1 Abs. 3 KStDV 1948 eine verbindliche Rechtsnorm, die von der Rechtsprechung anzuwenden ist. Sie ist durch die Erste KStDVO 1935 (Reichsgesetzblatt - RGBl - I S. 163; RStBl S. 217) eingeführt und seitdem unverändert beibehalten worden. Die Erste KStDVO 1935 war auf § 12 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützt. Durch diese Vorschrift war der Reichsminister der Finanzen u. a. ermächtigt, zur Durchführung und Ergänzung der Steuergesetze sowie zur überleitung der Gesetzgebung Rechtsverordnungen zu erlassen. Schon im Urteil des Bundesfinanzhofs I 132/53 U vom 30. November 1954 (Slg. Bd. 60 S. 74, BStBl 1955 III S. 28) hat der Senat zu der Frage der Rechtsgültigkeit von Bestimmungen, die der Reichsminister der Finanzen auf Grund der Ermächtigung in § 12 AO erlassen hat, Stellung genommen. Er hat für die Beurteilung der Rechtsgültigkeit von Vorschriften, die auf § 12 AO gestützt waren, darauf hingewiesen, daß man für die Rechtsetzung im totalitären Staat nicht die gleichen Grundsätze wie für die Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat anwenden könne. Der totalitäre Staat verneint die Dreiteilung der Staatsgewalt und beruht auf dem Grundsatz der Einheit der Staatsmacht. Er kennt nicht die klare Abgrenzung von Gesetzgebung und Verwaltung, wie sie zum Wesen eines demokratischen Rechtsstaats gehört, und hat die Tendenz, den Machtbereich der Verwaltung auf Kosten der Gesetzgebung und der Rechtsprechung zu erweitern. Der Verwaltung wird zu diesem Zweck die Befugnis übertragen, auf Grund von allgemein gefaßten Ermächtigungen Rechtsnormen zu schaffen. Eine Generalermächtigung dieser Art war auch § 12 AO. Bei der Neufassung des EStG im Jahre 1934 wurden wesentliche Teile des EStG 1925 aus dem Gesetz in Durchführungsverordnungen übernommen, ohne daß damit etwa eine sachliche änderung des Rechts gewollt gewesen wäre. Es galt vielmehr als eine untergeordnete Angelegenheit gesetzestechnischer Zweckmäßigkeit, ob eine Frage im Gesetz selbst oder in einer mit dem Gesetz in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang erlassenen Durchführungsverordnung geregelt wurde. An diesen Gesichtspunkten darf die Rechtsprechung nicht vorbeigehen, wenn sie heute über die Rechtsgültigkeit von Durchführungsbestimmungen aus der Zeit des totalitären Staates zu entscheiden hat.

Diese überlegungen führen dazu, die Rechtsgültigkeit des § 1 Abs. 3 Erste KStDVO 1935 - unterstellt, daß die Vorschrift die Steuerpflicht über § 1 Abs. 1 Ziff. 6 KStG hinaus erstreckt hat - zu bejahen. Unter angemessener Berücksichtigung der staatsrechtlichen Verhältnisse zur Zeit der Schaffung des § 1 Abs. 3 KStDVO 1935 trägt der Senat kein Bedenken, die Vorschrift als "Ergänzung" des Gesetzes im Sinne des § 12 AO aufzufassen.

§ 1 Abs. 3 KStDVO 1935 wurde auch allgemein als verbindliche Rechtsform anerkannt. Das ergibt sich schon daraus, daß die grundlegende Entscheidung des Reichsfinanzhofs I 143/36 vom 23. August 1939 (Slg. Bd. 47 S. 220, RStBl S. 1039) die Rechtsgültigkeit der Vorschrift nicht prüfte, sondern als selbstverständlich voraussetzte.

Die Bfin. will aus der Tatsache, daß § 1 Abs. 3 KStDV 1948 durch das Steuerneuordnungsgesetz vom 16. Dezember 1954 mit Wirkung ab 1. Januar 1955 in § 1 Abs. 1 Ziff. 6 KStG eingebaut worden ist, folgern, daß der Gesetzgeber erst ab 1. Januar 1955 die Steuerpflicht für die Fälle der hier streitigen Art habe begründen wollen; er habe damit den bisherigen § 1 Abs. 3 KStDV 1948 nicht als ausreichende Rechtsgrundlage anerkannt.

Dieser Auffassung kann der Senat nicht beitreten. Die Neufassung sollte nicht die Steuerpflicht gegenüber dem bisherigen Recht erweitern. § 1 Abs. 3 KStDV ist vielmehr, ohne daß das sachliche Recht geändert werden sollte, im Hinblick auf Art. 80 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland - GG - in das Gesetz selbst übernommen worden (vgl. die amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 29. April 1954, Bundestagsdrucksache Nr. 481 S. 107). Art. 80 GG behandelt die Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen und ist eine wesentliche Grundlage der Gewaltenteilung bei der Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat. Die Generalermächtigung des § 12 AO entspricht dem Art. 80 GG nicht und ist deshalb inzwischen aufgehoben worden. Für sachlich-rechtliche Regelungen in Durchführungsverordnungen müssen nunmehr den Voraussetzungen des Art. 80 GG entsprechende Einzelermächtigungen geschaffen oder die Regelungen müssen im Gesetz selbst getroffen werden.

Im Zuge des demokratischen Staatsaufbaus bringt die Gesetzgebung laufend überkommenes Verordnungsrecht auf einen der erwähnten beiden Wege in die Form, die das GG vorsieht. Diese Anpassung des sachlichen Rechts an die Form des GG bedeutet aber ebensowenig die Schaffung neuen Rechts, wie umgekehrt im totalitären Staat die überführung von Rechtsbestimmungen aus dem Gesetz in eine Durchführungsverordnung den Rechtscharakter dieser Bestimmungen berührte. Paßt also die Gesetzgebung eine aus der totalitären Zeit überkommene Bestimmung der Form des GG an, so ist damit nicht gesagt, daß das in der totalitären Zeit in anderer Form gesetzte Recht für unwirksam erklärt werden soll. Eine solche Betrachtung wäre mit Art. 123 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Diese Verfassungsbestimmung geht davon aus, daß das überkommene Recht, soweit es dem GG nicht widerspricht, als Bundesrecht fortgelten soll, bis es aufgehoben wird.

Nach alledem kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß die Bestimmung des § 1 Abs. 3 Erste KStDVO 1935 rechtsgültig entstanden ist und, da sie seither unverändert beibehalten worden ist, die Rechtsgültigkeit bis zum 31. Dezember 1954 behalten hat. Die Einwendungen der Bfin. gegen die Steuerpflicht sind deshalb nicht begründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408415

BStBl III 1956, 105

BFHE 1956, 284

BFHE 62, 284

DB 1956, 294

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