Leitsatz (amtlich)

Bei der Ermittlung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1964 (Hauptfeststellung) wird bei den in Berlin (West) belegenen Grundstücken mit Gebäuden auf fremdem Grund und Boden i. S. des § 94 Abs. 1 und 2 BewG 1965 der ermittelte Grundstückswert nicht um den Berlinabschlag von 20 v. H. ermäßigt.

 

Normenkette

BewG 1965 § 9 Abs. 1-2, § 94 Abs. 1-2, § 122 Abs. 3, § 123; VO zur Durchführung des § 122 Abs. 3 BewG vom 2. September 1966, BGBl I 1966, 555, BStBl I 1966, 887

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines Grundstückes in Westberlin, das von ihr verpachtet und vom Pächter mit Gebäuden auf fremdem Grund und Boden bebaut ist. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) stellte bei der Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 den Einheitswert des Grund und Bodens fest. Nach der Anmerkung im Einheitswertbescheid handelt es sich gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 des Bewertungsgesetzes 1965 (BewG) um ein bebautes Grundstück - Geschäftsgrundstück nach der Art der Bebauung -; der Grund und Boden sei gemäß § 9 BewG mit dem gemeinen Wert bewertet worden.

Die Klägerin begehrte einen Abschlag von 20 v. H. als sogenannte Berlinermäßigung gemäß §§ 122 Abs. 3, 123 BewG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 122 Abs. 3 BewG vom 2. September 1966 (BGBl I 1966, 555, BStBl I 1966, 887). Das FA lehnte den begehrten Abschlag ab, da die Bewertung gemäß § 94 Abs. 2 BewG nach den für unbebaute Grundstücke geltenden Grundsätzen erfolge, für unbebaute Grundstücke die Verordnung vom 2. September 1966 aber nicht gelte.

Mit der Klage beantragte die Klägerin, den Einheitswert um einen Abschlag von 20 v. H. nach der oben genannten Verordnung zu ermäßigen. Das FG wies nach erfolglosem Einspruch die Klage ab.

Die Klägerin legte Revision ein mit dem Antrag, den Einheitswert des unbebauten Grundstücks um 20 v. H. zu ermäßigen.

Sie rügt Verletzung von Bundesrecht wegen Verstoßes gegen § 1 der Verordnung vom 2. September 1966 in Verbindung mit § 122 Abs. 3 BewG und führt dazu aus: Nach der Verordnung seien bei der Ermittlung der Einheitswerte der in Berlin (West) belegenen Grundstücke die nach den §§ 78 bis 94 BewG ermittelten Grundstückswerte um 20 v. H. zu ermäßigen. Bei dem Streitgrundstück handele es sich, ungeachtet der Bebauung mit einem fremden Gebäude, um ein bebautes Grundstück im Sinne der Verordnung; denn nach der gesetzlichen Regelung des § 94 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 BewG gelte der mit einem fremden Gebäude bebaute Grund und Boden als bebautes Grundstück, mit Bewertung nach § 94 Abs. 2 BewG. Unrichtig sei die Auffassung des FG, diese gesetzliche Regelung habe die frühere Rechtsprechung mit der Einstufung als unbebautes Grundstück nicht grundsätzlich geändert. Vielmehr habe der Gesetzgeber nach der amtlichen Begründung den Grund und Boden mit fremden Gebäuden als bebautes Grundstück mit allen Bewertungsrechtsfolgen bezeichnet. § 94 Abs. 2 BewG sei eine echte Bewertungsvorschrift; durch sie werde festgelegt, daß die Bewertung ungeachtet der Einstufung des Grund und Bodens als bebautes Grundstück wie für ein unbebautes Grundstück erfolgen solle, um das Ertragswertverfahren auszuschließen. Die Auffassung des FG, die Fiktion des § 94 Abs. 1 BewG solle nur die Anwendung der für bebaute Grundstücke geltenden Grundsteuermeßzahlen sichern, sei unzutreffend. Der gesetzgeberische Grund für die Berlinermäßigung, nämlich die Angleichung der nach dem Bewertungsgesetz ermittelten Grundstückswerte an die niedrigeren Berliner Marktwerte stehe der Anwendung der Verordnung auf mit fremden Gebäuden bebaute Grundstücke nicht entgegen. Sonst müßte der Abschlag auch für die im Sachwertverfahren bewerteten bebauten Grundstücke zumindest teilweise versagt werden, bei denen die im Verhältnis zum übrigen Bundesgebiet niedrigeren gemeinen Werte für Grund und Boden ebenfalls berücksichtigt wären. Eine derartige Versagung des Abschlages aber würde der Verordnung widersprechen. Im Schrifttum werde ebenfalls die Ansicht vertreten, daß bei Grundstücken mit fremden Gebäuden der Abschlag sowohl auf den Wert des Gebäudes als auch auf den Wert des Grund und Bodens vorzunehmen sei.

Im übrigen werde noch die Feststellung des FG gerügt, es sei eine Nutzungsbehinderung durch die Gebäude im Sinne des § 94 Abs. 2 BewG nicht ersichtlich. Der jährliche Mietzins sei keine dem Bodenwert entsprechende Rendite.

Das FA beantragt Zurückweisung der Revision und bezieht sich zur Begründung seines Antrags im wesentlichen auf das Urteil des FG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das Begehren der Klägerin auf Gewährung des Berlinabschlages stützt sich auf §§ 122 Abs. 3 und 123 BewG in Verbindung mit der Verordnung vom 2. September 1966. Der Senat hat in dem Urteil vom 15. März 1974 III R 143/72 (BFHE 112, 193, BStBl II 1974, 398) die Verordnung über die Ermäßigung der Einheitswerte bebauter Grundstücke in Berlin (West) auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 für verfassungs- und gesetzesgemäß erklärt und dabei gleichzeitig die Anwendung des § 82 Abs. 1 BewG für bebaute Grundstücke wegen ihrer Belegenheit in Berlin (West) abgelehnt.

2. Der erkennende Senat versagt in Übereinstimmung mit dem FA und dem FG die Anwendung des Berlinabschlages von 20 v. H. bei dem Einheitswert des Grund und Bodens, der mit Gebäuden auf frendem Grund und Boden im Sinne des § 94 Abs. 1 und 2 BewG bebaut ist. Diese Auslegung widerspricht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dem Wortlaut der Verordnung und entspricht ihrem Sinn und Zweck. § 1 der Verordnung ermäßigt die nach den §§ 78 bis 94 BewG ermittelten Einheitswerte der in Berlin (West) belegenen bebauten Grundstücke auf den 1. Januar 1964. Diese Vorschrift stellt demnach nur eine Ermäßigungsvorschrift für die Wertermittlung dar. Es handelt sich bei der Verordnung lediglich um eine Regelung für die Wertermittlung, nicht um eine für die Grundstückseinstufung. Wenn auch in § 94 Abs. 1 Satz 3 BewG der Grund und Boden, auf dem das Gebäude errichtet ist, als bebautes Grundstück derselben Grundstücksart gilt, so ist ungeachtet dieser Fiktion für die "Grundstücksart" nach § 94 Abs. 2 Halbsatz 1 BewG der Wert des Grund und Bodens nach den für unbebaute Grundstücke geltenden Grundsätzen zu ermitteln, d. h. nach den allgemeinen Grundsätzen gemäß § 9 BewG. Darum ist die Bewertung des unbebauten Grundstückes aus den besonderen Grundsätzen für die Bewertung bebauter Grundstücke mit den sich daran anschließenden Sondervorschriften für Grundstücke im Zustande der Bebauung usw. herausgelöst. Diese Auffassung entspricht der Begründung des Entwurfs des Bewertungsänderungsgesetzes 1965 (Bundestagsdrucksache IV/1488, 27 [77]). Von Interesse sind dazu folgende, allerdings von der Klägerin in ihrer Bezugnahme nicht herausgestellten Absätze: "Insbesondere wären die Auswirkungen bei der Grundsteuer unbefriedigend, wenn für die wirtschaftliche Einheit des Grund und Bodens nicht die Meßzahl für ein bebautes Grundstück angewendet würde. Ungeachtet der Einstufung des Grund und Bodens als bebautes Grundstück muß seine Bewertung als unbebautes Grundstück und nicht nach den für bebaute Grundstücke geschaffenen besonderen Verfahren erfolgen. Das erfordert die gegenständliche Beschränkung der zu bewertenden wirtschaftlichen Einheit."

3. Es spielt entgegen der Revisionsbegründung keine Rolle, daß die Vorschrift des § 94 Abs. 1 letzter Halbsatz BewG im Gegensatz zu der früheren Rechtsprechung des BFH (siehe Urteil vom 8. Mai 1953 III 109/52 U, BFHE 57, 507, BStBl III 1953, 195), die den Grund und Boden als unbebautes Grundstück ansah, steht. Denn diese Eingruppierung hat im Ergebnis nur Auswirkung für die Anwendung der Grundsteuermeßzahl, spielt aber für die Bewertung keine Rolle (so auch Steinhardt, Bewertungsgesetz, § 94 Anm. 3). Demnach ist der Grund und Boden, obwohl er seiner Art nach als bebautes Grundstück gilt, mit dem Wert anzusetzen, der sich ergeben würde, wenn das Grundstück unbebaut wäre (Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, § 94 BewG Anm. 12). Die Frage der Bewertung ist für die Anwendung der oben genannten Verordnung entscheidend.

Soweit sich die Klägerin zur Stützung ihrer Auffassung in der Revisionsbegründung auf zwei Veröffentlichungen (von demselben Verfasser) beruft, daß bei Grundstücken mit fremden Gebäuden der Wertabschlag sowohl auf den Einheitswert des Gebäudes als auch auf den des Grund und Bodens vorzunehmen sei, folgt ihr der Senat nicht. Die Veröffentlichungen enthalten außer einem allgemeinen Hinweis auf die Verordnung vom 2. September 1966 keine Erörterung der Streitfrage; eine abweichende Meinung wäre für den Senat auch nicht maßgeblich.

4. Die Nichteinbeziehung der als unbebaut zu bewertenden Grundstücke in die Berlinermäßigung entspricht auch dem Sinn und dem Zweck der Ermächtigung nebst Verordnung. Untersuchungen aufgrund von Verkäufen bebauter Grundstücke hatten ergeben, daß in Berlin (West) an dem Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 besondere Verhältnisse vorlagen und daß die Werte nach dem BewG 1965 für die bebauten Grundstücke im übrigen Bundesgebiet höher waren als die Berliner Verkehrswerte (siehe dazu Rössler-Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 122 BewG Anm. 3 und BFH-Entscheidung III R 143/72). Da die Werte unbebauter Grundstücke mit dem gemeinen Wert nach Praxis und Literatur in der Regel durch Vergleich mit Kaufpreisen oder anhand von Richtwerten ermittelt werden (vgl. Rössler-Troll, a. a. O., § 72 BewG Anm. 11 und 12), haben etwaige niedrigere Werte Berlins am unbebauten Grundbesitz bereits unmittelbar ihren Niederschlag im niedrigeren Einheitswert gefunden.

Es ist zutreffend, daß sich durch die Versagung des Berlinabschlages auf den Einheitswert des Grund und Bodens insgesamt mit dem Einheitswert des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden eine höhere Bewertung als bei Gebäuden auf eigenem Grund und Boden ergibt. Diese Auswirkung beruht aber nicht primär auf der Verordnung, sondern auf der durch das BewG vorgeschriebenen getrennten Bewertung zweier wirtschaftlicher Einheiten. Die selbständige Bewertung jeder der beiden Wirtschaftseinheiten führt dazu, daß sich bei einer Zusammenrechnung ein höherer Betrag als bei einem einheitlichen Einheitswert einer wirtschaftlichen Einheit ergibt (vgl. hierzu Gürsching-Stenger, a. a. O., § 94 BewG, Anm. 11).

5. Die in der Revisionsbegründung vorgebrachte Rüge, der im Verhältnis zum gemeinen Wert zu niedrige Mietzins sei eine Nutzungsbehinderung im Sinne des § 94 Abs. 2 BewG und müsse beim Einheitswert des Grund und Bodens berücksichtigt werden, stellt ein tatsächliches Vorbringen dar, das in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann. An sich ist die rechtliche Möglichkeit einer derartigen Wertminderung nicht auszuschließen, wenn auch der Umstand, daß auf dem Grundstück ein Gebäude steht, im allgemeinen nicht zu berücksichtigen ist. Nach Abschn. 50 Abs. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens vom 19. September 1966, denen der erkennende Senat grundsätzlich zustimmt, kommt ausnahmsweise eine Ermäßigung des Bodenwertes dann in Betracht, wenn die Nutzungsbehinderung, die sich aus dem Vorhandensein des Gebäudes ergibt, den Bodenwert beeinträchtigt. Dies setzt voraus, daß im Feststellungszeitpunkt ein zwischen dem Eigentümer des Grund und Bodens und dem Eigentümer des Gebäudes abgeschlossener, für und gegen einen etwaigen Erwerber des Grund und Bodens geltender Pachtvertrag noch für längere Zeit besteht, ohne daß ein dem Bodenwert entsprechender Pachtzins gezahlt wird. Die Minderung des Bodenwertes soll sich alsdann nach der Dauer und dem Ausmaß der Nutzungsbehinderung richten. Zu den danach maßgeblichen Gesichtspunkten, die überwiegend auf tatsächlichem Gebiet liegen, ist bisher von der Klägerin nichts vorgetragen worden, so daß eine Berücksichtigung im Revisionsverfahren entfällt.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 601

BFHE 1974, 516

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