Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Wurde vor dem 1. Januar 1966 eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften gemäß § 215 Abs. 2 Nr. 4 AO beantragt, waren die vom Rechtsmittelführer als Mitbeteiligte Bezeichneten auch dann von Amts wegen zum Verfahren beizuziehen, wenn das FG den Antrag für nicht zu Recht bestehend hielt. Nach Inkrafttreten der FGO ist § 60 Abs. 3 FGO anzuwenden.

 

Normenkette

AO § 215 Abs. 2 Nr. 4, § 239 Abs. 2, § 233/2, § 239 Abs. 3; FGO § 60 Abs. 3

 

Tatbestand

Im Jahre 1932 schlossen zahlreiche Grundeigentümer der Gemarkung S. - zusammengefaßt unter der Bezeichnung "Interessentenschaft" (im folgenden: I) - mit einem Erdölunternehmer (U) einen Vertrag über die Ausbeute des Erdölvorkommens unter ihren Ländereien. U war danach berechtigt, auf den Grundstücken alle für die Suche und die Gewinnung von öl erforderlichen Arbeiten vorzunehmen. Als Gegenleistung erhielten die einzelnen Grundeigentümer zunächst ein "Wartegeld". Wurde das Gelände für Bohrungen usw. in Anspruch genommen, war an den betroffenen Eigentümer eine "Entschädigung" zu leisten. Schließlich war bei Fündigwerden an die Gesamtheit der beteiligten Grundeigentümer ein "Förderzins" zu zahlen. Während U die Oberflächenentschädigung unmittelbar an den jeweiligen Grundeigentümer zahlt, ist der Gesamtbetrag an Förderzins und Wartegeld jeweils an den Vorsitzenden der I abzuführen, der die Gelder nach einem Verteilungsschlüssel an die einzelnen Grundeigentümer weiterleitet. Der Vorsitzende hat auch noch sonstige Vollmachten im Verhältnis zwischen den Eigentümern und dem U.

Im Jahre 1964 beantragten einige Angehörige der I (im folgenden: Stpfl.), die Einkünfte aller am Vertrag mit U Beteiligten - etwa 90 Grundeigentümer - für die Jahre 1951 bis 1962 einheitlich und gesondert festzustellen.

Das Finanzamt (FA) lehnte den Antrag ab und wies auch den Einspruch als unbegründet zurück. Nach seiner Auffassung liegen Einkünfte im Sinne des § 215 Abs. 2 Nr. 4 AO nicht vor. Es würden lediglich "Einnahmen" gemeinschaftlich erzielt. Die I als solche bzw. die Mitglieder seien nicht gemeinsam Eigentümer eines Pachtgegenstandes, vielmehr habe jeder Grundeigentümer einzeln dem U das Recht der ölausbeute eingeräumt. Der Vorsitzende empfange die Beträge als Treuhänder der einzelnen Grundeigentümer. Zudem sei zweifelhaft, ob die entgeltliche überlassung der ölausbeute überhaupt im Sinne des § 215 Abs. 2 Nr. 4 AO als Verpachtung eines Grundstücks, d. h. eines unbeweglichen Vermögens anzusehen sei; man könne an die überlassung eines Aneignungsrechts denken. Die I sei angesichts ihrer körperschaftlichen Struktur (Vorstand, Mitgliederversammlung mit Mehrheitsprinzip, Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel) ein nicht rechtsfähiger Verein mit eigener Steuerfähigkeit.

Demgegenüber rügen die Stpfl., gegen den die einheitliche Feststellung ablehnenden Bescheid finde nicht das Berufungsverfahren, sondern die Beschwerde statt. Ferner hätten die anderen Mitglieder der I zugezogen werden müssen. Sachlich hätten die Mitglieder nicht nur gemeinschaftliche Einnahmen, sondern auch gemeinschaftliche Werbungskosten (z. B. Absetzung für Substanzverringerung, Provision an den Vorsitzenden) und damit gemeinschaftliche Einkünfte. Die Mitglieder der I seien gegenüber dem U Mitverpächter. Denn die Erdöllagerstelle sei eine Einheit, die als Ganzes den zur I zusammengeschlossenen Grundeigentümern zuzurechnen sei und durch die Bohrungen als Ganzes entölt werde.

Da für einen der Stpfl., in deren Namen das Verfahren eingeleitet worden war, dem Finanzgericht (FG) eine Vollmacht nicht vorgelegt werden konnte und für ihn auch kein Antrag mehr gestellt wurde, erklärte das FG insoweit die Hauptsache für erledigt und legte diesem Stpfl. die Kosten seines Rechtsmittels auf.

Die Berufung der anderen Stpfl. wies das FG als unbegründet zurück und führte aus: Der Streit über die Notwendigkeit der einheitlichen und gesonderten Feststellung müsse im Berufungsverfahren ausgetragen werden. Es bedürfe nicht der Hinzuziehung der anderen Mitglieder der I, weil das Feststellungsbegehren unbegründet set. Ein gemeinschaftliches Gesellschaftsvermögen bestehe weder an den Grundstücken noch an den übertragenen Ausbeuterechten, noch an den gezahlten Förderzinsen. Vielmehr sei die I ein nicht rechtsfähiger Verein. Zudem stehe das jetzige Verlangen in Widerspruch zu dem früheren Verhalten der Mitglieder; sie hätten die Einkommensteuerbescheide stets hingenommen, ohne auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Feststellung hingewiesen zu haben.

Mit der nunmehr als Revision zu behandelnden Rb. werden Verfahrensmängel und Rechtsverletzungen geltend gemacht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Es trifft allerdings nicht zu, daß gegen den die einheitliche Feststellung ablehnenden Bescheid das Beschwerdeverfahren nach § 237 AO a. F. habe durchgeführt werden müssen, weil in § 229 AO a. F. der negative Feststellungsbescheid nicht aufgeführt sei. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, daß, wenn das FA eine Feststellung im Sinne des § 215 Abs. 2 AO ablehnt, weil es die Beteiligung mehrerer an den Einkünften verneint, dagegen das Berufungsverfahren nach den §§ 228, 229 AO a. F. gegeben ist (siehe BFH-Entscheidung IV 5/64 U vom 20. Mai 1965, BFH 82, 671, BStBl III 1965, 489, mit Hinweis auf Urteile aller Ertragsteuersenate des BFH). Von dieser Rechtsprechung zur früheren Fassung der AO abzugehen, besteht um so weniger Anlaß, als die Auffassung des BFH in § 229 Nr. 3 AO n. F. Gesetz geworden ist.

Die Entscheidung des FG muß jedoch aufgehoben werden, weil sie die Bedeutung des § 239 Abs. 3 AO a. F. verkennt. Feststellungsbescheide, die Einkünfte nach § 215 Abs. 2 Nr. 4 AO betreffen, können nach § 239 Abs. 2 AO a. F. von jedem Mitberechtigten angefochten werden. Dann sind diese aber nach § 239 Abs. 3 AO a. F. zu einem Rechtsmittelverfahren, das ein anderer Mitberechtigter in Gang gebracht hat, von Amts wegen zuzuziehen. Gerade im Rechtsmittelverfahren können nur einheitliche Entscheidungen für und gegen alle Beteiligten getroffen werden. Sie müssen auch alle gehört werden (BFH- Entscheidungen I 25/55 U vom 28. Juni 1955, BFH 61, 101, BStBl III 1955, 237; III 278/61 vom 8. Februar 1963, HFR 1963, 411). Für das Feststellungsverfahren beim FA ist zwar eine solche Beteiligung im Gesetz nicht ausdrücklich vorgeschrieben (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 215 Anm. 44, sprechen insoweit nur von einem "officium nobile"). Für das Rechtsmittelverfahren steht aber das Recht auf Zuziehung nach § 239 Abs. 3 AO a. F. außer Zweifel. Für die Zuziehung ist es ohne Bedeutung, ob und aus welchen sachlichen oder formellen Gründen das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder nicht (BFH- Urteil III 278/61, a. a. O.). Unterbleibt die Beiziehung, so bedeutet dieser Mangel das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung, die von Amts wegen zu beachten ist und zur Aufhebung des Urteils des FG führt (BFH-Entscheidung I 25/55 U, a. a. O.; VI 328/62 U vom 10. Juli 1964, BFH 80, 209, BStBl III 1964, 550; IV 258/63 vom 10. Februar 1966, BFH 85, 464, BStBl III 1966, 423).

Hier ist allerdings vom FG eine einheitliche Feststellung abgelehnt worden. Die Lage für die in Betracht kommenden übrigen Beteiligten ist jedoch im Grunde nicht anders, als sei die angestrebte einheitliche Feststellung erfolgt. § 215 AO steht in besonderer Weise im Dienste des Gedankens der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Durch das einheitliche Feststellungsverfahren sollen bei Beteiligung mehrerer an den Besteuerungsgrundlagen widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden. Durch den Erlaß des gesonderten Feststellungsbescheides und ebenso durch seine Ablehnung werden die steuerlichen Rechtsverhältnisse der Antragsteller wie der behaupteten Beteiligten in bestimmter Weise gestaltet. Auch die negative Feststellung, daß eine "Beteiligung" im Sinne des § 215 AO nicht vorliegt, hat bindende Auswirkungen (Entscheidungen des RFH VI A 833/31 vom 9. September 1931, RStBl 1931, 965; VI A 964/34 vom 13. März 1935, Steuer und Wirtschaft 1935 Nr. 262). Diese Auswirkungen sind verfahrens- und materiellrechtlicher Art. Verfahrensrechtlich wird durch die Zulassung bzw. Ablehnung des gesonderten Bescheides die Zuständigkeit für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen verschiedenartig bestimmt. Das gilt nicht nur für die Verwaltungsbehörden, sondern auch für die Zuständigkeit der Senate der Steuergerichte (siehe die BFH-Entscheidung IV 333/55 U vom 30. Oktober 1958, BFH 68, 653, BStBl III 1959, 249). Die materielle Auswirkung für die bisher nicht Zugezogenen ergibt sich daraus, daß die Stpfl. das Verfahren in der Erwartung einkommensteuerlicher Vorteile betreiben.

Somit muß das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit es die Beiziehung der von den Stpfl. benannten übrigen Beteiligten nachholt, die schon das FA nach § 239 Abs. 3 AO a. F. im Einspruchsverfahren hätte veranlassen müssen. Für das weitere Verfahren vor dem FG greifen nunmehr die Vorschriften des § 60 Abs. 3 FGO über die notwendige Beiladung ein.

Die Aufhebung der VE umfaßt auch den Teil, der für einen der ursprünglichen Antragsteller unter Kostenfolge den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Auch dieses Mitglied der I ist zum weiteren Verfahren wieder beizuladen.

 

Fundstellen

BStBl III 1967, 435

BFHE 1967, 445

BFHE 88, 445

StRK, AO:215 R 88

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