Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Verfügungsberechtigten für Umsatzsteuerschulden

 

Leitsatz (NV)

Auch eine Haftung des als Verfügungsberechtigter Auftretenden kommt nur in dem Umfang in Betracht, in dem die Umsatzsteuer aus den von ihm verwalteten Mitteln gezahlt werden konnte.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 35, 69; AO §§ 108-109

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem Jahre 1966 Prokurist im Unternehmen seiner Mutter, der Einzelfirma E. Im Januar 1976 wurde die Eröffnung des Vergleichsverfahrens über das Vermögen der Mutter beantragt und nach Ablehnung dieses Antrags das Anschlußkonkursverfahren eröffnet.

Bis zum Herbst des Jahres 1973 nahm der Kläger als Prokurist auch die steuerlichen Angelegenheiten der Firma E wahr, insbesondere gab er die Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Dies tat er letztmals für den Voranmeldungszeitraum September 1973. Ab Oktober 1973 gingen von der Firma E keine Umsatzsteuervoranmeldungen mehr ein, auch wurden keine Vorauszahlungen mehr geleistet.

Mit Bescheid vom 21. März 1975 setzte das Finanzamt durch Schätzung die Vorauszahlungen Januar bis Dezember 1974 auf 125 000 DM, mit Bescheid vom 3. November 1975 die Vorauszahlungen Januar bis September 1975 auf ebenfalls 125 000 DM fest, außerdem erhob es jeweils einen Verspätungszuschlag von 1 250 DM. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Mit Bescheid vom 13. Februar 1976 in Form der Einspruchsentscheidung nahm das FA den Kläger mit 252 500 DM und Säumniszuschlägen in Höhe von 13 750 DM (für 1974) und 5 000 DM (für 1975), insgesamt 200 000 DM, in Haftung, wobei es die Inanspruchnahme außer auf § 112 der Reichsabgabenordnung (AO) auch auf §§ 109, 108 AO (wegen der Säumniszuschläge auf § 6 Abs. 3 StSäumG) stützte.

Auf die Klage, mit der die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrt wurde, hat das FG die Haftungssumme um 92 250 DM auf 120 000 DM herabgesetzt und im übrigen die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Haftung bestehe dem Grunde nach - hinsichtlich der Steuerbeträge und Säumniszuschläge - zu Recht.

Aus der Haftungssumme herauszunehmen seien aber zunächst die Verspätungszuschläge von insgesamt 2 500 DM. Der dann verbleibende Betrag von 268 750 DM sei um ein Drittel zu kürzen, so daß noch eine Haftungssumme von 120 000 DM verbleibe. Der Abschlag um ein Drittel sei deshalb geboten, weil das FA zum einen die Steuerfestsetzungen erheblich verzögert habe und zum anderen die festgesetzten Rückstände weder angemahnt noch zeitgerecht Beitreibungsmaßnahmen ergriffen habe.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter, soweit er beim FG unterlegen ist. Er rügt unrichtige Anwendung von §§ 109, 108 AO. Diese bestehe darin, daß er, der Kläger, in den Jahren 1974 und 1975 gegenüber dem FA nicht mehr als Bevollmächtigter oder Verfügungsberechtigter ,,aufgetreten" sei.

Aus der in den vorangegangenen Jahren - also bis Herbst 1973 - getätigten Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen könne ein solches Auftreten für die Folgejahre nicht abgeleitet werden. Ebensowenig genüge es, daß er auch nach dem Jahre 1973 weiterhin als Prokurist der Firma E im Handelsregister eingetragen und als solcher für diese tätig gewesen sei. § 108 AO verlange ein tatsächliches Auftreten gegenüber dem FA im Verkürzungszeitraum. Daran fehle es. Ein Auftreten für die Firma E gegenüber Dritten reiche für sich allein nicht aus.

Auch das Tatbestandsmerksmal der schuldhaften Pflichtverletzung (§ 109 AO) sei nicht gegeben. Das FG habe nicht im einzelnen festgestellt, ob er, der Kläger, in den Jahren 1974 und 1975 noch über Zahlungsmittel der Firma E habe verfügen können und verfügt habe. Tatsächlich seien die - seit Herbst 1973 - nur noch unzulänglichen Mittel der Firma E zur Bezahlung der Arbeitskräfte und damit zur Aufrechterhaltung des Betriebs benötigt worden. Zahlungen auf Umsatzsteuerschulden hätten nicht mehr erbracht werden können.

Der Haftungsbescheid sei auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das FA die für seinen Erlaß maßgebenden Ermessenserwägungen weder in dem Bescheid selbst noch in der Einspruchsentscheidung hinreichend kenntlich gemacht habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

1. Die Haftung für schuldhafte und mit Steuerverkürzungen verbundene Verletzung steuerlicher Verpflichtungen gilt für Bevollmächtigte oder Verfügungsberechtigte gemäß §§ 109, 103, 108 AO, wenn diese als solche aufgetreten sind. Maßgebend ist das Auftreten nach außen, und zwar im Rechtsverkehr (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 108 AO Tz. 4). Ein Auftreten gegenüber dem FA oder überhaupt zu steuerlichen Angelegenheiten ist nicht erforderlich. Es genügt, daß der Bevollmächtigte irgend jemandem gegenüber - nach außen - als solcher aufgetreten ist (vgl. Teichner, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1964, 364 S. 366; Tipke/Kruse, a. a. O.).

2. Ist also, wie vorstehend ausgeführt, für die Frage des Auftretens des Prokuristen dessen Teilnahme am Rechtsverkehr - nicht notwendig am Verkehr mit dem FA - ausschlaggebend, so hat das FA den Kläger dem Grunde nach zumindest nach den bisherigen Feststellungen des FG zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Denn das FG hat unwidersprochen, ohne dieserhalb geltend gemachte Verfahrensmängel (§ 120 Abs. 2 FGO) und somit für den Senat verbindlich (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, der Kläger habe sich auch nach dem Oktober 1973 - dem Zeitpunkt, von dem an keine Umsatzsteuervoranmeldungen mehr abgegeben wurden - weiterhin der kaufmännischen Führung der Firma E gewidmet und sei in dieser Funktion auch nach außen aufgetreten. Soweit diese Feststellung in ihrem letzten Teil in eine Schlußfolgerung einmündet, enthält diese keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze und ist daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Tz. 10). In jedem Fall ist der für die Anwendung von § 108 AO entscheidende Gesichtspunkt zutreffend angesprochen. Die Einwendungen des Klägers zu diesem Punkt betreffen hingegen die Frage, ob und ggf. inwieweit der Kläger sein früheres Auftreten gegenüber dem FA in den Streitjahren gegen sich gelten lassen müßte. Darauf kommt es jedoch - wie oben ausgeführt - nicht an.

Auch die gegen die Ermessensausübung des FA erhobenen Einwendungen sind unbegründet. Das FA hat die Inanspruchnahme des Klägers im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung in erster Linie auf § 112 AO gestützt und dabei zum Ausdruck gebracht, daß es mindestens von einem vorsätzlichen Verhalten des Klägers ausgegangen ist. In einem solchen Fall brauchen die für die Ermessensausübung maßgebenden Erwägungen in den Haftungsbescheid oder die Einspruchsentscheidung nicht mehr ausdrücklich aufgenommen zu werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508).

Anders verhält es sich mit dem Einwand des Klägers, das FG habe zu Unrecht unterlassen zu prüfen, ob und inwieweit der Kläger in der Lage gewesen wäre, die Umsatzsteuervorauszahlungen aus den von ihm verwalteten Mitteln der Firma E zu entrichten. Dieser gegen die Höhe der Haftungssumme gerichtete Einwand betrifft die Frage des Verschuldens (§ 109 i. V. m. §§ 108, 103 AO) und damit eine tatbestandliche Voraussetzung der Haftung. Er ist auch berechtigt, weil nach der Rechtsprechung des BFH die Umsatzsteuerschulden bei nicht ausreichender Liquidität des Steuerschuldners nicht vorrangig (vor anderen Verbindlichkeiten), sondern nur in etwa dem gleichen Tilgungsverhältnis (,,anteilig") befriedigt werden müssen (vgl. Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 143, BStBl II 1984, 776, unter Ziff. 3c). Daß sich die Firma E bereits seit Herbst 1973 in erheblichen Zahlungsschwierigkeiten befunden hatte, ist im finanzgerichtlichen Verfahren mehrfach vorgetragen worden. Das FG hätte bei dieser Sachlage prüfen müssen, ob und inwieweit der Kläger zur Tilgung der Umsatzsteuervorauszahlungen verpflichtet war. Soweit dies nicht der Fall gewesen ist, fehlt es an einem dem Kläger anzulastenden Verschulden und damit an einer Tatbestandsvoraussetzung des § 109 AO. Der von dem FG - aus anderem Grund - vorgenommene Pauschalabschlag von einem Drittel (der vollen Haftungsschuld) wird diesem Gesichtspunkt nicht ausreichend gerecht. Das finanzgerichtliche Urteil ist daher insoweit aufzuheben, als das FG die Klage abgewiesen hat.

Da dem erkennenden Senat wegen Fehlens einschlägiger Ermittlungen zur Frage der anteiligen Tilgung eine Entscheidung hierzu verwehrt ist (§ 118 FGO), ist die nicht spruchreife Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 192

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