Leitsatz (amtlich)

Eine Zerlegung nach § 30 GewStG setzt nicht voraus, daß der Gemeinde durch die mehrgemeindliche Betriebstätte feststellbare Lasten erwachsen. Durch die Betriebstätte erwachsende Gemeindelasten sind lediglich beim Maßstab der Zerlegung zu berücksichtigen.

 

Orientierungssatz

1. Eine Zerlegung nach § 30 GewStG muß stets dann erfolgen, wenn eine mehrgemeindliche Betriebstätte vorliegt. Davon unabhängig ist über den Zerlegungsmaßstab zu entscheiden. Wohnen in den Gemeinden einer mehrgemeindlichen Betriebstätte keine Arbeitnehmer dieser Betriebstätte, so entfällt der Faktor Arbeitnehmer bei der Zerlegung. Die Zerlegung für die mehrgemeindliche Betriebstätte ist dann nur nach den übrigen Faktoren (Betriebsanlagen evtl. Stromabgabe bzw. Elektrizitätsunternehmen) vorzunehmen. Der Anteil der Betriebstättengemeinde an der Unterzerlegung verringert sich entsprechend (Aufgabe der Auffassung im BFH-Urteil vom 10.7.1974 I R 54/72).

2. Eine mehrgemeindliche Betriebstätte (§ 30 GewStG) ist nur dann anzunehmen, wenn jeder der auf mehrere Gemeinden entfallenden Teile die Merkmale einer Betriebstätte i.S. des § 16 StAnpG erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 12.10.1977 I R 226/75).

3. Eine gegen die Ablehnung eines Antrags einer Gemeinde auf Beteiligung an der Gewerbesteuerzerlegung eines Elektrizitätsunternehmens nach § 30 GewStG --wegen eines Umspannwerkes-- erhobene Klage ist zulässig, wenn die Gemeinde schlüssig vorgetragen hat, sie sei in ihren Rechten dadurch verletzt, daß das FA sie nicht an der Gewerbesteuerzerlegung beteiligt habe. Das Umspannwerk sei Teil einer mehrgemeindlichen Betriebstätte und befinde sich auf ihrem Gemeindegebiet.

 

Normenkette

GewStG 1968 § 30; GewStG 1974 § 30; AO 1977 § 189; StAnpG § 16; FGO § 40 Abs. 2

 

Tatbestand

I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) --eine Gemeinde-- an der Zerlegung der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge 1968 bis 1975 des Elektrizitätsunternehmens B-AG zu beteiligen ist.

Die B-AG unterhielt in den Streitjahren auf dem Gebiet der Klägerin ein Umspannwerk. In dem Umspannwerk wurde Strom an das Überlandwerk U-AG abgegeben, das wiederum die Gemeinden des Landkreises X, dem die Klägerin angehört, mit Strom versorgt.

Die Klägerin stellte mit Schreiben vom 18.Januar 1977 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) Antrag auf Beteiligung an der Gewerbesteuerzerlegung der B-AG nach § 30 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Das FA lehnte den Antrag ab, da im Umspannwerk auf der Gemarkung der Klägerin keine Arbeitslöhne angefallen seien.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage und beantragte,

das FA anzuweisen, die Klägerin an der Gewerbesteuerzerlegung der B-AG ab

1968 zu beteiligen und dabei einen Zerlegungsmaßstab anzuwenden, bei dem

das Betriebsvermögen angemessen berücksichtigt werde.

Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) als unzulässig abgewiesen.

Das FG führte in den Entscheidungsgründen aus, die Klägerin habe nicht dargelegt, daß ihr aus dem Umspannwerk der B-AG Lasten erwachsen seien. Diese Darlegung sei jedoch erforderlich, um eine Verletzung der Rechte der Klägerin nach § 30 GewStG i.V.m. § 40 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darzutun. Nur die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse erwachsenen Gemeindelasten gewährten der Gemeinde ein subjektiv- öffentliches Recht auf Beteiligung an der Zerlegung.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

Sie rügt Verletzung des § 30 GewStG.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, sie an der

Zerlegung zu beteiligen, hilfweise, unter Aufhebung des angefochtenen

Urteils die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt,

die Revision abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie mußte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG führen (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

1. Das FG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Klage war zulässig. Nach § 40 Abs.2 FGO ist eine Klage u.a. zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch einen Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung eines Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Kläger muß dazu die Rechtsverletzung schlüssig vorbringen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4.April 1984 I R 269/81, BFHE 140, 509, 511, BStBl II 1984, 563).

2. Die Klage erfüllte die Voraussetzungen des § 40 Abs.2 FGO.

Die Klägerin hat schlüssig vorgetragen, sie sei in ihren Rechten dadurch verletzt, daß das FA sie nicht an der Gewerbesteuerzerlegung der B-AG beteiligt habe. Das Umspannwerk der B-AG sei Teil einer mehrgemeindlichen Betriebstätte der B-AG und befinde sich auf ihrem Gemeindegebiet.

Damit hat die Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Beteiligung an einer Gewerbesteuerzerlegung nach § 30 GewStG schlüssig dargelegt.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, daß eine schlüssige Klagebegründung eine Darlegung der durch die Betriebstätte entstandenen Lasten erfordere. Diese Auffassung ist weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn des § 30 GewStG abzuleiten.

§ 30 GewStG enthält zwei Regelungen. Die Vorschrift schreibt im ersten Halbsatz --zwingend-- eine Zerlegung vor, wenn sich eine Betriebstätte auf mehrere Gemeinden erstreckt. Der zweite Halbsatz des § 30 GewStG enthält den Maßstab, nach dem die Zerlegungsanteile festzusetzen sind. Die Zerlegung ist --stets-- nach Lage der örtlichen Verhältnisse durchzuführen. Dabei sind die der Gemeinde durch die Betriebstätte erwachsenen Lasten zu berücksichtigen.

Mit dieser Regelung hat das Gesetz eine deutliche Trennung zwischen der Verpflichtung zur Zerlegung und dem dabei anzuwendenden Maßstab vorgenommen. Während die Zerlegung als solche nur vom Faktum einer mehrgemeindlichen Betriebstätte abhängt, ist beim Zerlegungsmaßstab mit unbestimmten Rechtsbegriffen ein grober Maßstab gesetzt worden. Wenn das Gesetz vorschreibt, daß die der Gemeinde erwachsenen Lasten zu berücksichtigen seien, so besagt das nur, daß derartige Lasten dann zu berücksichtigen sind, wenn sie entstehen. Die Vorschrift besagt jedoch nicht, daß eine Zerlegung derartige Lasten voraussetze.

Auch die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe für eine Zerlegung nach § 30 GewStG widersprechen der Auffassung des FG. Die Rechtsprechung des BFH hat als Zerlegungsmaßstab bei mehrgemeindlichen Betriebstätten stets die Berücksichtigung des Faktors Betriebsanlagen neben dem Faktor "Wohnen der Arbeitnehmer" gefordert (vgl. BFH-Beschluß vom 28.Oktober 1964 I B 403/61 U, BFHE 81, 310, BStBl III 1965, 113). Daneben kann bei Elektrizitätsunternehmen auch noch die Stromabgabe in den einzelnen Gemeinden als zusätzlicher, jedoch nicht alleiniger Faktor berücksichtigt werden (vgl. Beschluß des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 7.Mai 1940 I 328/39, RFHE 48, 317, RStBl 1940, 714). Diese Grundsätze zeigen, daß die Entstehung von Gemeindelasten nur schematisch berücksichtigt und --insbesondere beim Faktor Betriebsanlagen-- von solchen Lasten ausgegangen wird.

Es muß somit eine Zerlegung stets dann erfolgen, wenn eine mehrgemeindliche Betriebstätte vorliegt. Davon unabhängig ist über den Zerlegungsmaßstab zu entscheiden. Wohnen in den Gemeinden einer mehrgemeindlichen Betriebstätte keine Arbeitnehmer dieser Betriebstätte, so entfällt der Faktor Arbeitnehmer bei der Zerlegung. Die Zerlegung für die mehrgemeindliche Betriebstätte ist dann nur nach den übrigen Faktoren (Betriebsanlagen, evtl. Stromabgabe) vorzunehmen. Der Anteil der Betriebstättengemeinde an der Unterzerlegung verringert sich entsprechend.

Der Senat hat im Urteil vom 10.Juli 1974 I R 54/72 (BFHE 113, 123, BStBl II 1975, 42) in einem die Entscheidung nicht tragenden Hinweis eine andere Auffassung vertreten. Er hält an dieser Auffassung nicht fest.

3. Eine Sachentscheidung auf der Grundlage der Feststellungen des FG konnte noch nicht ergehen. Die Sache mußte zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

Dabei wird das FG noch Feststellungen zu folgenden Punkten treffen müssen:

a) Die Änderung einer Zerlegung ist nur innerhalb eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Steuermeßbescheids möglich, es sei denn, der übergangene Steuerberechtigte habe die Änderung oder Nachholung der Zerlegung vor Ablauf des Jahres beantragt (§ 189 Satz 3 der Abgabenordnung --AO 1977--). Aus den Feststellungen des FG ist nicht zu entnehmen, wann die Steuermeßbescheide für die Erhebungszeiträume 1968 bis 1976 unanfechtbar geworden sind.

b) Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Frage, ob das gesamte Elektrizitätsunternehmen oder einzelne Bereiche des Unternehmens einheitliche, mehrgemeindliche Betriebstätten darstellen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 16.November 1965 I B 249/62 U, BFHE 84, 108, BStBl III 1966, 40, und vom 18.Oktober 1967 I B 270/63, BFHE 90, 268, BStBl II 1968, 40; BFH-Urteil vom 12.Oktober 1977 I R 227/75, BFHE 124, 65, BStBl II 1978, 160). Diese Feststellung ist für eine Sachentscheidung erheblich. Würde das Umspannwerk auf der Gemarkung der Klägerin eine selbständige Betriebstätte darstellen, so würde bei einer Zerlegung nach Arbeitslöhnen gemäß § 29 GewStG kein Zerlegungsanteil auf die Klägerin entfallen. Die Feststellung einer mehrgemeindlichen Betriebstätte bedarf nicht nur der Feststellung, daß das Umspannwerk Teil eines Verbundsystems der B-AG ist. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist vielmehr ergänzend festzustellen, ob jeder der auf mehrere Gemeinden entfallenden Teile die Voraussetzungen des § 16 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) --insbesondere des § 16 Abs.4 StAnpG-- erfüllt. Nur wenn jeder Teil die Merkmale einer Betriebstätte i.S. des § 16 StAnpG erfüllt, ist eine mehrgemeindliche Betriebstätte anzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 12.Oktober 1977 I R 226/75, BFHE 123, 500, BStBl II 1978, 111).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61879

BStBl II 1988, 292

BFHE 152, 138

BFHE 1988, 138

HFR 1988, 347 (LT1)

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