Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Wesen eines Freistellungsbescheids; Zeitpunkt der Beendigung einer Mitunternehmerstellung

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Freistellungsbescheid muß zum Ausdruck bringen, daß die gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlage oder die Steuer auf 0 DM festgesetzt sein soll.

2. Die Mitunternehmerstellung eines Personengesellschafters endet nicht schon mit seinem Ausschluß, sofern er die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses bestreitet. Wird später ein Vergleich abgeschlossen, in dem er sich rückwirkend mit dem Ausschluß abfindet, ist die Mitunternehmerstellung mit dem Tage des Vergleichsabschlusses beendet.

 

Normenkette

AO 1977 § 155 Abs. 1 S. 3; EStG § 15 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Witwe des verstorbenen B. W. Miterben nach B. W. sind die Klägerin sowie M. W., der Beigeladene zu 2. Außerdem war Miterbin Frau K. Sie ist verstorben. Beerbt wurde sie von dem Beigeladenen zu 2.

B. W. und sein Neffe L. W., der Beigeladene zu 1, betrieben in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (W-GbR) die von dem Land gepachteten Garderoben und Toiletten eines Theaters. Nachdem L. W. den Gesellschaftsvertrag aus wichtigem Grund mit dem Anspruch auf alleinige Fortführung des Betriebs gekündigt und den Ausschluß des Gesellschafters B. W. erklärt hatte, erwirkte er am 1. Dezember 1969 eine einstweilige Verfügung, die dem B. W. die Geschäftsführung und Vertretung der W-GbR sowie das Betreten der Geschäftsräume untersagte. In dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren schlossen B. W. und L. W. am 18. Dezember 1969 einen Vergleich. Danach sollte bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorläufig folgendes gelten: Die alleinige Geschäftsführung steht L. W. zu. Im übrigen verbleibt es bei der einstweiligen Verfügung. L. W. verpflichtet sich, als Gegenleistung an B. W. ab 1. Januar 1970 monatlich . . . DM zu zahlen.

Am 28. Juni 1971 schlossen B. W. und L. W. im Hauptsacheverfahren folgenden endgültigen Vergleich: Das Gesellschaftsverhältnis zwischen B. W. und L. W. ,,ist beendet". L. W. tritt in die Pachtverträge mit dem Land ein. L. W. verpflichtet sich, vom 1. Juli 1971 bis zum 31. Dezember 1972 an B. W. weiterhin monatlich . . . DM zu zahlen. L. W. stellt B. W. von allen Verpflichtungen aus dem Gesellschaftsverhältnis frei.

Aufgrund einer Betriebsprüfung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) zu dem Ergebnis, daß Einnahmen nicht ordnungsgemäß verbucht und versteuert worden seien und daß B. W. erst durch den Vergleich vom 28. Juni 1971 zum 1. Juli 1971 aus der W-GbR ausgeschieden sei. Das FA ermittelte demzufolge für das Streitjahr 1971 einen Veräußerungsgewinn des B. W. Es erließ entsprechende berichtigte Gewinnfeststellungsbescheide, Gewerbesteuerbescheide und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1970 und 1971. Diese Bescheide vom 10. Dezember 1976 waren ,,An die Gesellschaft bürgerlichen Rechts L. und B. W. z. Hd. Herrn L. W. . . ." gerichtet.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin gegen diese Bescheide Klage. Anschließend hob das FA mit Schriftsatz vom 16. Juni 1978 die angefochtenen ,,Verwaltungsakte - Steuerbescheide und Einspruchsentscheidungen" gemäß § 172 der Abgabenordnung (AO 1977) ersatzlos auf und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Klägerin gab eine entsprechende Erklärung ab. Das Finanzgericht (FG) stellte daraufhin das Verfahren ein.

Über ein Jahr später, am 20. Juli 1979, erließ das FA erneut Gewinnfeststellungsbescheide, Umsatzsteuerbescheide und Gewerbesteuerbescheide betreffend die W-GbR für die Jahre 1970 und 1971. Diese Bescheide waren an die ,,Firma B. und L. W. GbR in Liquidation, zu Händen Frau E. W. als Miterbin nach Herrn B. W., an Herrn L. W. sowie die übrigen Miterben des Herrn B. W., Frau K. und Herrn M. W." gerichtet.

Die gegen die Bescheide 1970 gerichteten Einsprüche wies das FA zurück. Dem gegen die Bescheide 1971 gerichteten Einspruch gab das FA teilweise - in jetzt nicht mehr streitigen Punkten - statt.

Aufgrund der Klage änderte das FG lediglich die - mit der Revision nicht angegriffene - Gewinnverteilung zwischen B. W. und L. W. Im übrigen hatte die Klage keinen Erfolg. Einen der Klägerin in der Einspruchsentscheidung gewährten Veräußerungsfreibetrag (§ 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) in Höhe von 15 000 DM hat das FG der Klägerin ohne Angabe von Gründen nicht mehr gewährt.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend: Das FA habe die Bescheide vom 20. Juli 1979 nicht erlassen dürfen, weil es mit der ersatzlosen Rücknahme der ursprünglichen Bescheide auf die Möglichkeit verzichtet habe, neue Bescheide zu erlassen. Dieser Verzicht des FA sei aus den gesamten Umständen des Falles zu schließen; denn es sei für die Klägerin nicht erkennbar gewesen, daß das FA die ursprünglichen Bescheide nur aus formellen Gründen zurückgenommen habe.

Entgegen der Auffassung des FG habe für die Streitjahre keine Mitunternehmerschaft zwischen B. W. und L. W. mehr bestanden. Durch die Ausschlußerklärung und die Kündigung könne eine sofortige Beendigung der W-GbR und damit auch der Mitunternehmerschaft herbeigeführt worden sein. Gegebenenfalls hätte das FG aufklären müssen, ob die Kündigung berechtigt gewesen sei und zur Auflösung der Gesellschaft geführt habe.

B. W. sei in den Streitjahren auch nicht an der W-GbR als einer Abwicklungsgesellschaft beteiligt gewesen, weil L. W. in 1969 den Ausschluß von B. W. erklärt habe, mittels einstweiliger Verfügung vom 1. Dezember 1969 ihm das Betreten der Geschäftsräume und die Geschäftsführung habe untersagen lassen und seitdem den Betrieb fortgeführt habe. B. W. sei von jeder tatsächlichen Mitwirkung am Geschäftsbetrieb, jeder Einflußnahme ausgeschlossen worden. Damit sei eines der wesentlichsten Erfordernisse einer Mitunternehmerschaft in den Streitjahren nicht mehr gegeben gewesen. Der Vergleich vom 28. Juni 1971 habe diesen schon vorher bestehenden Zustand nur bestätigt. Dafür spreche auch die in dem Vergleich vom 28. Juni 1971 verwendete Formulierung ,,ist beendet" und die gewinnunabhängige Zahlung von . . . DM monatlich ab 1. Januar 1970. Der Annahme der Beendigung der W-GbR in 1969 stehe nicht entgegen, daß damals noch keine Vereinbarungen über eine Auseinandersetzung getroffen worden seien bzw. damals der Pachtvertrag mit dem Lande noch nicht geändert worden sei.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung abzuändern und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist zulässig.

Entgegen der Auffassung des FA genügt die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Nach dieser Vorschrift muß die Revisionsbegründung oder die Revision u.a. die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Diesem Erfordernis wird genügt, wenn eindeutig zu erkennen ist, welche Rechtsnorm verletzt sein soll (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 120 Anm. 17 m.w.N.). Die Revisionsbegründung genügt diesem Erfordernis allein schon deshalb, weil in ihr geltend gemacht wird, die Bescheide vom 20. Juli 1979 hätten wegen der ersatzlosen Aufhebung der ursprünglichen Bescheide nicht ergehen dürfen. Damit macht die Klägerin zumindest eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben geltend.

II. Die Revision ist nicht begründet, soweit sie die Umsatzsteuer 1970 und 1971 und die Gewerbesteuer 1970 und 1971 und die Gewinnfeststellung 1970 betrifft. Soweit sie die Gewinnfeststellung 1971 betrifft, führt die Revision zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß das FA trotz der ersatzlosen Rücknahme der ursprünglichen Bescheide die angefochtenen Bescheide vom 20. Juli 1979 erlassen durfte. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nur kommen, wenn die ersatzlose Rücknahme der ursprünglichen Bescheide gleichzeitig als ein Freistellungsbescheid i. S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 anzusehen wäre, oder wenn durch die ersatzlose Aufhebung der ursprünglichen Bescheide für die Klägerin ein Vertrauensschutz entstanden wäre, der dem Erlaß der angefochtenen neuen Bescheide entgegenstehen würde. Beides ist im Streitfall nicht zu bejahen.

a) Ein Freistellungsbescheid, der einem Steuerbescheid nach § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 gleichgestellt ist, ist ein Bescheid, durch den zum Ausdruck gebracht wird, daß keine Steuer geschuldet wird (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 155 AO 1977 Anm. 18). Freistellungsbescheide lauten auf null DM. Sie sind Steuerbescheide, durch die das FA einem Steuerpflichtigen mitteilt, daß eine Steuer von ihm aufgrund des geprüften Sachverhalts dem Grund nach überhaupt nicht oder für einen bestimmten Veranlagungszeitraum nicht gefordert wird bzw. daß für ein bestimmtes Wirtschaftsjahr kein Gewinn festgestellt wird.

Das FA hat die ursprünglichen Bescheide (Gewinnfeststellungsbescheide, Gewerbesteuerbescheide und Umsatzsteuerbescheide 1970 und 1971) nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 entsprechend dem Antrag der Klägerin aufgehoben. Es hat dabei nach den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, weil die Klägerin insoweit keine zulässige und begründete Revisionsrüge erhoben hat, nicht zum Ausdruck gebracht, daß der Gewinn, die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer für die Streitjahre auf null DM festgestellt bzw. festgesetzt werden sollten.

b) Nach den Feststellungen des FG liegt auch kein Umstand vor, aufgrund dessen für die Klägerin durch die Aufhebung der ursprünglichen Bescheide ein Vertrauensschutz dahingehend entstanden wäre, daß das FA auch ohne den Erlaß von Freistellungsbescheiden gehindert gewesen wäre, neue Bescheide zu erlassen. Ein solcher Vertrauensschutz hätte nur entstehen können, wenn Umstände vorhanden gewesen wären, aus denen die Klägerin im Zusammenhang mit der Aufhebung der ursprünglichen Bescheide hätte schließen können, das FA werden gegen sie für die Streitjahre keine Gewinne mehr feststellen bzw. keine Gewerbesteuer und keine Umsatzsteuer mehr festsetzen. Das ist nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), nicht der Fall. Die Klägerin hat gegen diese Feststellungen des FG auch keine zulässige und begründete Revisionsrüge vorgebracht. Ihr Vortrag enthält lediglich eine andere als die vom FG vorgenommene mögliche Beweiswürdigung.

2. Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die zwischen B. W. und L. W. bestehende Mitunternehmerschaft erst durch den Vergleich vom 28. Juni 1971 beendet worden ist und daß dieser Vergleich steuerrechtlich nicht auf einen früheren Zeitpunkt zurückwirkt.

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die vorerwähnte Mitunternehmerschaft nicht bereits 1969 dadurch beendet worden, daß L. W. den Ausschluß des B. W. aus der W-GbR erklärte und den Vertrag mit dem gleichzeitig geltend gemachten Anspruch auf alleinige Fortführung des Betriebs kündigte.

Nach § 737 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann ein Gesellschafter unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen werden. Bei einer zweigliedrigen Gesellschaft hat der Ausschluß des einen Gesellschafters zur Folge, daß der verbleibende Gesellschafter das Unternehmen übernimmt. Grundsätzlich wird das Übernahmerecht (der Ausschluß des anderen Gesellschafters) durch den Zugang der rechtsgestaltenden Übenahmeerklärung ausgeübt. Dadurch wird die Gesellschaft ohne Abwicklung beendet. Die bisher gemeinschaftlichen Wirtschaftsgüter wachsen dem Übernehmenden ohne Einzelübertragung gemäß § 738 BGB an, und zwar selbst dann, wenn es sich bei der übernommenen Tätigkeit um einen Gewerbebetrieb handelt (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 44. Aufl., § 736 Anm. 1b).

Diese Rechtsfolgen treten jedoch nicht ein, wenn der den Ausschluß erklärende Gesellschafter nicht berechtigt war, den anderen Gesellschafter auszuschließen und den Betrieb zu übernehmen. In einem solchen Fall erzeugt die Ausschluß- und Übernahmeerklärung keine rechtsgestaltende Wirkung. Nach Auffassung des Senats wird durch die Abgabe einer Ausschluß- und Übernahmeerklärung eine zweigliedrige Personengesellschaft auch dann nicht beendet, wenn über die Berechtigung zum Ausschluß und zur Übernahme Streit besteht, die Gesellschaft von den Beteiligten deshalb zunächst weiter fortgesetzt wird und der Streit später durch einen Vergleich endet, durch den zwar die Gesellschaft beendet wird, die Beendigung aber nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs der Ausschluß- und Übernahmeerklärung zurückwirkt.

b) Im Streitfall bestand - wie sich aus dem Erlaß der einstweiligen Verfügung vom 1. Dezember 1969, dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren und dem Hauptverfahren ergibt - zwischen B. W. .und L. W. keine Einigkeit über die Berechtigung des L. W. zum Ausschluß des B. W. aus der W-GbR und zur Übernahme des Betriebs. Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, weil insoweit keine zulässige und begründete Revisionsrüge erhoben worden ist, ist die W-GbR vor 1971 in tatsächlicher Hinsicht nicht aufgelöst, also fortgeführt worden. Der Streit zwischen B. W. und L. W. ist durch einen Vergleich vom 28. Juni 1971 beendet worden. Aus diesem Vergleich ergibt sich nicht, daß B. W. die Berechtigung des L. W. zum Ausschluß des B. W. und zur Übernahme des Betriebs der W-GbR im Jahre 1969 anerkannt hat. Demzufolge ist die vom FG vorgenommene Auslegung dieses Vergleichs, daß durch ihn die W-GbR als Mitunternehmerschaft erst mit dem Abschluß dieses Vergleichs aufgelöst worden ist, möglich.

c) Die Rechtsausführungen des FG, wonach schuldrechtliche Vereinbarungen über die rückwirkende Beendigung einer Mitunternehmerschaft steuerrechtlich nicht anzuerkennen sind, sind nicht zu beanstanden.

3. Die Vorentscheidung war hinsichtlich der Gewinnfeststellung 1971 aufzuheben und die Sache war insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, weil sich aus der Vorentscheidung nicht ergibt, ob das FG die Frage der Gewährung eines Veräußerungsfreibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG geprüft hat. Eine solche Prüfung ist insbesondere deshalb geboten, weil das FA in der Einspruchsentscheidung einen Veräußerungsfreibetrag zugestanden hat.

 

Fundstellen

BFH/NV 1985, 13

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