Leitsatz (amtlich)

Die erhöhte Investitionszulage von 25 v. H. des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 (Berlinförderungsgesetz 1970) kann nur Betrieben gewährt werden, in denen die verarbeitende gewerbliche Tätigkeit überwiegt.

 

Normenkette

BHG 1968 § 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 für im Jahre 1968 angeschaffte Wirtschaftsgüter zusteht.

Die Klägerin betreibt den Großhandel mit Arzneimitteln, Apothekerwaren, Kindernährmitteln und ähnlichen Artikeln. Daneben stellt sie in ihrem Betriebe chemische, pharmazeutische und kosmetische Artikel und Seuchenabwehrstoffe her. Für die Herstellung schaffte sie im zweiten Halbjahr 1968 einen Schnellschneider, einen Rotationsverdampfer, einen Behälter, einen Destillierapparat und eine thermische Entgasungsanlage an und nahm hierfür die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 in Anspruch. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) gewährte jedoch nur die normale Zulage von 10 v. H. mit dem Hinweis, daß der Betrieb der Klägerin nicht dem verarbeitenden Gewerbe im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 angehöre, weil die herstellung nicht überwiege. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Klage gab das FG jedoch mit folgender Begründung statt: Der Betrieb der Klägerin gehöre dem verarbeitenden Gewerbe im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 an, weil in ihm chemische, pharmazeutische und kosmetische Artikel hergestellt würden. Ein Überwiegen dieser Herstellung im Betriebe der Klägerin sei nicht erforderlich. Zwar werde in der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache V/3019) zur Erleichterung der Abgrenzung des Begriffs "verarbeitendes Gewerbe" auf das systematische Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes (hier Abteilung 2 des Verzeichnisses) Bezug genommen und es heiße in den Vorbemerkungen zu Abteilung 2 (verarbeitendes Gewerbe - ohne Baugewerbe -), nur solche Institutionen gehörten zur Abteilung "verarbeitendes Gewerbe (ohne Baugewerbe)", deren wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend darin bestehe, Erzeugnisse gleich welcher Art zu be- oder verarbeiten. Das Verzeichnis gliedere die "Institutionen" jedoch nur zu statistischen Zwecken und sei daher unter ganz anderen Gesichtspunkten zusammengestellt. Es sei dazu nicht vollständig und für die Zwecke der Abgrenzung bei der Investitionszulage auch nicht immer richtig (vgl. die Hinweise des Senators für Finanzen in der Verwaltungsanordnung vom 24. November 1969, Steuer- und Zollblatt Berlin 1970 S. 448), Andererseits sei das FG weder an die Erlasse des Senators für Finanzen noch an das systematische Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes gebunden. Denn das Gesetz fordere weder ein Überwiegen der be- oder verarbeitenden Tätigkeit noch nehme es auf das systematische Verzeichnis Bezug. Die Bezugnahme auf das Verzeichnis in der Gesetzesbegründung könne eine Bindung bei der Auslegung des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 nicht zur Folge haben. Nur der im Gesetz zum Ausdruck gelangende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den es hineingestellt ist, sei maßgebend, nicht aber die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder. Der Entstehung einer Vorschrift komme für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätige oder Zweifel behebe, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 21. Maf 1952, 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 [312]). Für die Steuergesetze bestimme § 1 Abs. 2 StAnpG außerdem, daß bei ihrer Auslegung die Volksanschauung, der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze sowie die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen seien. Der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968, der eine steuergesetzliche Vorschrift sei, beständen darin, den gesamten industriellen Bereich der Berliner Wirtschaft mit Ausnahme der Bauwirtschaft zu fördern. Werden gemischte Betriebe nicht als Betriebe des verarbeitenden Gewerbes angesehen, so werde der wirtschaftspolitische Zweck des Gesetzes außer acht gelassen. Da sowohl Betriebe, die nur produzieren und Betriebe, die auch andere Tätigkeiten ausüben, nach dem Zweck des Gesetzes gleich förderungsbedürftig seien, würde eine Ungleichbehandlung gegen Artikel 3 GG verstoßen. Die Klägerin dürfe mit ihrem hohen Umsatz nicht schlechtergestellt werden, als Betriebe mit verhältnismäßig geringem Umsatz, jedoch ausschließlich verarbeitender gewerblicher Tätigkeit. Es sei auch nicht richtig, daß es bei der vom FG vertretenen Ansicht genügt hätte, wenn der Gesetzgeber die Vergünstigung nur davon abhängig gemacht hätte, daß das angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut mittelbar oder unmittelbar der Fertigung diene. Derartige Wirtschaftsgüter gebe es nämlich auch in anderen Gewerbezweigen, wie im Baugewerbe und im Dienstleistungsgewerbe.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA mit folgender Begründung: Zur Erleichterung der Abgrenzung des Begriffs "verarbeitendes Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe -" in § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 werde in der Gesetzesbegründung auf das systematische Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts Bezug genommen, nach dem unter den Begriff "verarbeitendes Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe -" nur solche Institutionen fallen, deren wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend darin besteht, Erzeugnisse gleich welcher Art zu be- oder verarbeiten. Es sei damit offenkundig, daß der Gesetzgeber in das Gesetz einen bestimmten amtlichen Ordnungsbegriff aufgenommen habe, um damit nur folgerichtig zur Auslegung des Gesetzes in erster Linie auf die amtliche Erläuterung des Begriffs zurückzugreifen. Das FG übersehe, daß die Förderung des industriellen Bereichs eines gemischtgenutzten Betriebs letzten Endes dem ganzen Betrieb zugute kommt, also auch den Bereichen, die nicht dem verarbeitenden Gewerbe zugerechnet werden können. Dies könne nur hingenommen werden, wenn der nicht begünstigte Betriebsteil von untergeordneter Bedeutung ist. Dem FG sei darin beizutreten, daß es nicht ausgereicht hätte, die Vergünstigung allein davon abhängig zu machen, daß das Wirtschaftsgut der Fertigung dienen müsse. Das FG übersehe jedoch, daß der Gesetzgeber nicht einen Bereich des verarbeitenden Gewerbes innerhalb eines Betriebes zur Voraussetzung gemacht habe, sondern einen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes. Ob ein solcher Betrieb vorliege, könne nur nach seiner Gesamtheit beurteilt werden, nicht aber nach seinen einzelnen Teilbereichen. Nicht der Bereich solle gefördert werden, sondern der Betrieb.

Das FA beantragt, die Entscheidung des FG aufzuheben und die Investitionszulage auf 10 v. H. von ... DM festzusetzen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, und führt u. a. aus: Es sei abwegig, die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 einem gemischten Betrieb deshalb zu versagen, weil die Förderung des verarbeitenden, gewerblichen Bereichs eines gemischten Betriebs auch die nichtbegünstigten Bereiche des Betriebs fördern würde. Das gleiche Ergebnis liege vor, wenn die verarbeitende gewerbliche Tätigkeit ausschließlich in einer besonderen Betriebstätte ausgeübt werde. In einem solchen Falle müßte die erhöhte Zulage auch nach Ansicht des FA gewährt werden, obwohl die Förderungsmaßnahme auch anderen Bereichen des Gesamtbetriebs zugute kommen würde.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht die erhöhte Investitionszulage von 25 v. H. nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 für die im zweiten Halbjahr 1968 angeschafften Wirtschaftsgüter nicht zu.

Die erhöhte Investitionszulage von 25 v. H. wird nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968 für nach dem 30. Juni 1968 angeschaffte oder hergestellte, abnutzbare und bewegliche Wirtschaftsgüter gewährt, die in einem Betrieb (einer Betriebstätte) des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - unmittelbar oder mittelbar der Fertigung dienen. Der Begriff des "Betriebs des verarbeitenden Gewerbes" wird im Gesetz nicht erläutert. Auch die in der Bundestagsdrucksache V/3019 zu Art. 1 Nr. 5 Buchst. a wiedergegebene Begründung zur Änderung des § 19 BHG gibt keine Auskunft, was unter einem Betrieb des verarbeitenden Gewerbes zu verstehen ist. Sie verweist lediglich zur Erläuterung des Begriffs "verarbeitendes Gewerbe" auf das systematische Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts, nicht aber zur Erläuterung des Begriffs "Betrieb des verarbeitenden Gewerbes". Der erkennende Senat vertritt jedoch die Ansicht, daß der Wortlaut allein bereits ausreicht, um zu erkennen, was der Gesetzgeber unter dem Begriff "Betrieb des verarbeitenden Gewerbes" verstanden wissen will. Nach dem Wortlaut handelt es sich um einen Betrieb, der sein Gepräge durch das verarbeitende Gewerbe erhält. Das aber ist nur der Fall, wenn das verarbeitende Gewerbe zum mindesten überwiegend ausgeübt wird. Hätte es der Gesetzgeber für ausreichend angesehen, daß das verarbeitende Gewerbe nur nebenher und in geringfügigem Umfang ausgeübt wird, wie die Klägerin meint, dann hätte er nicht gefordert, daß das Wirtschaftsgut in einem "Betrieb des verarbeitenden Gewerbes" der Fertigung dienen muß, sondern es genügen lassen, daß es in einem dem verarbeitenden Gewerbe zugebörigen Bereich des ansonsten anderen Wirtschaftszweigen zugehörigen Betriebs eingesetzt wird. Hierauf hat das FA mit Recht hingewiesen.

Wie zu entscheiden wäre, wenn die Klägerin die verarbeitende gewerbliche Tätigkeit in einer besonderen Betriebstätte ausschließlich oder überwiegend ausgeübt hätte, braucht nicht erörtert zu werden, da das FG keinerlei Tatsachen festgestellt hat, aus denen ersichtlich wäre, daß die Klägerin eine derartige Betriebstätte unterhalten hat. Von einer solchen gesonderten Betriebstätte wäre selbst dann nicht auszugehen, wenn die verarbeitende gewerbliche Tätigkeit in besonderen Räumen des Gesamtbetriebs ausgeübt würde. Denn die nach § 16 StAnpG begrifflich zu bestimmende Betriebstätte setzt eine räumliche Trennung vom Hauptbetrieb voraus (vgl. Entscheidung des BFH vom 26. Oktober 1954 I B 186/53 U, BFHE 59, 421, BStBl III 1954, 372).

Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, daß bei dieser Auslegung Betriebe mit gemischter Tätigkeit von der erhöhten Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG ausgeschlossen sind, sofern in ihnen nicht überwiegend das verarbeitende Gewerbe ausgeübt wird. Der Gleichheitssatz läßt Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt sind. Ob und inwieweit der Gleicheitssatz bei der Ordnung einzelner Lebenssachverhalte Unterscheidungen erlaubt, richtet sich nach der Natur des in Frage stehenden Sachbereichs. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt erst dann vor, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstiger einleuchtender Grund nicht finden läßt, die Regelung also willkürlich ist (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 16. Oktober 1968 1 BvL 7/62, BVerfGE 24, 220 [228]). Danach konnte der Gesetzgeber mit dem Ziel, die Produktionskraft Westberlins zu stärken und insbesondere den industriellen Bereich besonders zu fördern, die erhöhte Investitionszulage auf Betriebe beschränken, in denen die Förderung der Produktion in besonders ausgeprägtem Maße verwirklicht wird, während er Betriebe außer Betracht lassen konnte, in denen die Förderung der Produktion nur in verhältnismäßig geringem Ausmaß möglich ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70450

BStBl II 1973, 554

BFHE 1973, 202

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