Leitsatz (amtlich)

Der erhöhte Freibetrag für Unternehmer in Berlin (West) - § 7a UStG 1951 i. V. mit § 15 BHG - wird nur gewährt, wenn ein FA in Berlin (West) am Ende des Kalenderjahres, für das der erhöhte Freibetrag beansprucht wird, zuständig ist.

 

Normenkette

UStG 1951 § 7a; BHG § 15; AO § 73 Abs. 4

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist, ob der erhöhte Freibetrag nach § 7a UStG 1951 in Verbindung mit § 15 des Berlinhilfegesetzes (BHG) 1962 einem Unternehmer bei Wegzug von Berlin im Laufe des Kalenderjahrs ganz oder teilweise zusteht.

Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtiger) ist Zahnarzt. Anfang November 1962 verlegte er seinen Wohnsitz von Berlin (West) in das übrige Bundesgebiet, am 1. April 1963 verlegte er seinen Wohnsitz nach Berlin zurück. Der Gesamtumsatz im Kalenderjahr 1962 betrug 80 154 DM, davon waren steuerfrei 38 896 DM; der Gesamtumsatz in Berlin belief sich auf rund 78 000 DM. Der Steuerpflichtige beantragte in seiner Steuererklärung, ihm den erhöhten Freibetrag nach § 7a Abs. 2 UStG 1951 in Verbindung mit § 15 BHG 1962 (Gesetz zur Förderung der Wirtschaft in Berlin [West] in der Fassung vom 26. Juli 1962, BGBl I 1962, 492, BStBl I 1962, 998) in Höhe von 50 000 DM zu gewähren und dementsprechend die Umsatzsteuer 1962 auf 0 DM festzusetzen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) versagte den erhöhten Freibetrag mit der Begründung der Wohnsitz des Steuerpflichtigen habe sich am 31. Dezember 1962 im übrigen Bundesgebiet befunden. Es setzte die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung des Freibetrags nach § 7a UStG 1951 in der Fassung des 11. Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1330, BStBl I 1961, 609) in der Höhe von 20 000 DM fest. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Die Vorinstanz begründete ihre in der Umsatzsteuer-Rundschau 1965 S. 140 (UStR 1965, 140), veröffentlichte Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Der Steuerpflichtige könne den erhöhten Freibetrag weder ganz noch teilweise in Anspruch nehmen, weil er am Ende des Jahres seinen Wohnsitz im übrigen Bundesgebiet gehabt habe und deshalb für die Besteuerung nach dem Umsatz das Wohnsitz-FA im übrigen Bundesgebiet nach § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 2 AO zuständig gewesen sei. Der § 15 BHG setze aber die Zuständigkeit eines FA in Berlin (West) für die Besteuerung nach dem Umsatz am Ende des Veranlagungszeitraums voraus. Zwar bestimme § 15 BHG nicht ausdrücklich das Ende des Kalenderjahrs als maßgeblichen Zeitpunkt für die Gewährung des erhöhten Freibetrags. Da nach § 7a UStG 1951 das Ende des Kalenderjahrs allgemein maßgebender Zeitpunkt für die Entstehung des Anspruchs auf den Umsatzsteuer-Freibetrag sei (Urteil des BFH V 17/58 vom 17. Dezember 1959, StRK, Umsatzsteuergesetz, § 7a, Rechtsspruch 2), müsse das Ende des Kalenderjahrs auch maßgebend für die Entstehung des Anspruchs auf den erhöhten Freibetrag sein. Nur diese Auslegung, die auch das Landesfinanzamt (LFA) Berlin in der Verfügung S 4208-2/64 vom 17. Januar 1964 (UStR 1964, 236) vertreten habe, lasse sich mit dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des BHG vereinbaren, das nicht nur Berliner Betriebe und Unternehmer fördern, sondern sie auch für Berlin erhalten wolle.

Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Steuerpflichtige unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die nach Einführung der FGO (1. Januar 1966) als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Nach § 15 BHG ist § 7a UStG 1951 bei Unternehmen, für deren Besteuerung nach dem Umsatz ein FA in Berlin (West) zuständig ist (§ 73 Abs. 4 AO), mit der Maßgabe anzuwenden, daß von den steuerpflichtigen Umsätzen aus freiberuflicher Tätigkeit ein Betrag von 50 000 DM abgesetzt werden kann. Der § 15 BHG ist nicht - wie der Steuerpflichtige in der Revisionsbegründung meint - "eindeutig klar". Es mag sein, daß man den Wortlaut wie der Steuerpflichtige auslegen kann. Der Steuerpflichtige kommt zu dem Ergebnis, das für die Besteuerung nach dem Umsatz zuständige FA im Sinne des § 15 BHG könne nur das die Veranlagung durchführende FA sein. Es veranlage auch für Zeiträume, für die andere FÄ zuständig gewesen seien. Demgegenüber läßt sich nach dem Wortlaut des Textes auch die Ansicht vertreten, die Zuständigkeit eines FA in Berlin (West) müsse während des Veranlagungszeitraums gegeben gewesen sein, für den der erhöhte Umsatzsteuer-Freibetrag begehrt wird. Diese Auslegung liegt deshalb nahe, weil im Gesetzestext die Worte "zuständig ist" (Gegenwartsform) verwendet werden. Bezeichnet ein Steuergesetz die Voraussetzungen seiner Anwendung in der Gegenwartsform, müssen grundsätzlich die Voraussetzungen in dem Veranlagungszeitraum erfüllt sein, für den das Gesetz angewandt werden soll. Sollen die Voraussetzungen eines anderen Veranlagungszeitraums vorliegen, läßt sich das aus dem Gesetz deutlich erkennen (z. B. § 7 Abs. 3 UStG 1951, Umfang der Großhandelslieferungen im vorausgegangenen Kalenderjahr). Bei dieser sich ebenfalls aus dem Wortlaut des § 15 BHG ergebenden Auslegung scheidet die Möglichkeit aus, dem Steuerpflichtigen allein deshalb den erhöhten Freibetrag für den Veranlagungszeitraum 1962 zu gewähren, weil er wegen seiner Rückkehr nach Berlin (West) im Jahr 1963 durch ein FA in Berlin (West) für den Veranlagungszeitraum 1962 veranlagt worden ist.

Der Senat gibt der letzgenannten, auf Grund des Gesetzeswortlauts möglichen Auslegung den Vorzug, weil für sie der Zweck des Gesetzes spricht. Der allgemeine Zweck des BHG besteht darin, die zusätzlichen Belastungen auszugleichen, die ein Unternehmer durch seine Tätigkeit in Berlin auf sich genommen hat (siehe George, Berliner Steuerpräferenzen, 3. Aufl. 1966, 30 zu § 1 BHG). Hinzu kommt, daß die Erhöhung des Freibetrages nach § 7a UStG 1951 durch das BHG der Stärkung der mittelständischen Unternehmen, die eine besondere Bedeutung in der Berliner Wirtschaft haben, dienen soll (Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BHG vom 30. Mai 1962, Bundestags-Drucksache IV/435 zu Art. 1 Nr. 9, betreffend den § 13 des Gesetzentwurfs, der als § 15 Gesetz geworden ist). Diese Zwekke werden stets erreicht, wenn ein FA in Berlin (West) während des Veranlagungszeitraums zuständig war, für den die Begünstigung begehrt wird, weil der Unternehmer dann auch seine unternehmerische Tätigkeit in Berlin (West) ausgeübt haben muß. Andererseits kann die erstgenannte - vom Steuerpflichtigen vertretene - Auslegung dazu führen, daß der erhöhte Freibetrag nach Berlin (West) zuziehenden Unternehmern gewährt wird, obwohl sie während des ganzen Veranlagungszeitraums nicht in Berlin (West) tätig gewesen sind; dagegen können aus Berlin (West) fortziehende Unternehmer den erhöhten Freibetrag nicht erhalten, wenn sie während des ganzen Veranlagungszeitraums ihre Tätigkeit in Berlin (West) ausgeübt haben.

Der Zweck des § 15 BHG würde demnach nicht dazu nötigen, mit dem FG und der Verfügung des LFA Berlin S 4208-2/64 vom 17. Januar 1964 (a. a. O.) das Ende des Kalenderjahres als den maßgebenden Zeitpunkt für die Gewährung des erhöhten Freibetrages anzusehen. Die Wahl dieses Zeitpunktes gebietet jedoch die enge Verbindung des § 15 BHG mit dem § 7a UStG 1951. Die durch § 7a UStG 1951 Unternehmern mit geringen Umsätzen gewährte steuerliche Entlastung soll erst am Ende eines Veranlagungszeitraums wirksam werden (BFH-Urteil V 17/58 vom 17. Dezember 1959, a. a. O.). Der § 7a UStG 1951 knüpft die Entlastung an eine Umsatzgrenze. Erst am Ende des Veranlagungszeitraums kann festgestellt werden, ob diese Umsatzgrenze nicht überschritten worden ist. Sie wird durch den Gesamtumsatz eines Jahres bestimmt. Der Gesamtumsatz ist nach § 13 Abs. 1 UStDB 1951 aus allen steuerpflichtigen und allen steuerfreien Lieferungen und Leistungen zu bilden (BFH-Urteil V R 128/66 vom 27. Juni 1968, Abschnitt 3, BFH 92, 144, BStBl II 1968, 488). Seinen Gesamtumsatz hat ein Unternehmer erst am Ende eines Kalenderjahres erzielt.

Hilfsweise begehrt der Steuerpflichtige die Gewährung eines anteiligen erhöhten Freibetrages entsprechend seiner zehnmonatigen unternehmerischen Tätigkeit in Berlin (West). Diesem Hilfsantrag kann nicht stattgegeben werden. Maßgeblich sind hierfür die im vorstehenden Absatz genannten Gründe, die die Wahl eines anderen Tages für die Zuständigkeit des FA in Berlin (West) als des letzten im Veranlagungszeitraum ausschließen. Hinzu kommt, daß eine Aufteilung des erhöhten Freibetrages nicht möglich ist, weil sonst entgegen dem Wortlaut und der Systematik des § 7a UStG 1951 nicht vom Gesamtumsatz, sondern von den Umsätzen einzelner Tätigkeiten ausgegangen würde. Weder der § 7a UStG 1951 noch der § 15 BHG sehen eine Aufteilung des Freibetrages vor. Abgesehen von der im Streitfall nicht in Betracht kommenden Milderungsregelung des § 57a UStDB 1951 wird der Umsatzsteuer-Freibetrag entweder bei Erfüllung der Voraussetzungen ganz oder gar nicht von den steuerpflichtigen Umsätzen abgesetzt. Bei dem Freibetrag handelt es sich um eine Subvention über die Steuer (Eckhardt-Schettler, Umsatzsteuer, 8. Aufl. 1964 S. 147), die das Gesetz an einen Jahresumsatz knüpft. Die Gerichte sind nicht befugt, ähnlich wie § 57a UStDB 1951 bei Überschreiten der Grenze von 120 000 DM für die Anwendung des § 15 BHG eine Milderungsregelung zu schaffen, wenn sich beim Wegzug eines Unternehmers aus Berlin (West) kurz vor dem Jahresende Härten ergeben. Die Revision des Steuerpflichtigen muß daher als unbegründet zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

BStBl II 1969, 62

BFHE 1968, 529

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