Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung für USt-Vorauszahlungen

 

Leitsatz (NV)

Eine Haftung des GmbH-Geschäftsführers für nicht ordnungsgemäß erbrachte Umsatzsteuervorauszahlungen der GmbH kommt nicht in Betracht, wenn sich der Geschäftsführer bei Fälligkeit der Vorauszahlungen in entschuldbarem Rechtsirrtum über die Steuerschuld befunden hat.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 69, 34; UStG § 18

 

Tatbestand

Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Gegenstand des Unternehmens war die Erstellung schlüsselfertiger Wohngebäude. Die GmbH hatte mit den Umsatzsteuer-Voranmeldungen 1977 einen Gesamtumsatz von 141 138 DM vorangemeldet. Hauptauftraggeber der GmbH war die Gesellschaft für Hausbaufinanzierung (G) mit einem Auftragsvolumen von 480 000 DM.

Die von dieser Gesellschaft in Auftrag gegebenen Bauten wurden während des Jahres 1977 nur noch zum Teil fertiggestellt. Die vom Kläger nach Einstellung seiner Tätigkeit für die G selbst erstellten bzw. veranlaßten Schlußabrechnungen datieren vom Juli 1977. Die der G gegenüber geltend gemachten Abschlußzahlungen betrugen insgesamt 80 000 DM.

Diese Restforderung wurde in den Folgejahren nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zunächst auf 60 000 DM, schließlich auf 5 000 DM herabgesetzt.

Den aus den Schlußrechnungen ermittelten Gesamtumsatz hat die GmbH zum weitaus überwiegenden Teil (mit 460 000 DM) erst im Rahmen der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1977 angemeldet, die am 10. April 1979 beim FA eingegangen ist. Die sich hieraus nach der Veranlagung ergebende Abschlußzahlung in Höhe von 35 000 DM hat die GmbH nicht mehr an das FA abgeführt. Am 30. Mai 1979 stellte der Kläger den Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH, der mangels einer die Kosten des Konkursverfahrens deckenden Konkursmasse abgelehnt wurde.

Mit Bescheid vom Januar 1980 zog das FA den Kläger zur Haftung für die rückständige Umsatzsteuer-Abschlußzahlung 1977 von 35 000 DM und für die in der Zeit vom 10. Mai 1979 bis zum 10. Januar 1980 angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von 5 000 DM heran.

Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hat das FG die Haftsumme auf 29 000 DM herabgesetzt und im übrigen die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt:

Der Kläger hafte dem Grunde nach als GmbH-Geschäftsführer für die rückständige Abschlußzahlung 1977. Aus der Haftsumme herauszunehmen seien allerdings die auf den ausgefallenen Rechnungsbetrag von . . . DM (G) entfallende Umsatzsteuer von . . . DM (11 v. H. von . . . DM) sowie die Säumniszuschläge. Es verbleibe dann eine Haftsumme von 29 000 DM.

Für diese Haftsumme habe der Kläger aufzukommen, weil er die im Jahr 1977 von der GmbH erbrachten Leistungen - insbesondere diejenigen an die G - nicht in vollem Umfang in die Voranmeldungen 1977 aufgenommen und dementsprechend auch keine Vorauszahlungen erbracht habe. Das FG gehe dabei davon aus, daß der G die Verfügungsmacht über die - teils fertigen, teils halbfertigen - Gebäude spätestens bei der Erstellung der Schlußrechnungen (im Juli 1977) eingeräumt worden und damit die umsatzsteuerrechtliche Leistung von der GmbH erbracht gewesen sei.

Damit sei die Umsatzsteuerschuld für diese Leistungen entstanden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG 1975). Die Nichtangabe in den Voranmeldungen bzw. die Nichterbringung der Vorauszahlungen im Jahr 1977 sei auch schuldhaft gewesen. Der Kläger hätte hinsichtlich der Entstehung der Umsatzsteuerschuld und der sich hieraus ergebenden steuerlichen Pflichten entsprechende Erkundigungen einholen müssen, zumal diese Frage in der Baubranche Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen sei (Hinweis auf Merkblatt über die Sollbesteuerung in der Bauwirtschaft vom Juli 1972, USt-Handausgabe 1977 unter § 33 Abschn. D Ziffer 6).

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Er rügt Verfahrensmängel wegen unzureichender Sachaufklärung und fehlerhafte Anwendung der §§ 69, 34 AO 1977.

Die unzureichende Sachaufklärung erblickt der Kläger darin, daß das FG der Frage des Verschuldens nur unzulänglich nachgegangen sei, nachdem die GmbH zur Zahlung der Umsatzsteuer bereits im Jahr 1977 nicht mehr in vollem Umfang in der Lage gewesen sei. Vor allem aber - und dieser Gesichtspunkt sei letztlich entscheidend - seien die Umsatzsteuer-(Vorauszahlungs-)schulden zu den Vorauszahlungszeitpunkten des Jahres 1977 noch nicht fällig gewesen. Die Hauptabnehmerin - die G - habe die Verfügungsmacht an den - teils fertigen, teils halbfertigen - Gebäuden nicht im Jahr 1977 eingeräumt erhalten. Damit sei die Umsatzsteuer im Jahr 1977 noch nicht entstanden, geschweige fällig gewesen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

11. Der Haftungsfall betrifft die Umsatzsteuernachzahlung für das Jahr 1977, die wegen der erstmals am 10. April 1979 eingereichten Umsatzsteuererklärung 1977 am 10. Mai 1979 fällig geworden ist (§ 18 Abs. 4 Satz 1 UStG 1975). In diesem Zeitpunkt war die GmbH, wie sich aus der Ablehnung der Konkurseröffnung mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Konkursmasse im Mai 1979 ergibt, wegen Fehlens ausreichender Mittel nicht mehr in der Lage, die Umsatzsteuerschuld wegzufertigen. Auch eine nur anteilige, d. h. in etwa gleichmäßige Tilgung der Umsatzsteuer - bezogen auf die Tilgung anderer Zahlungsverpflichtungen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172) - kam zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht. Denn eine Tilgung von Verbindlichkeiten - gleich welcher Art - liegt nicht mehr in Bereich des Möglichen, wenn aus der Konkursmasse nicht einmal die Kosten des Konkursverfahrens, nämlich die Gerichtskosten und die Verwaltungskosten (§ 58 Nr. 1 und 2 KO), gedeckt werden können (vgl. Böhle-Stamschräder / Kilger, Konkursordnung, 14. Aufl., Anm. 1 zu § 107 KO).

2. Eine Haftung für die Umsatzsteuernachzahlung 1977 - wenn auch nur teilweise (hier in Höhe von 29 000 DM) - käme daher nur in Betracht, wenn die Nachzahlung darauf zurückzuführen wäre, daß die Umsatzsteuervoranmeldungen im Jahr 1977 nicht ordnungsgemäß abgegeben sowie die Umsatzsteuervorauszahlungen nicht in der geschuldeten Höhe erbracht wurden und - also kumulativ - dieserhalb dem Kläger als Geschäftsführer der GmbH eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung (§ 69 Satz 1 AO 1977) anzulasten wäre. Das ist, entgegen der Auffassung der Verwaltung und - teilweise des FG - hier nicht der Fall.

Aufgrund der revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) hat der erkennende Senat davon auszugehen, daß die Bauleistungen der GmbH gegenüber der G, deren Gesamtvolumen 480 000 DM betrug - und aus denen die Nachzahlungsschuld im wesentlichen resultiert -, im Jahr 1977 nicht in dem vorgesehenen Umfang erbracht worden sind. Dies hatte zur Folge, daß die Abschlußforderung der GmbH an die G, die die GmbH ursprünglich mit rd. 80 000 DM in Rechnung gestellt hatte, nach längeren Streitigkeiten mit der G und Einholung eines Sachverständigengutachtens später auf 5 000 DM reduziert werden mußte. Den Feststellungen des FG ist zu entnehmen, daß die Reduzierung der Schlußrechnung der GmbH an die G ihren Grund im wesentlichen darin hatte, daß die ,,schlüsselfertig" zu erstellenden Gebäude nicht fertiggestellt worden waren. In diesem Fall bestehen sogar Zweifel, ob wegen Nichtvollendung der übernommenen Werklieferungen im Jahr 1977 überhaupt eine Steuerschuld entstanden ist. Das FG hat zwar festgestellt, daß in diesem Jahr die Verfügungsmacht an den Gebäuden an die G übertragen wurde. Aber selbst wenn der erkennende Senat insoweit an die Feststellungen des FG gebunden wäre (§ 118 Abs. 2 FGO), ergibt sich hieraus noch nicht, daß der Kläger als Geschäftsführer der GmbH schuldhaft i. S. von § 69 Satz 1 AO 1977 gehandelt hat. Denn der Kläger konnte unter Zugrundelegung des von dem FG in Bezug genommenen Merkblattes über die Sollbesteuerung in der Bauwirtschaft (USt-Handausgabe der Finanzverwaltung unter § 13 Buchst. D Ziff. 6) davon ausgehen, daß zur Verschaffung der Verfügungsmacht an den Gebäuden auch deren Abnahme durch den Auftraggeber, die G, erforderlich sei. Er konnte weiter davon ausgehen, daß eine solche Abnahme hier im Jahr 1977 nicht stattgefunden hat, nachdem die G die Schlußrechnung der GmbH nicht anerkannt und sogar an diese zurückgeschickt hatte.

Das FG sieht das grob fahrlässige Verschulden des Klägers darin, daß dieser sich nicht ausreichend über den umsatzsteuerrechtlichen Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht unterrichtet habe. Es geht damit selbst von einem Rechtsirrtum des Klägers aus, den es aber nicht für entschuldbar hält. Diesem Standpunkt schließt sich der erkennende Senat im letzteren Punkt nicht an. Denn der Kläger brauchte - wie bereits ausgeführt - auch unter Zugrundelegung des vom FG zitierten Merkblattes über die Sollbesteuerung in der Bauwirtschaft nicht davon ausgehen, daß seine Werklieferungen (schlüsselfertige Gebäude) bereits im Jahr 1977 ausgeführt waren und die hierauf entfallende Umsatzsteuer bereits 1977 entstanden war. Es liegt insoweit ein Rechtsirrtum vor, hinsichtlich dessen jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit i. S. von § 69 Satz 1 AO 1977 gegeben ist.

3. In Zusammenfassung der vorstehenden Ausführungen kann dem Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH wegen Nichtangabe der Anzahlungen in den Voranmeldungen und wegen Nichterbringung von Vorauszahlungen keine schuldhafte Pflichtverletzung nach § 69 AO 1977 angelastet werden. Der Fall ist insofern vergleichbar mit demjenigen des Urteils des BFH vom 18. September 1981 VI R 44/77 (BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801; vgl. auch Urteil des BFH vom 5. März 1985 VII R 131/80 BFH / NV 1987, 5).

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 625

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