Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltszahlungen an im Ausland lebende unterhaltsberechtigte Personen

 

Leitsatz (NV)

Bei der Berechnung der sog. Opfergrenze (vgl. BFH-Urteil vom 4. April 1986 III R 245/83, BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852) ist das Nettoeinkommen zugrunde zu legen, das dem Unterhaltspflichtigen in dem entsprechenden Unterstützungszeitraum zur Bestreitung des Lebensbedarfs zur Verfügung stand.

 

Normenkette

EStG 1985 § 33a Abs. 1

 

Tatbestand

Der nicht verheiratete Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog im Streitjahr (1985) einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 15 798 DM, und zwar für die Zeit vom 8. August bis 31. Dezember. Während der Monate Januar bis 7. August war er krank. Das Krankengeld für diese Zeit wurde ihm erst im Juni 1988 nach einem längeren Rechtsstreit ausgezahlt. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich machte der Kläger Unterhaltsleistungen für seine nichteheliche Tochter und seine in Griechenland lebenden Eltern geltend. Er wies durch Posteinlieferungsscheine nach, daß er am 30. August, am 30. September, 31. Oktober und 29. November insgesamt 4 150 DM an die Eltern gezahlt hatte. Außerdem legte er Unterhaltsbescheinigungen vor, aus denen sich die Bedürftigkeit der Eltern ergibt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) berücksichtigte die Unterhaltszahlungen an die uneheliche Tochter in Höhe von 600 DM gemäß § 33 a Abs. 1 a des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG 1985) als außergewöhnliche Belastung, den an die Eltern gezahlten Unterhalt jedoch nur in Höhe von 1 290 DM, und zwar mit der Begründung, die weiteren Zahlungen überstiegen die sog. Opfergrenze. Diese hatte das FA mit 11 v. H. des Nettoeinkommens in Höhe von 11 722 DM errechnet. Das Nettoeinkommen ermittelte das FA aus dem Bruttolohn (15 798 DM), der Arbeitnehmersparzulage (42 DM), dem Kurzarbeitergeld (323 DM) und einer Steuererstattung (1 226 DM). Als Abzüge berücksichtigte es die Lohnsteuer (2 846 DM) und die Sozialversicherungsbeiträge (2 821 DM).

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) u. a. wie folgt: Ein Steuerpflichtiger sei nur insoweit rechtlich, sittlich oder tatsächlich zu Unterhaltsleistungen verpflichtet, als diese in einem vernünftigen Verhältnis zu seinem Einkommen stünden und ihm nach Abzug der Unterhaltsleistungen genügend Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs für sich und seine Familie verblieben. Nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 27. Juli 1984 IV B 6 -- S 2252 -- 16/84 (BStBl I 1984, 402) seien Unterhaltsleistungen im allgemeinen höchstens insoweit als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen, als sie einen bestimmten Vomhundertsatz des Nettoeinkommens nicht überstiegen (Opfergrenze). Die Berechnung der sog. Opfergrenze nach dem BMF-Schreiben sei als zutreffende norminterpretierende Verwaltungsregelung auch von den Gerichten zu beachten (BFH-Urteil vom 4. April 1986 III R 245/83, BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852).

Die vom FA berücksichtigte Opfergrenze in Höhe von 1 290 DM sei demnach eher zu hoch als zu niedrig berechnet, da weder die Werbungskosten des Klägers noch die Unterhaltsleistungen an die Tochter mindernd angesetzt worden seien.

Es sei unerheblich, ob der Kläger während des ganzen Streitjahres Gehalt bezogen habe oder nicht. Denn für die Berechnung der Opfergrenze sei das Jahreseinkommen des Steuerpflichtigen maßgebend. Das Jahreseinkommen sei nicht nur Besteuerungsgrundlage für die Einkommensteuer, sondern auch für die Frage maßgebend, ob die Unterhaltsleistungen in einem vernünftigen Verhältnis zu den Einkünften des Steuerpflichtigen stehen und ihm nach Abzug der Unterhaltsleistungen genügend Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs verbleiben. Die vom Kläger begehrte Hochrechnung des Einkommens für fünf Monate auf ein fiktives Jahreseinkommen würde unberücksichtigt lassen, daß der Kläger im Streitjahr während der ersten Monate tatsächlich keine Einkünfte gehabt habe, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Nachzahlung des Krankengeldes im Jahre 1988 sei nicht zu berücksichtigen, da es dem Kläger im Streitjahr nicht zur Verfügung gestanden habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision, mit der der Kläger die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er trägt u. a. vor: Er sei in der Zeit von Januar bis Anfang August infolge einer Erkrankung ohne Einkommen gewesen, so daß er die Unterhaltsleistungen an seine in Griechenland lebenden Eltern erst Ende August habe wieder aufnehmen können. Die erste Zahlung habe er am 30. August geleistet, die weiteren Zahlungen in den folgenden Monaten. Da die Unterhaltsleistungen in den Monaten erbracht worden seien, in denen er Lohn bezogen habe, könne für die Berechnung der Opfergrenze auch nur dieser Zeitraum in Betracht kommen. Denn nur während dieser Zeit sei "geopfert" worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Abänderung des geänderten Jahresausgleichsbescheides für 1985 über Lohnsteuer vom 11. November 1992 zusätzliche Unterhaltsaufwendungen in Höhe von 1 710 DM als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise: die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und zum Teil auch begründet.

Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, daß Maßstab für die Berechnung der sog. Opfergrenze das Jahreseinkommen des Klägers und nicht nur sein auf die Unterstützungsmonate entfallendes Einkommen ist.

Aufwendungen für den Unterhalt von Personen, für die ein Anspruch auf Kindergeld nicht besteht, sind unter weiteren Voraussetzungen bis zu einer bestimmten Höhe als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn sie dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen (§ 33 a Abs. 1 EStG 1985). Unterhaltsaufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 a Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG 1985). Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, daß Aufwendungen für den Unterhalt von anderen Personen als dem Ehegatten und den Kindern des Unterhaltsleistenden im allgemeinen nur insoweit als zwangsläufig angesehen werden können, als sie in einem angemessenen Verhältnis zum Einkommen des Leistenden stehen und diesem nach ihrem Abzug noch genügend Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs für sich und ggf. für seinen Ehepartner und seine Kinder verbleiben (sog. Opfergrenze vgl. BFH-Urteile in BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852; vom 30. Juni 1989 III R 258/83, BFHE 157, 422, BStBl II 1989, 1009, und vom 30. Juni 1989 III R 149/85, BFH/NV 1990, 225).

Der erkennende Senat hat die Berechtigung, eine Opfergrenze zu ziehen, aus § 1603 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hergeleitet. Nach dieser Vorschrift ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren. Bei der Berechnung dieser Opfergrenze ist Tz. 2.5.2 des BMF-Schreibens in BStBl I 1984, 402 als norminterpretierende Verwaltungsanweisung zu beachten. Danach beträgt die Opfergrenze für den Steuerpflichtigen 1 v. H. je volle 1 000 DM des Nettoein kommens, höchstens 50 v. H. Dieser Vomhundertsatz ist um je fünf Punkte für den Ehepartner und jedes Kind zu kürzen, höchstens um 25 Punkte.

Entgegen der Auffassung des FG kann in einem Fall, in dem -- wie im Streitfall -- eine Unterhaltsverpflichtung nicht während des gesamten Veranlagungszeitraumes bestand, für die Berechnung der Opfergrenze nur auf das Einkommen abgestellt werden, das auf die Zeit der Unterstützungsverpflichtung entfällt, die sich im Streitfall mit dem Unterstützungszeitraum deckt. Die Frage, wie der angemessene Unterhalt i. S. des § 1603 Abs. 1 BGB zu berechnen ist, der dem Unterhaltspflichtigen verbleiben muß, steht zwar im Zusammenhang mit der Höhe seines Einkommens. Sie kann sich jedoch nicht für den Zeitraum stellen, in dem keine Einkünfte oder Bezüge angefallen sind. Denn während eines solchen Zeitraums besteht regelmäßig keine Unterhaltsverpflichtung. Jede Unterhaltspflicht findet dort ihre Grenze, wo dem Betroffenen nicht die Mittel für den eigenen notwendigen Lebensbedarf verbleiben (vgl. Palandt/Diedrichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl., § 1603 Rn. 8, m. w. N.). Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit müssen jeweils zeitgleich in dem Zeitraum bestehen, für den Unterhalt verlangt wird, so daß die Höhe des Unterhalts für einen zurückliegenden Zeitraum durch eine später eintretende Leistungssteigerung nicht mehr beeinflußt werden kann (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. Oktober 1984 VI b ZR 43/83, Neue Juristische Wochenschrift 1985, 486).

Daraus folgt, daß für die Berechnung der Opfergrenze nur das Nettoeinkommen zugrunde gelegt werden kann, das dem Unterhaltspflichtigen in dem entsprechenden Unterstützungszeitraum zur Bestreitung des Lebensbedarfs zur Verfügung steht (Monatsprinzip). Um die in Tz. 2.5.2 des BMF- Schreibens in BStBl I 1984, 402 genannten Regelungen zur Bestimmung der Opfergrenze anwenden zu können, sind aber die entsprechenden tatsächlichen Bezüge auf ein fiktives Jahreseinkommen hochzurechnen. Im Streitfall hatte der Kläger nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG in der Zeit vom 1. Januar bis 7. August wegen einer Erkrankung keine Lohneinkünfte. Das auf diesen Zeitraum entfallende Krankengeld wurde erst nach Ablauf des Streitjahres gezahlt. Die monatlichen Zahlungen an die bedürftigen Eltern erfolgten alsbald nach Wiederaufnahme der Tätigkeit im August.

Die Vorentscheidung war aufzuheben, denn das FG ist von anderen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen. Die Streitsache ist entscheidungsreif. Der Senat kann daher in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Da sich die in Tz. 2.5.2 des BMF-Schreibens in BStBl I 1984, 402 genannten Rechengrößen (Vomhundertsätze) auf ein Jahresnettoeinkommen beziehen, ist das von dem Kläger in den Monaten August bis Dezember erwirtschaftete Nettoeinkommen in Höhe von 11 722 DM auf 28 133 DM (11 722 : 5 x 12) hochzurechnen. Unter Zugrundelegung des so ermittelten Jahresnettoeinkommens beträgt die sog. Opfergrenze bei dem ledigen Kläger unter Berücksichtigung der unehelichen Tochter, für die er einen (halben) Kinderfreibetrag erhält, 23 v. H. (1 v. H. je volle 1 000 DM ./. 5 v. H. für die Tochter), also 6 440 DM. Da das Nettoeinkommen jedoch nur innerhalb von fünf Monaten erzielt wurde, die auch den Unterstützungszeitraum umfassen, beträgt die Opfergrenze nur 2 683 DM (6 440 : 12 x 5). Die von dem Kläger geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 3 000 DM sind daher nur in Höhe von 2 683 DM zu berücksichtigen. Im übrigen ist die Klage abzuweisen.

Die Jahreslohnsteuer für das Streitjahr errechnet sich demnach wie folgt:

Zu versteuerndes Einkommen lt. Bescheid vom 11. November 1992 7 957 DM

./. Erhöhung des Freibetrags nach § 33 a Abs. 1 EStG 1 393 DM

zu versteuerndes Einkommen lt. Entscheidung des Senats 6 564 DM

zu versteuern mit Progressionsvorbehalt nach der Grundtabelle mit 8,80341 v. H. ergibt Jahreslohnsteuer575 DM

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 221

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