Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Verzichtet der Steuerpflichtige in der Steueranmeldung nach § 5 SüßstDB auf einen Steuerbescheid, kann hierin nur ein Verzicht auf die ausdrückliche Bekanntgabe der Steuerfestsetzung gesehen werden. In einem solchen Fall ist in der der Anmeldung entsprechenden Festsetzung der Steuer durch die zuständige Zollstelle nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SüßstDB ein formloser Steuerbescheid zu erblicken.

Ein Rechtsmittelverzicht, den der Steuerpflichtige für den Fall erklärt, daß die Steuerschuld seinen Angaben entsprechend festgesetzt wird, ist in der in Muster 1 zu § 5 SüßstDB vorgesehenen Form wirksam.

 

Normenkette

AO §§ 212, 248, 235/1

 

Gründe

Die Bfin. erstrebt eine Rückzahlung von ihr als Süßstoffsteuer gezahlter Beträge. Eine Rückgewähr geleisteter Zahlungen könnte sie ohne weiteres nur verlangen, wenn sie Zahlungen geleistet hätte, obwohl Steuerschulden in entsprechender Höhe nicht entstanden waren und Steuerfestsetzungen nicht vorlagen. Ist jedoch eine Steuer festgesetzt worden, dann ist als Folge der materiellen Rechtskraftwirkung der Steuerfestsetzung, wie sich aus § 151 AO ergibt, ein Erstattungsanspruch nur gegeben, wenn die Steuerfestsetzung durch Aufhebung, Rücknahme oder änderung des früher erlassenen Bescheides berichtigt wurde. Gegen eine gleichzeitige Geltendmachung des Berichtigungs- und Erstattungsbegehrens bestehen gleichwohl nach Auffassung des Senats keine Bedenken verfahrensrechtlicher Art.

Entgegen der Meinung der Bfin. fehlt es im Streitfall an Steuerfestsetzungen und Bescheiden darüber nicht. Zwar hat sich das Verfahren in der Weise abgespielt, daß die Bfin. ihre Steueranmeldungen jeweils nach § 5 der Durchführungsbestimmungen zum Süßstoffgesetz (SüßstDB) 1939 in der Fassung der Verordnung über vereinfachte Erhebung von Verbrauchsteuern vom 5. Juni 1944 (Reichsministerialblatt - RMBl - S. 47) auf dem dafür vorgeschriebenen Muster 1 abgegeben und dabei entsprechend dem Vordruck auf einen Steuerbescheid und auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hat, wenn die Steuerschuld ihren Angaben entsprechend festgesetzt wird. Aus dieser Erklärung ist nicht zu entnehmen, daß sie auf einen Steuerbescheid schlechthin verzichtet hätte. Ihre Erklärung besagt vielmehr nur, daß die Bfin. bei Festsetzung der Steuer entsprechend ihren Angaben, die auch die Errechnung eines bestimmten Betrages enthielten, auf einen ausdrücklichen - schriftlichen oder mündlichen - Bescheid, genauer gesagt, auf die ausdrückliche Bekanntgabe der Steuerfestsetzung verzichtete. Wenn demgemäß Bescheide in dieser Form nicht erteilt wurden, folgt daraus nicht, daß es an Steuerfestsetzungen und Bescheiden darüber überhaupt fehlt.

Nach § 2 Abs. 1 des Süßstoffgesetzes (SüßstG) ist die Süßstoffsteuer eine Verbrauchsteuer im Sinne der AO. Sie gehört daher nicht zu den Steuern, für die nach § 210 b Abs. 1 AO der Steuerbescheid schriftlich zu erteilen ist. Auch das SüßstG schreibt einen schriftlichen Bescheid nicht vor. Ist aber ein förmlicher, das heißt schriftlicher Steuerbescheid nicht zu erteilen, so gilt nach § 212 AO als Steuerbescheid jede Willenskundgebung eines Finanzamts oder einer Hilfsstelle eines Finanzamts, mit der erstmalig ein bestimmter Betrag als Steuer von einer bestimmten Person sofort oder innerhalb einer bestimmten Frist behauptet wird. Ein solcher formloser Steuerbescheid kann nicht nur darin liegen, daß dem Abgabepflichtigen, wie es zum Beispiel in Fällen der Einfuhr von Waren geschieht, nach Beendigung der Zollabfertigung eine vorbereitete Zollquittung, die den Abfertigungsbefund und die Abgabenberechnung enthält, ausgehändigt wird, wobei die Aufforderung zur Zahlung des errechneten Betrages gemäß § 86 Abs. 1 des Zollgesetzes (ZG) mündlich ergeht (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Senats VII 10/59 U vom 1. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 355, Bundeszollblatt - BZBl - 1959 S. 510, Slg. Bd. 69 S. 247), sondern auch in anderen Willenskundgebungen der zuständigen Behörde. Als eine solche Willenskundgebung ist auch die von der Zollstelle in der Steueranmeldung entsprechend dem vom Abgabenschuldner errechneten und angemeldeten Betrag vorgenommene Steuerfestsetzung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SüßstDB anzusehen. Im Streitfalle hat das Zollamt auf den Steueranmeldungen der Bfin. für die Monate Dezember 1953 bis Oktober 1954 - mit Ausnahme der Anmeldung für den Monat Juli 1954 - jeweils die Steuer auf den von der Bfin. errechneten Betrag festgesetzt. Damit lagen für die Monate Dezember 1953 bis Juni 1954 und August bis Oktober 1954 formlose, und zwar nicht nur vorläufige, sondern endgültige Steuerbescheide vor. Für diese gilt das Folgende.

Der Einwand der Bfin., daß es an einer Bekanntgabe der zollamtlichen Steuerfestsetzungen im Sinne des § 91 AO mangele, geht fehl, da bei dem eingeschlagenen Verfahren die Bfin. für den Fall einer ihren Angaben entsprechenden Festsetzung auf eine ausdrückliche Bekanntgabe der Steuerfestsetzung verzichtet hatte. Durch die ausdrückliche Verzichtserklärung der Bfin. wurde die sonst nach § 91 AO erforderliche Bekanntgabe ersetzt.

Da also (endgültige) Steuerbescheide gegen die Bfin. ergangen sind, ist deren Berichtigung Voraussetzung für die Entstehung von Erstattungsansprüchen. Als Weg zur Erzielung einer solchen Berichtigung kommt ein Rechtsmittelverfahren gegen diese Bescheide nur dann in Betracht, wenn sie noch nicht rechtskräftig sind. Das wäre der Fall, wenn die von der Bfin. erklärten Rechtsmittelverzichte unwirksam wären und auch nicht aus einem anderen Grunde die Rechtskraft der Bescheide eingetreten wäre.

Ein Rechtsmittelverzicht nach § 248 AO ist auch schon zulässig, bevor die Steuerbehörde einen Steuerbescheid erlassen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind aber im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes des Steuerpflichtigen an einen solchen Verzicht strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Urteil IV 524/52 U vom 30. Juli 1953, BStBl 1953 III S. 288, Slg. Bd. 57 S. 760). Insbesondere muß der Steuerpflichtige, der den Verzicht unterschreibt, wissen, was er zu zahlen hat. Diese Voraussetzung ist im Streitfalle gegeben, denn die Bfin., die nicht nur die Menge des steuerpflichtigen Süßstoffs angegeben, sondern auch die Höhe der Steuerschuld berechnet hatte, verzichtete auf Rechtsmittel nur für den Fall, daß die Steuer entsprechend ihren Angaben festgesetzt würde. Sie begab sich also der Möglichkeit eines Rechtsmittels nur hinsichtlich des von ihr selbst angegebenen Betrages.

Die Bfin. hält die Rechtsmittelverzichte aus folgendem Grund für unwirksam. Nach der heutigen rechtsstaatlichen Auffassung müßten auch formlose Steuerbescheide mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen sein. Das ergebe sich aus § 21 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht (BVwGG) vom 23. September 1952 (BGBl 1952 I S. 625). Der Bundesminister der Finanzen habe auch seinerzeit das Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 30. September 1952, wonach die Belehrungspflicht für Bundesbehörden jeder Stufe gelte, seinerseits veröffentlicht. Die Belehrungspflicht sei jetzt aus den §§ 58, 59 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 21. Januar 1960 (BGBl 1960 I S. 17) zu entnehmen. Daß Steuerbescheide ohne Rechtsmittelbelehrung nicht rechtskräftig würden, gelte vor allem dann, wenn der Steuerpflichtige auf Rechtsmittel verzichten solle; der Verzicht sei ohne vorausgegangene Rechtsmittelbelehrung unwirksam.

Der erkennende Senat hat in seinem bereits erwähnten Urteil VII 10/59 U vom 1. Juli 1959, das nach Ansicht der Bfin. ebenfalls den genannten Gesetzesbestimmungen widerspricht, die Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung für Zollbescheide nach § 86 Abs. 1 ZG und damit für Eingangsabgabenbescheide überhaupt verneint, da sie zu den formlosen Steuerbescheiden nach § 212 AO gehören und für diese anders als für förmliche Steuerbescheide eine Rechtsmittelbelehrung nicht vorgesehen ist. Er ist insoweit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs in seinem amtlich nicht veröffentlichten Beschluß V z B 15/53 vom 10. September 1954 (abgedruckt in Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1955 S. 26) beigetreten, nach der die Bestimmungen des BVwGG über die Rechtsmittelbelehrung auf die mit der Beschwerde nach §§ 237, 303 AO anfechtbaren Verfügungen der Finanzbehörden, für die eine Rechtsmittelbelehrung in der AO nicht vorgesehen ist, nicht anwendbar sind. Der Senat hat ausgeführt, daß Gegenteiliges auch aus der Veröffentlichung des von der Bfin. genannten Rundschreibens nicht gefolgert werden könne, und auch aus irgendwelchen Vorschriften des Grundgesetzes (GG) nicht zu entnehmen sei, daß alle Verwaltungsakte, also auch solche des Steuerrechts abweichend von den Rechtsmittelbelehrungsvorschriften der AO mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen werden müßten. Gegenüber der zur Zeit des damaligen Urteils noch nicht erlassenen VwGO gilt das gleiche, was der Senat zum BVwGG ausgesprochen hat, nämlich, daß die AO ein Sonderrecht darstellt, das die Materie der Rechtsmittelbelehrung für ihren Bereich abschließend regelt, daß die Bestimmungen der AO über diesen Gegenstand auch nach Inkrafttreten des BVwGG ihre Sondergeltung behalten und daß der Gesetzgeber eine etwaige änderungsabsicht besonders hätte zum Ausdruck bringen müssen. Weiterhin ist - wie seinerzeit für § 21 BVwGG ausgeführt - schon aus der Stellung der §§ 58, 59 VwGO im 7. Abschn. des Gesetzes, der die allgemeinen Verfahrensvorschriften für das Verfahren vor den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit enthält, ersichtlich, daß die genannten Bestimmungen nur für solche Verwaltungsakte gelten sollen, die durch diese Gerichte nachgeprüft werden. Der Senat sieht schließlich auch angesichts der Ausführungen von Bachmayr, Steuer und Wirtschaft 1960 Sp. 747 ff., der die Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem Ordnungsprinzip der Rechtssicherheit und § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) herleiten will, keinen Anlaß, von seiner Rechtsauffassung abzugehen und verneint die Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung auch bei zulässigen formlosen Steuerbescheiden über Verbrauchsteuern, die nicht bei der Einfuhr der Erzeugnisse erhoben werden.

Es besteht erst recht kein Grund zu einer abweichenden Beurteilung im Fall eines Rechtsmittelverzichts. Die Erklärung eines solchen Verzichts zeigt nämlich, daß der Erklärende jedenfalls von der Möglichkeit des Rechtsmittels wußte. Geschieht die Erklärung in der Form, daß er den in einem Vordruck vorgesehenen Verzicht auf Rechtsmittel gegen einen Steuerbescheid unterschreibt, war er durch den vorgedruckten Text sogar besonders darauf aufmerksam gemacht, daß es gegen die Steuerfestsetzungen Rechtsmittel gibt. Durch seinen Verzicht auf ein mögliches Rechtsmittel entfällt für ihn ein rechtliches Interesse daran, Einzelheiten über Art. Form und Frist des Rechtsmittels zu erfahren. Es ist daher nicht einzusehen, daß durch das Fehlen einer ins einzelne gehenden Belehrung seine Belange in einer rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechenden Weise verletzt würden und infolgedessen dem Verzicht die Wirksamkeit abzusprechen wäre.

Bei grundsätzlicher Anerkennung der Zulässigkeit eines Verzichts auf Steuerbescheid und Rechtsmittel ist im Schrifttum (vgl. Frhr. v. Scheurl in "Der Betrieb" 1959 S. 1177) und kürzlich auch in der Rechtsprechung (vgl. Urteil des Finanzgerichts Hamburg III 19/59 vom 15. Juni 1960, abgedruckt in "Der Betrieb" 1960 S. 901; dazu Tipke, Umsatzsteuer-Rundschau 1960 S. 33) die Meinung vertreten worden, daß ein solcher Verzicht in der bei der Umsatzsteuer und der Zusatzsteuer üblichen Form unwirksam sei. Diese Auffassung gründet sich vor allem darauf, daß der Steuerpflichtige nach dem Formular für seine Steuererklärung auch Umsätze angeben müsse, die er vielleicht nicht für steuerpflichtig hält, daß er nicht nur tatsächliche Angaben zu machen habe, sondern die Tatsachen zur Errechnung der Steuerschuld auch rechtlich einzuordnen habe, daß ferner die Verzichtserklärung sich aus dem Gesamtinhalt des Vordrucks nicht genügend heraushebe, so daß ein übersehen oder ein falsches Einschätzen der Bedeutung jedenfalls beim Laien leicht möglich sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob die hinsichtlich der Umsatzsteuer und Zusatzsteuer a. a. O. vorgebrachten Gründe als durchgreifend anzuerkennen sind; auf das Verfahren bei der Süßstoffsteuer, um die es im vorliegenden Falle geht, treffen sie bei der wesentlich anderen Fassung des Anmeldeformulars und der viel einfacheren Gestaltung des Steuertatbestandes nicht zu.

Nach § 5 SüßstDB in der Fassung der Verordnung über vereinfachte Erhebung von Verbrauchsteuern vom 5. Juni 1944 hat der Steuerschuldner die Anmeldung zur Steuerfestsetzung nach Muster 1 einzureichen. Auf Seite 2 dieses Formulars hat er Gattung der Erzeugnisse, Eigengewicht, Gehalt an reinem Süßstoff und Menge des reinen Süßstoffs anzugeben, dahinter den Steuersatz je kg und den Steuerbetrag. Es handelt sich also einmal um rein tatsächliche Angaben, die dem Betriebsinhaber und ihm in erster Linie voll zugänglich sind. Steuersätze aber nennt § 3 SüßstG nur zwei, die sich nach der chemischen Beschaffenheit des Süßstoffs richten, die ebenfalls dem Betriebsinhaber am besten bekannt ist. Den zutreffenden Steuersatz zu wählen und auf Grund der Menge des reinen Süßstoffs den Steuerbetrag zu errechnen, bietet daher keinerlei nennenswerte Schwierigkeit. In Anbetracht dessen kann nicht gesagt werden, daß jemanden, der steuerrechtlich nicht besonders bewandert sei, damit zuviel zugemutet würde und deshalb Bedenken gegen die Wirksamkeit eines Verzichts auf einen Steuerbescheid und vor allem auf ein Rechtsmittel beständen. Zu unterschreiben hat der Steuerpflichtige auf der ersten Seite des Vordrucks außer der Erklärung, daß er den auf der Rückseite angegebenen Süßstoff zur Steuerfestsetzung anmeldet, und der Versicherung, daß kein anderer Süßstoff aus dem Herstellungsbetrieb entfernt ist, den Verzicht auf Steuerbescheid und Rechtsmittel. Dadurch, daß nur diese Erklärungen auf der ersten Seite stehen und der Steuerpflichtige seine Unterschrift unmittelbar unter den Verzicht zu setzen hat, besteht die Gefahr eines übersehens nicht. Auch die Bedeutung der vorgedruckten Verzichtserklärung geht aus ihrem Wortlaut in einer auch für den Laien verständlichen Weise hervor; für jeden Leser besteht kein Zweifel, daß der Steuerpflichtige sich im voraus gegenüber einer seinen Angaben entsprechenden steuerlichen Heranziehung jeder Einwendung begibt. Da unter diesen Umständen nicht die Befürchtung einer falschen Einschätzung des Rechtsmittelverzichts gegenüber den sich jeweils nur auf einen Monat erstreckenden Steuerfestsetzungen besteht, ergeben sich auch insofern keine Bedenken gegen die Wirksamkeit des Verzichts.

Nach alledem sind im Streitfalle die von der Bfin. erklärten Rechtsmittelverzichte wirksam; auch irgendein anderer Grund, der der Rechtskraft der Steuerbescheide entgegenstände, ist nicht ersichtlich. Daher scheidet eine änderung der gegen die Bfin. erlassenen Steuerbescheide im Rahmen eines gegen diese gerichteten Rechtsmittelverfahrens aus.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409956

BStBl III 1961, 146

BFHE 1961, 397

BFHE 72, 397

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