Leitsatz (amtlich)

Hat ein Versicherungsvertreter im Rahmen der Beendigung seines Vertragsverhältnisses wegen der von der Versicherungsgesellschaft erhobenen Ansprüche eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet und fällt der Grund für die Bildung dieser Rückstellung später auf Grund eines Vergleichs ganz oder teilweise weg, führt dies zu einem nachträglichen Gewinn aus der ehemaligen Tätigkeit.

 

Normenkette

EStG §§ 4, 15

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als selbständiger Hauptvertreter mit Untervertretern für die A-Versicherungs AG (A) tätig gewesen. Er hatte für die von seinen Untervertretern abgeschlossenen Verträge eine Superprovision bezogen.

Ende Februar 1963 hatte die A die Geschäftsbeziehungen zu dem Kläger abgebrochen und ihm angedroht, 13 000 DM einzuklagen. Sie hatte ihre Forderung mit der Stornierung zahlreicher Verträge infolge unkorrekten Verhaltens von Untervertretern begründet. Wegen der drohenden Inanspruchnahme hatte der Kläger in seinen Bilanzen ab 31. Dezember 1963 entsprechende Rückstellungen gebildet, die bis zum 31. Dezember 1965 auf 138 772,58 DM aufgelaufen waren. Als Forderung gegenüber den Untervertretern hatte der Kläger ab dem 31. Dezember 1969 unverändert 51 909,60 DM aktiviert. Die Rückstellungen hatten bei ihm zu Gewinnminderungen, Verlusten, Verlustausgleichen und Verlustabzügen geführt. Spätestens ab dem Jahre 1965 war der Kläger nicht mehr als Versicherungsvertreter tätig. Er führte die beiden Bilanzposten in den Bilanzen seines 1965 eröffneten Einzelhandelsbetriebs mit Zäunen und ab dem Jahr 1967 in denen seines heute noch bestehenden Fuhrgeschäfts weiter.

Im Jahr 1967 hatte die A Klage erhoben und beantragt, den Kläger zur Zahlung von 148 171,21 DM zuzüglich 8 v. H. Zinsen seit dem 9. Januar 1967 zu verurteilen. Am 11. Oktober 1971 schlossen die A und der Kläger vor dem Landgericht B einen Vergleich. Danach trat der Kläger seine Forderungen gegen die Untervertreter an die A ab, und die Parteien verzichteten auf weitere gegenseitige Ansprüche. Damit war der Rechtsstreit beendet.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erhöhte im Veranlagungszeitraum 1971 die Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach einer Betriebsprüfung wie folgt:

Verbindlichkeit A 138 772,58 DM

Forderung Vertreter 51 909,60 DM

Gewinn 86 862,98 DM

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat ausgeführt:

Der nachträgliche Gewinn ergebe sich aus dem Vermögensvergleich. Es sei nicht entscheidend, daß der Kläger die Bilanzposten nicht in der Bilanz seines Einzelhandelsgeschäfts hätte führen dürfen. Jedenfalls sei keine Handlung des Klägers seit 1965 festzustellen, die als Aufgabe der Versicherungsvertreter-Tätigkeit i. S. des § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unter gleichzeitiger Veräußerung und Entnahme des Betriebsvermögens ins Privatvermögen in einem einheitlichen Vorgang angesehen werden könne. Der Zivilprozeß mit der A habe vielmehr zu einer längerfristigen Abwicklung dieses Gewerbezweigs gedient, so daß die Rückstellung als Betriebsvermögen gerechtfertigt gewesen sei. Zum 31. Dezember 1971 hätten die beiden Posten nicht mehr bilanziert werden dürfen, weil sie durch den Vergleich vor dem Landgericht B erloschen seien. Daraus ergebe sich der vom FG errechnete Gewinn, der der Höhe nach nicht streitig sei.

§ 5 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) sei nicht anwendbar. Eine sachliche Härte liege im Streitfall nicht vor.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der sinngemäß die Aufhebung der Vorentscheidung und Herabsetzung der Einkommensteuer 1971 beantragt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

1. Soweit der Kläger Verfahrensfehler rügt, sind diese nicht begründet. Dazu bedarf es gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs keiner Ausführungen.

2. Ein Steuerpflichtiger, der seine gewerbliche Tätigkeit einstellt, kann wählen, ob er sein bisheriges Betriebsvermögen veräußern oder in sein Privatvermögen überführen will. Diese Wahl muß er eindeutig und klar zum Ausdruck bringen. Geschieht dies nicht, so ist in der Regel auch nach Einstellung der gewerblichen Tätigkeit das bisherige Betriebsvermögen so lange als Betriebsvermögen anzusehen, wie das rechtlich möglich ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. März 1964 IV 107/63 U, BFHE 79, 476, BStBl III 1964, 406; und vom 25. Juli 1972 VIII R 3/66, BFHE 106, 528, BStBl II 1972, 936).

Hat ein Versicherungsvertreter im Rahmen der Beendigung seines Vertretungsverhältnisses zu einer Versicherungsgesellschaft wegen der von dieser Versicherungsgesellschaft erhobenen Ansprüche eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet und fällt der Grund für die Bildung der Rückstellung später auf Grund eines Vergleichs ganz oder teilweise weg, führt dies zu einem nachträglichen Gewinn aus der ehemaligen Tätigkeit.

Zweifelhaft ist allerdings, ob der Gewinn nach Aufgabe des Betriebs durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG zu ermitteln ist, wie das FG meint. Der erkennende Senat hat die Frage bejaht (BFHE 106, 528, BStBl II 1972, 936), der I. Senat des BFH hat sie verneint (Urteil vom 22. Februar 1978 I R 137/74, BFHE 125, 42, BStBl II 1978, 430). Der Streitfall zwingt nicht zu abschließender Prüfung. Bei Ermittlung des Gewinns durch Vermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) ergibt sich der Gewinn von 86 862,98 DM dadurch, daß das Betriebsvermögen des Klägers zum 31. Dezember 1971 durch den Wegfall der Rückstellung um 138 772,58 DM höher und durch den Wegfall der Forderung um 51 909,60 DM niedriger war als am 31. Dezember 1970. Ist dagegen der Gewinn nach dem BFH-Urteil in BFHE 125, 42, BStBl II 1978, 430, "in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des § 4 Abs. 3 EStG" zu ermitteln, ist es - ähnlich wie beim Übergang vom Bestandsvergleich zur Einnahmeüberschußrechnung (vgl. Einkommensteuer-Richtlinien Abschn. 19) - zur vollständigen Erfassung des gesamten, während des Bestehens des Gewerbebetriebs erzielten Gewinns (Totalgewinn) erforderlich, den Wegfall bisher in der Bilanz ausgewiesener Verbindlichkeiten oder Rückstellungen als Entstehung oder Erhöhung eines nachträglichen Gewinns und den Wegfall bisher in der Bilanz ausgewiesener Forderungen als Minderung eines nachträglichen Gewinns oder Entstehung eines nachträglichen Verlustes zu behandeln.

Im vorliegenden Fall kann dabei dahingestellt bleiben, wann im einzelnen die Tätigkeit des Klägers als Versicherungsvertreter geendet und die davon zu unterscheidenden gewerblichen Tätigkeiten als Einzelhändler und später als Inhaber eines Fuhrgeschäfts begonnen haben. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist jedenfalls vor dem Veranlagungszeitraum 1971 die Rückstellung für die Verbindlichkeiten gegenüber der Versicherungsgesellschaft weder erfolgswirksam aufgelöst noch durch Zahlung oder ein anderes Ereignis weggefallen.

Die Auffassung des FG, daß die Verbindlichkeiten gegenüber der Versicherungsgesellschaft und die Forderungen aus der Vertretung zum 31. Dezember 1971 durch den Vergleich erloschen seien und ihr Wegfall infolgedessen in diesem Veranlagungszeitraum erfolgswirksam zu behandeln gewesen sei, erweist sich somit jedenfalls im Ergebnis als richtig.

Der Wegfall der Rückstellungen und der Forderungen wirkt auf den Gewinn früherer Jahre nicht zurück, ein Fall des § 5 StAnpG liegt nicht vor.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73416

BStBl II 1980, 186

BFHE 1980, 334

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