Leitsatz (amtlich)
Nach Veräußerung oder Aufgabe des gewerblichen Betriebs können bei der Ermittlung nachträglicher Einkünfte aus Gewerbebetrieb Rückstellungen für künftige Betriebsausgaben nicht mehr gebildet werden.
Normenkette
EStG §§ 4, 15-16, 24 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist bei den Einkommensteuerveranlagungen 1965 und 1966, ob nach Betriebsveräußerung Rückstellungen für aus dem veräußerten Betrieb stammende Verpflichtungen zulässig sind.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb auf eigenem Grundstück ein Handelsgeschäft. Er veräußerte mit notariellem Vertrag vom 21. August 1964 das Handelsgeschäft mit allen wesentlichen Betriebsgrundlagen mit Wirkung vom 30. September 1964. Von der Veräußerung waren ausgenommen das Betriebsgrundstück, die Forderungen und Verbindlichkeiten sowie der am 30. September 1964 vorhandene Warenbestand, den der Kläger dem Erwerber kommissionsweise zum Verkauf überließ. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1964 veräußerte der Kläger das Betriebsgrundstück an einen Dritten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bemaß die Einkommensteuer für den Veräußerungsgewinn bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1964 nach dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Für die Streitjahre 1965 und 1966 erklärte der Kläger Verluste aus Gewerbebetrieb in Höhe von 38 207 DM und 33 026 DM, die er durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt hatte. Er vertrat die Auffassung, daß er auch nach der Veräußerung seines Gewerbebetriebs berechtigt sei, zu bilanzieren und Rückstellungen für nach dem 30. September 1964 entstandene Verpflichtungen zu bilden, die noch auf seiner ehemaligen betrieblichen Tätigkeit beruhten.
Das FA erkannte die Rückstellungen für die Streitjahre nicht an. Es berücksichtigte als nachträgliche gewerbliche Verluste (§ 15 i. V. m. § 24 Nr. 2 EStG) nur die in den Streitjahren tatsächlich verausgabten Beträge, soweit nicht bereits entsprechende Rückstellungen für sie in der der Veräußerung zugrunde gelegten Bilanz zum 30. September 1964 gebildet waren.
Die Einsprüche blieben im Streitpunkt ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es ging davon aus, daß im Jahr 1964 eine Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG stattgefunden habe. Diese sei durch die Zurückbehaltung unwesentlicher Teile des Betriebsvermögens nicht ausgeschlossen (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. August 1965 IV 92/65, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966 S. 115 - HFR 1966, 115 -). Nach der Rechtsprechung habe der Steuerpflichtige ein Wahlrecht, ob er nichtmitveräußerte Wirtschaftsgüter weiterhin als Betriebsvermögen behandeln oder die in ihnen enthaltenen stillen Reserven durch Überführung in das Privatvermögen auflösen wolle (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 1972 VIII R 3/66, BFHE 106, 528, BStBl II 1972, 936), wobei allerdings im Fall der ersten Alternative Anhaltspunkte dafür vorhanden sein müßten, daß diese Wirtschaftsgüter bei nächster sich bietender Gelegenheit gewerblich verwertet werden sollen. Danach habe der Kläger die zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter in den Streitjahren als Betriebsvermögen behandeln können. Gleichwohl sei der Kläger nicht mehr berechtigt gewesen, zu bilanzieren und Rückstellungen für nach dem 30. September 1964 entstandene Verpflichtungen zu bilden. Nach der Betriebsveräußerung habe ein Betriebsvermögen, das Grundlage für einen Betriebsvermögensvergleich sein könnte, bei dem Kläger nicht mehr bestanden.
In seiner Revision beantragt der Kläger die Aufhebung der Vorentscheidung und die Änderung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide (in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 1./3. August 1973) dahin, daß Rückstellungen nach Maßgabe seiner Steuererklärungen anzuerkennen seien. Er rügt unrichtige Anwendung sachlichen Rechts. Die Rechtsprechung, nach welcher nichtmitveräußerte Wirtschaftsgüter noch als Betriebsvermögen zu behandeln seien, treffe um so mehr für negative Vermögensposten zu, die ihrer Natur nach mit der Veräußerung des Betriebs nicht erledigt sein könnten. Angesichts des Umfangs der von der Veräußerung ausgenommenen Wirtschaftsgüter liege kein Normalfall einer Betriebsveräußerung vor. Er gleiche einer Geschäftsaufgabe mit anschließender Abwicklung, für welche die Möglichkeit des periodischen Bestandsvergleichs gegeben sei. Der Kläger habe im übrigen alle Voraussetzungen für einen uneingeschränkten Bestandsvergleich über die Zeit seiner werbenden Tätigkeit hinaus erfüllt, vor allem seine ordnungsgemäße Buchführung fortgesetzt. Für die Zulässigkeit der in Anspruch genommenen Rückstellungen sprächen die Entscheidungen des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 11. Oktober 1934 VI A 1331/32 (RStBl 1935, 613) und das BFH-Urteil VIII R 3/66.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach der Veräußerung oder Aufgabe des gewerblichen Betriebs (§ 16 Abs. 1, 3 EStG) können bei der Ermittlung nachträglicher Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15, § 24 Nr. 2 EStG) Rückstellungen für künftige Betriebsausgaben nicht mehr gebildet werden.
a) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zur Zahlung künftiger Betriebsausgaben sind nur dann zulässig und geboten, wenn der Gewinn aufgrund Betriebsvermögensvergleichs gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG zu ermitteln ist. Das ist der Fall, wenn der Steuerpflichtige zur Buchführung verpflichtet oder berechtigt ist. Die Pflicht und das Recht zur Buchführung und Bilanzierung gemäß §§ 38 ff. HGB, § 160 Abs. 1, § 161 AO enden im Zeitunkt der Betriebsaufgabe (vgl. BFH-Urteil vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, 323, BStBl III 1964, 124). Nach diesem Zeitpunkt können zwar noch Betriebseinnahmen und -ausgaben anfallen, welche zu nachträglichen Einkünften aus Gewerbebetrieb führen. Aber diese Einkünfte sind nicht mehr nach den Grundsätzen des Vermögensvergleichs, sondern in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des § 4 Abs. 3 EStG (Einnahmen-Überschuß-Rechnung) zu ermitteln. Soweit sich dem RFH-Urteil VI A 1331/32 (vgl. dessen vorletzten Absatz) entnehmen läßt, daß im Fall einer Fortsetzung der Buchführung nach einer Betriebsaufgabe ein Bestandsvergleich unter Umständen noch möglich sei, folgt der Senat dieser Ansicht nicht.
Eine unmittelbare Anwendung des § 4 Abs. 3 EStG scheidet aus, weil die Vorschrift voraussetzt, daß eine Buchführungspflicht nicht besteht und der Steuerpflichtige auch nicht freiwillig Bücher führt und Abschlüsse macht. Der Grundgedanke der Vorschrift muß indes auch dann zur Anwendung kommen, wenn es sich zwar um betriebliche Einkünfte handelt, diese aber nicht nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs ermittelt werden dürfen und es demgemäß unerheblich ist, ob der Steuerpflichtige etwa freiwillig Bücher führt. Ob die Grundsätze einer Einnahmen-Überschuß-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG in jeder Beziehung wie bei einem laufenden Betrieb gelten, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Aus der Unzulässigkeit eines Betriebsvermögensvergleichs nach Betriebsveräußerung oder -aufgabe folgt, daß der Steuerpflichtige auf die ihm verbliebenen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens keine Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert vornehmen kann. Eine solche ist nur möglich, wenn die Gewinnermittlung vom Wert des Betriebsvermögens ausgeht (vgl. BFH-Urteil vom 24. November 1955 IV 231/53 U, BFHE 62, 97, BStBl III 1956, 38). Wertminderungen stellen keine Betriebsausgaben des laufenden Veranlagungszeitraums dar. Aus dem gleichen Grunde kann für künftige Betriebsausgaben keine Rückstellung gebildet werden. Steuerrechtlich berücksichtigungsfähig sind solche Ausgaben erst, wenn sie tatsächlich anfallen.
Mit dieser Rechtsauffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch mit dem BFH-Urteil VIII R 3/66, auf welches sich der Kläger beruft. In dieser Entscheidung ist ausgeführt, daß eine bei Betriebsaufgabe als Betriebsvermögen zurückbehaltene Forderung später unter Umständen noch abgeschrieben werden könne. In dem entschiedenen Falle war die Wertlosigkeit einer Darlehnsforderung geltend gemacht worden. Die Anerkennung eines solchen nachträglichen Forderungsverlustes bedeutet nicht, daß ein Betriebsvermögensvergleich vorausgesetzt werden müßte. Die Rechtsprechung hat inzwischen den Verlust von Darlehnsforderungen auch bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG berücksichtigt (vgl. BFH-Urteil vom 2. September 1971 IV 342/65, BFHE 104, 311, BStBl II 1972, 334).
b) Der Kläger irrt, wenn er meint, daß die Zurückbehaltung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens nach einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe zur Durchführung eines "partiellen" Bestandsvergleichs und in diesem Rahmen zur Bildung von Rückstellungen berechtige. Die einkommensteuerrechtliche Erfassung der künftigen Verwertung dieser Wirtschaftsgüter und die Berücksichtigung von dabei anfalienden nachträglichen Betriebsausgaben geschieht vielmehr in der gleichen Weise wie nach den Vorschriften des § 4 Abs. 3 EStG. Der Umstand, daß die Gewinne aus der Veräußerung solcher Wirtschaftsgüter nach Betriebsveräußerung oder -aufgabe als nachträgliche gewerbliche Einkünfte erfaßt werden, rechtfertigt nicht die Schlußfolgerung, daß es sich dabei um einen eingeschränkten Bestandsvergleich handle. Träfe diese Annahme zu, so müßten auch Teilwertabschreibungen zugelassen werden, für welche aber, wie bemerkt, kein Raum ist.
2. Nach dem vom FG festgestellten und vom Kläger nicht bestrittenen Sachverhalt hat der Kläger den Betrieb im Jahre 1964 in zwei Akten i. S. des § 16 Abs. 3 EStG aufgegeben, und zwar mit der Veräußerung des Handelsgeschäfts zum 30. September 1964 und mit der Veräußerung des Betriebsgrundstücks an einen Dritten zum 1. Oktober 1964. Die Herausnahme bestimmter Wirtschaftsgüter aus dem Aufgabevorgang stand der Annahme einer gemäß § 16 Abs. 3, § 34 EStG tarifbegünstigten Betriebsaufgabe nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 1970 IV 350/64, BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719, mit weiteren Nachweisen). Eine Betriebsaufgabe wäre nur dann zu verneinen, wenn es sich um eine allmähliche Abwicklung gehandelt hätte. Davon ist jedoch der Kläger selbst nicht ausgegangen, da er die Tarifvergünstigung für die Veräußerungsgewinne in Anspruch genommen hat.
Fundstellen
BStBl II 1978, 430 |
BFHE 1979, 42 |