Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Hat das Finanzamt einen Erwerber, der sich verpflichtet hatte, auf dem Grundstück ein Gebäude zu errichten, das den Grundsätzen des sozialen Wohnungsbaues entspricht, vorläufig von der Grunderwerbsteuer freigestellt, ohne den Veräußerer rechtzeitig hiervon zu unterrichten, so verstößt es in der Regel gegen die für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Grundsätze, wenn es den Veräußerer nach mehreren Jahren überraschend in Anspruch nimmt.

GrEStG § 15 Ziff. 1; bayerisches Gesetz über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG) vom 11. Februar 1954 (Bayer. GVBl 1954 S. 38, BStBl 1954 II S. 39) Art. 1

 

Normenkette

GrEStG § 15 Nr. 1; GrESWGBY 1/1; GrESWGBY 4; StAnpG § 7

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das Finanzamt durch Inanspruchnahme des Veräußerers als Gesamtschuldner der Grunderwerbsteuer gegen die für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Grundsätze verstoßen hat.

Durch notariellen Vertrag vom 18. Mai 1955 verkaufte der Bf. an Frau Therese H. (Erwerberin) ein planiertes Ruinengrundstück von 0,066 ha. In diesem Vertrag hatte die Erwerberin die Zahlung der Grunderwerbsteuer nebst Zuschlägen übernommen. Der Notar hatte die Beteiligten u. a. über die gesetzlichen Mithaftungsbestimmungen belehrt. Die Erwerberin verpflichtete sich gegenüber dem Finanzamt durch Erklärung vom 4. August 1955, ein Gebäude mit 227,79 qm Büroraum und 1.281,83 qm (84,91 v. H.) Wohnraum zu errichten. Durch gemäß § 100 AO teilweise für vorläufig erklärten Steuerbescheid vom 13. September 1955 zog das Finanzamt die Erwerberin zu einer Grunderwerbsteuer von 300,75 DM heran. Soweit der Erwerb erfolgt war, um auf dem Grundstück nach § 7 des Ersten Wohnungsbaugesetzes vom 24. April 1950 (BGBl 1950 S. 83) begünstigte Wohnungen zu errichten, hat das Finanzamt die Erwerberin gemäß Art. 1 Ziff. 1 des bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG) vom 11. Februar 1954 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1954 S. 38, BStBl 1954 II S. 39) in Verbindung mit § 10 der Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz vom 10. Juli 1954 (BStBl 1954 II S. 110) vorläufig von der Grunderwerbsteuer freigestellt. Dieser Steuerbescheid wurde nur der Erwerberin bekanntgegeben. Durch Bescheid der Stadt N. vom 12. November 1958, der bei dem Finanzamt am 29. November 1958 einging, hat das Finanzamt davon Kenntnis erlangt, daß die Erwerberin ein Gebäude mit 1.297,709 qm Wohnraum (= 78,27 v. H.) und mit 360,23 qm Gewerberaum (= 21,73 v. H.) errichtet hat.

Durch Steuerbescheid vom 30. Januar 1959 forderte das Finanzamt, da die im GrESWG vorgesehene Mindestfläche für Wohnungen und Wohnräume unterschritten worden war, von der Erwerberin auf Grund von Art. 4 Abs. 1 GrESWG in Verbindung mit § 15 Ziff. 1 GrEStG die restliche Grunderwerbsteuer. Den hiergegen zunächst eingelegten Einspruch hat die Erwerberin am 22. Mai 1959 zurückgenommen. Zwischenzeitlich, nämlich am 11. April 1959, war über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden. Nachdem das Finanzamt von der Konkurseröffnung erfahren hatte, wandte es sich erstmals an den Bf. als Veräußerer und forderte ihn durch Steuerbescheid vom 9. Mai 1959 als Gesamtschuldner nach § 15 Ziff. 1 GrEStG zur Zahlung der Steuer auf.

 

Entscheidungsgründe

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Die Rb. ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Steuerbescheides vom 9. Mai 1959.

Das Finanzgericht geht in seinem Urteil davon aus, daß es keine Ermessensfrage sei, wenn das Finanzamt, nachdem es die Steuer von einem Steuerschuldner nicht bekommen könne, den anderen Steuerschuldner in Anspruch nehme, sofern dies nur rechtzeitig geschehe. Dagegen hat der erkennende Senat in dem Urteil II 33/58 U vom 21. Dezember 1961 (BStBl 1962 III S. 160, Slg. Bd. 74 S. 425), das das Finanzgericht bei seiner Entscheidung noch nicht kennen konnte, unter Bezugnahme auf § 7 des Steueranpassungsgesetzes ausgesprochen, daß die Frage der Inanspruchnahme des Zweitbeteiligten in solchen Fällen eine Ermessensentscheidung sei. An diesem Grundsatz hat der Senat im Urteil II 67/61 U vom 16. Mai 1962 (BStBl 1962 III S. 315, Slg. Bd. 75 S. 128) festgehalten. Die angefochtene Entscheidung, die diesen Grundsätzen nicht entspricht, muß aus diesem Grunde aufgehoben werden.

Es stellt, wie der Bf. mit Recht vorträgt, in der Regel einen Ermessensfehlgebrauch dar, wenn das Finanzamt den, wie ihm bekannt, im Innenverhältnis nicht verpflichteten Gesamtschuldner nach Jahren überraschend zur Grunderwerbsteuer heranzieht. Es kann nicht anerkannt werden, daß, wie das Finanzgericht dies fordert, den Verkäufer eine Erkundigungspflicht dahingehend trifft, ob ein Erwerbsvorgang von der Grunderwerbsteuer freigestellt worden ist, um bei entsprechender Auskunft Vorsorge für eine spätere Inanspruchnahme zu treffen. Es gehört vielmehr zu den Amtspflichten des Finanzamts im Rahmen der Besteuerung von Grundstückserwerben für den sozialen Wohnungsbau, einen Steuerpflichtigen, den es erst in zweiter Linie in Anspruch zu nehmen gedenkt, über Entscheidungen zu unterrichten, die für ihn bedeutsam sein oder werden können. Der Senat hat es in den oben erwähnten Urteilen II 33/58 U vom 21. Dezember 1961 und II 67/61 U vom 16. Mai 1962 beanstandet, daß das Finanzamt bei fälligen Steuerforderungen Sicherheiten aus der Hand gab oder Stundungen verfügte, ohne den Verkäufer als zweiten Steuerschuldner rechtzeitig zu unterrichten. Da in diesen Fällen die ihnen zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen wegen dieses Ermessensfehlgebrauchs des Finanzamts aufzuheben waren, hatte der Senat nicht darüber zu befinden, ob das Finanzamt bereits zu einem früheren Zeitpunkt Amtspflichten gegenüber dem Verkäufer zu erfüllen hat.

Eine dahingehende Amtspflicht des Finanzamts ist jedenfalls in den Fällen zu bejahen, in denen das Finanzamt den Erwerber auf Grund einer Befreiungsvorschrift für den sozialen Wohnungsbau zunächst von der Grunderwerbsteuer freistellt. Sieht nämlich der Steuergläubiger, um den sozialpolitisch erwünschten Wohnungsbau zu fördern, auf der einen Seite davon ab, den Steueranspruch alsbald zu verwirklichen, und läßt er dem im Innenverhältnis zur Tragung der Steuer verpflichteten Erwerber in der Regel fünf Jahre Zeit, um den Nachweis zu erbringen, daß er die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt hat, ohne auf der anderen Seite den zweiten Steuerschuldner aus seiner Schuldnerstellung zu entlassen, so ist es Pflicht des Steuergläubigers, den zweiten Schuldner über die Möglichkeit seiner späteren Inanspruchnahme rechtzeitig zu unterrichten. Rechtzeitig in diesem Sinne ist die Verständigung des Veräußerers nur dann, wenn er spätestens bis zur Umschreibung des Grundstücks im Grundbuch von dem Finanzamt eine entsprechende Mitteilung erhalten hat. Hat es das Finanzamt unterlassen, beide Steuerschuldner etwa zur gleichen Zeit über die vorläufige Befreiung von der Grunderwerbsteuer und die Möglichkeit der Nacherhebung zu unterrichten, so kann es sich später im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens auch nur an den der beiden Steuerschuldner halten, den es unterrichtet hat; denn wenn das Gesetz zwei Personen für die gleiche Steuer als Steuerschuldner eintreten läßt, dann müssen beide Schuldner nicht nur die gleichen Pflichten, sondern auch die gleichen Rechte haben. Eine derartige Unterrichtung des Veräußerers ist auch dann noch sinnvoll, wenn dieser es versäumt hat, sich vor der Auflassung für die etwaige Inanspruchnahme als Steuerschuldner im Innenverhältnis dinglich zu sichern. Er kann sich dann, solange er noch im Besitz des Entgelts für das veräußerte Grundstück ist, auf die ihm etwa noch drohende Inanspruchnahme einstellen.

Da das Finanzamt im Streitfall den Bf. nicht rechtzeitig unterrichtet hat, konnte es von dem Bf., der keine Einflußmöglichkeit auf die Baugestaltung und damit auf die Einhaltung der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung besaß, die geschuldete Grunderwerbsteuer nicht fordern, ohne sein Ermessen fehlerhaft zu gebrauchen.

Nach alledem waren die Vorentscheidungen, die von anderen Grundsätzen ausgingen, aufzuheben und der Bf. von der Grunderwerbsteuer freizustellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410886

BStBl III 1963, 461

BFHE 1964, 386

BFHE 77, 386

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