Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung von Prozeßerklärungen; Herabsetzung von Stundungszinsen bei Verminderung der gestundeten Einkommensteuervorauszahlungen

 

Leitsatz (NV)

1. Der Inhalt von Prozeßerklärungen kann vom Revisionsgericht in vollem Umfang überprüft werden (ständige Rechtsprechung).

2. Werden gestundete Einkommensteuervorauszahlungen herabgesetzt, sind die Stundungszinsen entsprechend zu vermindern.

 

Normenkette

AO 1977 § 3 Abs. 3, §§ 37-38, 222, 234, 240 Abs. 1 S. 4; BGB § 246; EStG § 37; FGO § 73 Abs. 1 S. 2, § 118 Abs. 2, § 121

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, beantragten die Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung für das vierte Kalendervierteljahr 1982 wegen voraussichtlicher Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus einer Beteiligung an einem Objekt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) entschied zunächst nicht über diesen Antrag, sondern stundete mit Bescheid vom 27. Januar 1983 die Einkommensteuervorauszahlung in Höhe von 24164 DM vom Fälligkeitstag an bis zur endgültigen Entscheidung über den Herabsetzungsantrag, längstens bis zum 10. Juni 1983, ohne daß die Kläger dies beantragt hatten. Gleichzeitig setzte das FA gegenüber dem Kläger für die Stundung Zinsen in Höhe von 723 DM fest (24100 DM x 6 Monate x 0,5 v.H. je Monat).

Das FA hat aufgrund einer Mitteilung des für die Feststellung der Einkünfte aus der Beteiligung zuständigen FA mit Verfügung vom 29. August 1983 die Einkommensteuervorauszahlung für das Jahr 1982 um 23164 DM herabgesetzt.

Den Einspruch der Kläger gegen den Zinsbescheid hat das FA mit Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 1984 als unbegründet zurückgewiesen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, sie sei unzulässig, soweit sich die Kläger mit ihrem Vorbringen, die Zinserhebung sei unbillig, gegen die erstmals in der Einspruchsentscheidung enthaltene Aussage des FA wendeten, die Vorausset-zungen für einen Verzicht auf die Zinsen aus Billigkeitsgründen seien nicht gegeben. Soweit die Klage die Rechtmäßigkeit der Zinserhebung betreffe, sei sie unbegründet. Der Zinsbescheid sei nicht deshalb aufzuheben, weil die Vorauszahlung für das Jahr 1982 herabgesetzt worden sei.

Mit der Revision rügen die Kläger sinngemäß Verletzung von § 234 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 37 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

 

Entscheidungsgründe

I. Revision der Klägerin

Das Revisionsverfahren der Klägerin wird zu gesonderter Verhandlung und Entscheidung abgetrennt (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Adressat des angefochtenen Zinsbesscheids vom 27. Januar 1983 ist nur der Kläger. Dies führt zu einer unterschiedlichen Beurteilung der von den Klägern eingelegten Revisionen.

Das Revisionsverfahren der Klägerin wird unter dem Aktenzeichen IX R 94/93 fortgeführt.

Der Trennungsbeschluß ergeht gerichtsgebührenfrei.

II. Revision des Klägers

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Der Inhalt von Prozeßerklärungen kann vom Revisionsgericht in vollem Umfang überprüft werden; es besteht insoweit keine Bindung an die Tatsachenfeststellung der Vorinstanz (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juni 1984 I R 22/80, unter 1., BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5; vom 14. März 1990 I R 79/87, unter 1., BFHE 160, 241, BStBl II 1990, 651). Im Streitfall ergibt diese Prüfung, daß das Klageziel allein darauf gerichtet ist, den Zinsbescheid aufzuheben.

1. Entgegen der Auffassung des FG begehrt der Kläger nicht zusätzlich den Ausspruch einer Verpflichtung des FA zum Verzicht auf die Zinsen (§ 234 Abs. 2 AO 1977). Der Kläger hat derartige getrennte Anträge nicht ausdrücklich gestellt. Auch aus der Klagebegründung läßt sich ein solches Begehren nicht entnehmen. Soweit sich der Kläger auf Billigkeit beruft, dient dies nur zur Begründung seines Antrags auf Aufhebung des Zinsbescheids und der Einspruchsentscheidung.

2. Die Zinsfestsetzung ist insoweit aufzuheben, als sie auf den Betrag von 23164 DM entfällt, um den die Einkommensteuervorauszahlung durch die Verfügung vom 29. August 1983 herabgesetzt wurde. Insoweit verletzt die Vorentscheidung § 234 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 AO 1977. Die Zinsfestsetzung für den über 23164 DM hinausgehenden Stundungsbetrag von 1000 DM ist nicht zu beanstanden.

a) Nach § 234 Abs. 1 AO 1977 werden für die Dauer einer gewährten Stundung (§ 222 AO 1977) eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO 1977) Zinsen erhoben (Stundungszinsen).

Daß das FA die Stundung entgegen der Regel des § 222 Satz 2 AO 1977 ohne Antrag gewährt hatte, ist unerheblich. Zum einen ist ein Antrag nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht zwingende Voraussetzung der Stundung. Zum anderen stellt § 234 Abs. 1 AO 1977 nur auf eine gewährte Stundung, nicht jedoch auf deren Tatbestandsvoraussetzungen ab (BFH-Urteil vom 16. Oktober 1991 I R 145/90, unter II. 2., BFHE 166, 145, BStBl II 1992, 321).

b) Die Stundungszinsen sind als steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 3 AO 1977) abhängig vom Bestehen des gestundeten Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, d.h. von der Verwirklichung des steuerlichen Tatbestands, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO 1977). Die Zinsen sind - wie im Zivilrecht (vgl. § 246 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) - laufzeitabhängiges Entgelt für die Nutzung eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals (BFH-Urteile vom 20. Mai 1987 II R 44/84, BFHE 150, 4, BStBl II 1988, 229; vom 18. Juli 1990 I R 165/86, BFH/NV 1991, 212; vom 22. Mai 1991 I R 26/89, BFH/NV 1992, 150).

Die Akzessorietät der Stundungszinsen erfordert - anders als bei den Säumniszuschlägen (§ 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977) - im Fall einer Minderung der gestundeten Steuerschuld eine Herabsetzung der Zinsen. Eine spätere Herabsetzung der Steuerschuld wirkt zurück und führt insoweit auch für die Vergangenheit zu einer Reduzierung der Zinsfestsetzung (BFH-Urteile in BFH/NV 1991, 212; 1992, 150). Für die Akzessorietät des Zinsanspruchs ist es ohne Bedeutung, ob die materielle Bestandskraft durchbrochen wird oder - wie in Fällen des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) - materielle Bestandskraft nicht eintritt. Selbst ein Verlustrücktrag wirkt sich auf die Stundungszinsen aus (BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 212, unter 6. a).

c) Diese Grundsätze sind auch bei einer Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen gemäß § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG anwendbar. In diesem Fall sind die Stundungszinsen entsprechend zu vermindern, auch wenn die Vorauszahlungen ursprünglich nach dem Maßstab des § 37 Abs. 3 Satz 2 oder 3 EStG zutreffend festgesetzt worden waren. Auf den Grund der Herabsetzung kommt es nicht an.

d) Das FA durfte die Zinsfestsetzung in der Einspruchsentscheidung danach nur noch insoweit aufrechterhalten, als sie auf die Differenz zwischen dem Stundungsbetrag (24164 DM) und der späteren Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung (23164 DM) entfällt, also in Höhe von 30 DM (1000 DM x 6 Monate x 0,5 v.H. je Monat). Im übrigen ist der Zinsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 150).

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 687

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