Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Erwerbers eines Unternehmens für Umsatzsteuerschulden des früheren Unternehmers

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Übereignung eines Unternehmens, durch die eine Haftung des Erwerbers für Steuerschulden des Veräußerers ausgelöst werden kann, ist maßgebend, daß ein Zustand geschaffen worden ist, der sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Übergang des Unternehmens vom Veräußerer auf den Erwerber darstellt. Dabei kommt es auf das tatsächliche Ergebnis und nicht auf die Frage an, ob eine entsprechende ausdrückliche vertragliche Regelung getroffen worden ist.

2. Ein Unternehmen, dessen Übereignung die Haftung des Erwerbers auslösen kann, ist jede wirtschaftliche Einheit oder organisatorische Zusammenfassung persönlicher oder sachlicher Mittel zur Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke.

3. Zur Übereignung des Unternehmens im ganzen als Voraussetzung für eine Haftung des Erwerbers ist erforderlich, daß die Gegenstände auf den Erwerber übergehen, die die wesentlichen Grundlagen des übereigneten Unternehmens waren und die geeignet sind, die wesentlichen Grundlagen für den Betrieb des Erwerbers zu bilden, und die es dem Erwerber infolgedessen ermöglichen, das Unternehmen fortzuführen.

4. Die Haftung des Erwerbers ist davon abhängig, daß er ein lebendes Unternehmen erwirbt. Dazu ist erforderlich, daß der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen oder, sofern der Betrieb des Unternehmens vor dem Erwerb bereits eingestellt war, ohne großen Aufwand wieder in Gang setzen kann.

5. Zur Ermessensausübung bei der Inanspruchnahme des Erwerbers als Haftenden an Stelle des Steuerschuldners oder von dessen Angehörigen als Miteigentümer.

6. Zur Bindung des BFH an die Feststellungen des FG.

 

Normenkette

AO §§ 115, 116 Abs. 1, § 118 S. 1; FGO § 118 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb mit Vertrag vom 10. September 1973 das Anwesen A in B, dessen Eigentümer H. L., S. L. und P. L. waren. Der Miteigentümer H. L. betrieb auf dem Anwesen eine Fremdenpension, die er zum 30. November 1973 abmeldete. Auch der Kläger betreibt auf dem Anwesen eine Fremdenpension, die er zum 1. Dezember 1973 angemeldet hat.

H. L. wurde für die Jahre 1972 und 1973 durch bestandskräftige Bescheide mit je 7 000 DM zur Umsatzsteuer veranlagt. Wegen der Rückstände des H. L. aus diesen Veranlagungen in Höhe von insgesamt 10 500 DM nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Kläger als Haftenden nach § 116 der Reichsabgabenordnung (AO) in Anspruch (Haftungsbescheid vom 11. Oktober 1974). Der Einspruch führte zur Herabsetzung der Haftungsbeträge auf insgesamt 10 100 DM. In den Gründen der Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 1979 wird u.a. ausgeführt, bei der Verwirklichung der Steuerforderungen gegenüber H. L. seien keine Beitreibungsmöglichkeiten außer acht gelassen worden; im übrigen bestünden noch beträchtliche Steuerrückstände aus früheren Jahren, die vorrangig abzudecken gewesen wären und deren Verwirklichung ganz ausgeschlossen sei.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Finanzgericht (FG) folgendes aus:

Der Kläger habe einen ,,lebenden" Pensionsbetrieb mit allen wesentlichen dazugehörigen Grundlagen und nicht nur ein Pensionsgrundstück erworben. Er habe auch den Kundenstamm des Veräußerers übernommen. Der Kläger habe den Betrieb nach der Übernahme ohne größere Aufwendungen fortführen können, so daß es sich um ein ,,lebendes" Unternehmen gehandelt habe. Das ergebe sich schon daraus, daß der Kläger noch im Jahr der Übernahme des Betriebs Übernachtungen durch 70 Personen habe erzielen können. Unschädlich sei, daß es vor der Veräußerung zu einer kurzfristigen Stillegung des Betriebs für einige Wochen gekommen sei. Die vom Kläger durchgeführten Baumaßnahmen hätten der Erneuerung oder Erweiterung des Pensionsgebäudes gedient. Eine Fortführung des Betriebs sei jedoch auch ohne diese Maßnahmen möglich gewesen. Bedeutungslos sei, daß das Betriebsgrundstück nicht im alleinigen Eigentum des Steuerschuldners gestanden habe.

Vom FA seien in ausreichendem Maße Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Steuerschuldner vorgenommen worden. Sie seien jedoch erfolglos verlaufen, da das Grundstück bereits belastet und das Inventar, soweit es zur Ausübung des Gewerbebetriebs erforderlich gewesen sei, unpfändbar gewesen sei. Ein Ermessensverstoß ergebe sich auch nicht daraus, daß das FA von einer Geltendmachung der gegenständlich beschränkten Haftung nach § 115 AO gegenüber den Miteigentümern des Betriebsgrundstücks abgesehen habe. Diese Haftung habe sich nur durch Zwangsvollstreckung in den Miteigentumsanteil realisieren lassen. Außerdem bestünden gegen die Angehörigenhaftung nach § 115 Abs. 1 AO erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

Der Kläger legte gegen das Urteil des FG mit folgender Begründung Revision ein:

Im Zeitpunkt des Erwerbs habe kein Betrieb bestanden. Der Kläger habe erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt einen neuen Betrieb nach erheblichen Investitionen angemeldet. Im Jahre 1973 habe er keine Einnahmen aus Fremdenvermietung gehabt. Das FG hätte Beweis erheben sollen und dem Kläger zum Beweisergebnis rechtliches Gehör gewähren müssen. Insbesondere sei ihm - dem Kläger - keine Gelegenheit gegeben worden, zu den Übernachtungen von 70 Personen ausreichend Stellung zu nehmen. Das FA habe das Recht verwirkt, sich an den Kläger als Haftungsschuldner zu halten, da es gegen den Steuerschuldner nicht ernsthaft tätig gewesen sei. Hinsichtlich der Inanspruchnahme von Familienangehörigen nach § 115 Abs. 1 AO sei im Streitfall bedeutsam, daß dem Steuerschuldner Grundstück und Einrichtung von nächsten Angehörigen überlassen worden seien; diese Angehörigen hätten die Früchte aus der Nutzung mit gezogen und davon gelebt. Dem FA wäre es möglich gewesen, mindestens den jeweiligen Teilbetrag für die Umsatzsteuer beim Wohlfahrtsverband R zu pfänden, von dem der Steuerschuldner regelmäßig Einnahmen bezogen habe; das habe das FA gewußt. Ein Ermessensfehler ergebe sich daraus, daß das FA gegen den Steuerschuldner nichts oder nichts Ausreichendes unternommen habe, gleichwohl aber den Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch nehme. Unter Berufung auf das Steuergeheimnis habe das FA eine Einsichtnahme in die den Steuerschuldner betreffenden Akten versagt. Das FG führe zwar aus, daß in ausreichendem Maße Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Steuerschuldner vorgenommen worden seien. Zu klären sei aber, was ein ausreichendes Maß sei. Die Belastung eines Grundstücks sage nichts über die Erfolgsaussicht einer Pfändung aus. Das FA hätte in den Jahren 1972 und 1973 gegen den Schuldner monatlich Steuerfestsetzungen erlassen müssen, um wegen der Steuerforderungen vollstrecken zu können.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß der angefochtene Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtmäßig ist.

1. Die Feststellungen des FG rechtfertigen die Entscheidung, daß ein ,,lebendes" Unternehmen im ganzen auf den Kläger übereignet worden ist und dieser deshalb als Erwerber des Unternehmens nach § 116 Abs. 1 AO für die streitbefangenen Umsatzsteuerbeträge haftet.

a.) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß für die Entscheidung über die Haftung des Klägers die Haftungsvorschriften der AO (§ 116 Abs. 1, § 118) anzuwenden sind, da der haftungsbegründende Tatbestand, die Übereignung des Unternehmens im ganzen, nicht nach dem 31. Dezember 1976 verwirklicht worden ist (vgl. Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Nach den Feststellungen des FG ist die Übereignung im Jahre 1973 erfolgt.

b) Den Feststellungen des FG ist zu entnehmen, daß H. L. auf dem Grundstück A. in B. eine Fremdenpension betrieben hat und daß diese Pension im Jahre 1973 vom Kläger erworben worden ist.

Allerdings enthalten die Ausführungen des FG zwar nähere Angaben über den Kauf des Grundstücks, auf dem H. L. die Pension betrieben hat, nicht aber über die Übereignung der Pension i.S. des § 116 Abs. 1 AO. Insbesondere ist nicht ersichtlich, ob insoweit überhaupt ausdrücklich ein besonderer Vertrag geschlossen worden ist. Für die Frage, ob die Pension dem Kläger i.S. des § 116 Abs. 1 AO übereignet worden ist, kommt es darauf aber auch nicht an. Für die Übereignung eines Unternehmens in diesem Sinne ist maßgebend, daß ein Zustand geschaffen worden ist, der sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Übergang des Unternehmens vom Veräußerer auf den Erwerber darstellt. Dabei kommt es auf das tatsächliche Ergebnis und nicht auf die Frage an, ob eine entsprechende ausdrückliche vertragliche Regelung getroffen worden ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1960 V 190/58, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961, 256; vgl. auch Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 14. Januar 1930 V A 513/29, RStBl 1930, 130). Den Feststellungen des FG ist zu entnehmen, daß H. L. als Veräußerer und der Kläger als Erwerber der Pension einen derartigen Zustand geschaffen haben und daß die von H. L. betriebene Pension folglich von diesem auf den Kläger übergegangen ist. Das FG führt dazu aus, daß der Kläger außer dem Pensionsgrundstück auch den Pensionsbetrieb mit allen wesentlichen Grundlagen erworben habe. Dieser Erwerb ist als Folge einer Übereignung i.S. des § 116 Abs. 1 AO anzusehen.

b) Den Feststellungen des FG ist auch zu entnehmen, daß der übertragene Pensionsbetrieb ein Unternehmen i.S. des § 116 Abs. 1 AO ist. Als Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift ist jede wirtschaftliche Einheit sachlicher und persönlicher Mittel (vgl. Urteil des BFH vom 28. November 1973 I R 129/71, BFHE 111, 17, BStBl II 1974, 145), folglich jede organisatorische Zusammenfassung persönlicher und sachlicher Mittel zur Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 AO, A 2) anzusehen. Diese Voraussetzungen erfüllt die Fremdenpension.

c) Zur Übereignung des Unternehmens im ganzen ist erforderlich, daß die Gegenstände auf den Erwerber übergehen, die die wesentlichen Grundlagen des übereigneten Unternehmens waren und die geeignet sind, die wesentlichen Grundlagen für den Betrieb des Erwerbers zu bilden (vgl. Urteil des BFH vom 20. Juli 1967 V 240/64, BFHE 89, 466, BStBl III 1967, 684), und es dem Erwerber infolgedessen ermöglichen, das Unternehmen fortzuführen (vgl. Urteil des BFH vom 20. April 1961 V 69/59, StRK, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 14). Den Darlegungen des FG ist zu entnehmen, daß auch diese Voraussetzungen erfüllt sind. Das FG hat dazu ausgeführt, daß alle wesentlichen Grundlagen des Pensionsbetriebs, insbesondere auch der Kundenstamm, auf den Kläger übertragen worden sind.

d) Die Haftung des Erwerbers eines Unternehmens ist auch davon abhängig, daß er ein ,,lebendes" Unternehmen erworben hat; dazu ist erforderlich, daß der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann (vgl. Urteile des BFH vom 4. Februar 1974 IV R 172/70, BFHE 112, 110, BStBl II 1974, 434, und in BFHE 111, 17) oder, sofern der Betrieb des Unternehmens vor dem Erwerb bereits eingestellt war, der Erwerber das bisherige Unternehmen ohne großen Aufwand wieder in Gang setzen kann (vgl. Urteil des BFH vom 13. Dezember 1962 V 246/60, StRK, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 20, HFR 1963, 410). Den Ausführungen des FG ist zu entnehmen, daß auch diese Voraussetzungen vorgelegen haben. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger zwar Baumaßnahmen zur Erneuerung oder Erweiterung des Pensionsgebäudes durchgeführt. Das FG hat dazu aber ausdrücklich festgestellt, daß die Fortführung des Betriebs auch ohne diese Maßnahmen möglich gewesen wäre. Außerdem hat es festgestellt, daß nach dem Erwerb des Unternehmens durch den Kläger - Ende 1973 - bereits 70 Personen in der Pension übernachtet haben. Auch das spricht für den Erwerb eines lebenden Unternehmens.

Der Kläger wendet sich zwar gegen die Richtigkeit dieser zuletzt genannten Feststellung. Mit diesem Einwand kann er aber nicht durchdringen, weil der erkennende Senat an die Feststellung des FG gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Einwand des Klägers, er habe keine Gelegenheit gehabt, in der Vorinstanz zur Frage der Übernachtungen Stellung zu nehmen, ist nicht gerechtfertigt. Das FA hat in der Vorinstanz mit Schriftsatz vom 13. September 1979 vorgetragen, der Kläger habe nach Auskunft der Gemeinde B. bis zum Ablauf des 31. Dezember 1973 70 Personen beherbergt. Aufgrund eines Vermerks auf diesem Schriftsatz kann davon ausgegangen werden, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers noch im September 1979 davon Kenntnis erlangt hat.

Der Kläger macht außerdem geltend, das FG hätte Beweis erheben sollen. Mit dieser Aufklärungsrüge kann der Kläger aber zumindest deshalb nicht durchdringen, weil nicht ersichtlich ist, weshalb das FG sich zur Beweiserhebung hätte veranlaßt sehen müssen. Insbesondere hat der Kläger nicht vorgebracht, daß er einen Beweisantrag gestellt habe. Stellt ein Beteiligter, der durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist, aber keinen Beweisantrag, so kann er sich grundsätzlich nicht auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das FG berufen (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 76 Anm. 2, mit weiteren Hinweisen).

2. Das FG ist auch ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß der Erlaß des Haftungsbescheids in der Gestalt der Einspruchsentscheidung nicht auf einem Ermessensverstoß beruht.

a) Den Ausführungen zur Begründung der Einspruchsentscheidung ist zu entnehmen, daß der Kläger als Haftender in Anspruch genommen worden ist, weil die Beitreibungsmaßnahmen gegen H. L. als Steuerschuldner keinen Erfolg gehabt haben und weil H. L. beträchtliche Steuerrückstände aus der Zeit vor der Entstehung der streitbefangenen Umsatzsteuerschuld hatte.

Die Urteilsgründe enthalten die Feststellung des FG, daß tatsächlich Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt und diese erfolglos geblieben sind.

Daraus ist zu entnehmen, daß die Verwaltung vor der Inanspruchnahme des Klägers Erwägungen darüber angestellt hat, ob der Kläger als Gesamtschuldner neben dem H. L. in Anspruch genommen werden sollte, und daß sie dabei zu dem Ergebnis gelangt ist, die Inanspruchnahme des Klägers sei erforderlich, weil eine Begleichung der Steuerschuld durch H. L. auch im Wege der Vollstreckung nicht zu erreichen sei. Das reicht zu einer sachgerechten Ausübung des Auswahlermessens aus. Denn es ist grundsätzlich Aufgabe der Verwaltung, darüber zu befinden, ob von einer Vollstreckung aus der Erwägung abzusehen ist, sie erscheine aussichtslos (vgl. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 249 AO 1977 Tz. 7).

Ob sich gleichwohl ein Ermessensfehler bei der Inanspruchnahme eines Haftenden ergeben kann, wenn die Verwaltung ohne nähere Anhaltspunkte davon absieht, die Steuerschuld vom Schuldner beizutreiben, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Denn aus den Feststellungen des FG ergibt sich, daß die Verwaltung aufgrund erfolglos gebliebener Vollstreckungsmaßnahmen zu dem Ergebnis gelangen konnte, weitere Beitreibungsversuche hätten keine Aussicht auf Erfolg. Darin liegt eine tatsächliche Feststellung, an die der Senat als Revisionsgericht gebunden ist, da der Kläger insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben hat (§ 118 Abs. 2 FGO).

Der Kläger macht zwar geltend, das FG habe ausgeführt, daß gegen den Steuerschuldner in ausreichendem Maße Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommen worden seien; es sei deshalb zu klären, was ein ausreichendes Maß sei. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Kläger wendet sich gegen Schlußfolgerungen des FG tatsächlicher Art, die als Tatsachen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO anzusehen und für den erkennenden Senat nach dieser Vorschrift daher verbindlich sind.

Die genannte Schlußfolgerung wäre für den erkennenden Senat nur dann nicht verbindlich, wenn sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstieße (vgl. Gräber, a.a.O., § 118 Anm. 10 A). Dafür sind jedoch keine Anhaltspunkte vorhanden. Derartige Verstöße ergeben sich insbesondere nicht daraus, daß sich das FG zur Begründung seiner Schlußfolgerung darauf beruft, das Pensionsgrundstück sei bereits belastet gewesen. Für die Verbindlichkeit einer Schlußfolgerung tatsächlicher Art durch das FG kommt es nicht darauf an, ob die Schlußfolgerung zwingend ist. Vielmehr reicht es aus, daß sie möglich ist (vgl. Gräber, a.a.O.). Es ist aber durchaus möglich, der Belastung eines Grundstücks zu entnehmen, daß Beitreibungsmaßnahmen aussichtslos erscheinen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn das Grundstück der einzige Vermögensgegenstand des Vollstreckungsschuldners ist, der überhaupt der Vollstreckung zugänglich ist. Die Ausführungen des FG über die Unpfändbarkeit des Inventars deuten zumindest darauf hin, daß das im Streitfall zutrifft.

b) Ein Ermessensfehler des FG kann auch nicht damit begründet werden, das FA habe es versäumt, gegen H. L. als Steuerschuldner rechtzeitig Steuerfestsetzungen zu erlassen und daraus zu vollstrecken. Der Kläger macht damit ein Mitverschulden des FA an dem Ausfall der Steuerzahlungen durch H. L. als Steuerschuldner geltend. Auch wenn der Senat davon ausgeht, daß ein solches Mitverschulden zu einer Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung mit dem Ergebnis der Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden führen kann, so kommt ein solcher Ermessensfehler im Streitfall aber zumindest deshalb nicht in Betracht, weil das Vorbringen des Klägers zur Begründung eines solchen Ermessensfehlers neue Tatsachen enthält. Aufgrund der Bindung des Senats an die tatsächlichen Feststellungen des FG können bei der Entscheidung über die Revision aber diese neuen Tatsachen nicht berücksichtigt werden.

Entsprechendes gilt für den Einwand, das FA habe es versäumt, Forderungen des H. L. gegen den Wohlfahrtsverband zu pfänden. Auch dieser Einwand beruht auf dem Vorbringen neuer Tatsachen.

c) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das FA habe es versäumt, die Angehörigen des H. L. in Anspruch zu nehmen, die ihm Grundstück und Einrichtung - zum Betreiben der Fremdenpension - überlassen und daraus Nutzen gezogen hätten. Auch dieses Vorbringen kann nur im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung über die Ermessensausübung der Verwaltung berücksichtigt werden. Das FG hat in diesem Zusammenhang u.a. darauf hingewiesen, daß die Haftung auf den Miteigentumsanteil der Angehörigen an den vom Kläger benannten Gegenständen beschränkt gewesen sei. Wenn aber, wie das FG festgestellt hat, die Vollstreckung gegen H. L. als Steuerschuldner in diese Gegenstände aussichtslos war, so folgt daraus gleichzeitig, daß auch eine Inanspruchnahme der Angehörigen nach § 115 AO keinen Erfolg hätte haben können. Wegen dieser Abhängigkeit der Erfolgsaussicht einer Inanspruchnahme der Angehörigen des H. L. als Haftende von der Erfolgsaussicht einer Vollstreckung gegen H. L. kommt es für die gerichtliche Entscheidung über die Ermessensausübung der Verwaltung im Streitfall nicht darauf an, ob die Inanspruchnahme der Angehörigen bei der Ermessensausübung in Erwägung gezogen worden ist. Selbst wenn das unterblieben sein sollte, so kann daraus ein Ermessensfehler schon deshalb nicht hergeleitet werden, weil, wie den Feststellungen des FG zu entnehmen ist, eine Inanspruchnahme der Angehörigen - wie die Inanspruchnahme des H. L. als Steuerschuldner - keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 381

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