Leitsatz (amtlich)

Wird ein Urteil ohne die im Urteilstenor getroffene Kostenentscheidung zugestellt, so fehlt es i. S. von § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO an der Zustellung eines vollständigen Urteils und damit an einer Voraussetzung für den Beginn der Revisionsfrist.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 1 S. 1, § 143 Abs. 1, § 109

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Kläger und Revisionskläger (Kläger) - Eheleute - die Frist zur Revisionseinlegung versäumt haben ...

Ausweislich des Akteninhalts und unstreitig belastete das FG im Tenor seines nicht verkündeten, der Klage zum Teil stattgebenden Urteils mit den Verfahrenskosten die Kläger zu 94 v. H., das FA zu 6 v. H. Nach den Urteilsgründen stützte es die Kostenentscheidung auf § 136 FGO ohne nähere Ausführungen. Das ohne die Kostenentscheidung im Tenor ausgefertigte Urteil wurde den Klägern am 24. März 1975 zugestellt und ihnen nach Ergänzung des Tenors um die in der Urschrift enthaltene Kostenentscheidung (Rückforderung des Urteils zwecks entsprechender Ergänzung durch die Geschäftsstelle des FG am 24. März 1975, Rückgabe durch die Kläger an das FG am 4. April 1975) mit einfachem Brief vom 29. April 1975 wieder zugesandt.

Gegen die Vorentscheidung richtet sich die am 22. Mai 1975 beim FG eingegangene Revision der Kläger, die mit Schriftsatz vom 4. Juni 1975 - Eingang beim BFH am 9. Juni 1975 - begründet worden ist.

Zur Frage der fristwahrenden Einlegung und Begründung der Revision haben die Kläger die Ansicht vertreten, die Frist zur Revisionseinlegung habe am 30. April 1975, dem Zeitpunkt des Zugangs des um die Kostenentscheidung ergänzten Urteils, begonnen ...

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig ...

Entgegen der Ansicht des FA haben die Kläger die Fristen zur Einlegung und Begründung der Revision nicht versäumt.

Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Zustellung des vollständigen Urteils in diesem Sinne bedeutet die Zustellung einer Ausfertigung des Urteils, so wie es vom FG in seinen wesentlichen Teilen beschlossen und abgesetzt worden ist. Zu den wesentlichen Teilen des Urteils gehört auch die im Urteilstenor getroffene Kostenentscheidung.

Nach allgemeinem Prozeßrecht gehört zum vollständigen Urteil die Entscheidung über die Verfahrenskosten. Nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 143 Abs. 1 FGO hat das Gericht über die Kosten des Verfahrens im Urteil zu befinden. Die Entscheidung ist in der Urteilsformel zu treffen. Sie kann durch einen Hinweis in den Gründen nicht ersetzt werden. Die Erwägungen des BFH über die Erforderlichkeit einer Entscheidungsformel hinsichtlich der Kosten bei Beschlüssen und dazu, daß eine fehlende Beschlußformel nicht im Wege der Auslegung der Entscheidungsgründe als vorhanden angenommen werden kann (Beschluß vom 7. Mai 1975 II B 51/73, BFHE 115, 424, BStBl II 1975, 672), finden hinsichtlich der Kostenentscheidung in Urteilssachen sinngemäß Anwendung. Für die Auffassung, daß zum Inhalt eines vollständigen Urteils die Kostenentscheidung im Tenor gehört, spricht ferner das in § 109 FGO vorgesehene Recht der Prozeßbeteiligten, bei teilweisem oder vollem Übergehen der Kostenentscheidung eine Ergänzung des Urteils um die Kostenentscheidung zu erreichen (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1970, Rdnr. 6 zu § 109).

Die Auslegung des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO führt zu keiner anderen Beurteilung. Nach Sinn und Zweck dieser Bestimmung sowie bei Beachtung des gesetzlichen Zusammenhangs, in den sie gestellt ist, soll den Beteiligten durch Zustellung des vollständigen Urteils Gelegenheit gegeben werden, den rechtserheblichen Inhalt der Entscheidung zu prüfen und nach dem Ergebnis dieser Prüfung Revision einzulegen oder nicht. Zum rechtserheblichen Inhalt des Urteils gehört die in ihm getroffene Kostenentscheidung deshalb, weil sie je nach Inhalt Anlaß sein kann, eine als unrichtig erachtete Hauptsacheentscheidung hinzunehmen oder nicht. Das gilt in besonderem Maße bei Verteilung der Verfahrenskosten gemäß § 136 FGO und nicht unerheblichem Streitwert (hier: 4 202 DM).

Bei Beachtung dieser Rechtslage ist die Zustellung einer Ausfertigung des Urteils der Vorinstanz, in welcher die Entscheidungsformel des FG über die Belastung der Beteiligten mit den Kosten (Kläger 94 v. H., FA 6 v. H.) fehlte, nicht als Zustellung des vollständigen Urteils i. S. von § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO anzusehen mit der Rechtsfolge, daß die Zustellung der nicht vollständigen Entscheidung die Fristen zur Einlegung und Begründung der Revision für die Kläger nicht in Lauf gesetzt hat. Daran ändert nichts, daß die Kostenentscheidung ausweislich der bei den Akten befindlichen Urschrift des Urteils vom FG getroffen war. Denn es kommt darauf an, daß die Kostenentscheidung im Wege der Zustellung des vollständigen Urteils auch den Klägern bekanntgegeben wird. Der Hinweis in den Gründen der zugestellten Urteilsausfertigung auf die Kostenvorschrift des § 136 FGO konnte die in der Ausfertigung fehlende Kostenentscheidung im Tenor nicht ersetzen, abgesehen davon, daß aus diesem Hinweis in keiner Weise das Verhältnis der von der Vorinstanz im Tenor vorgenommenen Verteilung der Kosten auf die Beteiligten hervorging.

Haben hiernach die Fristen des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO gegen die Kläger auf Grund der Zustellung des nicht vollständigen Urteils nicht begonnen, so kann es dahinstehen, ob die durch einfachen Brief vom 29. April 1975 vorgenommene Zusendung der um die Kostenentscheidung ergänzten und nach Angabe der Kläger bei ihnen am 30. April 1975 eingelangten Vorentscheidung nunmehr die Revisionsfrist in Lauf gesetzt hat oder nicht, weil durch die Einlegung der Revision am 22. Mai 1975 und ihre Begründung am 9. Juni 1975 in jedem Fall etwa in Lauf gesetzte Fristen des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO gewahrt sind ...

 

Fundstellen

BStBl II 1976, 296

BFHE 1976, 1

NJW 1976, 1336

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