Leitsatz (amtlich)

Ist in Berlin (West) in der Erklärung zur Ermittlung des Inlandsvermögens auf den 1. April 1949 und zur Vermögensabgabe eine Ermäßigung der Vermögensabgabe wegen Kriegssachschäden an Grundbesitz beantragt worden, so kann dieser Antrag in einen Antrag auf Feststellung eines Sonderwertes nach den §§ 1, 5 Abs. 1 der 9.AbgabenDV-LA vom 28. Juni 1954 (BGBl 1954 I S. 158, GVBl Berlin S. 425) umgedeutet werden.

Ein abgaberechtliches Interesse im Sinne des § 5 Abs. 3 der Verordnung vom 28. Juni 1954 (a. a. O.) und somit ein Antragsrecht auf Feststellung eines Sonderwertes hat jeder, dem Grundbesitz (Rückerstattungsvermögen) in Berlin (West) gehört. Das Vorliegen eines abgaberechtlichen Interesses hängt nicht davon ab, daß das Rückerstattungsvermögen den Freibetrag nach § 26 Abs. 1 Satz 2 LAG übersteigt.

 

Normenkette

9-AbgabenDV-LA 1; 9-AbgabenDV-LA 5/1; 9-AbgabenDV-LA 5/3

 

Tatbestand

Die Bf. sind im Erbgange nach ihren im Jahre 1944 verstorbenen Eltern Eigentümer in ungeteilter Erbengemeinschaft der folgenden Grundstücke geworden:

eines Einfamilienhauses in Berlin, Einheitswert zum 1. Januar 1935 72.300 RM und

eines sonstigen bebauten Grundstückes (Bauland mit Autohalle), Einheitswert zum 1. Januar 1935 11.500 RM.

Beide Grundstücke sind den damaligen Eigentümern durch nationalsozialistische Unterdrückungsmaßnahmen unrechtmäßig entzogen worden. Die Grundstücke sind im Jahre 1951 von der Rückerstattungsverpflichteten auf Grund des gerichtlichen Vergleiches vom 6. Juli 1951 an die Bf. zurückerstattet worden.

Die auf den 1. Januar 1935 festgestellten Einheitswerte wurden auf Antrag vom 29. Februar 1952 wegen Kriegssachschadens auf den 1. Januar 1952 fortgeschrieben, und zwar der Einheitswert des unter Buchstabe a) bezeichneten Grundstückes auf 64.700 DM und der Einheitswert des unter Buchstabe b) bezeichneten Grundstückes auf 6.800 DM. Im Jahre 1954 haben die Bf. die Grundstücke veräußert.

Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts haben die Bf. in ihrer am 19. Februar 1955 eingereichten Erklärung zur Ermittlung des Vermögens auf den 1. April 1949 und zur Vermögensabgabe beantragt, den Kriegssachschaden an den oben aufgeführten beiden Grundstücken zu berücksichtigen. Die Bf. sind jedoch von der Vermögensabgabe freigestellt worden, weil der Wert ihres Stichtagsvermögens im Sinne des § 26 Abs. 1 LAG - Rückerstattungsvermögen - den Freibetrag nach § 26 Abs. 2 LAG nicht überschritten hat. Auch zur Hypothekengewinnabgabe und Kreditgewinnabgabe sind die Bf. nicht herangezogen worden.

Durch Schreiben vom 6. Juni 1957 haben die Bf. unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofes III 317/56 U vom 22. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 158, Slg. Bd. 64 S. 419) beantragt, den Einheitswert für das Streitgrundstück - vgl. oben zu Buchstabe b) - auf den 1. Januar 1950 fortzuschreiben und den fortgeschriebenen Einheitswert als Sonderwert nach der Verordnung über die Behandlung von Grundbesitz in Berlin (West) bei den Lastenausgleichsabgaben (9. AbgabenDV-LA) vom 28. Juni 1954 (BGBl 1954 I S. 158, GVBl Berlin S. 425) festzustellen.

Das Finanzamt hat den Antrag auf Feststellung eines Sonderwertes abgelehnt, über den Antrag auf Wertfortschreibung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1950 jedoch nicht entschieden. Auch der Einspruch war erfolglos. Ebenso ist die Berufung als unbegründet zurückgewiesen worden.

Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung unter anderem wie folgt: Der am 7. Juni 1957 beim Finanzamt eingegangene Sonderwertfeststellungsantrag vom 6. Juni 1957 sei, da die Anträge auf Sonderwertfeststellung nach § 5 der 9. AbgabenDV-LA in Verbindung mit dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 7. Januar 1955 (BStBl 1955 I S. 60, Steuer- und Zollblatt für Berlin - StuZBl. Bln - 1955 S. 155) spätestens bis zum 28. Februar 1955 zu stellen gewesen seien, an sich verspätet gestellt. Die Bfin. hätten jedoch in ihrer am 19. Februar 1955 eingereichten Erklärung zur Ermittlung des Vermögens auf den 1. April 1949 und zur Vermögensabgabe eine Ermäßigung wegen Kriegssachschadens am Streitgrundstücke beantragt. Dieser Antrag sei, da rechtzeitig gestellt, in einen Antrag auf Feststellung eines Sonderwertes umzudeuten. Die Bf. seien jedoch nicht antragsberechtigt, weil sie weder zur Vermögensabgabe noch zur Hypothekengewinnabgabe oder zur Kreditgewinnabgabe herangezogen würden und es deshalb an dem nach § 5 Abs. 3 der 9. AbgabenDV-LA erforderlichen Interesse für die Feststellung eines Sonderwertes fehle. Ein Interesse für die Berechnung des Kriegssachschadens bei den Ausgleichsleistungen reiche nach der eindeutigen Regelung der 9. AbgabenDV-LA für eine Sonderwertfeststellung nicht aus. Es verstoße nicht gegen die Grundsätze des LAG und den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes, wenn der Gesetzgeber eine Sonderwertfeststellung nur bei Vorliegen eines abgaberechtlichen Interesses zugelassen habe.

Auch eine Wertfortschreibung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1950 auf Antrag oder von Amts wegen sei nicht mehr zulässig. Auf den Antrag vom 6. Juni 1957 könnte eine Wertfortschreibung zum 1. Januar 1950 nicht mehr durchgeführt werden, weil bei Eingang des Antrages am 7. Juni 1957 die in § 225 a AO in Verbindung mit Abschn. B Ziff. 2 der Rundverfügung Nr. 328/51 vom 23. Juli 1951 des Landesfinanzamtes Berlin (StuZBl. Bln 1951 S. 111) vorgesehene Frist vom 30. September 1951 seit Jahren verstrichen gewesen sei und eine Nachsichtgewährung gemäß § 87 Abs. 5 AO nicht in Betracht komme. Auch eine Wertfortschreibung von Amts wegen entfalle, weil ein steuerlich berechtigtes Interesse der Bf. an der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1950 fehle.

In der Rb. tragen die Bf. vor, die änderung des § 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 44 Ziff. 3 des Gesetzes über die Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegssachschäden in der Fassung vom 14. August 1952 (Feststellungsgesetz) sei längst nach Erlaß der 9. AbgabenDV-LA mit der Maßgabe vorgenommen worden, daß auch auf der Leistungsseite der Sonderwert als Berechnungsgrundlage angesetzt werden könne. Dieser änderung der Leistungsvorschrift habe der Gesetzgeber nicht dadurch Rechnung getragen, daß er den § 5 Abs. 3 der 9. AbgabenDV-LA entsprechend geändert habe. Wenn der Sonderwert auf der Leistungsseite als Vergleichswert zugelassen werde, bestehe für die Feststellung eines Sonderwertes ein Interesse, und zwar nach dem Rechtssatze: Wem der Gesetzgeber einen Anspruch gibt, dem gibt er auch Mittel, diesen Anspruch durchzusetzen. Es sei somit von der Leistungsseite gegen den Wortlaut des § 5 Abs. 3 der 9. AbgabenDV-LA die Feststellung eines Sonderwertes erzwingbar. Das Verwaltungsgericht gehe auch in der Annahme fehl, der Gesetzgeber habe den § 5 Abs. 3 der 9. AbgabenDV-LA bewußt nicht geändert. Wenn diese Auffassung richtig wäre, würde ein Rückerstattungsberechtigter, der ein abgabepflichtiges Vermögen von weniger als 150.000 DM habe, geringere Leistungen als ein Nichtrückerstattungspflichtiger erhalten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Nach § 5 Abs. 3 der 9. AbgabenDV-LA ist für die Feststellung eines Sonderwertes antragsberechtigt, wer nach dem LAG und seinen Durchführungsbestimmungen ein eigenes abgaberechtliches Interesse in den Grenzen des § 1 dieser Verordnung an der Feststellung eines Sonderwertes hat. Der Sonderwert hatte zunächst keine Wirkung für die Ausgleichsleistungen. Eine unterschiedliche Regelung bei der Schadensberechnung auf der Abgabenseite und der Entschädigungsseite wäre aber mit den Grundsätzen des LAG unvereinbar gewesen. Dadurch wäre die Koppelung von Vermögensabgabeermäßigung und Hauptentschädigung sowie die Bindung der Entschädigungsseite an die Schadensberechnung des Finanzamtes hinfällig gewesen. Der Gesetzgeber hat deshalb durch das Vierte Gesetz zur änderung des Lastenausgleichsgesetzes (4. ändGLAG) vom 12. Juli 1955 (BGBl 1955 I S. 403, GVBl Berlin S. 631) in § 44 des Feststellungsgesetzes - Sondervorschriften für Berlin - den § 13 des Feststellungsgesetzes für die Schadensberechnung bei Kriegssachschäden in Berlin ergänzt. Die Ergänzung besteht darin, daß für Grundstücke, die bei der Ermittlung des der Vermögensabgabe unterliegenden Vermögens mit einem Sonderwerte nach der 9. AbgabenDV-LA angesetzt worden sind, der Schadensberechnung auf Antrag an Stelle des zu dem 1. April 1949 geltenden Einheitswertes der Sonderwert zugrunde zu legen ist.

Die Bf. hatten am Veranlagungsstichtag zu der Vermögensabgabe unbestritten nur Rückerstattungsvermögen, das den Freibetrag nach § 26 Abs. 2 LAG in Höhe von 150.000 DM nicht überschritten hat; sie wurden deshalb nicht zur Vermögensabgabe veranlagt. Ebenso wurden sie nicht zur Hypothekengewinnabgabe und zur Kreditgewinnabgabe herangezogen. Der Senat teilt indessen nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, aus diesen Gründen bestehe für die Bf. kein abgaberechtliches Interesse an der Feststellung eines Sonderwertes, wodurch auch das Antragsrecht entfalle. Die Vorschrift des § 26 Abs. 2 Satz 2 LAG bestimmt, daß das Rückerstattungsvermögen bei der Ermittlung des der Abgabe unterliegenden Vermögens nur insoweit anzusetzen ist, als sein Wert den Betrag von 150.000 DM übersteigt. Diese Vorschrift beinhaltet nur einen Freibetrag, nicht aber, daß das betreffende Vermögen nicht zu dem der Vermögensabgabe unterliegenden Vermögen gehört. Das den Freibetrag übersteigende Vermögen ist mit 90 v. H. des Wertes anzusetzen (ß 26 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 LAG). Für die Ermittlung des der Vermögensabgabe unterliegenden Vermögens ist somit ein zum 1. April 1949 etwa festzustellender Sonderwert von Interesse. Hierbei kann es nicht darauf ankommen, ob das Rückerstattungsvermögen auch ohne die Feststellung eines Sonderwertes den Freibetrag von 150.000 DM nicht übersteigt. In den Fällen der Rückerstattung mag zudem der steuerliche Wert des Rückerstattungsvermögens den Abgabepflichtigen durchaus nicht immer eindeutig erkennbar sein. Der Senat ist der Auffassung, daß ein abgaberechtliches Interesse im Sinne des § 5 Abs. 3 der 9. AbgabenDV-LA und somit ein Antragsrecht zur Feststellung eines Sonderwertes jeder hat, dem Grundbesitz (Rückerstattungsvermögen) in Berlin (West) gehört, und zwar unabhängig davon, ob der Abgabepflichtige wegen des Freibetrages nach § 26 Abs. 2 Satz 2 LAG zur Vermögensabgabe zu veranlagen ist oder nicht. Gerade für die Frage der Anwendung und Auswirkung des Freibetrages besteht das erwähnte rechtliche Interesse. Diese Auslegung hält der Senat auch mit Rücksicht auf die oben dargestellte Ergänzung des § 13 des Feststellungsgesetzes über die übernahme des Sonderwertes bei der Schadensberechnung durch das 4. ändGLAG (a. a. O.), das über ein Jahr nach der 9. AbgabenDV-LA erlassen worden ist, für berechtigt. Die Grundtendenz der Ergänzung des § 13 LAG geht, wie aus dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich (Bundestagsdrucksache 571, 2. Wahlperiode) zu entnehmen ist, dahin, die Möglichkeit zu schaffen, gewisse Wertminderungen, die die Grundstücke in Berlin (West) durch die dortige Entwicklung erfahren haben, nicht nur bei der Vermögensabgabe, sondern auch bei der Schadensberechnung mitzuberücksichtigen. Die Auslegung des § 6 Abs. 3 der 9. AbgabenDV-LA durch die Vorinstanzen schließt diese Möglichkeit aus. Damit würden diejenigen Abgabepflichtigen, die nur Rückerstattungsvermögen von nicht mehr als 150.000 DM - auch ohne Feststellung eines Sonderwertes - haben, für die Schadensberechnung schlechter gestellt werden, als diejenigen, die ein höheres oder auch kein Rückerstattungsvermögen haben. Dies haben die Vorinstanzen verkannt.

Der Auffassung des Verwaltungsgerichtes, daß der Antrag auf Ermäßigung wegen des Kriegssachschadens in der am 19. Februar 1955 eingereichten Erklärung zur Ermittlung des Vermögens auf den 1. April 1949 und zur Vermögensabgabe als ein Antrag auf Feststellung eines Sonderwertes umgedeutet werden kann, und der Antrag somit rechtzeitig gestellt ist, stimmt der Senat zu.

Der Wertfortschreibung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1950, die gegebenenfalls für die Feststellung eines Sonderwertes in Betracht kommt, steht nach der Auffassung des Senates die auf den 1. Januar 1952 wegen des Kriegssachschadens bereits durchgeführte Wertfortschreibung nicht entgegen. Der Senat hat zwar im Urteil III 96/58 U vom 16. Januar 1959 (BStBl 1959 III S. 150, Slg. Bd. 68 S. 386) entschieden, daß die rechtskräftige Wertfortschreibung auf einen Stichtag die spätere Wertfortschreibung auf einen früheren Stichtag in der Regel ausschließt. Er hat aber in diesem Urteil auch seine Entscheidungen aufgeführt, in denen aus besonderen Gründen ausnahmsweise eine Wertfortschreibung auf einen früheren Stichtag zugelassen worden ist, obwohl bereits eine Wertfortschreibung auf einen späteren Stichtag unanfechtbar durchgeführt worden war. Einen solchen Ausnahmefall sieht der Senat im Streitfalle als gegeben an. Hierfür sprechen einmal die besonderen Berliner Verhältnisse, ferner die Tatsachen, daß die 9. AbgabenDV-LA vom 28. Juni 1954 erst zwei Jahre nach Erlaß des Wertfortschreibungsbescheides im Juli 1952 ergangen und die Ergänzung des § 13 des Feststellungsgesetzes hinsichtlich der übernahme der Sonderwerte für die Entschädigungsseite erst im Juli 1955 angeordnet worden ist. Im Falle der Wertfortschreibung des Einheitswertes wird der Wertfortschreibungsbescheid vom 9. Juli 1952 gegenstandslos (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofes III 94/50 U vom 9. August 1951, BStBl 1951 III S. 178, Slg. Bd. 55 S. 446).

Da die Antragsfrist auf Feststellung eines Sonderwertes gewahrt ist, entspricht es dem Recht und der Billigkeit, die Wertfortschreibung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1950 von Amts wegen durchzuführen (ß 225 a Abs. 2 Satz 1 AO), sofern die anderen Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für die Wertfortschreibung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1950 und für die Feststellung eines Sonderwertes auf den 1. April 1949 gegeben sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410065

BStBl III 1961, 273

BFHE 1962, 8

BFHE 73, 8

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