Leitsatz (amtlich)

Die anstelle des einer Stadt gemäß § 26 des Badischen Aufbaugesetzes vom 25. November 1949 (GVBl 1950, 29) möglichen Eintrittsrechts vorgenommene Weiterveräußerung eines Grundstücks an die Stadt kann nicht in die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs im Sinne des § 17 GrEStG umgedeutet werden.

 

Normenkette

GrEStG § 17; StAnpG § 1 Abs. 3; Badisches Aufbaugesetz vom 25. November 1949 (GVBl 1950, 29) § 26

 

Tatbestand

Die Kläger hatten durch einen Vertrag vom August 1955 mehrere Grundstücke in Miteigentum erworben. An einem der Grundstücke war nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) die Stadt wegen Schaffung einer öffentlichen Verkehrsfläche (Parkplatz) interessiert. Die Stadt erwarb deshalb das Grundstück von den Klägern durch Kaufvertrag vom Oktober 1955. Unmittelbar anschließend verzichtete sie gegenüber den Klägern auf das ihr gemäß § 26 des Badischen Aufbaugesetzes vom 25. November 1949 (GVBl 1950, 29) zustehende Eintrittsrecht. Die Kläger waren im Dezember 1955 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden. Gemäß Auflassungserklärung von Ende 1956 wurde das Grundstück auf die Stadt umgeschrieben.

Das Finanzamt (FA) zog die Kläger wegen des Vertrags vom August 1955 durch vorläufigen Steuerbescheid im November 1955 zur Grunderwerbsteuer heran, den es in Juli 1959 für endgültig erklärte. Durch getrennte Berichtigungsbescheide gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO setzte das FA im September 1961 die Grunderwerbsteuer wegen fehlerhaft zu niedrig angenommener Gegenleistung höher fest.

Nach im wesentlichen erfolglosem Einspruch machten die Kläger auch mit der Berufung vor allem geltend, sie hätten das Grundstück mit Rücksicht auf das Eintrittsrecht der Stadt praktisch nicht erworben. Hilfsweise beanspruchten sie Steuerfreiheit wegen Erwerbs zur Schaffung eines öffentlichen Parkplatzes. Im übrigen sei die Berichtigungsveranlagung unzulässig gewesen, da die Fehleraufdeckung durch das FA selbst eingeleitet worden sei. Außerdem sei ein etwaiger Berichtigungsanspruch verwirkt.

Das FG hielt die Einwendungen der Kläger gegen die Zulässigkeit der berichtigten Steuerbescheide für unbegründet, setzte aber die Grunderwerbsteuer um den auf den Weiterveräußerungspreis entfallenden Grunderwerbsteuerbetrag niedriger fest. In Würdigung des Sachverhalts (§ 1 Abs. 3 StAnpG) müsse das Verhalten der Stadt einer „tatsächlichen Ausübung ihres Eintrittsrechts” gleichgestellt werden, so daß die Übertragung des Grundstücks auf die Stadt materiell einer Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges der Kläger unter Anwendung des § 17 GrEStG nach Zweck und wirtschaftlichem Sinn gleichzusetzen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. – jetzt Revision – des Beklagten muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.

Das FG hat die Berichtigung des Steuerbescheids gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO mit Recht für zulässig (vgl. auch Urteil des Senats II 36/62 vom 12. Oktober 1966, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 87 S. 43 – BFH 87, 43 –, BStBl III 1967, 34) und damit den Einwand der Verwirkung für unbegründet erklärt (vgl. auch Urteil des Senats II 15/64 vom 14. Dezember 1967, BFH 88, 42). Die Kläger haben hiergegen in dieser Instanz auch Einwendungen nicht mehr erhoben. Streitig ist deshalb hauptsächlich nur noch, ob in der an Stelle des der Stadt möglichen Eintrittsrechts vorgenommenen Weiterveräußerung des Grundstücks an die Stadt bei wirtschaftlicher Betrachtung die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs gemäß § 17 GrEStG erblickt werden kann oder ob wenigstens die Steuervergünstigung des § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG in Betracht kommt.

Zwar ist es – wie auch das FG zunächst zutreffend bemerkt – der Zweck des § 1 Abs. 3 StAnpG, die Besteuerung grundsätzlich nicht an die (oft zufällige oder willkürliche) äußere Form der rechtstechnischen Einkleidung anzuknüpfen, sondern an das von dem Beteiligten wirklich (gegebenenfalls wirtschaftlich) Gewollte. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß bei Prüfung, ob äußere Form und wirklicher (wirtschaftlicher) Wille im steuerrechtlichen Sinne tatsächlich voneinander abweichen, darauf abzustellen ist, in welcher Art und Weise die rechtlich oder wirtschaftlich erheblichen Vorgänge durch die Tatbestände der jeweils maßgebenden Einzelsteuergesetze erfaßt werden sollen. Das GrEStG will im wirtschaftlichen Ergebnis Grundstücksumsätze besteuern, vollzieht dies aber grundsätzlich durch Anknüpfung an den bürgerlich-rechtlichen Rechtsvorgang (vgl. § 1 Einleitungssatz GrEStG). Die äußere Form deckt sich mit dem Inhalt deshalb auch dann und ist in der Regel – unbeschadet des § 6 StAnpG – für die Besteuerung maßgebend, wenn die Beteiligten – aus welchen Gründen auch immer – z. B. mehrere Kaufverträge abschließen, im wirtschaftlichen Ergebnis aber nur einen Grundstückswechsel bezwecken. Dies ist der wahre Grund dafür, daß die sogenannte wirtschaftliche Betrachtungsweise bei der Grunderwerbsteuer nur mit den vom Gesetz selbst gesetzten Einschränkungen – z. B. hinsichtlich des Ersatztatbestandes des Erwerbs der (wirtschaftlichen) Verwertungsbefugnis nach § 1 Abs. 2 GrEStG, gegebenenfalls auch bei der Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG (vgl. Urteil des Senats II 5/62 vom 27. April 1966, BFH 86, 406) – Platz greifen kann. Deshalb hat der Senat auch in diesem Urteil (wie ständig, z. B. in den Urteilen II 88/58 U vom 14. Dezember 1960, BFH 72, 209, BStBl III 1961, 79; II 77/61 U vom 27. Juli 1962, BFH 75, 578, BStBl III 1962, 478; II 30/62 U vom 14. April 1965, BFH 82, 478, BStBl III 1965, 420) entschieden, daß die Beteiligten im allgemeinen grunderwerbsteuerrechtlich die von ihnen selbst gewählte Vertragsgestaltung für oder gegen sich gelten lassen müssen, ohne daß dieser Grundsatz allerdings starr angewendet werden müßte. So kann sich auch die Grunderwerbsbesteuerung trotz Vorliegens mehrerer formell getrennter Verträge unter dem Gesichtspunkt eines materiell einheitlichen Vertragswerks – mit Auswirkungen zugunsten oder auch zuungunsten des Steuerpflichtigen – vollziehen, allerdings unter der Voraussetzung, daß alle Beteiligten trotz der mehreren Verträge von vornherein eine einheitliche Regelung beabsichtigt haben und wenn zwischen den mehreren Verträgen ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. das o. a. Urteil II 5/62 mit weiteren Nachweisen). Nur unter diesen Voraussetzungen ist es – wie gesagt, zum Nutzen oder auch zu Lasten der Beteiligten – gerechtfertigt, das von Anfang an wirklich gewollte wirtschaftliche Ergebnis der Grunderwerbsbesteuerung zugrunde zu legen. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall schon deshalb nicht vor, weil die Beteiligten zwei voneinander unabhängige Kaufverträge mit verschiedenen Zielrichtungen abgeschlossen haben.

§ 1 Abs. 3 StAnpG gestattet zwar eine Beurteilung (Wertung) des „Tatbestandes”, d. h. des festgestellten Lebenssachverhalts unter Berücksichtigung der mit dem einzelnen Steuergesetz verfolgten Absicht; diese Vorschrift bietet aber – unbeschadet des § 6 StAnpG – keine Handhabe dafür, die bewußt gewählte Gestaltung in eine andere Gestaltung mit anderen bürgerlich-rechtlichen Wirkungen umzudeuten (vgl. auch BFH-Urteil III 178/61 U vom 31. Januar 1964, BFH 78, 458, BStBl III 1964, 178). Die Kläger haben in freier Entscheidung statt des möglichen Eintrittsrechts der Stadt den Weg eines Kaufvertrags gewählt und diese Rechtsgestaltung auch wirklich gewollt. Beide Wege führten zwar letztlich zum Eigentumserwerb durch die Stadt, aber unter verschiedenartigen Rechtsbeziehungen und -wirkungen zwischen verschiedenen Parteien. Auch die Vorschrift des § 1 Abs. 3 StAnpG rechtfertigt es – entgegen der Auffassung des FG – nicht, die unzweideutige Vertragsgestaltung nur deshalb in eine Ausübung des Eintrittsrechts der Stadt umzudeuten, weil dies unter Umständen für die grunderwerbsteuerrechtliche Beurteilung für die Kläger günstiger wäre; dies im übrigen auch darum nicht, weil für die verschiedenen Gestaltungen verschiedene Erwerbsvorgänge mit verschiedenen Steuerschuldnern in Betracht kämen (bei Ausübung des Eintrittsrechts gemäß § 26 Abs. 3 des Badischen Aufbaugesetzes vom 25. November 1949 in Verbindung mit § 505 Abs. 2, § 1098 Abs. 1 BGB neben der Stadt der ursprüngliche Grundstückseigentümer).

Da die Stadt ihr Eintrittsrecht nicht ausgeübt hat, nach Vorstehendem der streitige Kaufvertrag auch nicht der Ausübung des Eintrittsrechts gleichgestellt werden kann, ist nicht zu erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen im Falle der Ausübung des Eintrittsrechts der Kaufvertrag mit den Wirkungen aus § 17 GrEStG als aufgehoben gelten könnte. Aus denselben Gründen kann eine andere Beurteilung auch nicht mit dem Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) II A 203/33 vom 27. Oktober 1933 (RStBl 1934, 191) gestützt werden, da in jenem Falle das Vorkaufsrecht ausgeübt worden war und der Erwerber das Grundstück im Auftrag des ursprünglichen Eigentümers an den Vorkaufsberechtigten aufgelassen hatte. Dies gilt auch von dem dort zitierten RFH-Urteil II A 270/22 vom 12. Dezember 1922 (RFH 11, 73, RStBl 1923, 139), wo überdies der ursprüngliche Eigentümer selbst sich verpflichtet hatte, das Grundstück an den Dritten aufzulassen, und der Kaufvertrag zwischen dem ursprünglichen Eigentümer und dem Erwerber rückgängig gemacht worden war. Entscheidendes Gewicht hatte der RFH – wie auch Boruttau-Klein, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 8. Aufl., § 17, Tz. 106, hervorheben – damals darauf gelegt, daß zwischen dem Erwerber und dem Dritten, anders als im Streitfall, ein Vertragsverhältnis nicht begründet worden war.

Die Steuervergünstigung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG kann den Klägern schon deshalb nicht gewährt werden, weil es bereits an der Unmittelbarkeit der Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks fehlt. Wegen der Gründe im einzelnen wird auch insoweit auf das Urteil des Senats II 30/62 U vom 14. April 1965 (a. a. O.) verwiesen.

Nach allem waren gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO auf die Revision des Beklagten das Urteil des FG aufzuheben und die Klage gegen die Einspruchsentscheidung des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 600710

BFHE 1968, 245

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