Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält daran fest, daß bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens ein Schuldabzug wegen der möglichen Inanspruchnahme aus zum Diskont gegebenen Wechseln grundsätzlich nicht zulässig ist, wenn der Steuerpflichtige am Bewertungsstichtag noch nicht in Anspruch genommen worden ist. Waren kürzere Zeit vor dem Feststellungszeitpunkt bei einzelnen Wechseln einer Wechselreihe die Rückgriffsvoraussetzungen gegen den Steuerpflichtigen als Aussteller erfüllt und mußte der Steuerpflichtige am Stichtag auch mit dem Protest von noch nicht fälligen Wechseln der auf denselben Schuldner gezogenen Wechselreihe fest rechnen, konnte der Steuerpflichtige die dieser Wechselreihe zugrunde liegende Kaufpreisforderung am Stichtag nicht mehr als erfüllt ansehen. In diesen Fällen kann die zum Betriebsvermögen gehörende Grundforderung wertberichtigt werden.

 

Normenkette

BewG 1965 §§ 95, 103, 109

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Kläger und Revisionsbeklagter) betreibt den Handel mit Kraftfahrzeugen. Er verkauft insbesondere LKW's.

Seine Kunden leisten im allgemeinen eine Anzahlung von mindestens 25 v. H. des Kaufpreises und begeben für den Restkaufpreis Wechsel. Der Restkaufpreis wird in höchstens 12 gleiche Monatsraten aufgeteilt. Für jede Rate wird ein besonderer Wechsel mit entsprechender Fälligkeit ausgestellt (Wechselreihen). Wegen der zu befürchtenden Inanspruchnahme aus diskontierten Wechseln hat der Steuerpflichtige in seine Vermögensaufstellung zum 1. Januar 1967 eine Rückstellung für Wechselobligo in Höhe von 355 500 DM eingesetzt. Bei einem gesamten Wechselobligo von 3 621 283 DM hat er Wechsel im Gesamtbetrag von 711 156 DM als zweifelhaft bezeichnet und in Höhe der Hälfte dieses Betrages eine Rückstellung gebildet. Wechsel im Betrag von insgesamt 585 051 DM lauten auf Bezogene, die einen oder mehrere Wechsel im Laufe des Jahres 1966 oder kurze Zeit nach dem 1. Januar 1967 nicht eingelöst haben. Das FA (Beklagter und Revisionskläger) hat die Rückstellung unter Hinweis auf das Urteil des Senats III 345/57 S vom 8. Januar 1960 (BFH 70, 222, BStBl III 1960, 83) nicht zum Abzug zugelassen.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der Klage mit dem in EFG 1971, 123 veröffentlichten Urteil statt und ermäßigte den Einheitswert des Betriebsvermögens um 356 000 DM.

Mit der Revision rügt das FA, das FG habe zu Unrecht § 6 BewG nicht angewandt. Die Rückgriffsverpflichtungen des Klägers aus diskontierten Wechseln seien am Stichtag aufschiebend bedingt gewesen, weil die Rückgriffsvoraussetzungen - Fälligkeit, Nichtbezahlung der Wechselsumme, Verfall und Wechselprotest - noch nicht erfüllt gewesen seien. Verbindlichkeiten, die von zukünftigen Ereignissen abhingen, seien im Interesse der Rechtsklarheit bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nicht abzugsfähig.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen.

Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Senat hat sich mit dem Problem der Rückstellung für Haftungsschulden bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens wiederholt eingehend auseinandergesetzt. In der Entscheidung III 345/57 S vom 8. Januar 1960 (a. a. O.), bei der es allerdings um die Zulässigkeit einer Garantierückstellung ging, hat der Senat seine früher vertretene Auffassung (vgl. Entscheidung III 132/56 S vom 23. November 1956, BFH 64, 34, BStBl III 1957, 14), wonach ein Unternehmer auch bewertungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt des Delkredere die Gefahr der Nichteinlösung von zum Diskont weitergegebenen Wechseln durch eine Rückstellung berücksichtigen könne, aufgegeben. Der Senat hat entschieden, daß der Abzug eines Schuldpostens für die Haftung aus zum Diskont weitergegebenen Wechseln weder unter dem Gesichtspunkt der Wertberichtigung noch unter dem der Rückstellung gerechtfertigt sei, wenn der Steuerplichtige am Bewertungsstichtag aus den Haftungsverbindlichkeiten noch nicht in Anspruch genommen worden ist. Diese Rechtsauffassung hat der Senat in mehreren Urteilen (vgl. z. B. III 366/58 U vom 7. Oktober 1960, BFH 71, 690, BStBl III 1960, 508; III 238/63 vom 17. März 1967, BFH 88, 554, BStBl III 1967, 486; III R 23/68 vom 18. April 1969, BFH 96, 276, BStBl II 1969, 576, und zuletzt III R 29/70 vom 16. Juli 1971, BFH 103, 210, BStBl II 1971, 796) bestätigt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die bewertungsrechtliche Anerkennung einer Rückstellung als Schuld voraus, daß hinsichtlich des Sachverhalts, für den die Rückstellung gebildet worden ist, im Feststellungszeitpunkt sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich eine Verpflichtung besteht. Bei den diskontierten Wechseln fehlt eine solche rechtliche Verpflichtung des Ausstellers zur Zahlung der Wechselsumme, solange der Wechsel noch nicht verfallen oder in den Fällen des Art. 43 Abs. 2 des Wechselgesetzes (WG) die anderen Rückgriffsvoraussetzungen erfüllt sind. Zu Recht ist das FG unter Hinweis auf die Urteile des BFH II 272/58 U vom 11. Januar 1961 (BFH 72, 440, BStBl III 1961, 162) und III 125/61 S vom 8. September 1961 (BFH 74, 42, BStBl III 1962, 19) davon ausgegangen, daß es sich bei der Haftungsschuld des Klägers nicht um eine aufschiebend bedingte Verpflichtung handelt. Die Art. 43 ff. WG regeln die Voraussetzungen, unter denen die Haftungsschuld der Indossanten, des Ausstellers und der anderen Wechselverpflichteten vom Inhaber des Wechsels geltend gemacht werden kann. Dies ist nicht von einem zukünftigen ungewissen, auf Parteivereinbarung beruhenden Ereignis abhängig. Das FG hat jedoch verkannt, daß durch Ausstellung (Art. 9 WG) oder Indossierung (Art. 15 WG) von Wechseln lediglich eine Haftungs schuld begründet wird, die erst dann eine wirtschaftliche Belastung ist, wenn die Rückgriffsvoraussetzungen gegen den Haftenden vorliegen. Verpflichtungen, die sich aus Gewährleistung, Haftung, Bürgschaft usw. ergeben, liegen deshalb, wie der Senat im Urteil III 345/57 S vom 8. Januar 1960 (a. a. O.) augeführt hat, bewertungsrechtlich auf einer ganz anderen Ebene als die im Feststellungszeitpunkt bestehenden eigenen Schulden. Bevor die Haftungsschuld von Aussteller und Indossant zur Verpflichtung wird, die Rückgriffssumme zu bezahlen, handelt es sich um eine bloße Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen von Aussteller und Indossant, die einer Leistungsschuld nicht gleichgestellt werden kann. Denn die Haftung von Aussteller und Indossant ist nur sekundär. Dem entspricht es, daß beim Aussteller ein Schuldabzug aus weitergegebenen Wechseln erst anerkannt werden kann, wenn er aus den diskontierten Wechseln in Anspruch genommen worden ist.

Nur diese Beurteilung entspricht Stichtagsprinzip und statischer Betrachtungsweise. Denn nach der statischen Bilanzauffassung sind der Bewertung des Vermögens die tatsächlichen Verhältnisse in einem bestimmten Zeitpunkt zugrunde zu legen. Entgegen der Auffassung des FG ist es mit der statischen Betrachtungsweise nicht vereinbar, eine am Stichtag nicht vorliegende, zukünftige Entwicklung einzelner Vermögensteile zu berücksichtigen. Das Stichtagsprinzip verbietet es, Rückstellungen für Verbindlichkeiten abzuziehen, aus denen die wirtschaftliche Belastung noch ungewiß ist.

Eine Wertberichtigung der rechtlich noch bestehenden Kundenforderungen hat der Senat für den Regelfall abgelehnt, weil die Kundenforderungen durch die Diskontierung wirtschaftlich grundsätzlich als erfüllt anzusehen sind (BFH-Urteil III 238/63 vom 17. März 1967, a. a. O.) und deshalb auch nicht mehr in der Vermögensaufstellung als Besitzposten erscheinen. Dem steht auch nicht ohne weiteres entgegen, daß es sich im Streitfall bei den Diskontgeschäften um Darlehnsverträge handelt und daß die Bank die diskontierten Wechsel unter gewissen Voraussetzungen bereits vor Verfall zurückbelasten oder den Aussteller anderweitig in Anspruch nehmen kann. Auch in diesen Fällen gilt der Grundsatz, daß der Diskontnehmer mit der Diskontierung der Wechsel den Kaufpreis für die verkauften Waren wirtschaftlich zunächst erhalten hat.

Im Streitfall ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Steuerpflichtige vor dem streitigen Stichtag als Aussteller notleidend gewordener Wechsel aus verschiedenen Wechselreihen, bei denen weitere Wechsel derselben Bezogenen erst nach dem 1. Januar 1967 fällig wurden, in Anspruch genommen wurde. Lagen kürzere Zeit vor dem streitigen Stichtag bei einzelnen Wechseln einer Wechselreihe desselben Bezogenen die materiellen Rückgriffsvoraussetzungen gegen den Steuerpflichtigen als Aussteller vor und mußte der Steuerpflichtige am 1. Januar 1967 auch mit dem Protest von noch nicht fälligen Wechseln der auf den gleichen Schuldner gezogenen Wechselreihe fest rechnen, konnte der Steuerpflichtige die dieser Wechselreihe zugrunde liegende Kundenforderung am streitigen Stichtag nicht mehr als erfüllt ansehen. In diesen Fällen gehört die Grundforderung noch zu den Besitzposten des Betriebsvermögens, der auf der Schuldenseite die Verpflichtung zur Einlösung der diskontierten Wechsel gegenübersteht. Dieser Fall ist nicht mit der Prolongierung vor Verfall zu vergleichen, die nach der Entscheidung III R 23/68 vom 18. April 1969 (a. a. O.) des Senats einen Schuldabzug wegen Inanspruchnahme aus Wechselhaftung nicht rechtfertigt.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Es fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen darüber, in welcher Höhe die Grundforderungen des Steuerpflichtigen nach den obigen Ausführungen noch zu den Besitzposten des Betriebsvermögens gehören und wertberichtigt werden können. Die Sache war daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 FGO). Das FG wird zu prüfen haben, in welchem Umfang eine Wertberichtigung nach den oben entwickelten Grundsätzen ausnahmsweise auch auf die vom Steuerpflichtigen zum Diskont weitergegebenen Wechsel gerechtfertigt ist. Der Wertberichtigungsposten wird um den Wert etwaiger Sicherheiten des Steuerpflichtigen - insbesondere die Möglichkeit, sich aufgrund eines Eigentumsvorbehalts aus den verkauften Kraftfahrzeugen befriedigen zu können - zu ermäßigen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413112

BStBl II 1972, 446

BFHE 1972, 560

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