Leitsatz (amtlich)

Die Befreiungsvorschrift des § 5 Nr. 3 GrStG bezieht sich nur auf Wohnräume, nicht auf Wohnungen. In städtischen Gebieten ist eine Wohneinheit nur dann eine Wohnung, wenn zu ihr ein eigener Abort gehört.

 

Normenkette

GrStG § 4 Nr. 3 Buchst. b, § 5 Nr. 3, § 6 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Stiftung privaten Rechts, die wegen der Förderung mildtätiger Zwecke von der Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Vermögensteuer befreit ist. Sie ist Eigentümerin von zwei aneinandergrenzenden Grundstücken. In den auf diesen Grundstücken errichteten zwei Gebäuden hat die Klägerin nach ihrem Statut über 50jährige Witwen oder unverheiratete Töchter bereits verstorbener Männer, die im öffentlichen Dienst pflichttreu gedient haben, unterzubringen, soweit sie wirtschaftlich bedürftig sind. Nach den Feststellungen des FG werden den Benefiziatinnen, die zu mehr als 2/3 weniger als 450 DM an monatlichen Einkünften haben, Wohneinheiten zur Verfügung gestellt, die in der Mehrzahl aus zwei Zimmern, einer Küche und Nebengelaß bestehen. Die Wohneinheiten haben separate Zugänge und sind für sich abgeschlossen. Bade- und Toilettenräume werden außerhalb der Wohneinheiten gemeinschaftlich benutzt. Die Stiftshäuser haben einen Gemeinschaftsraum mit Bibliothek und Flügel sowie ein Fernsehzimmer. Die Wohneinheiten werden unmöbliert vergeben. Das Gemeinschaftsleben wird durch eine Hausordnung geregelt. Die Klägerin sieht es als ihr Ziel an, die Benefiziatinnen selbständig leben und wirtschaften zu lassen. Sind die Benefiziatinnen hierzu nicht mehr in der Lage, so werden sie durch die Stadtküche verpflegt, durch die Stiftsverwaltung betreut, in leichten Krankheitsfällen pflegerisch versorgt; in schweren Fällen wird ärztliche Hilfe beschafft oder eine Überweisung in das Krankenhaus veranlaßt. Die Stiftsverwaltung besteht aus einer Heimleiterin mit einer krankenpflegerischen Ausbildung und einer weiteren Mitarbeiterin. Seit die Stadt ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die Stiftung durch Geldzuwendungen mit zu unterhalten, nicht mehr nachkommt, ist die Klägerin nach ihren Angaben genötigt, von den Benefiziatinnen, soweit sie mehr als 200 DM monatliche Einnahmen haben, eine Umlage zur Bestreitung der Verwaltungskosten zu erheben.

Das FA behandelte die beiden Grundstücke zunächst nach § 4 Nr. 3 Buchst. b GrStG im vollen Umfang als steuerfreien Grundbesitz. Auf den 1. Januar 1955 stellte es dann aber im Wege der Nachfeststellungen Einheitswerte für je einen Teil der beiden Gebäude fest. Diese Teile der beiden Gebäude sah das FA deswegen als steuerpflichtig an, weil sie an Benefiziatinnen vergeben waren, die nicht als bedürftig angesehen werden konnten. Es wurden dementsprechend auch für diese Teile der beiden Gebäude Grundsteuermeßbeträge festgesetzt. Bei Wertfortschreibungen auf den 1. Januar 1957 wurden weitere Teile der Gebäude als steuerpflichtig behandelt. Durch Bescheid vom 28. Februar 1963 führte das FA auf den 1. Januar 1963 erneut Wertfortschreibungen der beiden Einheitswerte und Fortschreibungsveranlagungen der Grundsteuermeßbeträge durch. Es behandelte dabei die beiden Grundstücke als voll grundsteuerpflichtig; es war der Auffassung, daß die Befreiungsvorschriften der §§ 4 und 5 GrStG nicht in Betracht kämen, weil es sich bei den Stiftshäusern weder um Grundstücke im Sinne des § 4 GrStG noch bei den Wohneinheiten in den Stiftshäusern um Wohnräume, sondern um Wohnungen handele.

Der Einspruch und die nach dem Inkrafttreten der FGO als Klage behandelte Berufung blieben ohne Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus: Nach § 5 Nr. 3 GrStG seien nur Wohnräume von der Grundsteuer befreit. Das Gesetz unterscheide, wie der BFH im Urteil III 264/55 U vom 23. März 1956 (BFH 62, 446, BStBl III 1956, 165) entschieden habe, nach seinem Wortlaut zwischen Wohnungen und Wohnräumen. Die Wohneinheiten in den Stiftshäusern seien Wohnungen, da sie aus mehreren Wohnräumen beständen, die die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichten. Es sei nach dem BFH-Urteil III 158/55 S vom 16. Dezember 1955 (BFH 62, 126, BStBl III 1956, 47) unerheblich, daß die Wohneinheiten keine Toilette hätten. Das gelte insbesondere für ältere Gebäude, aber auch für neuere, sofern bei der Errichtung Sparsamkeitsgesichtspunkte im Vordergrund gestanden hätten. Es sei kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, entgegen dem BFH-Urteil III 264/55 U (a. a. O.) von der Wortinterpretation des Gesetzes abzuweichen, wenn auch damit gerade diejenigen Wohneinheiten nicht begünstigt würden, in denen alte und hilfsbedürftige Menschen weniger zu dem psychologisch und medizinisch nicht sehr erwünschten Gemeinschaftsleben gezwungen würden. Das spreche aber nur für die Notwendigkeit, die Fassung des Gesetzes zu überdenken. Auch § 1 Abs. 2 StAnpG könne zu keiner anderen Entscheidung führen. Die Klägerin könne sich im gerichtlichen Verfahren auch nicht darauf berufen, daß die obersten Steuerbehörden des Bundes und der Länder unter bestimmten Voraussetzungen bei Wohnstiften zur Vermeidung von Härten § 5 Nr. 3 GrStG angewendet wissen wollten. Es handle sich dabei um eine Auslegung des Gesetzes, die durch das Gesetz nicht gedeckt sei.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung des FA und die Einheitswert-Bescheide vom 28. Februar 1963 aufzuheben. Hilfsweise beantragt sie, die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Sie rügt unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Zur Begründung bringt sie im wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des FG begehre sie keine Abweichung vom Wortlaut des Gesetzes, sondern eine Entscheidung, bei der die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze und die Entwicklung der Verhältnisse berücksichtigt würden. Aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt ergebe sich eindeutig der Charakter des Stifts als Einrichtung für hilfsbedürftige Personen. An dem gemeinschaftsbetonten Charakter des Stifts ändere sich dadurch nichts, daß Eingriffe der Heimleitung in das Leben der Benefiziatinnen mit Rücksicht auf moderne sozialpolitische und soziologische Erkenntnisse auf ein Mindestmaß beschränkt blieben. Das FG habe sich nur auf Urteile des BFH berufen und lediglich festgestellt, daß es keinen Grund gefunden habe, der es rechtfertigen könnte, von der Wortinterpretation des Gesetzes abzuweichen. Das BFH-Urteil III 264/55 U (a. a. O.) stelle fest, daß zwischen Wohnräumen und Wohnungen zu unterscheiden sei, treffe aber nicht den hier zu entscheidenden Fall. In dem BFH-Urteil III 158/55 S (a. a. O.) werde auf die jeweils herrschende Verkehrsauffassung abgestellt. Dazu wäre das FG auch nach § 1 Abs. 2 StAnpG verpflichtet gewesen. Beide Entscheidungen seien vor mehr als 11 Jahren ergangen und berücksichtigten die damals herrschenden Nachkriegsverhältnisse. Der BFH habe selbst darauf hingewiesen, daß unter normalen Verhältnissen zu einer Wohnung auch ein WC gehöre.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Die Befreiung der beiden Grundstücke von der Grundsteuer auf Grund des § 4 Nr. 3 Buchst. b GrStG hängt nach dem Wortlaut dieser Vorschrift einmal davon ab, daß diese Grundstücke einer inländischen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse gehören, die nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dient. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Nach der Feststellung des FG ist die Klägerin eine Stiftung des privaten Rechts und ist wegen der Förderung mildtätiger Zwecke steuerbefreit. Die Grundsteuerbefreiung hängt aber nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 3 Buchst. b GrStG von der weiteren Voraussetzung ab, daß die Grundstücke von der Klägerin unmittelbar für gemeinnützige oder mildtätige Zwecke benutzt werden. Trifft dies nur für einen räumlich abgrenzbaren Teil des Grundstücks zu, so ist nach § 6 Abs. 2 GrStG nur dieser Teil befreit. Dabei ist zu beachten, daß Grundbesitz, der Wohnzwecken dient, nach § 5 GrStG nur insoweit den begünstigten Zwecken dient, als er Räume enthält, die in Nr. 1 bis Nr. 4 dieser Vorschrift aufgezählt sind. Im Streitfall kann eine Befreiung nach § 5 Nr. 3 GrStG in Betracht kommen. Sie setzt voraus, daß es sich um Wohnräume handelt, die für die Aufnahme erholungsbedürftiger oder hilfsbedürftiger Personen bestimmt sind. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß diese Befreiungsvorschrift sich nur auf "Wohnräume", nicht auf "Wohnungen" bezieht. Diese Auffassung hat der Senat bereits im Urteil III 264/55 U (a. a. O.) vertreten. In dem damals entschiedenen Fall handelte es sich um Wohneinheiten, zu denen neben den eigentlichen Wohnräumen auch Küche, Bad und WC gehörten. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem damals entschiedenen dadurch, daß die an die Benefiziatinnen überlassenen Wohneinheiten zwar eine Küche, aber kein WC und kein Bad enthalten, sondern das WC und Bäder außerhalb der Wohneinheiten liegen und von mehreren Benefiziatinnen gemeinschaftlich benutzt werden. Das FG ist der Auffassung, daß es sich bei diesen Wohneinheiten gleichwohl um Wohnungen handele, so daß schon aus diesem Grunde eine Befreiung nach § 5 Nr. 3 GrStG entfalle. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht.

Das FG beruft sich zu Unrecht auf das Urteil des Senats III 158/55 S (a. a. O.). Es ist zwar richtig, daß der Senat in diesem Urteil ausgesprochen hat, für den Wohnungsbegriff sei nicht allgemein zu fordern, daß jede Mietpartei eine eigene Küche und ein eigenes WC habe; es könne auch bei Mitbenutzung dieser Einrichtungen durch mehrere Parteien steuerlich eine Wohnung vorliegen. Der Senat hat aber in diesem Urteil deutlich zum Ausdruck gebracht, daß dies nur unter Berücksichtigung der nach dem Ausgang des Krieges tatsächlich bestehenden örtlichen Wohnverhältnisse gelte, daß aber in "normalen Zeiten" ein Raum für Kochgelegenheiten und ein Abort wesentlich für den Begriff einer Wohnung seien. Diese Einschränkung ist auch aus den beiden Urteilen zu entnehmen, die der Senat damals zitiert hat (vgl. BFH-Urteil III 35/51 U vom 19. Juli 1951, BFH 55, 442, BStBl III 1951, 176, und III 225/52 S vom 12. Juni 1953, BFH 57, 597, BStBl III 1953, 229). In dem vom FA erwähnten Urteil III 244/57 U vom 26. September 1958 (BFH 68, 410, BStBl III 1959, 157) hat der Senat allerdings ohne diese Einschränkung Kleinwohnungen in ländlichen Gegenden, die keinen eigenen Abort hatten, als Wohnungen angesehen. Aus der Begründung dieses Urteils geht jedoch klar hervor, daß er das nur getan hat, weil nach seiner Meinung an Wohnungen auf dem flachen Lande hinsichtlich der Nebenräume, der Wasserversorgung usw. nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden können wie in Klein-, Mittel- oder Großstädten. Gerade daraus ergibt sich, daß der Senat auch damals ein eigenes WC in städtischen Gebieten als unerläßliche Voraussetzung für den Wohnungsbegriff angesehen hat. An dieser Auffassung hält der Senat auch im Streitfall fest.

Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war sie aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen. Das FG wird noch Feststellungen darüber zu treffen haben, ob sich am 1. Januar 1963 der Anteil der Wohnräume, die nicht an erholungsbedürftige oder hilfsbedürftige Personen überlassen sind und die deshalb steuerpflichtig sind, gegenüber den Verhältnissen am vorangegangenen Feststellungszeitpunkt vom 1. Januar 1957 so weitgehend geändert hat, daß die Grenzen des § 22 BewG in der vor dem BewG 1965 geltenden Fassung überschritten sind. Nur in diesem Fall wäre eine Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1963 zulässig. Die Einheitswerte wären für die steuerpflichtigen Räume der beiden Grundstücke festzustellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69027

BStBl II 1970, 525

BFHE 1970, 46

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