Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff der Wohnung.

Für Kleinwohnungen auf dem flachen Lande kann die Grundsteuerbefreiung nicht allein deswegen versagt werden, weil die Kleinwohnungen Nebenräume, die im allgemeinen zu jeder einzelnen Wohnung gehören (z. B. eigenes WC), nach den örtlich bestehenden Wohnverhältnissen gemeinsam haben.

 

Normenkette

GSWBY 2

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) betreibt ein Baugeschäft. Er hat in den Jahren 1951 und 1952 auf seinem in M. gelegenen unbebauten Grundstück einen Neubau errichtet. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen enthält der Neubau im Erdgeschoß einen Laden für ein Lebensmittel- und Milchgeschäft, ein Gastwirtschaftszimmer, Küche, Kühlraum, Toilette, Flur sowie drei Wohnräume. Ferner befinden sich im I. Stock zwei Wohnungen und im Dachgeschoß eine Wohnung. Eine im Dachgeschoß befindliche Kammer mit 7,31 qm Wohnfläche gehört zur Erdgeschoßwohnung. Nach den weiteren Feststellungen ist jede der vier Wohnungen in sich abgeschlossen und hat eine Wohnfläche, die 75 qm nicht übersteigt. Das Finanzamt hat jedoch die für die Wohnungen begehrte Grundsteuerbefreiung abgelehnt. Es vertritt die Auffassung, daß die Grundsteuerbefreiung nur für selbständige Wohnungen gewährt werden könne. Als Wesensmerkmal einer selbständigen Wohnung werde verlangt, daß diese mit ihren wesentlichen Bestandteilen und mit den notwendigen Nebenräumen in sich abgeschlossen sei, so daß sie nur den Nutzungsberechtigten zugänglich sei. Als notwendige Nebenräume einer in sich abgeschlossenen Wohnung seien Küche (mit eigener Wasserzapf- und Ablaufstelle) und Abort anzusehen. Hieran fehle es im Streitfall. Der Inhaber der Erdgeschoßwohnung sei auf die Abortanlage der Gastwirtschaft angewiesen. Für die drei übrigen Wohnungen befinde sich eine gemeinsame Abortanlage im Flur des I. Stocks. Das Finanzgericht ist der Auffassung des Finanzamts beigetreten, nachdem auch das Landratsamt bestätigt hatte, daß die Voraussetzungen der Grundsteuerbefreiung für die Wohnungen nicht erfüllt seien.

In der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird vom Bf. vor allem vorgebracht: M. sei eine Landgemeinde mit rund 2.100 Einwohnern (darunter etwa 400 Personen landwirtschaftliche Bevölkerung). In M. dürften mindestens 80 bis 90 v. H. der vorhandenen Wohnungen kein Spülklosett, geschweige denn ein eigenes Klosett - dazu noch in abgeschlossener Form der Wohnung - haben. In sehr vielen Fällen befinde sich das Klosett sogar außerhalb des Hauses. Bei Einbau von Aborten in jede einzelne Wohnung hätten sich höhere Baukosten und damit auch höhere Mieten ergeben. Für Wohnungen mit höheren Mieten hätten aber in der Landgemeinde M. kaum Mieter gefunden werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung.

Im Gegensatz zum Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetz, die nicht lediglich für "Wohnungen", sondern auch für "Wohnräume" die Grundsteuervergünstigung vorsehen, sind nach dem Bayerischen Landesgesetz über die Grundsteuerfreiheit und Gebührenfreiheit für den sozialen Wohnungsbau vom 28. November 1949 (GSW), Gesetz und Verordnungsblatt 1950 S. 30, nur "Kleinwohnungen" von der Grundsteuer befreit (ß 1 a. a. O.). Der Begriff der Wohnung ist in keinem der genannten Gesetze näher umschrieben. Wie der Senat bereits im Urteil III 158/55 S vom 16. Dezember 1955 (Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 47, Slg. Bd. 62 S. 126) ausgeführt hat, wird im Schrifttum als Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrzahl von Räumen bezeichnet. Die Räume in ihrer Gesamtheit müßten so beschaffen sein, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts möglich machten. Die Einheit, zu der die einzelnen Räume zusammengefaßt seien, müsse sich aus der baulichen Beschaffenheit und Lage der Räume und aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ergeben. Ferner gehöre zum Begriff einer Wohnung, daß sie gegen andere Wohnungen und Wohnräume abgeschlossen sei und einen selbständigen Zugang habe. Des weiteren schließe der Begriff der Wohnung das Vorhandensein der unerläßlichen Nebenräume ein; ein Raum für Kochgelegenheit und ein Abort sei wesentlich für den Begriff der Wohnung. Der Senat hat jedoch in dem genannten Urteil anerkannt, daß bei der Beantwortung der Frage, was als eine Wohnung anzusehen sei, die nach dem Ausgang des Krieges tatsächlich bestehenden örtlichen Wohnverhältnisse berücksichtigt werden müßten. Einmal sei an dem Merkmal, daß eine Wohnung gegen andere Wohnungen und Wohnräume abgeschlossen sein müsse, nicht unbedingt festzuhalten. Außerdem sei für den Wohnungsbegriff nicht allgemein zu fordern, daß jede Mietpartei eigene Küche, eigenes WC habe. An dieser Auffassung hält der Senat fest.

Im Streitfall handelt es sich bei den Räumen im Erdgeschoß um einen besonders gelagerten Fall insofern, als diese Räume (Laden, Gastwirtszimmer, Wohnräume, Küche usw.) zusammengehören und nach ihrer baulichen Beschaffenheit nur zusammen genutzt werden können. Es liegt somit - ebenso wie im Fall des Urteils III 225/52 S vom 12. Juni 1953, BStBl 1953 III S. 229, Slg. Bd. 57 S. 597 - zweckgebundener Wohnraum vor. Es handelt sich um eine Wohnung auf einem Grundstück mit einem gewerblichen Betrieb, die schon bei ihrer Herstellung für den Inhaber des Betriebs bestimmt wurde. In einem solchen Fall ist für die betreffenden Wohnräume der Begriff der Wohnung nicht zu verneinen, wenn wegen des engen Zusammenhangs mit den gewerblichen Räumen und den dazugehörigen Nebenräumen (Küche, Toilette usw.) auf den weiteren Einbau solcher Nebenräume verzichtet wird. Das muß insbesondere gelten, wenn es sich - wie im Streitfall - um einfache Verhältnisse in einer Landgemeinde handelt.

Was nun die übrigen Wohnungen in dem Neubau betrifft, so kann auch hier nicht übersehen werden, daß es sich um Kleinwohnungen in einer ländlichen Gemeinde handelt. Nach der Auffassung des Senats können an Wohnungen auf dem flachen Lande hinsichtlich der Nebenräume, Wasserversorgung, Wasserabfluß usw. nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie bei Wohnungen in Klein-, Mittel- oder gar Großstädten. Andernfalls würden sich für Kleinwohnungen auf dem Lande steuerliche Nachteile ergeben, die nicht gerechtfertigt wären. Nach den Akten ist das Bauvorhaben des Bf. bauaufsichtlich genehmigt worden. Es ist nicht festgestellt worden, daß die Baubehörden hinsichtlich des Einbaus von Nebenräumen (insbesondere von Aborten in jede einzelne Wohnung) besondere Auflagen gemacht haben, denen der Bf. nicht nachgekommen ist. Nach § 1 der Durchführungsbestimmungen zum Gesetz über die Grundsteuerfreiheit und Gebührenfreiheit für den sozialen Wohnungsbau vom 10. Juli 1950 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1950 S. 166) sind Kleinwohnungsbauten im Sinne des GSW nur Bauten, die bauaufsichtlich genehmigt wurden. Dementsprechend wird man auch für den Regelfall annehmen müssen, daß Kleinwohnungen in bauaufsichtlich genehmigten Wohnungsneubauten den Begriff der Wohnung erfüllen. Der Senat kommt nach alledem zu dem Ergebnis, daß für Kleinwohnungen auf dem flachen Lande die Grundsteuerbefreiung allein nicht deswegen versagt werden kann, weil sie Nebenräume, die im allgemeinen zu jeder einzelnen Wohnung gehören (z. B. eigenes WC), nach den örtlich bestehenden Wohnverhältnissen nur gemeinsam haben (§§ 1, 2 GSW).

Da die Vorinstanzen den Wohnungsbegriff zu eng ausgelegt haben, unterliegen die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung der Aufhebung. Die Sache geht an das Finanzamt zurück, das unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen den Grundsteuermeßbetrag neu festzusetzen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424026

BStBl III 1959, 157

BFHE 1959, 410

BFHE 68, 410

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