Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verlorengegangenem Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist; Ablösung eines Nießbrauchs gegen wiederkehrende Leistungen

 

Leitsatz (NV)

1. Ergibt sich aus dem Kommunikations- Journal des BFH, daß von dem Gerät des Bevollmächtigten des Revisionsklägers vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ein Fax eingegangen ist, und legt der Bevollmächtigte unter Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung die Kopie eines zum selben Zeitpunkt per Fax an den BFH gesandten, dort aber nicht auffindbaren Antrages auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist vor, kommt wegen unverschuldeter Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht.

2. Wird ein im Rahmen einer Erbauseinandersetzung einem Elternteil eingeräumter Nießbrauch gegen wiederkehrende Leistungen abgelöst, so hängt die einkommensteuerrechtliche Beurteilung der laufenden Zahlungen davon ab, ob es sich um im Zuge einer "gleitenden" Vermögensübergabe übernommene Versorgungsleistungen oder um ein Entgelt handelt (Anschluß an die BFH-Urteile vom 25. November 1992 X R 34/89, BFHE 170, 76, und X R 148/90, BFH/NV 1993, 586).

 

Normenkette

EStG §§ 9, 10 Abs. 1 Nr. 1a, § 12 Nr. 2, § 21; FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war zusammen mit seiner Mutter in ungeteilter Erbengemeinschaft Gesamthandseigentümer einer Zweifamilienhauses in N. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 25. Juli 1977 setzten sich die Miterben in der Weise auseinander, daß der Kläger das Grundstück unter Übernahme der darauf ruhenden Belastungen zu Alleineigentum erhielt und seiner Mutter einen lebenslänglichen Nießbrauch an dem gesamten Grundstück einräumte.

Aufgrund notariell beurkundeter Vereinbarung vom 10. Dezember 1984 löste der Kläger den Nießbrauch der Mutter zum 1. Januar 1985 gegen Zahlung einer lebenslänglichen, wertgesicherten Rente in Höhe von 1 000 DM monatlich ab.

Mit seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1989 (Streitjahr) machte der Kläger Zahlungen an seine Mutter in Höhe von 12 000 DM als dauernde Last i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) versagte den Sonderausgabenabzug mit der Begründung, daß Zahlungen zur Ablösung eines unentgeltlich eingeräumten Nießbrauchs steuerrechtlich als Zuwendungen i. S. von § 12 Nr. 2 EStG zu beurteilen seien.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) mit dem hier angefochtenen Zwischenurteil insoweit stattgegeben, als es dem Grunde nach entschieden hat, der Kapitalwert der übernommenen Rentenverpflichtung sei als nachträgliche Anschaffungskosten des Zweifamilienhauses zu behandeln und der Ertragsanteil der im Streitjahr erbrachten laufenden Zahlungen sei als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen. Nach Auffassung des FG führt die Ablösung eines dinglichen Nutzungsrechts stets zu einer Wertsteigerung des Grundstücks und damit unabhängig davon, ob es sich um einen veräußerungsähnlichen Vorgang oder um einen Teil einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen handele, zu nachträglichen Anschaffungskosten; insoweit folgt das FG ausdrücklich nicht der Rechtsprechung des X. Senats des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (Urteile vom 3. Juni 1992 X R 147/88, BFHE 169, 127, BStBl II 1993, 98, und vom 25. November 1992 X R 148/90, BFH/NV 1993, 586).

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 1 EStG.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist zulässig. Dem Kläger ist wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO zu gewähren.

Auf den Hinweis des Vorsitzenden vom 14. November 1994, daß die Revisionsbegründung nicht innerhalb der bis zum 28. Oktober 1994 verlängerten Begründungsfrist eingegangen sei, hat der Bevollmächtigte des Klägers am 24. November 1994 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er unter Vorlage entsprechender Kopien eidesstattlich versichert, er habe mit einem per Fax am 27. Oktober 1994 an den BFH gesandten Schriftsatz eine weitere Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 25. November 1994 beantragt.

Nachdem die von dem Bevollmächtigen des Klägers insoweit vorgelegten Unterlagen mit dem Kommunikations-Journal des BFH übereinstimmen, wonach am 27. Oktober 1994 um 14.38 h ein Fax von dem Gerät des Bevollmächtigten des Klägers eingegangen ist, geht der Senat davon aus, daß der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten.

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FG ist zwar in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend davon ausgegangen, daß grundsätzlich der Kapitalwert laufender Zahlungen zur Ablösung des Nießbrauchs an einem Grundstück -- nachträgliche -- Anschaffungskosten darstellt, und daß der Ertragsanteil der laufenden Zahlungen als (sofort abziehbare) Werbungskosten bei den Einkünften des Ablösenden aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen ist (vgl. Senatsurteil vom 30. August 1994 IX R 2/91, BFH/NV 1995, 291 m. w. N.). Es hat jedoch zu Unrecht nicht geprüft, ob im Streitfall die entgeltliche Ablösung des Nießbrauchs durch den Kläger den Teilakt einer zeitlich gestreckten -- "gleitenden" -- Vermögensübergabe bildete.

Nach der Rechtsprechung des BFH ist bei der Ablösung von Nießbrauchsrechten gegen wiederkehrende Leistungen zu unterscheiden, ob der Verzicht als Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen zur Vorwegnahme der Erbfolge oder als entgeltliches Veräußerungsgeschäft zu beurteilen ist; stellen die wiederkehrenden Zahlungen Versorgungsleistungen dar, sind sie regelmäßig dauernde Lasten, die beim Verpflichteten nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG in vollem Umfang als Sonderausgaben abziehbar sind (BFH-Urteile in BFHE 169, 127, BStBl II 1993, 98; in BFH/NV 1993, 586). Für die Abgrenzung zwischen Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen und entgeltlicher Vermögensübertragung sind die im Urteil vom 29. Januar 1992 X R 193/87 (BFHE 167, 95, BStBl II 1992, 465) wiedergegebenen Beurteilungsmerkmale maßgebend.

Nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat mit Urteil vom 9. Februar 1994 IX R 53/91 (BFH/NV 1995, 189) angeschlossen hat, ist im Streitfall zu untersuchen, ob die im Rahmen der Erbauseinandersetzung vorgenommene Einräumung des Nießbrauchs und dessen spätere Ablösung Teilakte einer "gleitenden" Vermögensübergabe darstellten mit der Folge, daß die wiederkehrenden Leistungen des Klägers -- ggf. teilweise -- als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG zu berücksichtigen sind.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen nicht beurteilen, ob es sich bei den wiederkehrenden Leistungen des Klägers an seine Mutter um Versorgungsleistungen im Rahmen einer Vermögensübergabe oder um ein Entgelt im Rahmen eines Veräußerungsgeschäfts handelt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420979

BFH/NV 1996, 324

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