Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwertung einer Sicherheit für Eingangsabgaben; bezugnehmende Revisionsbegründung

 

Leitsatz (NV)

1. Die von der Vollstreckungsbehörde an den Vollstreckungsschuldner gerichtete Bekanntgabe der Absicht, sich aus einer Sicherheit zu befriedigen (§ 327 Satz 3 AO 1977), ist ein Verwaltungsakt.

2. Will das Hauptzollamt wegen nicht entrichteter nachgeforderter Eingangsabgaben eine ihm von dem Vertreter des Zoll beteiligten in Form einer Bankbürgschaft geleistete Sicherheit in Anspruch nehmen, so darf es die Verwertungsabsicht dem Vertreter nicht in Form eines Verwaltungsakts (1.) mitteilen. Offen bleibt, ob es in diesem Falle überhaupt einer Mitteilung der Verwertungsabsicht (gegenüber dem Vollstrekungsschuldner) bedarf.

3. Zur Begründung der Revision durch Bezugnahme.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 327, 192, 48 Abs. 2; ZG § 12 Abs. 3; AZO § 20a Abs. 2; FGO § 120 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte -- Klägerin --, eine Spedition und Zollagentur, war von dem beklagten und revisionsklagenden Hauptzollamt -- HZA -- zur Abgabe vereinfachter Zollanmeldungen bei der in fremdem Namen beantragten Abfertigung zum freien Verkehr zugelassen (§ 12 Abs. 3 des Zollgesetzes, § 20 a Abs. 2 der Allgemeinen Zollordnung) und hatte für die im Rahmen des Sammelzollverfahrens entstehenden Eingangsabgaben Sicherheit (Bankbürgschaft) geleistet. Sie ließ innerhalb dieses Verfahrens namens und in Vollmacht der Firma A-GmbH Waren zum freien Verkehr abfertigen, für die das HZA später durch einen der Klägerin als Vertreterin übersandten Steueränderungs bescheid (vom 26. Mai 1987) Eingangsab gaben nachforderte. Nachdem die Klägerin erklärt hatte, die Zollbeteiligte -- die GmbH -- sei wegen Zahlungsunfähigkeit nicht in der Lage, die nachgeforderten Abgaben zu zahlen, teilte das HZA der Klägerin mit, es sei beabsichtigt, Befriedigung durch teilweise Verwertung der vorhandenen Bürgschaft zu erlangen; der Klägerin werde anheimgestellt, die Abgaben selbst zu entrichten. Hiergegen legte die Klägerin Beschwerde ein und erhob nach deren Zurückweisung Klage.

Das Finanzgericht -- FG -- hob die Verfügung und die Beschwerdeentscheidung mit der Begründung auf, das HZA sei nicht berechtigt, auf die von der Klägerin gestellte Sicherheit zurückzugreifen; sein Ermessen sei auf Null reduziert, da eine Verwertung der Sicherheit (§ 327 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) ausgeschlossen sei, wenn, wie hier, die angemeldeten, bestandskräftig festgesetzten Abgaben gezahlt worden seien und der Sicherungszweck damit erreicht sei. Eine aus dem Wortlaut der Bürgschaftsurkunde sich ergebende Übersicherung (auch hinsichtlich der später geltend gemachten Nachforderungen) dürfe nicht beansprucht werden.

Gegen dieses Urteil haben das HZA und die Oberfinanzdirektion (OFD), die im Klageverfahren beigetreten war, Revision eingelegt. Das durch einen Beamten der OFD vertretene HZA hat sich zur Begründung seiner Revision auf die Revisionsbegründung der OFD bezogen. Diese führt aus, das Sammelzollverfahren ende nicht mit der Entrichtung der Abgaben bei Fälligkeit, sondern erst aufgrund der vorgeschriebenen Schlußprüfungen; wegen der so lange bestehenden Unsicherheit diene die insoweit geleistete Sicherheit auch zur Abdeckung dieses nur für Sammelzollverfahren spezifischen Risikos und der sich etwa ergebenden Nachforderungen.

Die Klägerin tritt der Rechtsauffassung der Revisionskläger entgegen und meint, es bestehe kein durch Sicherheitsleistung abzudekendes spezifisches Risiko eines Sammelzollverfahrens.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revisionen, über die gemeinsam entschieden wird (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), sind zulässig.

Die Revision des HZA ist zwar nicht selbständig, sondern nur durch Bezugnahme auf die Revisionsbegründung der OFD begründet worden. Damit ist jedoch hier dem Begründungserfordernis nach § 120 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO genügt worden. In der neueren Rechtsprechung ist anerkannt, daß Bezugnahmen nicht schlechthin unzulässig, sondern dann zur Begründung ausreichend sind, wenn die in Bezug genommene Begründung von dem (postulationsfähigen) Prozeßbevollmächtigten selbst stammt (Bundesfinanzhof -- BFH --, Beschlüsse vom 16. Oktober 1984 IX R 177/83, BFHE 143, 196, 198, BStBl II 1985, 470, und vom 14. Februar 1990 II B 170/89, BFH/NV 1991, 106; vgl. auch Gräber/Ruban, FGO, 3. Aufl. 1993, § 120 Anm. 19). Jedenfalls unter dieser Voraussetzung entspricht auch die bezugnehmende Begründung eines einer anderen Behörde angehörenden Vertreters im Sinne von Art. 1 Nr. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs den Anforderungen. Die vorbezeichnete Voraussetzung ist hier erfüllt, denn die Revisionsbegründung der OFD stammt von dem Vertreter selbst. Der Umstand, daß er die Revisionsbegründung als Beamter der OFD ("im Auftrag") unterzeichnet hat, steht dieser Beurteilung nicht entgegen.

Zulässig ist auch die Revision der OFD. Diese war aufgrund ihres Beitritts als Beschwerdebehörde am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt (§ 61, § 57 Nr. 4 FGO) und, da durch die entgegen ihrem Antrag ergangene, der Klage stattgebende Vorentscheidung beschwert, berechtigt, Revision einzulegen (BFH, Urteil vom 30. November 1989 I R 14/87, BFHE 159, 82, 90 f., BStBl II 1990, 993).

2. Die Revisionen sind nicht begründet.

Sie sind zurückzuweisen, weil das FG im Ergebnis richtig entschieden hat, daß die angegriffenen Verwaltungsakte -- Bekanntgabe der Verwertungsabsicht und bestätigende Beschwerdeentscheidung -- keinen Bestand haben können (vgl. § 126 Abs. 4 FGO). Die Revisionskläger durften gegen die Klägerin, weil zu dieser kein Vollstrekungsrechtsverhältnis bestand, nicht, wie jedoch geschehen, Verwaltungsakte im Hinblick auf die "Verwertung" der Bürgschaft für Abgabenschulden der GmbH erlassen. Die Frage, ob Ermessensfehler vorliegen, stellt sich nicht.

Die Verwertung von Sicherheiten bestimmt sich nach § 327 AO 1977. Danach kann sich die Vollstreckungsbehörde wegen im Verwaltungsverfahren vollstreckbarer, aber nicht erfüllter Geldforderungen aus Sicherheiten befriedigen, die sie zur Sicherung dieser Ansprüche erlangt hat; die Verwertung (nach den einschlägigen Vorschriften der AO 1977) darf erst erfolgen, wenn "dem Vollstreckungsschuldner" die Verwertungsabsicht bekanntgegeben worden ist. Diese Bekanntgabe ist eine Sonderform des Leistungsgebots und somit Verwaltungsakt (Tipke/Kruse, AO/FGO, 14. Aufl., AO § 327 Tz. 5). Auch das HZA hat einen Verwaltungsakt erlassen. Dieser ist jedoch, ebenso wie die ihn bestätigende Beschwerdeentscheidung, rechtswidrig, weil er, jedenfalls gegenüber der Klägerin, nicht hätte ergehen dürfen (zur Rechtslage in einem insoweit ähnlichen Fall Senat, Urteil vom 2. April 1987 VII R 148/83, BFHE 149, 482, 484, 489, BStBl II 1987, 536 -- als Verwaltungsakt ergangene Aufrechnungserklärung --).

Die Verwertung einer Sicherheit im Rahmen von § 327 AO 1977 ist Teil des Vollstreckungsverfahrens (BFH, Urteil vom 11. April 1989 VIII R 219/84, BFH/NV 1989, 755). Ist jedoch durch rechtsgeschäftliche Verpflichtung eines Dritten Sicherheit in Form einer Bürgschaft geleistet worden (vgl. § 48 Abs. 2 AO 1977), so kann der Bürge nicht im Verwaltungsvollstrekungsverfahren, sondern nur nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts in Anspruch genommen werden (§ 192 AO 1977), ggf. durch Klage vor dem ordentlichen Gericht. Nur auf diese Weise kann die von der Klägerin beigebrachte Sicherheit -- Bankbürgschaft (§ 241 Abs. 1 Nr. 7, § 244 AO 1977) -- "verwertet" werden (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 7). Umstritten ist allerdings, ob in einem solchen Falle § 327 AO 1977 insgesamt unanwendbar ist (so Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 9. Aufl., AO § 327 Rz. 3; Dumke in Schwarz, AO, § 327 Anm. 8) oder ob es auch dann noch der Bekanntgabe im Sinne von § 327 Satz 3 AO 1977 bedarf (so Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 2; Klein/Orlopp, AO, 4. Aufl. 1989, § 327 Anm. 3; wohl auch Wolf in Koch/Scholtz, AO, 4. Aufl., § 327 Rz. 4). Der Senat neigt der ersteren -- folgerichtig erscheinenden -- Auffassung zu, läßt aber die Frage letztlich offen. Sie braucht hier nicht entschieden zu werden. Wäre nämlich § 327 AO 1977 im Streitfall insgesamt nicht anwendbar, so käme auch keine Bekanntgabe im Sinne von § 327 Satz 3 AO 1977 (Verwaltungsakt) in Betracht. Die bloße Mitteilung, daß Befriedigung durch teilweise Verwertung der Bürgschaft gesucht werden solle, hat nicht die Rechtsqualität eines Verwaltungsakts (ebenso, ausgehend von seiner Rechtsauffassung, Dumke, a.a.O., für eine an den Vollstreckungsschuldner gerichtete Aufforderung). Entsprechendes gilt für das mit der Mitteilung verbundene Anheimgeben einer Selbstzahlung. Wäre dagegen, wovon anscheinend das FG ausgeht, auch für die Inanspruchnahme der Bürgschaft eine Bekanntgabe im Sinne von § 327 Satz 3 AO 1977 erforderlich, so hätte dieser Verwaltungsakt nicht an die Klägerin gerichtet werden dürfen. Es darf nur gegen den "Vollstreckungsschuldner" ergehen (mißverständlich Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 2: gegen den nach bürgerlichem Recht Verpflichteten; vgl. dagegen a.a.O., Tz. 5: Bekanntgabe an den Steuerpflichtigen). Die Klägerin ist jedoch nicht Vollstreckungsschuldnerin. Vollstreckungsschuldner ist derjenige, gegen den sich ein -- tatsächliches -- Vollstreckungsverfahren nach § 249 AO 1977 richtet (§ 253 AO 1977), d. h. der, gegen den ein (hier: auf eine Geldleistung gerichteter) Verwaltungsakt im Verwaltungsweg vollstreckt wird (§ 251 Abs. 1 AO 1977). Als Vollstreckungsschuldner kommen hier nur der Steuerschuldner und ein etwaiger Haftungsschuldner in Betracht. Steuerschuldnerin ist die Klägerin nicht. Sie war als Vertreterin nicht Zollbeteiligte. Zollbeteiligte und damit Schuldnerin der Eingangsabgaben war allein die von der Klägerin vertretene GmbH. Die Klägerin wird für die von der GmbH geschuldeten Abgaben auch nicht als Haftungsschuldnerin nach § 191 Abs. 1, § 69, § 35, § 34 Abs. 1 AO 1977 in Anspruch genommen (hierzu Kareseit, Recht der Internationalen Wirtschaft 1987, 527, 531 f., der eine entsprechende Haftung der Grenzspediteure bejaht, jedoch nur bis zum Abschluß des Geschäftsvorfalls). Soweit die Klägerin im übrigen als Steuerpflichtige (§ 33 Abs. 1 AO 1977) anzusehen war -- in ihrer Eigenschaft als Inhaberin der Zulassung --, ist dies im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang. Die von ihr als Steuerpflichtige in diesem Rahmen zu erfüllenden (anderen) Verpflichtungen bestehen jedenfalls nicht in der Begleichung der von der GmbH -- erfolglos -- nachgeforderten Eingangsabgaben. Die Klägerin wird, wie sich aus der angefochtenen Verfügung ergibt, insoweit auch nicht in Anspruch genommen.

Hiernach kann das HZA aus der geleisteten Sicherheit nur durch unmittelbares Herantreten an den Bürgen -- ggf. nach vorheriger Bekanntgabe gegenüber dem Vollstrekungsschuldner (GmbH) -- ohne zwingende Befassung der Klägerin, Befriedigung wegen der nachgeforderten Abgaben suchen, wobei der Wortlaut der Bürgschaftsverpflichtung (für Eingangsabgaben, die "im Rahmen" des Sammelzollverfahrens entstehen, auch in der Person vertretener Auftraggeber) und ihr Sinn und Zweck zu berücksichtigen sein werden. Die Finanzgerichte sind nicht berufen, über diesen bürgerlich-rechtlichen Anspruch zu befinden. Eine Auslegung der Bürgschaftsverpflichtung ohne Zusammenhang mit einem Finanzrechtsstreit ist ihnen verwehrt. Da (noch) nicht über einen solchen Anspruch zu entscheiden ist -- vom FG auch nicht entschieden worden ist, was dann hinsichtlich der Rechtswegzuständigkeit (§ 70 FGO, § 17 a Abs. 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes -- GVG --) bindend wäre --, kommt eine Verweisung des Rechtsstreits nach § 17 a Abs. 2 GVG nicht in Betracht.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 559

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