Leitsatz (amtlich)

Wenn das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen die Abgabe mehrerer Erklärungen angeordnet und dieser die Anordnung nicht befolgt hat, dann umfaßt das dem FA durch § 202 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen auch die Entscheidung der Frage, ob dem Steuerpflichtigen für die Abgabe jeder einzelnen Erklärung ein gesondertes, gleichhohes Erzwingungsgeld auferlegt werden soll.

 

Normenkette

AO § 202 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) lehnte am 21. Juli 1970 den Antrag des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) auf Verlängerung der Frist zur Abgabe der Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen 1968 sowie der Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1969 ab. Nach einer entsprechenden Androhung setzte es am 30. November 1970 für jede der vier Erklärungen ein Erzwingungsgeld von 60 DM fest, das der Kläger entrichtete. Nach einer weiteren Androhnung vom 29. Januar 1971 setzte das FA für jede der vier Erklärungen ein weiteres Erzwingungsgeld von 150 DM fest durch Verfügung vom 9. März 1971, gegen die der Kläger nach erfolgloser Beschwerde Klage erhob.

Das FG hob durch Urteil vom 28. Januar 1972 die Beschwerdeentscheidung der OFD auf, setzte unter Änderung der Verfügung des FA vom 9. März 1971 die zur Erzwingung der Abgabe der Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen sowie der Vermögensaufstellung festgesetzten Erzwingungsgelder von je 150 DM auf 50 DM herab und wies die Klage im übrigen, d. h. wegen des zur Erzwingung der Abgabe der Einkommensteuererklärung festgesetzten Betrages, ab. Zur Begründung führte es aus:

Die Festsetzung des Erzwingungsgeldes sei dem Grunde nach zulässig gewesen, da die Nichterfüllung des Finanzbefehls nicht entschuldbar erscheine. Eine vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung sei daher nicht geboten. Das FG habe jedoch gegen die Summe der Erzwingungsgelder Bedenken. Hier seien zwei Gründe gegeneinander abzuwägen gewesen. Einerseits sei zu beachten gewesen, daß ein Erzwingungsgeld keine Strafe, sondern ein Druckmittel sei. Deshalb habe das FG sich bei der Prüfung der Angemessenheit nicht auf die Verhältnisse des Jahres 1968, auf das sich die Erklärungen bezögen, beschränken dürfen. Um die für den erstrebten Erfolg notwendige Höhe der Erzwingungsgelder beurteilen zu können, habe es vielmehr auch berücksichtigen müssen, daß der Kläger schon die Erklärungen für das Jahr 1966 erst im Dezember 1968 abgegeben habe. Die Erklärungen für das Jahr 1967 hätten im November 1970 noch nicht vorgelegen. Deshalb habe das FA Erzwingungsgelder von 3 x 100 DM festgesetzt, die der Kläger auch bezahlt habe. Die Erklärungen für 1967 seien erst im März 1971 eingegangen, nachdem das FA im Januar 1971 Erzwingungsgelder von 3 x 300 DM angedroht gehabt habe. Die Festsetzung der Erzwingungsgelder von 4 x 60 DM für die das Jahr 1968 betreffenden Erklärungen habe keinen Erfolg gehabt. Bei Berücksichtigung aller dieser Umstände sei eine Erhöhung von 60 auf 150 DM keinesfalls übertrieben gewesen. Andererseits erscheine es dem FG als unzulässig, 150 DM mit der Zahl der Erklärungen zu multiplizieren. Denn man könne nicht sagen, daß bei vier abzugebenden Erklärungen das anzuwendende Zwangsmittel viermal so stark sein müsse wie wenn nur eine Erklärung abzugeben wäre. Bei einer solchen rein mathematischen Betrachtungsweise würde außer acht gelassen, daß ein Steuerpflichtiger, der sich schon zur Anfertigung und Abgabe einer Einkommensteuererklärung entschließe, erfahrungsgemäß in den meisten Fällen die weiteren von ihm geforderten Erklärungen gleich miterledigen werde. Es sei sogar denkbar, daß ein Steuerpflichtiger, der nur zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung gezwungen werde, die übrigen Erklärungen freiwillig mit abliefern werde. Da aber andererseits vier Erklärungen mehr Arbeit machten als eine und deshalb nicht so leicht in Angriff genommen würden wie nur eine, habe das FG es für notwendig, aber auch ausreichend gehalten, zur Erzwingung der Abgabe der Gewerbe- und Umsatzsteuererklärung sowie der Vermögensaufstellung Erzwingungsgelder von je 50 DM (gegenüber 150 DM bei der Einkommensteuererklärung) festzusetzen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 100 Abs. 2 Satz 1 und des § 102 FGO.

Es habe durch die mit der Klage angefochtene Verfügung vom 9. März 1971 Ungehorsamsfolgen festgesetzt. Deshalb sei das FG nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht berechtigt gewesen, die festgesetzten Beträge zu ändern. Außerdem seien die Ermessenserwägungen des FG rechtsfehlerhaft. Das FA und die OFD hätten die Höhe des jeweiligen Erzwingungsgeldes und den Gesamtbetrag sorgfältig abgewogen und insbesondere die Länge des Zeitraums, die Tatsache, daß es sich um die Festsetzung eines zweiten Erzwingungsgeldes gehandelt habe, und die Einkommensverhältnisse des Klägers berücksichtigt. Alle diese Gesichtspunkte habe das FG offenbar für unerheblich gehalten. Seine Auffassung, das FA habe sein Ermessen bei der Festsetzung der Erzwingungsgelder für die Abgabe der Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen sowie der Vermögensaufstellung um je 100 DM überschritten, sei nicht haltbar.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger macht geltend: Wenn das FG - wie es den Anschein habe - eine Ungehorsamsfolge nicht herabsetzen, sondern nur aufheben könne, stelle sich die Frage, was geschehe, wenn das FG - wie hier - ein Erzwingungsgeld zwar für gerechtfertigt halte, jedoch die Ermessengrenzen für überschritten ansehe. Die gesetzliche Grenze sei nach § 202 Abs. 2 AO für den einzelnen Fall der Betrag von 5 000 DM. Mithin könnte das FA im vorliegenden Fall 4 x 5 000 DM ansetzen, ohne daß das FG zur Ermäßigung des Ansatzes befugt wäre. Man dürfe deshalb wohl annehmen, daß das FG das Erzwingungsgeld aufheben und einen niedrigeren Betrag anordnen dürfe. Dann liefe aber die Einlegung der Revision im vorliegenden Falle auf einen Rechtsformalismus hinaus.

 

Entscheidungsgründe

Die zugelassene, form- und fristgerecht eingelegte Revision führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.

Die vom Kläger angegriffene Verfügung des FA vom 9. März 1971 beruht auf § 202 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach die FÄ die Befolgung von Anordnungen, die sie im Besteuerungsverfahren innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse treffen, durch Auferlegung eines Erzwingungsgeldes erzwingen können. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des FA, ob es im Einzelfall von dieser Befugnis Gebrauch machen will und in welcher Höhe das Erzwingungsgeld anzuordnen ist (vgl. Paulick in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.-6. Aufl., § 202 AO Rdn. 56; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 202 AO Rdn. 14). Deshalb durfte das FG die Verfügung vom 9. März 1971 gemäß § 102 FGO nur daraufhin nachprüfen, ob das FA durch sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Diese Vorschrift hat das FG verletzt. Es hat nämlich die Rechtmäßigkeit der Verfügung nach Grund und Höhe des durch sie festgesetzten Erzwingungsgeldes in vollem Umfang nachgeprüft und insbesondere selbst Erwägungen darüber angestellt, wie hoch das Erzwingungsgeld sein müßte, um den erstrebten Zweck - die Abgabe der Erklärungen - zu erzielen. Es hat sich damit unzulässigerweise an die Stelle des FA gesetzt und eine eigene Ermessensentscheidung getroffen. Das kommt letztlich auch dadurch zum Ausdruck, daß es die vom FA für die Abgabe der Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen sowie der Vermögensaufstellung festgesetzten Erzwingungsgeldbeträge niedriger festsetzte.

Durch die Festsetzung niedrigerer Beträge hat das FG im übrigen § 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO verletzt. Wenn sich im finanzgerichtlichen Verfahren herausstellt, daß der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, so hat das FG den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben. Richtet sich allerdings die Klage gegen einen Verwaltungsakt der in § 229 AO bezeichneten Art oder gegen einen sonstigen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt, so kann gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO das FG, wenn es einen anderen Betrag feststellt, diesen selbst festsetzen. Dies gilt jedoch nach der soeben genannten Vorschrift nicht für einen Verwaltungsakt, der eine Ungehorsamsfolge festsetzt. Um einen solchen Verwaltungsakt handelt es sich bei der Verfügung vom 9. März 1971. Denn das darin festgesetzte Erzwingungsgeld ist als Zwangsmittel eine Ungehorsamsfolge (vgl. § 202 Abs. 1 Satz 1, § 95 AO). Das FG hätte also auch eine nach § 102 FGO gewonnene Erkenntnis, daß die Verfügung vom 9. März 1971 hinsichtlich der Höhe des Erzwingungsgeldes ermessensmißbräuchlich und damit rechtswidrig sei, nicht zum Anlaß nehmen dürfen, einen anderen Betrag festzusetzen. Es hätte sich vielmehr darauf beschränken müssen, die Verfügung nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben. Die Ansicht des Klägers, das FG könne selbst ein niedrigeres Erzwingungsgeld festsetzen, ist rechtsirrig. Der Kläger übersieht, daß nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO die gerichtliche Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes zur Folge hat, daß die Finanzbehörde an die rechtliche Beurteilung gebunden ist, die der Aufhebung zugrunde liegt, und an die tatsächliche Beurteilung so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Das bedeutet für die Aufhebung einer Verfügung, mit der ein Erzwingungsgeld festgesetzt worden ist, daß die Finanzbehörde in entsprechender Weise an die rechtliche und tatsächliche Beurteilung der Höhe des Erzwingungsgeldes gebunden ist.

Das FG-Urteil war somit aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, da neue tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind.

Die Klage ist unbegründet, da das FA mit der angefochtenen Verfügung die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens eingehalten und von seinem Ermessen in zweckentsprechender Weise Gebrauch gemacht hat. Das FA hat insbesondere den gerade bei der Festsetzung eines Erzwingungsgeldes zu beachtenden rechtsstaatlichen Grundsatz gewahrt, daß zwischen dem Zweck und dem Mittel ein angemessenes Verhältnis bestehen muß (vgl. Mattern-Messmer, Reichsabgabenordnung, § 202 Rdn. 1327 mit weiteren Nachweisen; Tipke-Kruse a. a. O.).

Wenn das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen die Abgabe mehrerer Erklärungen angeordnet und dieser die Anordnung nicht befolgt hat, dann umfaßt entgegen der Ansicht des FG das dem FA durch § 202 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen auch die Entscheidung der Frage, ob dem Steuerpflichtigen für die Abgabe jeder einzelnen Erklärung ein gesondertes, gleichhohes Erzwingungsgeld auferlegt werden soll. Es kann nicht etwa, wie das FG das will, schematisch der Erklärung für eine einzelne Steuerart ein höheres Gewicht beigemessen werden. Jedenfalls kann, solange der Gesamtbetrag der einzelnen Erzwingungsgelder zu dem Verhalten des Steuerpflichtigen und das einzelne Erzwingungsgeld zu dem zu erwartenden Steuerbetrag noch in einem angemessenen Verhältnis stehen, von einer Überschreitung des dem FA eingeräumten Ermessens keine Rede sein.

Aus den tatsächlichen Feststellungen des FG geht hervor, daß der Kläger Steuererklärungen für das Jahr 1966 erst im Dezember 1968, solche für das Jahr 1967 erst nach der Festsetzung eines Erzwingungsgeldes von 3 x 100 DM und der Androhung eines weiteren Erzwingungsgeldes von 3 x 300 DM schließlich im März 1971 abgegeben hat und daß ihn die Festsetzung eines Erzwingungsgeldes von 4 x 60 DM am 30. November 1970 nicht bewegen konnte, die durch die hier angefochtene Verfügung betroffenen vier Erklärungen abzugeben. Angesichts dieser Vorgänge und der durch sie zum Ausdruck gekommenen hartnäckigen Passivität des Klägers stand die Festsetzung eines weiteren Erzwingungsgeldes von 4 x 150 DM in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck, den Kläger zur Abgabe der vier Erklärungen zu veranlassen.

 

Fundstellen

BStBl II 1976, 234

BFHE 1976, 426

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