Leitsatz (amtlich)

1. Der Senat hält an der Rechtsprechung fest, daß bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens ein Schuldabzug wegen der möglichen Inanspruchnahme aus zum Diskont gegebenen Wechseln nicht zulässig ist, wenn der Steuerpflichtige am Bewertungsstichtag noch nicht in Anspruch genommen worden ist. Werden zahlungshalber hereingenommene Wechsel in der Weise diskontiert, daß alle Wechsel bei Fälligkeit an den Diskontnehmer zurückgegeben und zurückbelastet werden, so führt die Diskontierung der Wechsel auch wirtschaftlich nicht zur Befriedigung wegen der Grundforderung. In diesen Fällen gehört die Grundforderung noch zu den Besitzposten des Betriebsvermögens, der auf der Schuldenseite die Verpflichtung zur Einlösung der diskontierten Wechsel gegenübersteht.

2. Eine Berufung, die der Vorsteher eines Finanzamts vor dem Inkrafttreten der FGO gegen eine Entscheidung des Steuerausschusses in zulässiger Weise eingelegt hat, ist nach dem Inkrafttreten der FGO als Klage zu behandeln, über die entsprechend der Rechtslage sachlich zu entscheiden ist. Der Vorsteher des FA hat in diesem Verfahren prozessual die Stellung des Klägers. Es verstößt nicht gegen das Verbot der Verböserung, wenn auf diese Klage die Entscheidung des Steuerausschusses aufgehoben und der ursprüngliche Steuerbescheid wiederhergestellt wird.

 

Normenkette

AO i.d.F. vor FGO § 263 Abs. 2 S. 1; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 54; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 62; BewG i. d. F.g vor BewG 1965 § 66; FGO §§ 100, 184 Abs. 2 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin hat in ihrer Vermögensaufstellung für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1960 eine Pauschalrückstellung für Wechselobligo angesetzt. Das FA (Revisionsbeklagter) hat diese Rückstellung unter Hinweis auf das Urteil des BFH III 345/57 S vom 8. Januar 1960 (BFH 70, 222, BStBl III 1960, 83) nicht zum Abzug zugelassen. Auf den Einspruch ließ der Steuerausschuß den Abzug in der erklärten Höhe zu. Auf die Berufung des FA änderte das FG mit Urteil vom 31. Januar 1966 den Feststellungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung dahingehend, daß es die Rückstellung für Wechselobligo nicht anerkannte.

Mit der Revision wird Verletzung des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts gerügt.

Die Revisionsklägerin führt zunächst aus, das FG habe über die Berufung des FA nach Inkrafttreten der FGO nicht mehr entscheiden dürfen. Zwar richte sich nach § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen die vor Inkrafttreten der FGO ergangenen Entscheidungen nach den bisher geltenden Vorschriften. Daraus folge nur, daß eine vor Inkrafttreten der FGO eingelegte Berufung nach Inkrafttreten der FGO als Klage zu behandeln sei. Aus § 63 Abs. 1 FGO ergebe sich aber, daß die FG nach dem 31. Dezember 1965 nur noch zur Entscheidung über Klagen der Steuerpflichtigen zuständig seien. Keinesfalls könne die Berufung des FA gegen die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses nach dem Inkrafttreten der FGO zu einer Entscheidung zugunsten des FA führen.

Materiellrechtlich rügt die Revisionsklägerin, die Vorinstanz sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß durch die Wechselhingabe die Grundforderung wirtschaftlich als erloschen zu betrachten sei. Bei den von ihr hereingenommenen Wechseln handle es sich nämlich um solche, die den Mobilisierungswechseln sehr ähnlich seien. Dies ergebe sich daraus, daß diese Wechsel nicht, wie es beim Handelswechsel üblich sei, in Umlauf gesetzt werden. Die Revisionsklägerin diskontiere vielmehr diese Wechsel bei einer Bank mit der Maßgabe, daß die Bank sämtliche Wechsel bei Fälligkeit nicht dem Akzeptanten zur Zahlung vorlege, sondern an die Revisionsklägerin als Ausstellerin und Diskontnehmerin zurückgebe und auch zurückbelaste.

Das FA hält die Entscheidung des FG für zutreffend. Es beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 263 Abs. 2 Satz 1 AO in der Fassung des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) vom 6. Mai 1950 (BGBl 1950, 448) konnte gegen Entscheidungen des Steuerausschusses auch der Vorsteher des FA Berufung einlegen. Diese Vorschrift war mit dem GG vereinbar (Beschluß des BVerfG 2 BvL 10/64 vom 20. Juni 1967, BVerfGE 22, 106). Mit dem Inkrafttreten der FGO wurde die Klagebefugnis des Vorstehers des FA aufgehoben (§ 162 Nr. 40 FGO). Nach § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO richtet sich jedoch die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, die vor dem Inkrafttreten der FGO ergangen ist, nach den bisherigen Vorschriften. Die vor dem Inkrafttreten der FGO in zulässiger Weise eingelegte Berufung des Vorstehers des FA war deshalb auch nach dem Inkrafttreten der FGO noch zulässig und als Klage zu behandeln (BFH-Entscheidung VI R 30/66 vom 30. November 1966, BFH 88, 112, BStBl III 1967, 305). Verfahrensrechtlich ist bei einer derartigen Klage der Vorsteher des FA Kläger und der Steuerpflichtige Beklagter (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 184 FGO, Anm. 1.). Wenn aber die Klage zulässig war, so mußte eine Sachentscheidung getroffen werden. Diese Sachentscheidung mußte nicht, wie die Revisionsklägerin meint, ohne nähere sachliche Prüfung auf Abweisung der Klage lauten. Das FG war vielmehr befugt, auf die Klage des Vorstehers des FA die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses aufzuheben und den ursprünglichen Bescheid wiederherzustellen. Dies widerspricht nicht dem Verbot der Verböserung durch gerichtliche Entscheidungen. Denn das FG konnte unter Berücksichtigung der prozessualen Stellung des Vorstehers des FA gemäß § 100 FGO aufgrund der Klage prüfen, ob die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses das Gesetz verletzte. Es durfte auch aufgrund der Klage den Bescheid in seiner ursprünglichen Fassung wiederherstellen. Ein Verstoß gegen das Verbot der Verböserung läge nur dann vor, wenn das FG einen Einheitswert festgestellt hätte, der höher wäre als der Einheitswert, der mit dem ursprünglichen Bescheid festgestellt wurde. Das ist aber nicht der Fall.

Die Revision führt jedoch aus materiellrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Mit Urteil III 238/63 vom 17. März 1967 (BFH 88, 554, BStBl III 1967, 486) hat der Senat entschieden, die Hereinnahme eines Wechsels und die Weitergabe dieses Wechsels zum Diskont führten dazu, daß die Forderung, derentwegen der Wechsel begeben wurde, wirtschaftlich zunächst als erloschen zu betrachten sei. Diese Auffassung entspreche den tatsächlichen kaufmännischen Gepflogenheiten. Aus diesem Grund wurde eine Wertberichtigung der Grundforderung, die zur Wechselbegebung führte, abgelehnt. Eine Rückstellung für Wechselobligo wurde entsprechend der Rechtsprechung des Senats zur Rückstellung für Gewährleistungsansprüche, Haftungsansprüche usw. nur für den Fall zugelassen, daß der Steuerpflichtige im Feststellungszeitpunkt aus dem Wechsel in Anspruch genommen wurde.

In dem damals entschiedenen Fall mußte nach den Feststellungen des FG davon ausgegangen werden, daß die diskontgebende Bank entsprechend der Üblichkeit bei Handelswechseln im Zeitpunkt des Verfalls des Wechsels vom Akzeptanten Zahlung verlangt. Leistet der Akzeptant fristgerecht, so ist der Aussteller des Wechsels und Diskontnehmer wirtschaftlich mit der Diskontierung wegen seiner Warenforderung gegen den Akzeptanten befriedigt. Dieses wirtschaftliche Ergebnis wird auch grundsätzlich nicht dadurch beeinträchtigt, daß der diskontierte Wechsel möglicherweise prolongiert werden muß. Wie der Senat in dem Urteil III R 23/68 vom 18. April 1969 (BStBl II 1969, 576) entschieden hat, kann jedenfalls in der Prolongierung vor dem Verfallzeitpunkt keine Inanspruchnahme aus dem Wechsel gesehen werden, die zu einer Rückstellung berechtigen würde.

Das Diskontgeschäft im vorliegenden Falle unterscheidet sich von dem der üblichen Diskontierung von Handelswechseln dadurch, daß sämtliche diskontierten Wechsel bei Fälligkeit nicht dem Akzeptanten zur Zahlung vorgelegt, sondern aufgrund einer Vereinbarung mit dem Diskontgeber unter Rückbelastung an den Aussteller und Diskontnehmer zurückgegeben werden. Der Aussteller hat die Wahl, entweder seinerseits Zahlung von dem Akzeptanten aufgrund des Wechsels zu verlangen oder Prolongationspapiere zur weiteren Finanzierung hereinzunehmen oder die Grundforderung ohne Prolongationswechsel zu stunden. Auch im Fall der Prolongierung wird keiner der hereingenommenen Prolongationswechsel bei Verfall dem Akzeptanten vorgelegt.

Zwar handelt es sich bei den von der Revisionsklägerin hereingenommenen Wechseln nicht um echte Mobilisierungswechsel, denn hierunter werden Wechsel verstanden, die sich ein Kreditinstitut vom Kreditnehmer zum Zwecke der Refinanzierung eines Kredits geben läßt, wobei der Kreditnehmer regelmäßig Bezogener ist (vgl. Enzyklopädisches Lexikon für das Geld-, Bank- und Börsenwesen, 2. und 3. Auflage, Stichwort "Mobilisierungstratten, Mobilisierungswechsel"). Die Art der Verwertung der von der Revisionsklägerin hereingenommenen Wechsel führt jedoch dazu, daß diese Wechsel lediglich Kreditmittel sind; sie dienen ausschließlich dazu, den gegenüber dem Kontokorrentkredit billigeren Diskontkredit zu eröffnen (vgl. auch Baumbach-Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 9. Aufl., Einleitung Anm. 49). Die Art der Verwertung der Wechsel durch die Revisionsklägerin, die von der üblichen Verwertung von Handelswechseln abweicht, führt dazu, daß der Wechsel nicht eigentlich in Umlauf gesetzt wird. Bei einem solchen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt kann nicht mehr davon ausgegangen werden, die Hereinnnahme eines Wechsels führe wirtschaftlich zunächst zur Erfüllung der Forderung, derentwegen der Wechsel begeben wurde. Dem steht nicht entgegen, daß die Revisionsklägerin die Diskontierung von ihr hereingenommener Wechsel buchtechnisch in gleicher Weise behandelt, wie üblicherweise die Diskontierung von Handelswechseln gebucht wird. Denn die buchtechnische Behandlung ist nur ein Indiz dafür, wie der Kaufmann die Diskontierung eines Wechsels wirtschaftlich betrachtet. Dieses Indiz wird im vorliegenden Fall durch die gegenüber dem üblichen Handelswechsel andersartige Funktion der von der Revisionsklägerin hereingenommenen Wechsel widerlegt. Außerdem kommt es für die Beantwortung der Rechtsfrage nicht entscheidend auf die buchtechnische Behandlung an. Damit ist im Entscheidungsfall davon auszugehen, daß die Grundforderung, derentwegen der Wechsel begeben wurde, mit der Diskontierung auch wirtschaftlich noch nicht erloschen ist.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausging, war die Vorentscheidung aufzuheben. Das FG hat im Rahmen der anderweitigen Verhandlung zu prüfen, in welchem Umfang eine Wertberichtigung auf die Außenstände der Revisionsklägerin aufgrund der gegebenen Verhältnisse gerechtfertigt ist. Diese Außenstände der Revisionsklägerin gehören zu den Besitzposten des Betriebsvermögens; auf der Schuldenseite steht ihnen die Verpflichtung zur Einlösung der diskontierten Wechsel gegenüber.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68800

BStBl II 1970, 2

BFHE 1970, 87

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