Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Steuerliche Betriebsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Rechtsstellung der Betriebsprüfer in der Zollverwaltung.

Steht einem Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern Vertrauensschutz zu, so besteht bei gleichgebliebener Sach- und Rechtslage dieser Vertrauensschutz bis zu dem Zeitpunkt, zu dem dem Steuerpflichtigen von zuständiger Seite eine änderung des Verhaltens der Verwaltung bekanntgegeben wird.

Wird auf Grund einer Zollwertnachprüfung die ursprünglich vertretene Rechtsauffassung geändert, so können Abgaben nicht schon mit Beginn der Betriebsprüfung oder auf Grund vom Betriebsprüfer geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der bisher vertretenen Auffassung, sondern erst vom Zeitpunkt der Schlußbesprechung an nachgefordert werden, wenn an der Schlußbesprechung Vertreter des Hauptzollamts teilgenommen haben und dem Steuerpflichtigen dabei die änderung der Rechtsauffassung mitgeteilt worden ist.

 

Normenkette

AO §§ 2, 193-194, 223

 

Tatbestand

Auf Grund des Ergebnisses einer Wertzollprüfung in den Jahren 1954 und 1955 wurde die Bfin. ab 4. Februar 1956 bei ihren Einfuhren von zwei schweizerischen Firmen als Alleinvertreterin auf Eigenhändlerbasis behandelt. Im Jahre 1960 fand eine erneute Betriebsprüfung statt. Dabei wurde festgestellt, daß die Bfin. nicht als Eigenhändlerin, sondern als Vermittlerin zu behandeln ist und der Zollwert auf der Grundlage des Rechnungspreises der Käufer unter Abzug der in § 38 Ziff. 1 bis 4 der Wertzollordnung - WertZO - (1957) aufgeführten Abgaben und Kosten festzustellen ist. Die änderung der Auffassung wurde der Bfin. in der Schlußbesprechung am 30. März 1960 mitgeteilt.

Das Hauptzollamt forderte entsprechend der geänderten Auffassung mit Steuerbescheid vom 30. Mai 1961 die Eingangsabgaben vom Zeitpunkt des Prüfungsbeginns, das ist vom 8. März 1960, bis zum 31. Dezember 1960 nach. Streitig ist lediglich, ob die Eingangsabgaben vom 8. März bis 30. März 1960, d. h. vom Prüfungsbeginn bis zum Tage der Schlußbesprechung, mit Recht nachgefordert wurden.

Die gegen den Nachforderungsbescheid vom 30. Mai 1961 in Höhe des Teilbetrages vom 3.674,50 DM eingelegte Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht bestätigte die Auffassung des Hauptzollamts mit der Begründung, daß nach § 223 AO Nachforderungen von Steuern bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig seien. Im Streitfall sei ein Vertrauensschutz über den Zeitpunkt des Beginns der Betriebsprüfung hinaus nicht gerechtfertigt, weil die Bfin. spätestens an diesem Zeitpunkt davon Kenntnis erhalten habe, daß die Zollverwaltung Zweifel darüber hege, ob sie, die Bfin., die Funktion einer Eigenhändlerin oder einer Vermittlerin habe.

Mit der Rb. macht die Bfin. geltend, es müsse ihr Vertrauensschutz bis zum Tag der Schlußbesprechung gewährt werden. Die Absicht der Zollverwaltung, auf Grund der zweiten Betriebsprüfung die Zollwertgrundlagen neu festzustellen, sei ihr erst in der Schlußbesprechung bekanntgeworden. Die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich seit der ersten Betriebsprüfung im Jahre 1955 nicht geändert.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß Nachforderungen nach § 223 AO bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist aber eine Nachforderung dann nicht mehr zulässig, wenn die Nachforderung gegen Treu und Glauben verstößt. Denn ein Verstoß gegen Treu und Glauben steht der Abgabenerhebung de jure entgegen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 207/57 U vom 17. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 146, Slg. Bd. 68 S. 378). Der sich aus Treu und Glauben ergebende Vertrauensschutz ist von der Rechtsprechung dann anerkannt worden, wenn die Verwaltung über einen längeren Zeitraum hin ein Verhalten gezeigt hat, durch das beim Steuerpflichtigen der Glaube erweckt worden ist, die Behandlung des Steuerfalles entspreche dem Recht, die Verwaltung jedoch nachträglich ihr Verhalten bei gleichgebliebenem Sachverhalt geändert hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 127, Slg. Bd. 70 S. 341). Die änderung der Rechtsauffassung stellt eine solche Verhaltensänderung dar, die gegen Treu und Glauben verstoßen kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 175/61 U vom 21. Mai 1963, BStBl 1963 III S. 390, Slg. Bd. 77 S. 201).

Im Streitfall besteht kein Zweifel, daß die Bfin. entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen Vertrauensschutz für die Vergangenheit beanspruchen kann. Auf Grund der Betriebsprüfung in den Jahren 1954 und 1955 hat die Verwaltung ständig die Rechtsansicht vertreten, die Bfin. sei bei Ermittlung des Zollwerts für ihre Einfuhren aus der Schweiz als Eigenhändlerin zu behandeln. Der Streit geht lediglich darum, bis zu welchem Zeitpunkt die Bfin. Vertrauensschutz genießen kann, d. h. bis zu welchem Zeitpunkt sie darauf Anspruch hat, daß der Zollwert für sie so festgesetzt wird, als ob sie Eigenhändlerin wäre. In den bisher entschiedenen und veröffentlichten Fällen ist die Fachforderung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben jeweils schlechthin unzulässig gewesen. Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt ein Steuerpflichtiger Anspruch auf Vertrauensschutz hat, ist deshalb bisher nicht aufgetreten. Diese Frage ist nicht identisch mit der Frage, für welche Zeit Abgaben noch nach § 223 AO nachgefordert werden können, wenn die Nachforderung als solche zulässig ist. Das Finanzgericht hat diese beiden Fragen offenbar nicht unterschieden, wenn es ausführt, daß die Nachforderung bis zum Eintritt der Verjährung zulässig sei.

Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt ein Steuerpflichtiger Vertrauensschutz genießt, kann der Natur der Sache nach nur dahin beantwortet werden, daß ein Vertrauensschutz dann nicht mehr erforderlich und auch nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn der Steuerpflichtige sich auf das bisherige Verhalten oder die bisherige Auffassung der Verwaltung nicht mehr verlassen kann. Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn dem Steuerpflichtigen von zuständiger Seite eine änderung der Auffassung bekanntgegeben wird. Als sachlich zuständig für eine solche Mitteilung wird man für den Bereich der Zölle und Verbrauchsteuern die mit der Verwaltung dieser Abgaben betrauten Hauptzollämter oder ihr Hilfsstellen anzusehen haben (vgl. §§ 13, 14 des Gesetzes über die Finanzverwaltung - FVG -). Denn im allgemeinen haben die Hauptzollämter die Entscheidungen hinsichtlich der Erhebung von Abgaben in eigener Zuständigkeit, wenn auch unter Umständen nach Weisungen der Oberfinanzdirektion, zu treffen. Den Betriebsprüfern steht insoweit grundsätzlich keine Entscheidungsbefugnis zu. Ihre Aufgabe besteht darin, die Erfüllung der steuerlichen Pflichten im Steuerermittlungs- und Steueraufsichtsverfahren für abgelaufene Zeitabschnitte zu überprüfen und den Finanzämtern Unterlagen für ihre Entscheidung zu verschaffen. Eine eigene Entscheidung über den Abgabenanspruch steht den Betriebsprüfern weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft zu (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs V 92/61 S vom 16. Juli 1964, BStBl 1964 III S. 634, und VI 167/61 U vom 20. Juli 1962, BStBl 1963 III S. 23, Slg. Bd. 76 S. 64). Zwar betreffen diese Entscheidungen die steuerliche Betriebsprüfung. Sie gelten aber noch weit mehr für die Zollbetriebsprüfung, weil diese im Gegensatz zur steuerlichen Betriebsprüfung nicht wie diese dem Finanzamt, dem Hauptzollamt, sondern der Oberfinanzdirektion angegliedert ist.

Es kann deshalb der Auffassung des Finanzgerichts nicht gefolgt werden, die Bfin. habe bereits mit Beginn der Betriebsprüfung davon Kenntnis erhalten, daß die Zollverwaltung Zweifel hege über die Eigenschaft der Bfin. als Eigenhändlerin. Abgesehen davon, daß diese Feststellung durch den Inhalt der Akten nicht belegt wird, darüber hinaus von der Bfin. bestritten wird, kommt es auch gar nicht darauf an, ob die Verwaltung Zweifel gehegt hat oder nicht, sondern ausschließlich darauf, ob sie infolge der bestehenden Zweifel ihre Auffassung geändert hat und wann dies der Bfin. bekanntgegeben wurde. Soweit der Betriebsprüfer allein die Richtigkeit der bisher vertretenen Auffassung in Zweifel gezogen und dies der Bfin. mitgeteilt hat, kann dadurch der Vertrauensschutz der Bfin. nicht in Frage gestellt werden.

Die Bfin. verliert deshalb nicht schon mit dem Beginn der Betriebsprüfung den an sich bestehenden Vertrauensschutz mit der Folge, daß von diesem Zeitpunkt an die Abgaben nachgefordert werden können. Die änderung der Rechtsauffassung ist der Bfin. nach dem vom Finanzgericht festgestellten Sachverhalt in der Schlußbesprechung, an der auch Vertreter des Hauptzollamts teilgenommen haben, mitgeteilt worden. Für die ab diesem Zeitpunkt nachgeforderten Abgaben besteht kein Streit. Der Rb. war unter diesen Umständen der Erfolg nicht zu versagen.

 

Fundstellen

BStBl III 1965, 127

BFHE 1965, 353

BFHE 81, 353

StRK, AO:2/1 R 7

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