Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterzeichnung der Klageschrift; Liquidation einer GmbH; Erlaß eines schriftlichen Haftungsbescheids trotz Arbeitgeber-Anerkenntnis nach § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Unterzeichnung der Klageschrift als Voraussetzung für rechtswirksame Klageerhebung.

2. Einfluß einer noch nicht beendeten Liquidation der Klägerin als GmbH auf das Klage- und Revisionsverfahren.

3. Zur rechtlichen Bedeutung eines Anerkenntnisses des Arbeitgebers nach § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG.

 

Normenkette

FGO § 64; AO 1977 §§ 168, 191 Abs. 1, § 218 Abs. 1, § 348 Abs. 1 Nrn. 1, 4, § 355; EStG 1980 § 42d Abs. 4 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes

 

Tatbestand

Bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, fand im Jahr 1983 einen Lohnsteuer-Außenprüfung statt. Sie führte zur Nachforderung von Lohnsteuer und römisch-katholischer Kirchensteuer für die Jahre 1980 und 1981. In einer von der Klägerin unterzeichneten besonderen ,,Erklärung des Arbeitgebers" vom 4. Februar 1983 bekundete sie nach einem in diesem Formular vorgedruckten Text, daß sich aufgrund der Lohnsteuer-Außenprüfung nachstehende Haftungsbeträge ergäben, daß sie die sich hiernach ergebende Zahlungsverpflichtung anerkenne und auf die Erteilung eines förmlichen Haftungsbescheids verzichte. Es heißt dort weiter, die Anerkennung der Zahlungsverpflichtung bedeute keinen Verzicht auf einen Rechtsbehelf; die Frist zur Einlegung des Einspruchs beginne mit dem Ablauf des Tages des Anerkenntnisses und ende nach Ablauf eines Monats. Unter der Unterschrift des Arbeitgebers befindet sich ein vom Prüfer unterzeichneter Vermerk, nach dem er eine Durchschrift dieser Erklärung am 7. Februar 1983 der Klägerin ausgehändigt habe.

Mit Schreiben vom 3. März 1983, eingegangen beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) am 10. März 1983, legte die Klägerin durch ihren Geschäftsführer X ,,gegen die Festsetzung der Steuerschuld aus der Lohnsteuer-Außenprüfung Einspruch ein". Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Es führte aus, die Klägerin habe den Einspruch verspätet eingelegt. Die Rechtsbehelfsfrist habe am 7. März 1983 geendet, da die Klägerin am 7. Februar 1983 ihre Zahlungsverpflichtung anerkannt habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte u. a. aus:

1. Das Schreiben der Klägerin vom 14. Juni 1983, das sie als ,,Einspruch" bezeichnet habe, sei als Klage zu werten. Die Klage sei ordnungsgemäß von dem Geschäftsführer der Klägerin unterschrieben worden. Aus der Unterschrift lasse sich der Name des Geschäftsführers ,,X" mit hinreichender Deutlichkeit herauslesen. Es handle sich um einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug, der charakteristische Merkmale aufweise; er stelle sich nach dem gesamten Schriftbild als Unterschrift dieses Namens dar.

2. Die Klage sei jedoch unbegründet, da das FA den Einspruch der Klägerin zu Recht als verspätet behandelt habe.

a) Im Streitfall habe mit dem 7. Februar 1983 eine einmonatige Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu laufen begonnen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei bei einem schriftlichen Arbeitgeber-Anerkenntnis nach § 42d Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und bei einem gleichzeitigen Verzicht auf Erlaß eines förmlichen schriftlichen Haftungsbescheids ein formloser Haftungsbescheid dadurch zustande gekommen, daß der Prüfer namens des FA dem Arbeitgeber eine vorformulierte Anerkennungserklärung zur Unterschrift vorlege und dieser sie unterschreibe. Mit der Unterschriftsleistung beginne die einmonatige Einspruchsfrist gegen den mündlich bekanntgegebenen Haftungsbescheid zu laufen.

Diese Rechtsprechung sei umstritten. § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG beruhe auf der Überlegung, daß das FA die vom Lohnsteuer-Außenprüfer festgestellten Mehr- oder Nachsteuern in der Regel anfordere und der Arbeitgeber gegen die Mehrsteuern oft keine Einwendungen erhebe, weil ihm die Gründe während der Prüfung in einleuchtender Weise erläutert worden seien. Das Verfahren zur Inanspruchnahme des Arbeitgebers für die sich aus einer Lohnsteuer-Außenprüfung ergebenden Steuern solle durch § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG in sinnvoller Weise dadurch beschleunigt werden, daß bei schriftlicher Zahlungsanerkennung eine zusätzliche Geltendmachung der Nachforderung durch Erlaß eines besonderen Haftungsbescheids nicht erforderlich sei. Diese gesetzgeberische Absicht werde auch deutlich im § 42 d Abs. 4 Nr. 1 EStG, wonach es ebenfalls keines Haftungsbescheids bedürfe, wenn der Arbeitgeber die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet habe. Betrachte man § 42 d Abs. 4 Nr. 1 und 2 EStG im Zusammenhang, so werde nur eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift gerecht, die zu einer beschleunigten Durchsetzungsmöglichkeit der durch die Lohnsteuer-Außenprüfung festgestellten Mehr- oder Nachsteuern für das FA führe. Dieses Ziel werde nur erreicht, wenn man § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG entgegen seinem Wortlaut dahin auslege, daß das schriftliche Anerkenntnis entweder den Erlaß eines formlosen mündlichen Haftungsbescheids bestätige oder sich das Anerkenntnis als eine weitere Art der nachträglichen Lohnsteueranmeldung darstelle.

Welcher der beiden Auslegungsmöglichkeiten der Vorzug zu geben sei, brauche im Streitfall nicht entschieden zu werden, da beide zum gleichen Ergebnis führten. Da ein mündlich ergangener Haftungsbescheid nach § 355 Abs. 1 Satz 1, § 356 Abs. 1 AO 1977 keine schriftliche Rechtsmittelbelehrung erfordere, sei die einmonatige Einspruchsfrist mit der Unterzeichnung des Arbeitgeber-Anerkenntnisses in Lauf gesetzt worden. Davon sei auch bei Annahme einer Lohnsteueranmeldung auszugehen, da sie erst durch Unterzeichnung wirksam werde. Gegen eine Steueranmeldung stehe dem Arbeitgeber ebenfalls der Rechtsbehelf des Einspruchs zu.

b) Die Klägerin habe die mit der Unterzeichnung am 7. Februar 1983 laufende einmonatige Einspruchsfrist versäumt, weil sie erst am 10. März 1983 Einspruch eingelegt habe.

Das FA sei im Streitfall nicht zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist verpflichtet gewesen, da das Verschulden des früheren Steuerberaters der Klägerin ihr als eigenes Verschulden zuzurechnen sei.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Revision ein. Sie bringt u. a. vor:

1. Sie, die Klägerin, habe sich bereits bei Abgabe der Anerkenntniserklärung am 4. Februar 1983 in Liquidation befunden. Der damalige Geschäftsführer X sei jetzt ihr Liquidator. Die Adressierung des Berichts vom 4. Februar 1983 und die Arbeitgeber-Erklärung vom gleichen Tage trügen dieser Liquidation nicht Rechnung. Wenn auch die Auflösung der X GmbH am 6. Mai 1983 ins Handelsregister eingetragen worden sei, so sei die Liquidation bis heute noch nicht beendet. Mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe habe eine Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen begonnen.

2. Eine wirksame Arbeitgeber-Anerkenntniserklärung liege nicht vor. Sie sei wegen Irrtums spätestens mit ihrem Schriftsatz vom 14. Juni 1983, gerichtet an das FA, rechtswirksam angefochten worden.

3. Die Frist zur Einlegung des Einspruchs sei nicht abgelaufen, weil es an einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung gefehlt habe. Im Streitfall sei zumindest eine analoge Anwendung des § 356 Abs. 1 AO 1977 aus rechtsstaatlichen Gründen geboten. Die Belehrung des FA in der streitigen ,,Erklärung des Arbeitgebers" vom 4. Februar 1983 entspreche nicht den Voraussetzungen dieser Vorschrift. Denn es fehle der klare Hinweis, daß der Rechtsbehelf eines Einspruchs gegeben sei, sowie die Bezeichnung der Finanzbehörde, bei der der Einspruch einzulegen sei. Ebenfalls sei Sitz und Anschrift der Behörde aus diesem Formular nicht ersichtlich.

4. Nach der beigefügten eidesstattlichen Versicherung der Frau, der Lebensgefährtin des Liquidators X, sei diese zugegen gewesen, als der Prüfungsbeamte am letzten Tag der Prüfung bei Übergabe der vorgenannten ,,Erklärung des Arbeitgebers" lediglich folgenden Hinweis gegeben habe:

,,Dieser Bericht enthält das gesamte Ergebnis meiner Prüfung, bitte unterschreiben Sie hier, daß Sie den Bericht bzw. dessen Durchschrift erhalten haben. Ansonsten muß das Ihnen per Post zugestellt werden."

Die Liquidator X habe in ihrer Gegenwart die vorgedruckte Erklärung sofort unterschrieben, ohne den Text gelesen zu haben. Nach der Unterschriftsleistung habe sich der Prüfungsbeamte ohne weiteren Hinweis entfernt.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung des FA.

1. Der Senat tritt dem FG darin bei, daß die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. Juni 1983 rechtswirksam Klage erhoben hat. Die Klageerhebung ist allerdings nur rechtswirksam, wenn die Klageschrift ordnungsgemäß unterzeichnet wurde (§ 64 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat die Unterschrift im Klageschriftsatz vom 14. Juni 1983 dahin gewürdigt, daß sie von dem Geschäftsführer der Klägerin X stammt. Dieser Wertung tritt der Senat bei. Das FG hat sich bei der Würdigung ohne Rechtsverstoß auf den Beschluß des BFH vom 25. März 1983 III R 64/82 (BFHE 138, 151, BStBl II 1983, 479) bezogen. Hiernach bedarf es für die Klageerhebung einer eigenhändigen Unterschrift, die aus einem die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnend individuellen Schriftzug bestehen muß, der charakteristische Merkmale aufweist und sich nach dem gesamten Schriftbild als Unterschrift eines Namens darstellt. Die Würdigung des FG, es handele sich bei der Unterzeichnung der Klageschrift um die hinreichend kennzeichnende Unterschrift des Geschäftsführers X, entspricht diesen Grundsätzen. Im übrigen befinden sich die gleichen Schriftzüge auf der umstrittenen Arbeitgeber-Anerkenntniserklärung vom 4. Februar 1983 und auf dem Einspruchsschreiben der Klägerin vom 3. März 1983.

2. Soweit die Klägerin vorbringt, sie habe sich bereits am 4. Februar 1983, an dem die Anerkenntniserklärung unterschrieben worden sei, im Stadium der Liquidation befunden, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das der Senat im Revisionsverfahren nicht berücksichtigen kann. Durch die Liquidation wird der Rechtsstreit als solcher nicht betroffen. Die Klägerin wurde im vorliegenden Rechtsstreit bisher als Firma X-GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer X, bezeichnet. Diese Bezeichnung könnte entsprechend dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren unzutreffend sein, weil die GmbH sich in Liquidation befunden haben und ihr damaliger Geschäftsführer X nunmehr ihr Liquidator sein soll. Eine insoweit falsche Bezeichnung könnte auf die Stellung der Klägerin im Rahmen des Rechtsbehelfs-, Klage- und Revisionsverfahrens aber keinen Einfluß haben, weil die GmbH trotz Löschung im Handelsregister nach dem Vorbringen der Klägerin noch wegen nicht beendeter Liquidation existent ist.

3. Das FG ist aber zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Klägerin die Einspruchsfrist versäumt habe. Nach § 348 Abs. 1 AO 1977 ist gegen die dort genannten Verwaltungsakte das Rechtsmittel des Einspruchs gegeben. Der Einspruch muß nach § 355 Abs. 1 AO 1977 innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts eingelegt werden.

Die Klage richtete sich im Streitfall dagegen, daß das FA den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen hatte. Das FG hat diese Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn im Streitfall lief keine Einspruchsfrist, da keiner der in § 348 Abs. 1 AO 1977 genannten Verwaltungsakte vorliegt, die mit dem Einspruch hätten angefochten werden können.

a) Im Streitfall ist kein Haftungsbescheid i. S. des § 191 Abs. 1 AO 1977 ergangen, der nach § 348 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 mit dem Einspruch anfechtbar wäre.

Nach § 348 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 ist gegen Haftungsbescheide im Sinne des § 191 AO 1977 der Rechtsbehelf des Einspruchs gegeben. Nach § 191 Abs. 1 AO 1977 kann der, der kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist ein solcher Haftungsbescheid stets schriftlich zu erteilen.

Ein unter § 191 Abs. 1 AO 1977 fallender Haftungstatbestand ist im § 42 d Abs. 1 EStG geregelt. Unter den dort genannten Voraussetzungen haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Soll er wegen Nichterfüllung dieser Pflichten vom FA in Anspruch genommen werden, so ist mithin nach § 191 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 der Erlaß eines schriftlichen Haftungsbescheids erforderlich. Ein solcher Bescheid ist im Streitfall nicht ergangen.

Nach § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG bedarf es allerdings keines Haftungsbescheids und keines Leistungsgebots, soweit der Arbeitgeber nach Abschluß einer Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkennt. Geht man von dem Wortlaut der Vorschrift aus, so muß in Fällen dieser Art kein schriftlicher Bescheid ergehen; das FA ist andererseits zum Erlaß eines schriftlichen Haftungsbescheids aber berechtigt. Dementsprechend hat der Senat im Urteil vom 3. Juni 1982 VI R 48/79 (BFHE 136, 224, BStBl II 1982, 710, Abschn. 2 a letzter Satz der Entscheidungsgründe) ausgeführt, daß diese Vorschrift es ,,dem FA gestattet . . ., von der Erteilung eines besonderen Bescheids abzusehen".

Nach dieser Regelung im § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG hat das FA sich im Streitfall verhalten. Es erließ gegen die Klägerin keinen schriftlichen Haftungsbescheid, weil es davon ausging, daß die Klägerin ihre Zahlungsverpflichtung aufgrund der Feststellungen des Lohnsteuer-Außenprüfers am 4. Februar 1983 rechtswirksam schriftlich anerkannt habe.

b) Bei den in § 348 Abs. 1 AO 1977 abschließend aufgezählten Verwaltungsakten, die mit dem Einspruch anfechtbar sind, ist das Arbeitgeber-Anerkenntnis nach § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG nicht genannt. Entgegen der Ansicht des FA und des FG kann seit Inkrafttreten der AO 1977 in der Vorlage und dem Unterschreiben eines Anerkenntnisses nach § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG auch kein rechtswirksamer formloser, mit dem Einspruch angreifbarer Haftungsbescheid mehr erblickt werden. Das Unterschreiben eines solchen Anerkenntnisses hat daher eine Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 AO 1977 nicht in Lauf gesetzt.

aa) § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG ist durch das Einkommensteuerreformgesetz (EStRG) vom 5. August 1974 (BStBl I 1974, 530) in das EStG eingefügt worden. Die Vorschrift ist an die Stelle des bisherigen § 46 Abs. 4 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1974 getreten. Hiernach bedurfte es eines Bescheids und eines Leistungsgebots nicht, wenn der nach § 46 Abs. 1 und Abs. 2 LStDV 1974 zur Zahlung Verpflichtete vor dem FA oder dem mit der Nachprüfung des Steuerabzugs Beauftragten des FA seine Verpflichtung zur Zahlung der Lohnsteuer schriftlich anerkannte.

Der BFH hatte § 46 Abs. 4 LStDV a. F. dahin ausgelegt, daß mit der Vorlage des im Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung vorgedruckten Textes einer Anerkenntniserklärung und der nachfolgenden Unterschrift des Arbeitgebers der Lohnsteuer-Außenprüfer einen formlosen Haftungsbescheid für das FA erlasse (vgl. Urteile vom 6. Juli 1962 VI 299/61 U, BFHE 75, 243, BStBl III 1962, 355; vom 13. November 1964 VI 267/63 U, BFHE 81, 502, BStBl III 1965, 181; vom 17. September 1974 VI R 71/72, BFHE 113, 376, BStBl II 1975, 49, und vom 28. Januar 1976 IV R 168/73, BFHE 118, 49, BStBl II 1976, 344). Er hat an diesen Grundsätzen auch in dem zu § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG 1975 ergangenen Urteil vom 29. November 1985 VI R 37/81 (BFH/NV 1986, 371) festgehalten, wobei er von der Erwägung ausging, daß der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG keine Änderung der bisherigen Rechtslage gewollt habe.

bb) § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG kann jedoch nach Inkrafttreten der AO 1977 in diesem Sinne nicht mehr angewandt werden, da dies den Vorschriften der AO 1977 widersprechen würde. Da die AO 1977 die für alle Steuerarten maßgeblichen grundlegenden Normen des steuerlichen Verfahrensrechts enthält, geht sie den Verfahrensvorschriften des EStG im Range vor, soweit sich aus der AO 1977 oder dem EStG nicht etwas anderes ergibt.

Nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne des § 37 AO 1977 Steuerbescheide, Steuervergütungsbescheide, Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift stehen Steueranmeldungen im Sinne des § 168 AO 1977 den Steuerbescheiden gleich. Eine dem Satz 2 entsprechende Vorschrift für ein Arbeitgeber-Anerkenntnis im Sinne des § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG ist im § 218 Abs. 1 AO 1977 nicht enthalten. Formlose mündliche Haftungsbescheide fallen ebenfalls nicht unter diese Norm, da Haftungsbescheide im Sinne der AO 1977 - wie ausgeführt - nach § 191 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 stets schriftlich ergehen müssen. Eine Ausnahmeregelung bezüglich eines Arbeitgeber-Anerkenntnisses nach § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG enthält § 191 Abs. 1 AO 1977 nicht. Nach dem Inkrafttreten der AO 1977 am 1. Januar 1977 kann daher das am 2. Juli 1979 unterschriebene Arbeitgeber-Anerkenntnis im Streitfall nicht als ein rechtswirksamer formloser Haftungsbescheid angesehen werden (so im Ergebnis auch Rössler, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1981, 452; Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsord-nung, 12. Aufl., § 218 AO 1977 Tz. 2; Drenseck in Stolterfoth (Herausgeber), Grundfragen des Lohnsteuerrechts, Köln 1986, S. 377, 405 f.; zweifelnd auch Giloy, Finanz-Rundschau - FR - 1977, 293).

c) Entgegen der Ansicht des FG kann ein Arbeitgeber-Anerkenntnis nach § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG nicht als eine Lohnsteueranmeldung im Sinne des § 42 d Abs. 4 Nr. 1 EStG gewertet werden. Denn in der Vorschrift wird gerade zwischen der Anmeldung (Nr. 1) und dem Anerkenntnis (Nr.2) unterschieden. Hätte der Gesetzgeber eine Gleichstellung gewollt, so hätte er einen entsprechenden Hinweis geben müssen, wie er dies in § 218 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 für die Steueranmeldungen getan hat.

Nach § 41 a Abs. 1 Nr. 1 EStG ist der Arbeitgeber verpflichtet, spätestens am 10. Tag nach Ablauf eines jeden, in § 41 a Abs. 2 EStG näher bezeichneten Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums dem Betriebstätten-FA eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summe der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltendenen und zu übernehmenden Lohnsteuer angibt (Lohnsteuer-Anmeldung). Nach Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift ist eine Lohnsteuer-Anmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben und vom Arbeitgeber oder von einer zu seiner Vertretung berechtigten Person zu unterschreiben. Diese Regelung entspricht der in der AO 1977 (vgl. § 167 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 150 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

Bei der Abgabe solcher Lohnsteuer-Anmeldungen bedarf es nach § 42 d Abs. 4 Nr. 1 EStG in gleicher Weise wie bei einem Arbeitgeber-Anerkenntnis nach Nr. 2 dieser Norm für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers keines Haftungsbescheids und keines Leistungsgebots. Für Steueranmeldungen solcher Art hat die AO 1977 aber die entsprechenden verfahrensrechtlichen Folgerungen gezogen, die zu ziehen es beim Arbeitgeber-Anerkenntnis offensichtlich übersehen hat. So bestimmen § 218 Abs. 1 Satz 2 und § 168 Satz 1 AO 1977, daß Steueranmeldungen den Steuerbescheiden und den Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen. Daß gegen Steueranmeldungen das Rechtsmittel des Einspruchs gegeben ist, wird im Gegensatz zum Arbeitgeber-Anerkenntnis in § 348 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ausdrücklich hervorgehoben.

Dem FG ist darin zuzustimmen, daß der Regelung der beiden in § 42 d Abs. 4 Nr. 1 und 2 EStG erfaßten Tatbestände der einheitliche Gedanke zugrunde liegt, beim fehlenden Streit über die Zahlungspflicht das finanzamtliche Verfahren durch Absehen vom Erlaß eines schriftlichen Haftungsbescheids zu vereinfachen. Dieser Sinn und Zweck kann jedoch nicht dazu führen, ein Arbeitgeber-Anerkenntnis nach § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG als eine besondere Form einer Lohnsteuer-Anmeldung nach Nr. 1 dieser Vorschrift zu werten. Denn eine Steueranmeldung im vorgenannten Sinne gibt der Arbeitgeber nicht ab, wenn er, wie hier der Geschäftsführer X, für die Klägerin eine vorgedruckte Erklärung unterschreibt, in der es heißt: ,,Auf Grund der Lohnsteuer-Außenprüfung haben sich die nachstehenden Haftungsbeträge ergeben, für die die Zahlungsverpflichtung anerkannt und auf die Erteilung eines förmlichen Haftungsbescheids verzichtet wird." Denn eine Lohnsteuer-Anmeldung setzt ihrem Wesen nach eine schriftliche Erklärung des Betroffenen voraus, die er zwar ggf. nach § 150 AO 1977 zur Niederschrift des FA erklären kann, die er aber stets selbst wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen (§ 150 Abs. 2 AO 1977) auf vorgeschriebenen Formularen abzugeben hat. Im Rahmen des § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG anerkennt der Arbeitgeber hingegen, daß die von einem Dritten, nämlich vom Lohnsteuer-Außenprüfer festgestellten Tatsachen zu einer Verpflichtung zur Nachentrichtung von Lohnsteuer und römisch-katholischer Kirchensteuer geführt haben, die er, der Arbeitgeber, innerhalb einer ihm gesetzten Frist - hier bis zum 30. März 1983 - zu erfüllen hat. Würde ein solches Schuldanerkenntnis eine besondere Art von Lohnsteuer-Anmeldung darstellen, hätte es zudem einer besonderen Regelung des Anerkenntnisses in § 42 d Abs. 4 Nr. 2 EStG nicht bedurft, sondern der Gesetzgeber hätte sich auf die Erwähnung von Lohnsteuer-Anmeldungen im Abs. 4 Nr. 1 dieser Vorschrift beschränken können (so auch Drenseck, a.a.O., S. 405).

4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Senat hebt auch die Einspruchsentscheidung des FA vom 19. Mai 1983 auf, weil das FA den Einspruch mangels Laufs einer Einspruchsfrist zu Unrecht als unzulässig verworfen hat. Im Hinblick darauf, daß das FA in dem Anerkenntnis vom 4. Februar 1983 einen zur Inanspruchnahme der Klägerin geeigneten formlosen Haftungsbescheid erblickt, stellt der Senat fest, daß das FA bisher keinen rechtswirksamen Haftungsbescheid bezüglich der aufgrund der Lohnsteuer-Außenprüfung 1983 festgestellten Nachforderungen an Lohnsteuer und römisch-katholischer Kirchensteuer 1980 und 1981 erlassen hat. Es bleibt dem FA überlassen, den Erlaß eines schriftlichen Haftungsbescheids gegebenfalls nachzuholen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414867

BFH/NV 1987, 287

BB 1987, 1930

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