Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Steuergerichte sind zur Entscheidung über Angelegenheiten der katholischen Kirchenlohnsteuer auf Grund des Gesetzes Nr. 587 über die Verwaltung von Kirchensteuern im Landesbezirk Württemberg vom 1. April 1952 (Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden 1952 Nr. 9 S. 33, BStBl 1952 II S. 129) in Verbindung mit der Verwaltungsanordnung betreffend die übertragung der Verwaltung der katholischen Kirchenlohnsteuer auf die staatlichen Finanzbehörden vom 15. April 1952 (BStBl 1952 II S. 55) nicht zuständig.

 

Normenkette

AO § 47 Abs. 3; FGO § 33; AO § 52 Abs. 4; BFHG §§ 1-2; FVG § 2

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) gehört keiner Religionsgemeinschaft an, die zur Erhebung von Kirchensteuer berechtigt ist, seine Ehefrau ist katholisch. Auf Grund des Gesetzes Nr. 587 über die Verwaltung von Kirchensteuern im Landesbezirk Württemberg vom 1. April 1952 (Regierungsblatt von Württemberg-Baden 1952 Nr. 9 S. 33, Bundessteuerblatt - BStBl - 1952 II S. 129) in Verbindung mit der Verwaltungsanordnung betreffend die übertragung der Verwaltung der katholischen Kirchenlohnsteuer auf die staatlichen Finanzbehörden vom 15. April 1952 (BStBl 1952 II S. 55) ist die Verwaltung des Kirchenlohnsteuerabzuges für Katholiken den Finanzämtern übertragen worden. Nach § 6 Abs. 4 des Gesetzes wird bei Arbeitnehmern in glaubensverschiedener Ehe die Kirchenlohnsteuer für jede Kirche aus der Hälfte der einbehaltenen Lohnsteuer berechnet. Entsprechend dieser Regelung hat der Arbeitgeber des Bf. katholische Kirchensteuer in Höhe von 3 v. H. der einbehaltenen Lohnsteuer einbehalten. Der Bf. hält die Einbehaltung für verfassungsrechtlich unzulässig und hat Erstattung beantragt; diesen Antrag hat das Finanzamt abgelehnt.

Die Sprungberufung hat das Finanzgericht als unzulässig verworfen, da eine Zuständigkeit der Steuergerichte für Kirchensteuerrechtsstreite im Landesbezirk Württemberg nicht gegeben sei. Bis zum Ergehen des Gesetzes Nr. 587 seien die Finanzgerichte mit Kirchensteuersachen nicht befaßt worden. Auch soweit früher die katholische Kirchensteuer teilweise von den Finanzämtern festgesetzt und erhoben worden sei, habe der Rechtsmittelbezug vom Finanzamt nicht zum Finanzgericht, sondern über Gemeindekirchenrat, Verwaltungsbehörde zum Verwaltungsgerichtshof geführt (§ 42 des Württembergischen Gesetzes über die Kirchen vom 3. März 1924 - Regierungsblatt für Württemberg 1924 S. 93 -); an die Stelle dieses Rechtsmittelverfahrens sei für Nord-Württemberg der verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelweg nach dem Württembergisch- Badischen Gesetz Nr. 110 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 16. Oktober 1946 (Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden 1946 S. 221) getreten. Hieran sei durch § 8 des Gesetzes Nr. 587 nichts geändert worden. Diese Vorschrift laute: "Auf das Verfahren der Finanzämter finden die für die Verwaltung der Einkommensteuer ........ geltenden Vorschriften in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung." Wenn das Finanzministerium hieraus die Zuständigkeit des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs folgere, so könne dem nicht zugestimmt werden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 299) sei der in der Gesetzesbestimmung zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers maßgebend, nicht die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten. Der Wortlaut des Gesetzes stelle eindeutig klar, daß die Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) nur für das Verfahren der Finanzämter gelten sollen; im übrigen müsse es bei dem bisherigen Instanzenzug bleiben. Diese Auslegung sei auch durchaus sinnvoll, da es unzweckmäßig wäre, Kirchensteuerrechtsfragen einem verschiedenen Rechtsmittelzug zu unterwerfen, je nachdem, ob die Kirchensteuer vom Finanzamt oder von der Kirchenbehörde verwaltet werde. Wäre das gewollt gewesen, so hätte es eindeutig bestimmt werden müssen. Aus der Entstehungsgeschichte und der vom Finanzminister Baden-Württemberg dargelegten Gesetzesbegründung könne nichts Gegenteiliges entnommen werden. In letzterer sei nur von dem Verfahren der Finanzbehörden, nicht jedoch von gerichtlichen Verfahren die Rede. Beachtenswert sei der Hinweis des Diözesanverwaltungsrats (der ebenfalls die Zuständigkeit der Steuergerichte verneine), daß nach § 9 des Gesetzes Nr. 587, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimme, das bestehende Kirchensteuerrecht ausdrücklich aufrecht erhalten werde. Hiernach werde das Finanzamt die Sprungberufung als Einspruch zu behandeln und über ihn - im Gegensatz zur Auffassung des Diözesanverwaltungsrats - zu entscheiden haben, da das Einspruchsverfahren noch als ein Teil des Verfahrens im Sinne von § 8 des Gesetzes Nr. 587 anzusehen sei. Gegen die Einspruchsentscheidung stehe dem Bf. die Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht nach Maßgabe des Württemberg-Badischen Gesetzes Nr. 110 zur Verfügung.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Auffassung des Finanzgerichts ist beizutreten.

Auf Grund von § 1 des Gesetzes Nr. 587 vom 1. April 1952 in Verbindung mit der Verwaltungsanordnung vom 15. April 1952 ist die Verwaltung der katholischen Kirchenlohnsteuer den "staatlichen Finanzbehörden" übertragen worden. Welche Behörden damit gemeint sind, geht weder aus dem Gesetz noch aus der Verwaltungsanordnung hervor. Wenn das Finanzgericht aus dem Wortlaut des oben wiedergegebenen § 8 des Gesetzes schließt, die AO gelte nur für das Verfahren der Finanzämter, so wird dieser Ansicht um so mehr zuzustimmen sein, als sich auch das Finanzministerium und das Finanzamt auf die gleiche Vorschrift stützen. Wenn diese aus ihr jedoch die Zuständigkeit der Finanzgerichte ableiten, so erscheint das nicht bedenkenfrei. Es wird ausdrücklich nur von "Finanzämtern" gesprochen. Danach geht der Wille des Gesetzgebers dahin, nur diese mit der Verwaltung der katholischen Kirchenlohnsteuer zu beauftragen. Das wird auch noch durch die Anordnung unterstrichen, daß eine Mitwirkung der Steuerausschüsse nicht stattfindet. Für das weitere Verfahren, insbesondere das Rechtsmittelverfahren, enthalten weder das Gesetz noch die Verwaltungsanordnung Bestimmungen. Wenn nach der Entstehungsgeschichte das Rechtsmittelverfahren entsprechend den §§ 228 bis 324 AO vorgesehen war, wie der Finanzminister darlegt, so spricht die anders lautende Gesetzesregelung nicht für, sondern gegen die Zuständigkeit des Finanzgerichts. Hinzu kommt ferner, daß nach der heutigen Staatsrechtslehre unter "Finanzbehörden" nur die Verwaltungsbehörden verstanden werden, nicht die Gerichte. Das geht insbesondere auch aus dem Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 (Bundesgesetzblatt 1950 I S. 448) hervor. Nach dessen § 2 Abs. 1 sind Landesfinanzbehörden die Oberfinanzdirektionen als Mittelbehörden und die Finanzämter einschließlich ihrer Hilfsstellen als örtliche Behörden; weder in dieser Vorschrift noch sonst werden in dem gesamten Gesetz die Gerichte erwähnt. Das Finanzverwaltungsgesetz bringt damit zum Ausdruck, daß diese nicht zu den "Finanzbehörden" gehören. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß als "staatliche Finanzbehörden" im Sinne des Gesetzes Nr. 587 nur die Verwaltungsbehörden gemeint sind und sein können. An dieser Beurteilung wird auch durch den Hinweis des Bf. auf § 47 Abs. 1 AO nichts geändert, wonach zur Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung den Oberfinanzpräsidien Finanzgerichte angegliedert werden.

Abgesehen davon, daß die Fassung der AO mit dem Finanzverwaltungsgesetz nicht mehr im Einklang steht, ist eine Angliederung tatsächlich nicht mehr gegeben. Unbeschadet der Frage, ob die rechtlich auf Grund der Vorschriften der AO gegründeten Finanzgerichte unabhängige Gerichte im Sinne des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) sind oder nicht (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 338/51 U vom 7. Februar 1952, Slg. Bd. 56 S. 417, BStBl 1952 III S. 162) sind diese Gerichte nicht mehr den Oberfinanzdirektionen angegliedert, sondern stehen organisatorisch neben diesen als selbständige "Spruchbehörden". Diese Auffassung wird, wie im Senat aus einem anderen Verfahren bekannt ist, gerade von dem Finanzministerium Baden-Württemberg betont. Es liegen keine Umstände vor, aus denen geschlossen werden könnte, daß das nach dem Gesetz über die Finanzverwaltung ergangene Gesetz Nr. 587 von einer anderen Beurteilung ausgegangen ist. Aber selbst wenn man dem Bf. folgen und das Finanzgericht noch zu den Finanzbehörden zählen wollte, scheitert die Auffassung, daß durch § 8 des Gesetzes Nr. 587 auch die Finanzgerichte für Kirchensteuerrechtsstreitigkeiten bezüglich der katholischen Kirchenlohnsteuer beauftragt seien, an der noch gültigen Bestimmung des § 47 Abs. 3 letzter Satz AO. Danach müssen die Finanzgerichte als "Spruchbehörden" für die Steuern der Religionsgesellschaften besonders bestellt werden. Die AO geht davon aus, daß die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts ausdrücklich bestimmt werden müsse. Die übertragung von Verwaltungsgeschäften auf die Finanzämter schließt nicht automatisch auch die Bestellung der Finanzgerichte als Spruchstellen ein. Wenn das schon nach den Vorschriften der AO so ist, so muß es im Sinne der heutigen, durch das GG beeinflußten Staatsrechtslehre in erhöhtem Maße gelten. Das ergibt sich weiter, soweit das Rechtsbeschwerdeverfahren in Betracht kommt, aus § 52 Abs. 4 AO, wonach auch der Bundesfinanzhof als Oberster Gerichtshof für Steuern der Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechtes besonders bestellt werden muß. Auch wenn daher die Finanzgerichte zu Spruchstellen bestellt werden, schließt das nicht ohne weiteres die Bestellung des Bundesfinanzhofs zum Obersten Gericht ein. Die angeführten Bestimmungen wären überflüssig, wenn mit der Beauftragung der Verwaltungsbehörden zugleich auch die Steuergerichte als Spruchstellen für zuständig anzusehen wären. Diese Regelung dient dem Rechtsschutzinteresse. Die Zuständigkeitsregelung muß klar und eindeutig sein. Der Betroffene muß ohne Schwierigkeiten feststellen können, welcher Rechtsweg ihm zur Verfügung steht. Das Gesetz Nr. 587 entspricht diesen Erfordernissen nicht; es hat die Vorschriften der §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 4 AO nicht beachtet. Aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 587 kann die - nunmehr dem Finanzministerium zustehende - Beauftragung des Finanzgerichts im Sinne des § 47 Abs. 3 AO nicht hergeleitet werden. Diese Bestimmung kann weder durch die Entstehungsgeschichte noch durch die nach der Begründung beabsichtigte Regelung ausgeschaltet werden. Im übrigen ist der Hinweis des Finanzgerichts durchaus zutreffend, daß es auch sachlich im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung unzweckmäßig wäre, die Steuergerichte nur mit Kirchenlohnsteuerrechtsfragen zu befassen, während im übrigen die Verwaltungsgerichte zuständig sind.

Der Bf. glaubt ferner, für seine Auffassung das zur Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG ergangene Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, Slg. Bd. 55 S. 277, BStBl 1951 III S. 107, verwerten zu können. Das ist nicht zutreffend. Art. 19 Abs. 4 GG sowie das angeführte Gutachten eröffnen nur den ordentlichen Rechtsweg, soweit das bestehende Rechtsschutzsystem versagt; sie befassen sich aber nicht mit der Zuständigkeit. Für diese sind die im übrigen geltenden Vorschriften maßgebend. Die Bestimmung des GG und damit die Grundsätze des Gutachtens können aber bereits deshalb nicht zu Raum kommen, weil, wie in der Vorentscheidung zutreffend ausgeführt ist, in bezug auf die hier streitige Rechtsangelegenheit ein gerichtlicher Weg besteht, nämlich das verwaltungsgerichtliche Verfahren.

Schließlich berufen sich der Bf., der Finanzminister und das Finanzamt noch auf § 1 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof, der bestimmt, daß der Bundesfinanzhof für Streitfragen über alle Abgaben zuständig ist, die von den Hauptzollämtern, von den Finanzämtern oder von den Oberfinanzdirektionen verwaltet werden. Diese Vorschrift sollte der durch die Art. 105/106 GG normierten Aufteilung der Finanzhoheit und der ehemaligen Reichssteuern Rechnung tragen. Der Gesetzgeber hat hierbei in erster Linie an die Bundessteuern einschließlich der Zölle und an die Landessteuern gedacht (siehe Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 6 zu § 1 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof, Deutsche Steuerzeitung 1950 S. 289). Es ist in § 1 Satz 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof übersehen, die durch § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 4 AO gegebene Rechtslage zum Ausdruck zu bringen; die Bestimmung ist insoweit ungenau und unvollständig. Deshalb wird auch in der angegebenen Bemerkung von Hübschmann-Hepp-Spitaler ausdrücklich bemerkt, daß über § 1 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof hinaus die Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs nach § 52 Abs. 4 Satz 2 AO begründet werden könne. Abgesehen hiervon darf bei der Auslegung des § 1 Satz 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof § 2 a. a. O. nicht unbeachtet bleiben. Hiernach gelten unter anderem für die Zuständigkeit und das Rechtsmittelverfahren die Vorschriften der AO, insbesondere daher die Bestimmungen der §§ 228 ff. Der Bundesfinanzhof kann daher nur tätig werden, wenn eine Berufungsentscheidung des Finanzgerichts vorliegt. Da, wie ausgeführt, die Zuständigkeit des Finanzgerichts aber nicht gegeben ist, eine Berufungsentscheidung daher nicht ergehen kann, ist auch über § 1 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof die Anrufung des Bundesfinanzhofs nicht möglich. Dieser kann hinsichtlich der Steuern der Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechtes nach der derzeitigen Rechtslage nur gemäß § 52 Abs. 4 AO oder gemäß Art. 99 GG zuständig werden. Im letzteren Falle ist ein Landesgesetz, im ersteren eine besondere Bestellung erforderlich; beides liegt nicht vor.

In der Vorentscheidung ist deshalb zutreffend die Zuständigkeit der Steuergerichte verneint und darauf hingewiesen worden, daß das Finanzamt die Sprungberufung als Einspruch zu behandeln und über diesen zu entscheiden hat. Gegen die Einspruchsentscheidung kann der Bf. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach dem Württemberg-Badischen Gesetz Nr. 110 seine weiteren Rechte wahrnehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424084

BStBl III 1956, 214

BFHE 1957, 48

BFHE 63, 48

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