Leitsatz (amtlich)

1. Die Entscheidung über einen Erlaßantrag, der auf die Billigkeitsregelung im BdF-Erlaß IV C/5 - LA 2831-5/55 vom 17. März 1955 (BStBl I 1955, 136; LA-Kartei Karte 6 vor § 129 LAG) gestützt wird, stellt eine Ermessensausübung dar.

2. Die Einschränkung der Gewährung eines solchen Erlasses auf unlohnende und klarliegende Fälle ist nicht zu beanstanden.

 

Normenkette

LAG §§ 129, 131; AO § 131

 

Tatbestand

Der Abgabeschuldner ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem zwei HGA-Schulden lasteten. Die eine der beiden Schulden hat der Abgabeschuldner abgelöst. Die Zins- und Tilgungsleistungen auf die andere Abgabeschuld waren ihm in den Jahren 1953 bis 1964 gemäß § 129 LAG wegen ungünstiger Ertragslage des Grundstücks erlassen worden. Mit Schreiben vom 10. April 1964 hat der Abgabeschuldner beantragt, ihm diese zweite HGA-Schuld in Höhe von noch 2 698,48 DM zu erlassen. Er bezog sich hierbei auf den auf § 203 Abs. 5 LAG und § 131 AO gestützten Erlaß des BdF IV C/5-LA 2831-5/55 vom 17. März 1955 (BStBl I 1955, 136, LA-Kartei Karte 6 vor § 129 LAG).

Das FA hat den Antrag abgelehnt mit der Begründung, daß mit Rücksicht auf die umfangreichen Instandsetzungsarbeiten demnächst mit weiteren Mieterhöhungen gerechnet werden könne, so daß voraussichtlich die Voraussetzungen für einen Erlaß nach § 129 LAG nicht mehr vorliegen würden.

Mit der Beschwerde hiergegen machte der Abgabeschuldner geltend, daß auf Jahre hinaus nicht mit einem Ertragsüberschuß gerechnet werden könne. Er führte hierzu im einzelnen aus: Das Gebäude sei 1926 errichtet worden. Die Wohnung der 1. Etage habe weder Heizung noch Toiletten noch Bad. Die Wohnung im Erdgeschoß, die er selbst bewohne, sei offen mit der von seinem Sohn geschaffenen Anbauwohnung verbunden und habe mit dieser Wohnung Badezimmer und Toiletten gemeinsam. Die Ausstattung des Hauses mit zeitgemäßen sanitären Anlagen, die Erneuerung und Umstellung der Heizungsanlage, des Außenanstrichs und des Außenputzes, die Einfriedung des Grundstücks an drei Seiten mit über 100m Länge, der Anschluß an das öffentliche Abwassernetz und andere Arbeiten würden noch sehr hohe Kosten verursachen. Erst wenn diese Arbeiten durchgeführt seien, würden sich Mieterhöhungen erreichen lassen. Eine Fremdvermietung der Erdgeschoßwohnung sei wegen der baulichen Ausgestaltung nicht möglich. Der in der Ertragsberechnung einzusetzende Mietertrag müsse insoweit geschätzt werden. Das gleiche gelte für den Teil, der von seinem Sohn bewohnt werde, da insoweit keine feste Mietpreisvereinbarung vorliege. Der Abgabeschuldner fügte seinem Antrag eine vorläufige Ertragsberechnung für die Jahre 1965 bis 1967 bei, die mit einem Verlust von 2 648,23 DM abschloß.

Das FA vertrat demgegenüber die Auffassung, daß es sich bei den vom Kläger bezeichneten Aufwendungen um Moderniesierungsaufwand handele, der nach § 8a der 17. AbgabenDV-LA nur mit 20 v. H. abzugsfähig sei. Weitere Arbeiten könnten nicht als Reparaturaufwand anerkannt werden, sondern stellten Herstellungsaufwand dar. Das gelte insbesondere auch hinsichtlich der Erneuerung der Heizungsanlage. Wenn die Heizung auf das ganze Haus erweitert werde, müsse der Mietwert mit mindestens 4 000 DM angesetzt werden, während der Abgabeschuldner ihn in seiner vorläufigen Ertragsberechnung nur mit 3 120 DM angesetzt habe.

Die OFD sah den Antrag des Abgabeschuldners zunächst als unzulässig an, da der BdF-Erlaß vom 17. März 1955 (a. a. O.) dem Abgabeschuldner kein Recht auf einen Erlaßantrag gewähre; dieser Erlaß gebe lediglich der Finanzverwaltung die Möglichkeit, in Fällen, in denen sich der Verwaltungsaufwand im Hinblick auf den laufenden Ertrag der HGA-Schuld nicht lohne, auf die HGA zu verzichten. Durch Beschwerdeentscheidung vom 16. August 1967 wies es den Antrag des Abgabeschuldners unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des FA als unbegründet zurück.

Die Klage hiergegen blieb ohne Erfolg. Die Vorentscheidung ließ es dahingestellt, ob dem Antragsteller ein "Antragsrecht" zustehe. Jedenfalls lägen nicht sämtliche Voraussetzungen des BdF-Erlasses vom 17. März 1955 vor. Der BdF habe die Worte "noch auf Jahre hinaus" durch Erlaß IV C/5-2610-8/56 vom 31. Juli 1956 (LA-Kartei Karte 16 zu § 129 LAG, Tz. 37) erläutert. Danach kämen als berücksichtigungsfähig die beiden folgenden Erlaßzeiträume in Betracht, die auf das Ende des bei Antragstellung laufenden Erlaßzeitraumes folgen. Nach Tz. 3 des Erlasses vom 17. März 1955 müßten "die Beträge", mit deren Aufkommen möglicherweise in einer nicht mehr übersehbaren Zeit gerechnet werden könnte, voraussichtlich keinen angemessenen Ausgleich für die noch zu leistende Verwaltungsarbeit bedeuten. Hiernach sei eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens bei der Ablehnung des Erlaßantrages zu verneinen. Nach dem Ergebnis der 12. HGA-Besprechung sei bei der Beurteilung des Erlaßantrages von dem allein maßgeblichen Verwaltungsinteresse auszugehen, d. h. ob eine solche Ersparnis von Arbeit und Kosten durch einen Erlaß der Restschuld erreicht werden könne. Das FA sei zutreffend davon ausgegangen, daß insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Aufwendungen eine genaue Überprüfung durchzuführen sei, inwieweit die Aufwendungen als abzugsfähig anerkannt werden könnten. Auch die Höhe der vom Abgabeschuldner angegebenen Grundstückserträge bedürfe einer eingehenden Nachprüfung. Hieraus ergebe sich, daß die Voraussetzung der Tz. 3 des BdF-Erlasses vom 17. März 1955 (a. a. O.) nicht erfüllt sei, so daß der Zweck dieses BdF-Erlasses nicht erreicht werden würde. Durch die Ablehnung des Erlaßantrages werde auch der Abgabeschuldner in seinen Rechten nicht beeinträchtigt, da ihm die Möglichkeit bleibe, in den folgenden Jahren Erlaßanträge nach § 129 LAG zu stellen.

Hiergegen richtet sich die Revision. Der Abgabeschuldner ist der Auffassung, daß alle Voraussetzungen des BdF-Erlasses vom 17. März 1955 vorlägen und daß ihm ein Antragsrecht zustehe. Das FG habe zu Unrecht die Frage nach seinem "Antragsrecht" offengelassen. Dieses Antragsrecht könne nicht deshalb dahingestellt bleiben, weil es dem FA nicht zugemutet werden könne, "sorgfältig und detailliert" zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Tz. 3 dieses Erlasses vorlägen. Er habe inzwischen dem FA einen Erlaßantrag für die Jahre 1965 bis 1967 vorgelegt, der wiederum mit einem Grundstücksverlust abschließe. Auch für den Erlaßzeitraum 1968 bis 1970 sei mit Sicherheit nicht mit einem Grundstücksüberschuß zu rechnen. Die Auffassung des FA, daß es sich bei den Aufwendungen der Jahre 1964 bis 1967 nicht um Erhaltungs, sondern um Herstellungsaufwand handele, sei rechtsirrig. Nach der Rechtsprechung des BFH sei insbesondere bei Ersatz einer verbrauchten Koksfeuerungsanlage durch eine Ölheizung Erhaltungsaufwand anzunehmen. Da außerdem die Abgabeschuld zum Ende des Jahres 1970 nur noch rund 1 800 DM betrage und die Grenze für einen Erlaß bei 5 000 DM und nicht - wie vom FG angegeben - bei 3 000 DM liege, sei die angefochtene Entscheidung über die Ablehnung seines Erlaßantrages ermessensfehlerhaft.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Dem Steuerpflichtigen sind für die Erlaßzeiträume in den Jahren 1953 bis 1964 die Zins- und Tilgungsleistungen aus einer HGA-Schuld gemäß § 129 LAG wegen ungünstiger Ertragslage des Grundstücks erlassen worden. Bei diesem Erlaß handelt es sich um eine Vergünstigung, die ausschließlich auf den Ertrag des Grundstücks abstellt. Nur die Ertragslage des Grundstücks und nicht persönliche Verhältnisse des Eigentümers sind für die Beurteilung eines Erlasses nach § 129 LAG maßgebend. Darüber hinausgehende finanzielle oder wirtschaftliche Verhältnisse des Eigentümers können nur im Rahmen des § 131 LAG, gegebenenfalls gemäß § 131 AO, Berücksichtigung finden. Einem Ertragslageerlaß sind die Verhältnisse eines Erlaßzeitraumes, das sind regelmäßig drei Jahre, zugrunde zu legen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll daher über einen Ertragslageerlaß auch erst nach Ablauf des dreijährigen Erlaßzeitraumes entschieden werden. Diese Entscheidung ist anhand einer Ertragslageberechnung vorzunehmen, deren Überprüfung in aller Regel eine nicht unerhebliche Verwaltungsarbeit verursacht. Um diese Verwaltungsarbeit für unlohnende Fälle einzuschränken, hat der BdF im Erlaß vom 17. März 1955 (a. a. O.) unter gewissen Voraussetzungen einen Erlaß der restlichen Abgabeschuld vorgesehen. Auch diese Anweisung des BdF beruht auf der dem BdF in § 203 Abs. 5 LAG erteilten Ermächtigung, die Anwendung des § 131 AO auf die Lastenausgleichsabgaben durch besondere Verwaltungsanordnung zu regeln. Hierbei handelt es sich zwar nur um verwaltungsinterne Richtlinien für die Finanzverwaltung, an welche die Steuergerichte nicht gebunden sind. Wird, wie im Streitfall, ein Erlaß aufgrund der Weisungen des BdF vom FA abgelehnt, so haben die Steuergerichte jedoch im Rechtsbehelfsverfahren zu prüfen, ob sich die vom BdF getroffene Regelung innerhalb der Grenzen hält, die das Grundgesetz und die einfachen Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen, und ob die Verwaltungsbehörden bei ihrer Entscheidung die Verwaltungsanordnung des BdF richtig angewandt haben (vgl. Urteile des Senats III 243/60 U vom 1. Februar 1963, BFH 76, 663, BStBl III 1963, 242, und III 299/61 U vom 18. Dezember 1964, BFH 81, 666, BStBl III 1965, 239).

Es braucht nicht entschieden zu werden, ob dem Steuerpflichtigen ein "Rechtsanspruch" auf die Antragstellung selbst zusteht oder nicht. Selbst wenn er einen solchen "Rechtsanspruch" auf die Antragstellung hätte, wäre sein Antrag zu Recht abgelehnt worden. Der BdF hat sich bei der im Erlaß vom 17. März 1955 getroffenen Regelung innerhalb der Grenzen gehalten, die nach dem GG und den einfachen Gesetzen der Ausübung des Ermessens der Verwaltung gesetzt sind. Wenn der Gesetzgeber einen Erlaß an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen sachlicher Art geknüpft hat wie im Falle des § 129 LAG, so kann der BdF eine auf § 131 AO gestützte Verwaltungsanordnung, die über diese Voraussetzungen hinaus einen völligen Erlaß der restlichen HGA-Schuld vorsieht, auch im Hinblick auf die Belange der Verwaltungsbehörden treffen. Wie oben bereits ausgeführt wurde, kommt ein Ertragslageerlaß nach § 129 LAG nur in Betracht, wenn sich aufgrund einer Ertragslageberechnung ein Verlust ergibt. In diesen Fällen hat der Steuerpflichtige einen Rechtsanspruch auf Erlaß.

Es liegt im Rahmen des Ermessens des BdF, ob er darüber hinaus weitere Erlaßmöglichkeiten aus Billigkeitsgründen gewähren will. Die vom BdF im Erlaß vom 17. März 1955 getroffene Regelung ist eine Billigkeitsmaßnahme zugunsten des Abgabeschuldners, da diesem hiernach die restliche Abgabeschuld erlassen werden kann, obwohl er nach dem Gesetz (§ 129 LAG) keinen Rechtsanspruch hierauf hat. Entgegen der Auffassung des Steuerpflichtigen durfte der BdF hierbei den Belangen der Finanzverwaltung Rechnung tragen. Wenn hiernach in unlohnend erscheinenden Fällen von einer eingehenden Prüfung der dem Erlaßantrag nach § 129 LAG beizufügenden Ertragslageberechnung abgesehen werden soll, so kann eine solche Vereinfachungsmaßnahme auch im Interesse der Verwaltung getroffen werden. Die Gewährung oder Ablehnung eines Erlasses stellt in solchen Fällen eine Ermessensentscheidung der Behörde dar, die nur daraufhin überprüft werden kann, ob sie sich im Rahmen der einer Ermessensausübung gesetzten Grenzen hält. Es ist dabei als sachgerecht anzusehen, wenn der BdF auf die voraussichtliche zukünftige Entwicklung der Verhältnisse bei der Prüfung der Voraussetzungen für einen vollständigen Abgabeerlaß abstellt. Es würde nämlich den beabsichtigten Zweck erheblich beeinträchtigen, wenn das FA in jedem Fall, in welchem die restliche HGA-Schuld einen bestimmten Betrag unterschreitet, gezwungen wäre, die zukünftige Entwicklung erst anhand eingehender Ertragslageberechnungen zu prüfen, um eine Entscheidung über den Erlaßantrag treffen zu können. Es muß daher als im Rahmen des Ermessens liegend angesehen werden, wenn der auf den BdF-Erlaß vom 17. März 1955 gestützte Erlaß auf einfache und klarliegende Fälle beschränkt bleibt.

Ist sonach die Regelung im BdF-Erlaß vom 17. März 1955 nicht zu beanstanden, so ist auch die Beurteilung, die das FA aufgrund dieses Erlasses im vorliegenden Streitfall getroffen hat, als im Rahmen des Ermessens liegend anzusehen. Unstreitig hat der Steuerpflichtige für den Erlaßzeitraum 1965 bis 1967 größere Ausgabenbeträge geltend gemacht, von denen erst nach eingehender Prüfung entschieden werden kann, ob es sich um abzugsfähigen Reparaturaufwand oder um nicht abzugsfähigen oder gegebenenfalls auf mehrere Jahre zu verteilenden Herstellungsaufwand handelt. Ebenso wird das FA erst nach eingehender Prüfung feststellen können, ob die angesetzten Mieterträge zutreffend sind, zumal es sich bei dem eigengenutzten Teil des Gebäudes um geschätzte Mietbeträge handelt. Ist aber eine Entscheidung über die künftige Ertragslage mit zusätzlicher Verwaltungsarbeit verbunden, so sind die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlaß nach den Anweisungen des BdF-Erlasses vom 17. März 1955 nicht gegeben.

Die Revision kann sonach keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 345

BFHE 1970, 206

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