Leitsatz (amtlich)

1. Neue Tatsachen von einigem Gewicht, die zu einer Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb und damit zur Wiederaufrollung des gesamten Gewerbesteuerfalles führen, berechtigen auch zur Änderung des Gewerbekapitals mit Ausnahme des Einheitswerts des Betriebsvermögens.

2. § 24 der GewStDV in der Fassung vom 30. Mai 1962 - GewStDV 1961 - hält sich nicht im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung und ist daher ungültig.

 

Normenkette

AO § 222; GewStG §§ 6, 12, 14, 16, 35b, 35c; GewStDV 1961 § 24

 

Tatbestand

Die Revisionsbeklagte (die Steuerpflichtige) - eine KG - betreibt einen Holzgroßhandel. Bei einer Betriebsprüfung stellte der Revisionskläger (das FA) Umstände fest, die zu einer Erhöhung des gewerblichen Gewinns führten. Das FA erblickte darin neue Tatsachen von einigem Gewicht (§ 222 Abs. 1 Nr. 1 AO), die zur Wiederaufrollung des gesamten Gewerbesteuerfalles berechtigten. Bei der Festsetzung des einheitlichen Steuermeßbetrags rechnete es im Rahmen der Ermittlung des Gewerbekapitals unter Bezugnahme auf § 24 GewStDV den Erlös aus der im Jahre 1964 erfolgten Veräußerung eines Betriebsgrundstücks in S dem auf den 1. Januar 1963 festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens hinzu. Die Hinzurechnung war bei der ursprünglichen Festsetzung des einheitlichen Steuermeßbetrags unterblieben, obwohl dem FA die Grundstücksveräußerung bekannt war.

Die Klage der Steuerpflichtigen, die sich gegen die Hinzurechnung wandte, hatte Erfolg. Das FG führte in seiner in EFG 1969, 257 veröffentlichten Entscheidung aus:

Die vom FA festgestellten neuen Tatsachen von einigem Gewicht zum Nachteil der Steuerpflichtigen beträfen nur deren Gewinn aus Gewerbebetrieb. Das FA sei daher zur Berichtigung des Gewerbekapitals nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht berechtigt gewesen. Gewerbeertrag und Gewerbekapital stünden nach dem Aufbau des GewStG - Unterabschn. 1 und 2 des Abschn. II - selbständig nebeneinander. Nach § 11 und § 13 GewStG würden für den Gewerbeertrag und das Gewerbekapital gesonderte Steuermeßbeträge festgesetzt. Die nur rechnerische Zusammenfassung dieser Meßbeträge nach § 14 GewStG zu einem einheitlichen Steuermeßbetrag ändere nichts an der grundsätzlichen Selbständigkeit der Steuern nach Ertrag und Kapital. Diese Grundsätze ergäben sich auch aus dem Urteil des BFH I R 156/66 vom 13. Dezember 1966 (BFH 87, 441, BStBl III 1967, 202).

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 14 GewStG. Es ist der Auffassung, daß die Gewerbesteuer einheitlich festgesetzt werde und der Feststellung der einzelnen Steuermeßbeträge keine rechtliche Selbständigkeit zukomme.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Steuerpflichtige beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der dem Verfahren beigetretene BMWF führt zur Frage der Übereinstimmung des § 24 GewStDV mit dem Gesetz folgendes aus:

1. Die Bestimmung des § 24 GewStDV in der Fassung vom 30. Mai 1962 (BGBl I, 372) - GewStDV 1961 - gehe in ihrem in diesem Verfahren in Frage stehenden Teil auf § 28 der Dritten GewStDV vom 31. Januar 1940 (RGBl I, 284) zurück. Ermächtigungsgrundlage der Verordnung seien die §§ 12, 13 AO gewesen. Da die GewStDV mit Wirkung erstmals für den Erhebungszeitraum 1955 neu beschlossen und verkündet worden sei (GewStDV 1955 vom 24. März 1956, BGBl I, 152), könne § 24 GewStDV 1955 nicht mehr auf die ursprüngliche Ermächtigung der §§ 12, 13 AO gestützt werden. § 24 GewStDV 1961 (früher § 24 GewStDV 1955) beruhe auf der Ermächtigung des § 35c GewStG in der Fassung vom 21. Dezember 1954 (BGBl I, 473). Zwar sei die Ermächtigung auf die Erhebungszeiträume 1955 und 1956 begrenzt gewesen, während erst § 35c Abs. 1 Satz 1 GewStG 1961 (BGBl I, 1730) eine nicht auf bestimmte Erhebungszeiträume beschränkte Ermächtigung zum Erlaß einer Durchführungsverordnung enthalte. Für die Wirksamkeit der Bestimmung einer Rechtsverordnung komme es aber nur darauf an, ob die erforderliche Ermächtigung im Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vorliege (Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 80 Rdnr. 12). Eine im Zeitpunkt ihres Erlasses auf gesetzlicher Grundlage ergangene Rechtsverordnung werde weder durch den Fortfall noch durch die Änderung der Ermächtigung in ihrer Gültigkeit berührt (Entscheidungen des BVerfGE 9, 12; 14, 249; Schmidt-Bleibtreu-Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 80 Rdnr. 5). Etwas anderes könne auch nicht dann gelten, wenn - wie hier - die Ermächtigung zunächst auf bestimmte Erhebungszeiträume beschränkt worden sei und erst nach Ablauf mehrerer Jahre nahtlos in eine unbeschränkte Ermächtigung übergehe.

2. Die Bestimmung des § 24 GewStDV 1961 stehe auch nicht im Widerspruch zum Gesetz. Zwar sei nach § 12 Abs. 5 GewStG für den dem Gewerbekapital zugrunde liegenden Einheitswert des Betriebsvermögens derjenige Einheitswert maßgebend, der auf den Feststellungszeitpunkt vor dem Ende des Erhebungszeitraums laute. Die in § 24 GewStDV 1961 enthaltene Ausnahme hiervon bei Veränderungen im Bestand von Betriebsgrundstücken müsse aber im Zusammenhang mit § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG gesehen werden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Unstreitig hat das FA im Streitfall neue Tatsachen von einigem Gewicht (§ 222 Abs. 1 Nr. 1 AO) festgestellt, die zur Erhöhung des Gewinns aus dem Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG) der Steuerpflichtigen führten. Der Ansicht der Vorinstanz, diese Umstände berechtigten nicht auch zur Überprüfung des Gewerbekapitals, kann nicht gefolgt werden.

1. Die Vorschrift des § 222 AO regelt die Änderung von Bescheiden (§ 222 Abs. 1 Satz 1 AO). Soweit die Feststellung neuer Tatsachen zur Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalles führt (vgl. BFH-Urteil I 111/65 vom 22. Mai 1968, BFH 92, 433, BStBl II 1968, 547), kann sich die Wiederaufrollung auf die gesamte im Bescheid über die Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags selbständig getroffene Regelung erstrecken. Der Verfügungssatz des Gewerbesteuermeßbescheids enthält die Festsetzung des einheitlichen Steuermeßbetrags (§ 16 GewStG). Wenn dieser Betrag durch die Zusammenrechnung der Steuermeßbeträge gebildet wird, die sich nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital ergeben (§ 14 GewStG), so folgt daraus, daß die Steuermeßbeträge nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital nur Rechnungsgrößen sind, die der Ermittlung des den Verfügungssatz bildenden einheitlichen Steuermeßbetrags logisch vorausgehen. Gewerbeertrag und Gewerbekapital sind nur Besteuerungsgrundlagen der Gewerbesteuer (§ 6 GewStG). Ebenso sind auch die Steuermeßbeträge nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital nur unselbständige Teile des einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheids (vgl. BFH-Beschluß Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344, insbesondere Nr. 4 Abs. 1 letzter Satz).

2. Die Vorinstanz kann sich zur Begründung ihrer gegenteiligen Ansicht auch nicht auf das BFH-Urteil I R 156/66 (a. a. O.) stützen. Diese Entscheidung fußt auf der Ansicht, daß neue Tatsachen, die zu einer Änderung des Einheitswerts des Betriebsvermögens führen, nicht zu einer Wiederaufrollung des gesamten Gewerbesteuerfalles berechtigten, weil Änderungen im Einheitswert des Betriebsvermögens in einem gesonderten Bescheid vorgenommen werden, der lediglich im Wege einer zwingenden Folgeänderung nach § 35b GewStG zu einer Berichtigung des Gewerbesteuermeßbescheids führt. Etwas anderes gilt dagegen dann, wenn neue Tatsachen von einigem Gewicht festgestellt werden, die für den Gewerbeertrag und/oder die Hinzurechnungen oder Kürzungen beim Gewerbekapital bedeutsam sind. Denn über diese Besteuerungsgrundlagen wird im Gewerbesteuermeßbescheid selbständig entschieden. Neue Tatsachen dieser Art können daher zur Wiederaufrollung des gesamten Gewerbesteuerfalles mit Ausnahme des Einheitswerts des Betriebsvermögens führen.

II.

Das FA hat die Berichtigung des Gewerbesteuermeßbescheids auf § 24 GewStDV 1961 gestützt. Diese Bestimmung überschreitet die ihr zugrunde liegende gesetzliche Ermächtigung und ist daher ungültig.

1. Dem BMWF ist darin beizutreten, daß § 24 GewStDV 1961 auf der Ermächtigung des § 35c Nr. 1 Buchst. b GewStG 1955 beruht. Danach wurde die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrats "zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes" für die Erhebungszeiträume 1955 und 1956 Rechtsverordnungen über die Ermittlung des Gewerbekapitals zu erlassen. Art. 2 des Gesetzes über die Verlängerung von Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen zur Durchführung des KStG und des GewStG vom 30. März 1957 (BGBl I, 314) hat die Ermächtigung auf die Erhebungszeiträume 1957 bis 1960 ausgedehnt. Nach § 35c GewStG 1961, der insoweit auf Art. 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des EStG, des KStG, des GewStG und des WoPG vom 30. Juli 1960 (BGBl I, 616) - StÄndG 1960 - beruht, ist - ohne Änderung der Ermächtigung im übrigen - nur die Beschränkung der Ermächtigung auf bestimmte Erhebungszeiträume entfallen. Die Bestimmung des § 24 GewStDV blieb dadurch unberührt.

Der Senat hat in seiner Entscheidung I R 20/70 vom 26. Mai 1971 (BFH 102, 285, BStBl II 1971, 594) im einzelnen dargelegt, daß § 35c Nr. 1 Buchst. b GewStG 1955 den anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entspreche. Daran hält der Senat fest.

2. Eine in einer Durchführungsverordnung getroffene Bestimmung ist aber auch dann ungültig, wenn sie die von der Ermächtigungsnorm gezogenen Grenzen überschreitet (vgl. BVerfGE 13, 248, 255, 257; 16, 332, 339; v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 80 Anm. F, 2d mit weiteren Hinweisen). Ob dies zutrifft, hat das Gericht selbständig zu prüfen und gegebenenfalls in eigener Zuständigkeit festzustellen (BVerfGE 18, 52, 59).

a) § 35c GewStG ermächtigt zum Erlaß von Rechtsverordnungen "zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes". Um Durchführung im Sinne dieser Ermächtigungsnorm handelt es sich nur, wenn der Regelungsbereich des Gesetzes im formellen Sinn durch die Verordnung spezieller ausgeformt wird (BFH-Urteil II 53/63 vom 15. Oktober 1968, BFH 94, 79, BStBl II 1969, 86). Eine Durchführungsverordnung füllt nur den durch das Gesetz geschaffenen Rahmen aus, darf das Gesetz aber weder ändern noch ergänzen (BFH-Urteil IV 11/64 S vom 5. November 1964, BFH 80, 356, BStBl III 1964, 602; Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 28. November 1962, DStZ B 1963, 7).

b) Als Gewerbekapital gilt der Einheitswert des gewerblichen Betriebsvermögens i. S. des BewG mit den sich aus den Absätzen 2 bis 4 ergebenden Änderungen (§ 12 Abs. 1 GewStG). Maßgebend ist der Einheitswert, der auf den letzten Feststellungszeitpunkt vor dem Ende des Erhebungszeitraumes lautet (§ 12 Abs. 5 GewStG). Von diesem gesetzlich bindend angeordneten Maßgeblichkeitsgrundsatz weicht die zu § 12 GewStG ergangene Bestimmung des § 24 GewStDV 1961 ab. Danach sollen Veränderungen im Bestand an Betriebsgrundstücken, die nach dem gemäß § 12 Abs. 5 GewStG für maßgebend erklärten Einheitswert eingetreten sind, in gewissem Rahmen gleichwohl berücksichtigt werden. § 24 Abs. 1 GewStDV lautet:

"Der Erwerb oder die Veräußerung eines Betriebsgrundstücks wird bei der Ermittlung des Gewerbekapitals nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 berücksichtigt, wenn das Betriebsgrundstück nach dem Zeitpunkt, auf den der maßgebende Einheitswert des gewerblichen Betriebs (§ 12 Abs. 5 des Gesetzes) festgestellt worden ist, und vor dem Beginn des Erhebungszeitraums erworben oder veräußert worden ist."

Abs. 2 des § 24 GewStDV läßt Abweichungen vom maßgeblichen Einheitswert des Betriebsvermögens für den Fall zu, daß ein Betriebsgrundstück nach dem maßgeblichen Feststellungszeitpunkt "erworben" wird. Der im Streitfall bedeutsame Abs. 3 des § 24 GewStDV lautet:

"Bei der Veräußerung eines Betriebsgrundstücks ist der Betrag des Veräußerungserlöses abzüglich der Verbindlichkeiten im Sinn des § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes, die bei der Veräußerung des Grundstücks weggefallen sind, dem Gewerbekapital hinzuzurechnen."

Daß § 24 GewStDV 1961 die Vorschrift des § 12 Abs. 5 GewStG abändert, ergibt sich ausdrücklich aus dem Wortlaut des § 24 Abs. 1 GewStDV und aus dem inhaltlichen Vergleich beider Rechtsnormen.

c) Auch aus dem Sinnzusammenhang, der zwischen § 24 GewStDV und § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG besteht, läßt sich nicht herleiten, daß § 24 GewStDV sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung hält.

Nach § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG wird die Summe des (auf den nach § 12 Abs. 5 GewStG maßgeblichen Zeitpunkt festgestellten) Einheitswerts des gewerblichen Betriebsvermögens und der Hinzurechnungen um die Summe des Einheitswerts gekürzt, mit denen die Betriebsgrundstücke in dem Einheitswert des Betriebsvermögens enthalten sind. Zweck dieser Kürzungsvorschrift ist es, eine doppelte Realsteuerbelastung derselben Vermögenswerte (Betriebsgrundstücke) zu vermeiden. Durch die Kürzungsvorschrift soll erreicht werden, daß der Grundbesitz nur mit Grundsteuer, nicht zugleich aber auch mit Gewerbesteuer belastet wird (vgl. z. B. Lenski-Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, § 12 Anm. 48).

Dem BMWF ist darin beizutreten, daß § 24 GewStDV einer Unausgewogenheit des Gesetzes abhelfen will. Nach § 12 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 5 GewStG ist die Kürzung allein nach den Verhältnissen vorzunehmen, wie sie zu dem nach § 12 Abs. 5 GewStG maßgebenden Feststellungszeitpunkt bestanden haben. Indes führen Veränderungen im Bestand an Betriebsgrundstücken allein noch nicht ohne weiteres zu einer Fortschreibung des Einheitswertes des gewerblichen Betriebsvermögens (vgl. § 22 BewG). Sie können daher den nach § 12 Abs. 5 GewStG maßgebenden Feststellungszeitpunkt unberührt lassen. Bei der Grundsteuer ist die Rechtslage anders. Die Veräußerung von Grundstücken führt in jedem Fall zu einer Zurechnungsfortschreibung auf den Beginn des Kalenderjahres, der der Veräußerung folgt (§ 225a AO in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BewG vom 13. August 1965, BGBl I, 851, § 22 Abs. 2 BewG 1965, § 22 Abs. 2 BewG 1934, § 22 Abs. 4 BewG 1965). Dies hat zur Folge, daß der Erwerber des Grundstücks die Grundsteuer von dem Kalenderjahr an zu tragen hat, das mit dem Fortschreibungszeitpunkt beginnt (§ 14 GrStG). Dadurch kann der Fall eintreten, daß ein Steuerpflichtiger, der Grundbesitz nach dem gemäß § 12 Abs. 5 GewStG maßgebenden Feststellungszeitpunkt veräußert hat, in den Genuß der Kürzungsvorschrift nach § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG gelangt, ohne daß er selbst die Grundsteuer zu tragen hat. Umgekehrt hat der Erwerber des Grundbesitzes hierauf Grundsteuer zu entrichten, ohne daß er in allen Fällen die Kürzung nach § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG für sich beanspruchen kann. Im ersten Fall kommt es zu einer Entlastung des Grundbesitzes sowohl von der Grundsteuer wie von der Gewerbsteuer, der zweite Fall kann zu einer doppelten Belastung mit beiden Steuern führen.

Diese Auswirkungen ergeben sich, weil § 12 Abs. 5 GewStG, § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG, die bewertungsrechtlichen Vorschriften über die Fortschreibung von Einheitswerten und § 14 GrStG nicht harmonisch aufeinander abgestimmt sind. Ein solcher Bruch im Sinngefüge mehrerer ineinandergreifender Rechtsnormen kann indes nur durch eine Ergänzung oder Änderung des Gesetzes selbst behoben werden. Dazu ist der nur zur Durchführung des Gesetzes ermächtigte Verordnungsgeber nicht befugt.

d) Die Gültigkeit des § 24 GewStDV 1961 läßt sich auch nicht aus dessen Entstehungsgeschichte herleiten.

Die Bestimmung des § 24 GewStDV 1961 ist aus § 28 der Dritten GewStDV vom 31. Januar 1940 (a. a. O.) hervorgegangen. Der Abs. 1 dieser Bestimmung hatte folgenden Wortlaut:

"Der Erwerb oder die Veräußerung eines Betriebsgrundstücks wird bei der Ermittlung des Gewerbekapitals nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 berücksichtigt, wenn das Betriebsgrundstück nach dem Zeitpunkt, auf den der maßgebende Einheitswert des gewerblichen Betriebs (§ 25) festgestellt worden ist, und vor dem Beginn des Kalenderjahres, in dem der Erhebungszeitraum beginnt, erworben oder veräußert worden ist."

Der § 25 der Dritten GewStDV vom 31. Januar 1940 hatte folgenden Wortlaut:

"Maßgebend ist der Einheitswert vom letzten Feststellungszeitpunkt ..., der dem Beginn des Erhebungszeitraums unmittelbar vorangeht ..."

Die Bestimmung des § 28 GewStDV regelte in ihrer damaligen Fassung lediglich eine Ausnahme von einem Grundsatz, der in einer anderen Bestimmung der GewStDV ausgesprochen war. Der Widerspruch zwischen Gesetz und Verordnung trat auf, als der früher in § 25 der Dritten GewStDV vom 31. Januar 1940 näher geregelte Maßgeblichkeitsgrundsatz in der abgewandelten Wortfassung des § 12 Abs. 5 GewStG durch das Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts vom 27. Dezember 1951 (BGBl I, 996) in den Rang der Norm eines Gesetzes im formellen Sinne erhoben wurde, während die Ausnahmevorschrift Verordnungsrecht geblieben ist. Ob der Gesetzgeber bei der Übernahme des Maßgeblichkeitsgrundsatzes in das Gesetz ohne gleichzeitige Übernahme der Regelung über die Bestandsveränderungen bei Betriebsgrundstücken die bisherige Rechtslage stillschweigend beibehalten wollte - wie der BMWF meint -, ist für die Entscheidung des Streitfalles ohne Bedeutung. Denn ob eine Rechtsverordnung mit einer gesetzlichen Ermächtigung übereinstimmt, kann nicht am Schweigen oder schlüssigen Verhalten des Gesetzgebers, sondern nur an der Reichweite der vom Gesetzgeber zugestandenen Ermächtigung selbst gemessen werden.

e) Die Frage der Übereinstimmung mit der gesetzlichen Ermächtigung ist für § 24 GewStDV anders zu beurteilen als für die Bestimmung des § 23 GewStDV, mit der sich der Senat im Urteil I R 20/70 (a. a. O.) zu befassen hatte. Nach § 23 GewStDV ist beim Eintritt eines Gewerbebetriebs in die Steuerpflicht das Gewerbekapital für den ersten Erhebungszeitraum auf den Zeitpunkt des Beginns der Steuerpflicht nach den Grundsätzen des § 12 GewStG und des BewG zu ermitteln. Da das Gewerbekapital zwingende Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer ist (§ 6 GewStG), führt § 23 GewStDV lediglich einen Gesetzesbefehl aus für den Fall, daß wegen Eintritts in die Steuerpflicht ein Einheitswert des Betriebsvermögens für Zwecke der Einheitsbewertung noch nicht festgestellt wird. Demgegenüber soll nach § 24 GewStDV von einem bereits festgestellten und vom Gesetz für maßgeblich erklärten Einheitswert des Betriebsvermögens abgewichen werden. Der Verordnungsgeber will daher mit § 24 GewStDV einen Gesetzesbefehl nicht vollziehen, sondern abändern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413202

BStBl II 1972, 552

BFHE 1972, 239

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