Leitsatz (amtlich)

1. Der Senat hält daran fest, daß die Gerichte bei der Frage, ob ein Geschäftsgrundstück i. S. des § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG 1965 vorliegt, ihren Entscheidungen grundsätzlich den in Abschn. 16 Abs. 6 und 7 BewRGr niedergelegten Erfahrungssachverhalt ohne weitere Sachverhaltserforschung zugrunde legen dürfen (so schon BFH-Urteil vom 7. November 1975 III R 120/74, BFHE 118, 59, BStBl II 1976, 277).

2. Ein Lichtspielhaus, das gemäß Abschn. 16 Abs. 6 BewRGr nach dem Sachwertverfahren zu bewerten ist, liegt auch dann vor, wenn das Lichtspieltheater dem Gebäude das Gepräge gibt.

 

Normenkette

BewRGr Abschn. 16 Abs. 7, 6; BewG 1965 § 76 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 1

 

Tatbestand

Die inzwischen verstorbene Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Eigentümerin eines 885 qm großen Grundstücks.

Auf dem Grundstück befindet sich ein Geschäftshaus, in dem ein Lichtspieltheater, ein Friseurladen und Büroräume untergebracht sind. Durch Einheitswertbescheid vom 9. Juli 1970 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den Einheitswert des Grundstücks zum 1. Januar 1964 fest. Dabei ging das FA von einem Bauvolumen von 12 274 cbm aus. Im Einspruchsverfahren ermittelte das FA das Bauvolumen mit 10 925,23 cbm und setzte dementsprechend den Einheitswert herab. Im übrigen blieb der Einspruch erfolglos. Mit der Klage wandte sich die Klägerin gegen die Ermittlung des Einheitswerts nach dem Sachwertverfahren, da sich nach dem Ertragswertverfahren ein erheblich niedrigerer Einheitswert ergebe. Ferner erhob sie Einwendungen gegen den Ansatz des Bodenwerts, den angesetzten jährlichen Vomhundertsatz für Wertminderung und die Höhe des Abschlags wegen Beeinträchtigung durch Staub und Rauch.

Das FG wies die Klage ab. Es führte u. a. aus, die Ermittlung des Einheitswerts nach dem Sachwertverfahren sei nicht zu beanstanden. Zwar könne die Jahresrohmiete für das streitige Grundstück ermittelt oder die übliche Miete geschätzt werden. Es könne aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß nach Abschn. 16 Abs. 6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens - BewRGr - (BStBl I 1966, 892) u. a. Theatergrundstücke und Lichtspielhäuser nach dem Sachwertverfahren zu bewerten seien. Die BewRGr dienten der gleichmäßigen Behandlung aller Steuerpflichtigen und seien als zweckmäßiges Hilfsmittel für die sachgerechte Durchführung der Grundstücksbewertung anzusehen. Gegen ihre Anwendung bestünden keine Bedenken. Auch die Einwendungen der Klägerin gegen einzelne Ansätze des FA könnten der Klage im Ergebnis nicht zum Erfolg verhelfen. Hinsichtlich der Wertminderung wegen Alters sei die Vorinstanz zutreffend von einer gewöhnlichen Lebensdauer des Gebäudes von 100 Jahren ausgegangen (Abschreibung 1 v. H. pro Jahr). Die gewöhnliche Lebensdauer bestimme sich nach Erfahrungssätzen, die in Abschn. 41 BewRGr zusammengestellt seien. Danach könne hier - anders als bei Gebäuden mit technischen Betriebsvorrichtungen - keine vom Normalfall abweichende Lebensdauer zugrunde gelegt werden. Der Bodenwert werde in Übereinstimmung mit den Beteiligten mit 200 DM pro qm für angemessen erachtet. Nicht gerechtfertigt sei der Abschlag in Höhe von 15 % wegen Beeinträchtigung durch Staub und Rauch, der auch vom FA nicht mehr für berechtigt gehalten werde. Hierzu liege das Gutachten eines öffentlich bestellten Sachverständigen vor, nach dem durch Immissionen keine Verkürzung der Lebensdauer des Gebäudes eingetreten sei.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 76 BewG. Sie meint, das FA habe das Grundstück gemäß § 76 Abs. 1 BewG nach dem Ertragswertverfahren bewerten müssen; es wäre dann zu einem niedrigeren Einheitswert gelangt. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme (§ 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG) lägen nicht vor. Die Miete für sämtliche Büros und das Kino stünden fest. Wenn das FA der Meinung gewesen sei, daß die Kinomiete unter der üblichen Miete liege, habe es die Miete schätzen können (§ 79 BewG). Schwierigkeiten in der Feststellung der Jahresmiete dürften jedenfalls nicht dazu führen, die Klägerin durch die Anwendung des Sachwertverfahrens zu benachteiligen. Es stehe fest, daß der Bau des Kinos mit Rücksicht auf das immer weiter vordringende Fernsehen eine Fehlinvestition gewesen sei.

Zu Unrecht sei das FG den Richtlinien gefolgt. Die Richtlinien dienten der Ausführung des Gesetzes; ihnen komme nur dann Bedeutung zu, wenn es darum gehe, den Rechtsgedanken des Gesetzes zu verdeutlichen. Hier sei der Wille des Gesetzgebers eindeutig im Gesetz niedergelegt.

Die Klägerin beantragt, den Einheitswert auf ... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Das FA hat das streitige Grundstück zu Recht nach dem Sachwertverfahren bewertet. Nach § 76 Abs. 1 BewG wird der Wert bebauter Grundstücke zwar grundsätzlich im Ertragswertverfahren bewertet. Hiervon macht jedoch § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG u. a. für solche Gruppen von Geschäftsgrundstücken eine Ausnahme, für die weder eine Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete geschätzt werden kann. Das Grundstück der Klägerin gehört zu einer derartigen Gruppe von Geschäftsgrundstücken.

a) Wie die Vorinstanz richtig erkannt hat, kommt es für die Frage, ob das Grundstück zu einer Gruppe von Geschäftsgrundstücken gehört, die nach § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG nach dem Sachwertverfahren zu bewerten ist, nicht darauf an, ob das einzelne Grundstück vermietet ist oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob die Gruppe die für die Bewertung im Ertragswertverfahren erforderliche Zahl vermieteter Objekte aufweist. Anderenfalls fehlt es an einer Voraussetzung für die Anwendung des Ertragswertverfahrens; denn nur wenn die erforderliche Zahl vermieteter Objekte vorhanden ist, können sich die Verhältnisse der Gruppe auf die gesetzliche Gestaltung des Ertragswertverfahrens, insbesondere die Gestaltung der Vervielfältiger ausgewirkt haben. Der Senat hat deshalb in seinem Urteil vom 7. November 1975 III R 120/74 (BFHE 118, 59, BStBl II 1976, 277) bereits ausgeführt, daß die Behörde, die die Einheitsbewertung durchführen muß, die für die Abgrenzung von Ertragswertverfahren und Sachwertverfahren erforderlichen Feststellungen nicht eigenverantwortlich treffen kann. Er hat die notwendige Ergänzung der gesetzlichen Regelung in Abschn. 16 Abs. 6 und 7 BewRGr erblickt und ausgeführt, es handle sich bei der dortigen Aufzählung der Geschäftsgrundstücke, die nach dem Sachwertverfahren zu bewerten sind, um das Ergebnis von Erfahrungen, die bei der Vorbereitung des Gesetzes gewonnen wurden. Der Senat hat diesem Erfahrungssachverhalt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH die Bedeutung eines Beweises des ersten Anscheins und damit einer Umkehr der Behauptungslast beigemessen. Hieran hält der Senat fest.

b) Gemäß Abschn. 16 Abs. 6 BewRGr gehören zu den Geschäftsgrundstücken i. S. des § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG u. a. Theatergrundstücke und Lichtspielhäuser. Bei dem Gebäude der Klägerin handelt es sich um ein Lichtspielhaus. Wenngleich sich in einem kleineren Teil des Gebäudes auch noch Büros und ein Friseurladen befinden, gibt das Lichtspieltheater dem Grundstück das Gepräge. Daß das FG auf den Gesamtcharakter des Gebäudes abgestellt hat, ist nicht zu beanstanden. Allerdings hat es hinsichtlich der Größenverhältnisse keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Unter den Beteiligten besteht jedoch Einigkeit darüber, daß die Kinoräume zwischen 2/3 und 7/10 des umbauten Raumes ausmachen; hiervon ist offensichtlich auch das FG ausgegangen.

Die Klägerin hat nun nichts vorgetragen, was geeignet wäre, die Richtigkeit der Richtlinienaussage in Zweifel zu ziehen. Dazu hätte sie nachprüfbar darlegen müssen, daß im gesamten Bundesgebiet für die Gruppe der Lichtspieltheater eine hinreichende Zahl vermieteter Objekte vorhanden sei, es mithin allen mit der Bewertung befaßten FÄ möglich wäre, diese Grundstücke eigenverantwortlich im Ertragswertverfahren zu bewerten (BFH-Urteil III R 120/74). Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin in dieser Hinsicht lediglich vorgetragen, daß sich bei Zugrundelegung der Jahresrohmiete ein erheblich niedrigerer als der festgesetzte Einheitswert ergeben würde. Eine solche Behauptung ist nicht geeignet, den durch Abschn. 16 Abs. 6 BewRGr begründeten Beweis des ersten Anscheins zu erschüttern. Für die Anwendung des Sachwertverfahrens ist es unerheblich, ob sich im Einzelfall nach dem Ertragswertverfahren ein niedrigerer Einheitswert ergeben würde.

2. Gegen die einzelnen Ansätze des FG und die rechnerische Ermittlung des Einheitswerts nach dem Sachwertverfahren (§§ 83 bis 90 BewG) hat die Klägerin keine Einwendungen erhoben. Fehler sind insoweit auch nicht zu erkennen.

 

Fundstellen

BStBl II 1977, 408

BFHE 1977, 503

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