Entscheidungsstichwort (Thema)

Einwendungen wegen Verrechnung des Verlustvortrags

 

Leitsatz (NV)

Wird gegen den auf eine Steuer von 0 DM lautenden Einkommensteuerbescheid mit der Begründung Einspruch eingelegt, daß es bei Gewährung eines zusätzlichen Freibetrags nicht zur Verrechnung des vorhandenen Verlustvortrags gekommen wäre, kann darin keine (gleichzeitige) Anfechtung des Bescheids über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gesehen werden.

 

Normenkette

EStG § 10d Abs. 2-3; AO 1977 § 357 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) hat mit Bescheid vom 17. Mai 1994 die Einkommensteuer 1993 der Kläger und Revisionskläger (Kläger) auf 0 DM festgesetzt. In Teil D.1. dieses Bescheids hat das FA im Rahmen der Berechnung des zu versteuernden Einkommens einen Verlustabzug von 1 555 DM berücksichtigt. Am gleichen Tag hat das FA einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1993 erlassen, in dem es den verbleibenden Verlustabzug auf 2 960 DM festgestellt hat. Mit Schreiben vom 12. Juni 1994 legten die Kläger gegen den "Steuerbescheid vom 17. 5. 1994" Einspruch ein. Das Einspruchsschreiben leiteten die Kläger mit dem Satz ein: "Gegen den Einkommensteuerbescheid 1993 legen wir hiermit Einspruch ein ... ". In der Begründung brachten die Kläger zunächst ihre Auffassung, der Gesetzgeber habe im Zusammenhang mit der Besteuerung -- und der zusätzlichen Begünstigung -- der Kapitalerträge in mehrfacher Hinsicht gegen Verfassungsrecht verstoßen, zum Ausdruck und führten dann wörtlich aus: "Infolge dieser Verstöße gegen Verfassungsrecht ist u. E. das gesamte materielle Einkommensteuerrecht verfassungswidrig. Wir erheben daher Einspruch gegen den Steuerbescheid insgesamt und stellen den Antrag, die gesamten erklärten Einkünfte aus 1993 steuerfrei zu stellen, u. a. also auch den Verlustvortrag aus den Vorjahren nicht -- wie geschehen -- zu verrechnen. Hilfsweise stellen wir den Antrag, für die 1993 erklärten Einkünfte dieselben Freibeträge (12 000 DM für Verheiratete) zu berücksichtigen wie bei Zinseinkünften." Auf den schriftlichen Hinweis des FA, der Rechtsbehelf habe keine Aussicht auf Erfolg, weil wegen der Steuerfestsetzung auf 0 DM keine Beschwer vorliege, antworteten die Kläger: "Es trifft natürlich zu, daß für 1993 eine ESt von -0- festgesetzt wurde. Es wurde jedoch aus den Vorjahren ein Verlustvortrag von 1 555 DM verbraucht. Dies wäre nicht geschehen, wenn für sämtliche Einkünfte der von mir beanspruchte Freibetrag berücksichtigt worden wäre, der bisher nur für Kapitaleinkünfte gewährt wurde." Das FA verwarf den Einspruch "wegen Einkommensteuer 1993" als unzulässig, weil die Kläger durch die Steuerfestsetzung auf 0 DM nicht beschwert seien.

Dagegen wandten sich die Kläger mit der Klage. Der erste Teil des Klageschreibens lautet wie folgt:

"Betr.:

Klage gegen Finanzamt X

ESt-Bescheid 1993 zu Steuernr. ...

Einspruchsentscheidung des Finanzamts X

vom 2. 9. 94 Rechtsbehelfsliste 94/95 Nr. 10

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir erheben hiermit Klage gegen das o. g. Finanzamt betreffend der genannten Bescheide und stellen hiermit folgenden Antrag: Das Finanzamt X ist zu verurteilen, uns für das Jahr 1993 für unsere Einkünfte aus unselbständiger Arbeit und für sonstige Einkünfte zusätzlich den Freibetrag von 12 000 DM zu gewähren, der seit 1993 entsprechend dem Gesetz über Zinsabschlagsteuer nur für Einkünfte aus Kapitalvermögen gilt ... "

Im Begründungsteil ihrer Klageschrift führen die Kläger aus, daß es gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung aller Einkünfte verstoße, wenn durch den hohen Freibetrag erneut die Einkünfte aus Kapitalvermögen ungerechtfertigt gegenüber anderen Einkünften entlastet würden. Die Auffassung des FA, sie seien durch den Steuerbescheid 1993 nicht belastet, treffe nicht zu. Zwar sei für 1993 eine Steuerschuld von 0 DM festgesetzt worden. Bei Gewährung des zusätzlichen Freibetrags würde jedoch für 1993 voraussichtlich ein Verlustvortrag entstehen, zumindest würde der vorhandene Verlustvortrag aus den Vorjahren nicht teilweise verrechnet werden.

Im Verlauf des Klageverfahrens teilte der für die Streitsache am Finanzgericht (FG) zuständige Berichterstatter den Beteiligten schriftlich mit, die Klage könnte als gegen den Feststellungsbescheid gerichtet anzusehen sein; neben der Klage wegen Einkommensteuer 1993 liege ein rechtzeitig eingelegter Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1993 vor, über den noch nicht entschieden worden sei.

In der Ladung des FG zur mündlichen Verhandlung befindet sich der Hinweis: "Die mündliche Verhandlung wird auch auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. 12. 1993 erstreckt."

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt, "den mit Bescheid vom 17. 5. 1994 festgesetzten Verlust auf 4 515 DM zu erhöhen."

Das FG sah das Klagebegehren als Untätigkeitsklage gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs an. Diese Klage sei zulässig, weil die Kläger auch gegen diesen Bescheid Einspruch eingelegt hätten, das FA darüber aber nicht entschieden habe. Die Klage sei jedoch unbegründet, weil Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht dadurch verletzt sei, daß der Gesetzgeber bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen in §20 Abs. 4 Sätze 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Sparerfreibeträge geschaffen habe, die bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und der sonstigen Einkünfte nicht existierten.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sowohl ihr Recht auf steuerliche Gleichbehandlung als auch das Sozialstaatsprinzip seien dadurch verletzt, daß ihnen bei einem unter dem Existenzminimum des §32 d EStG liegenden Gesamtbetrag der Einkünfte ein dem Sparerfreibetrag des §20 Abs. 4 EStG der Höhe nach vergleichbarer Freibetrag nicht zuerkannt werde.

Die Kläger beantragen,

1. das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung des FA sowie den Einkommensteuerbescheid 1993 und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1993 jeweils vom 17. Mai 1994 abzuändern und

a) den Gesamtbetrag der Einkünfte 1993 auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt bei zusätzlicher Berücksichtigung

aa) eines dem Sparerfreibetrag gemäß §20 Abs. 4 EStG in gleicher Höhe entsprechenden Arbeitnehmerfreibetrags bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit,

bb) hilfsweise, eines dem Sparerfreibetrag entsprechenden Vermieterfreibetrags bei den Einkünften aus §21 EStG,

cc) weiter hilfsweise eines dem Sparerfreibetrag entsprechenden Freibetrags bei den Einkünften aus Leibrente,

b) die Verrechnung von 1 555 DM Verlustabzug ersatzlos zu streichen,

c) den mit Feststellungsbescheid vom 17. Mai 1994 festgesetzten verbleibenden Verlust auf 11 675 DM, hilfsweise 4 515 DM zu erhöhen;

2. hilfsweise, den Rechtsstreit auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorzulegen bezüglich der Verfassungswidrigkeit der nachstehend aufgeführten Vorschriften des EStG 1991 in ihrem Regelungszusammenhang.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zwar ist die Klage wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung (Durchführung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens) unzulässig und nicht unbegründet. Das ändert jedoch nichts an der Richtigkeit des Tenors des angefochtenen Urteils.

1. Gegenstand des Klageverfahrens war -- anders als im Rubrum des finanzgerichtlichen Urteils bezeichnet -- der Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1993. Der Revisionsantrag der Kläger auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 1993 geht insoweit ins Leere; das FG hat in den Entscheidungsgründen dargelegt, daß die Kläger die Klage gegen diesen Bescheid nicht mehr aufrecht erhalten haben.

Entgegen der Auffassung des FG haben die Kläger die Klage allerdings nicht von vornherein gegen den Feststellungsbescheid gerichtet, sondern erst mit der Klageänderung in der mündlichen Verhandlung. Im Betreff ihres Klageschreibens haben die Kläger zum Ausdruck gebracht, daß sie sich gegen den Einkommensteuerbescheid 1993 und gegen die Einspruchsentscheidung wenden, mit der das FA ihren Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1993 mangels Beschwer als unzulässig verworfen hatte. Eine gleichzeitige Anfechtung des Feststellungsbescheids -- im Wege der Untätigkeitsklage -- kann aus der Klagebegründung nicht herausgelesen werden. Denn die Kläger begründen dort lediglich ihre Auffassung, sie seien trotz Festsetzung einer Steuer von 0 DM beschwert, mit dem Argument, daß es bei Gewährung eines zusätzlichen Freibetrags nicht zur Verrechnung des vorhandenen Verlustvortrags aus den Vorjahren gekommen wäre.

Hingegen wenden sich die Kläger mit ihrem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, "den mit Bescheid vom 17. 5. 1994 festgesetzten Verlust auf 4 515 DM zu erhöhen", ausdrücklich gegen den Feststellungsbescheid über den verbleibenden Verlustabzug. Der Senat sieht darin eine Klageänderung. Die Klageänderung ist gemäß §67 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig, weil -- wie aus den im Klageverfahren gegebenen Hinweisen hervorgeht -- das FG dies als sachdienlich erachtet hat. Darüber hinaus liegt auch eine Einwilligung des FA in die Änderung der Klage nach §67 Abs. 2 FGO vor.

2. Die geänderte Klage, die die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen muß (dazu vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, §67 FGO, Rz. 10), ist -- auch als Untätigkeitsklage -- unzulässig, weil hinsichtlich des Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustabzug auf den 31. Dezember 1993 kein Einspruchsverfahren durchgeführt werden konnte.

Entgegen der Auffassung des FG kann der von den Klägern mit Schreiben vom 12. Juni 1994 eingelegte Einspruch nämlich nicht in der Weise ausgelegt werden, daß er sich auch gegen den Feststellungsbescheid richtete.

Der Feststellungsbescheid über den verbleibenden Verlustabzug auf den 31. Dezember 1993 ist ein gegenüber dem Einkommensteuerbescheid 1993 selbständiger Verwaltungsakt. Mit der Anfechtung des Einkommensteuerbescheids ist darum nicht gleichzeitig auch der Feststellungsbescheid angefochten. Die Kläger haben sich mit ihrem Einspruch ausdrücklich nur gegen den Einkommensteuerbescheid 1993 gewandt. Auch aus der Begründung ihres Rechtsbehelfs geht nicht hervor, daß sie daneben noch den Feststellungsbescheid anfechten wollten. Wenn das FG Gegenteiliges aus der klägerischen Formulierung "Wir erheben daher Einspruch gegen den Steuerbescheid insgesamt ... " schließt, übersieht es einerseits die Selbständigkeit der beiden Bescheide und andererseits, daß dieser Formulierung die Auffassung der Kläger vorangestellt ist, das "gesamte" materielle Einkommensteuerrecht sei verfassungswidrig. Schließlich kann auch aus dem Antrag der Kläger, "die gesamten erklärten Einkünfte steuerfrei zu stellen, u. a. also auch den Verlustvortrag aus den Vorjahren nicht -- wie geschehen -- zu verrechnen", nicht auf ein Vorgehen gegen den Feststellungsbescheid geschlossen werden. Denn das darin enthaltene Vorbringen, der Verlustvortrag dürfe nicht verrechnet werden, bezieht sich ebenfalls auf den Einkommensteuerbescheid, in dessen Teil D bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens ein Verlustabzug in Höhe von 1 555 DM berücksichtigt worden ist. Das machen die Kläger selbst noch einmal in ihrem Antwortschreiben auf den Hinweis des FA deutlich, sie seien wegen der Steuerfestsetzung auf 0 DM nicht beschwert. Denn dort begründen sie ihre Beschwer damit, daß aus den Vorjahren ein Verlustvortrag von 1 555 DM verbraucht worden sei.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67071

BFH/NV 1998, 809

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