Entscheidungsstichwort (Thema)

In Sonderfällen Glaubhaftmachung nur durch Zeugenvernehmung

 

Leitsatz (NV)

Für die Glaubhaftmachung der unverschuldeten Verhinderung an der Einhaltung der Frist reicht die eidesstattliche Erklärung der Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten nicht aus, wenn gerichtsbekannt ist, daß der Prozeßbevollmächtigte Rechtsbehelfsfristen häufiger versäumt und Wiedereinsetzungsanträge in stets der gleichen Weise begründet hat.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da sie mangels Prozeßvollmacht nicht wirksam erhoben worden sei. Es hat dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger und Revisionskläger (Kläger) die Kosten des Verfahrens auferlegt, weil dieser innerhalb der für die Vorlage der Prozeßvollmacht nach Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) gesetzten Ausschlußfrist die Vollmacht der Kläger lediglich per Telefax übermittelt hatte. Die vom FG angeforderte Originalvollmacht ging einen Tag nach der mündlichen Verhandlung ein. Das Urteil war nach Beratung im Anschluß an die mündliche Verhandlung verkündet worden.

Gegen das Urteil haben die Kläger fristgemäß die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Eine Begründung der Revision ging innerhalb der bis 3. Februar 1992 verlängerten Revisionsbegründungsfrist nicht ein. Hierauf wies der Vorsitzende des Senats mit Schreiben vom 6. Februar 1992, das dem Prozeßbevollmächtigten am 13. Februar 1992 zugestellt wurde, hin. Mit dem am 27. Februar 1992 beim Bundesfinanzhofs (BFH) per Telefax eingegangenen Schriftsatz übermittelte der Prozeßbevollmächtigte die Ablichtung eines an den BFH per Postfach gerichteten Schriftsatzes, in dem die Revision begründet wird und der das Datum vom 31. Januar 1992 aufweist. Er beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Revisionsbegründungsfrist und führte aus, die Revisionsbegründungsschrift sei am Spätnachmittag des 31. Januar 1992, nachdem er sie geschrieben gehabt habe, von seiner Ehefrau ,,weiter postfertig gemacht worden". Diese habe ,,den Fensterbriefumschlag an den BFH kuvertiert, diesen Umschlag freigestempelt, in den roten Freistemplerumschlag gesteckt und diesen roten Freistemplerumschlag in der X-Straße in den Postbriefkasten eingeworfen, der um 19.00 Uhr und am nächsten Vormittag geleert" werden sollte.

Die Kläger rügen im wesentlichen Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör dadurch, daß das FG die Klage durch Prozeßurteil verworfen hat.

Sie beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Durch die vom Prozeßbevollmächtigten der Kläger behaupteten Tatsachen und die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht, daß die Revisionsbegründungsfrist ohne Verschulden des Prozeßbevollmächtigten versäumt worden sei. Mit diesen sei es in einer Vielzahl von außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren immer wieder zu Auseinandersetzungen wegen des Zugangs von Schreiben, wie auch der fristwahrenden Einlegung von Rechtsbehelfen, gekommen. Wie in diesem Fall habe der Bevollmächtigte bei nicht feststellbarem Eingang sowohl beim FA wie auch beim FG rechtzeitig ordnungsgemäßen Abgang unter Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung dadurch behauptet, daß er oder seine Ehefrau Schreiben persönlich entweder in den Postbriefkasten in Z oder in den Fristenkasten des FA geworfen hätten. Dem Schriftsatz waren Kopien der Entscheidungen des Hessischen FG vom 16. November 1989, und vom 30. Juli 1991 sowie des BFH vom 2. Oktober 1988 X R 82/88 beigefügt.

Auf Anforderung des Senats hat der Prozeßbevollmächtigte das von ihm geführte Postausgangsbuch und die Durchschrift der Revisionsbegründung im Original (zwei rosa Blätter) vorgelegt. Im Postausgangsbuch, einem Kalender, wird der Tag des Fristablaufs dadurch gekennzeichnet, daß an diesem Tag die Streitsache unter Angabe der vorzunehmenden Handlung vermerkt wird; die Erledigung der Fristsache wird durch Handzeichen bestätigt. Im Streitfall war die Erledigung am 31. Januar 1992 durch Handzeichen des Prozeßbevollmächtigten bestätigt. Zu der vorgelegten rosa Ablichtung der Revisionsbegründung hat der Prozeßbevollmächtigte ausgeführt, daß in seiner Kanzlei von allen ausgehenden Sendungen eine gelbe Ablichtung für den Mandanten und eine rosa Ablichtung für seine Handakten gemacht würden. Die Absendung des Originals (freigestempelt zum Postamt oder zum nächsten Straßenbriefkasten) bestätigte der damit befaßte Mitarbeiter auf der rosa Handaktenablichtung durch Anbringung seines Handzeichens in dem Stempelaufdruck. Das im Streitfall auf der rosa Handaktenablichtung angebrachte Handzeichen stamme von seiner Ehefrau.

Der Senat hat die Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten zu dessen Behauptung, sie habe am 31. Januar 1992 die Revisionsbegründung in den Postbriefkasten eingeworfen, als Zeugin vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vernehmungsniederschrift vom 10. Dezember 1992 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht rechtzeitig begründet wurde (§ 124 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO verlängerte Revisionsbegründungsfrist lief am 3. Februar 1992 ab. Die Revisionsbegründung ging am 27. Februar 1992 und damit verspätet beim BFH ein.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann den Klägern nicht gewährt werden. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei muß sich der Prozeßbeteiligte das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Dieser hat nicht glaubhaft gemacht, daß ihn an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kein Verschulden trifft. Für die nach § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO vorgeschriebene Glaubhaftmachung der unverschuldeten Verhinderung an der Einhaltung der Frist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 20. November 1987 III R 208/84, III R 210-211/84, BFH/NV 1989, 370) reicht die eidesstattliche Erklärung der Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten nicht aus. Im Hinblick auf den Vortrag des FA, aber auch weil gerichtsbekannt ist, daß der Prozeßbevollmächtigte Rechtsbehelfsfristen häufiger versäumt und Wiedereinsetzungsanträge in der vom FA geschilderten Weise begründet hat, hat der Senat die Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten als Zeugin vernommen.

Der Senat hält es aufgrund der Beweisaufnahme nicht für überwiegend wahrscheinlich, daß die Revisionsbegründung am 31. Januar 1992 zur Post gegeben wurde. Die Zeugin hat zwar bekundet, sie habe am Freitag, dem 31. Januar 1992, die Revisionsbegründung postfertig gemacht, freigestempelt, in den roten Freistemplerumschlag gesteckt und anschließend zum Postkasten in der X-Straße gebracht und dort eingeworfen. Als Grund, warum sie sich so genau daran erinnere, hat sie angegeben, daß sie die Sachen des Klägers seit 40 Jahren bearbeite. Der Senat hat aber erhebliche Zweifel daran, daß der von der Zeugin angeblich eingeworfene Brief die Revisionsbegründung enthielt.

Auf der beim BFH per Telefax am 27. Februar 1992 eingegangenen Durchschrift der Revisionsbegründung, die das Datum 31. Januar 1992 trägt, fehlt der auf der vorgelegten rosa Originalkopie enthaltene Stempel ,,zur Post gegeben am 31.1. 1992" mit dem Handzeichen der Zeugin. Dies läßt nur den Schluß zu, daß im Zeitpunkt der Aufgabe des Telebriefs eine Kopie mit dem Postausgangsstempel nicht vorhanden war, zumal stets die rosa Kopie den Ausgangsstempel erhielt. Diesen Schluß vermochten weder der Prozeßbevollmächtigte noch die Zeugin zu entkräften. Insoweit stimmen das Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten und die Bekundungen der Zeugin nicht überein. Diese wies bereits in ihrer zusammenhängenden Darstellung darauf hin, daß sie Kopien von der Revisionsbegründung gemacht habe, und zwar eine rosa für die Akten und eine gelbe für den Mandanten; außerdem mache sie manchmal ein bis zwei weiße Kopien. Auf Befragen erklärte sie dann, sie habe zwei weiße Kopien der Revisionsbegründung gemacht; weiße Kopien würden nicht gestempelt. Der Prozeßbevollmächtigte hatte vorher erklärt, daß die beiden weißen Kopien auf seine Anweisung gemacht worden seien. Diese habe er im Streitfall gegeben, da er glaubte, die Revisionsbegründung noch für weitere Prozesse brauchen zu können. Die Zeugin erklärte demgegenüber daß sie selbst entscheide, ob zusätzliche weiße Kopien gefertigt würden. Danach befragt, weshalb sie die Kopien im vorliegenen Fall gemacht habe, gab sie an, es seien auch Gesellschafter vorhanden. Diese Begründung der Zeugin leuchtet im Hinblick darauf, daß der Erlaß von Säumniszuschlägen zur Einkommensteuervorauszahlung der Kläger streitig ist, nicht ein. Der Senat hält die Behauptung des Vorhandenseins weißer ungestempelter Kopien neben einer mit Stempel versehenen rosa Kopie - jedenfalls im Zeitpunkt der Übersendung der Kopie durch Fax - als Erklärung für die dem BFH übermittelte ungestempelte Revisionsbegründung für nicht glaubhaft. Dagegen, daß bei Übermittlung der Revisionsbegründung am 27. Februar 1992 eine mit dem Ausgangsstempel vom 31. Januar 1992 versehene Kopie vorhanden war, spricht darüber hinaus insbesondere, daß sich die Zeugin nicht daran erinnern konnte, wann sie den Stempel auf der rosa Kopie angebracht hat. Selbst daran, daß sie ihn angebracht hat, konnte sie sich nicht erinnern; sie meinte dazu, wenn sie die Post weggebracht habe, müsse sie den Stempel auch angebracht haben, den bringe sie immer an.

Die mangelnde Erinnerung der Zeugin an das Anbringen des Stempels wie auch daran, ob sie nach dem Einwurf der Sendung in den Briefkasten nochmals ins Büro zurückgekehrt sei, läßt ihre genaue Erinnerung an die übrigen Vorgänge sehr zweifelhaft erscheinen. Die erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit der Absendung der Revisionsbegründung am Freitag, dem 31. Januar 1992, vermochte dem Senat auch nicht der Hinweis auf die 40jährige Bearbeitung der Sachen des Klägers zu vermitteln, zumal die Zeugin sich auch nicht erinnern konnte, wann die gelbe Kopie an den Kläger geschickt wurde.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 666

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