Leitsatz (amtlich)

Kauft jemand ein nur im ganzen erhältliches Grundstück, um sich ein - abgetrennt nicht käufliches - Teilstück zu sichern, und wird dieser Kauf nach Auftreten eines anderen Interessenten hinsichtlich des anderen Teilstücks aufgehoben, so ist der Erwerb auch hinsichtlich dieses Teils nicht im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 GrEStG rückgängig gemacht, wenn der ursprüngliche Käufer statt Erstattung des überzahlten Preises einen Anspruch gegen den neuen Käufer erhält und im übrigen als selbstschuldnerischer Bürge für den ganzen ursprünglichen Kaufpreis verhaftet bleibt.

 

Normenkette

GrEStG § 17 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger, seine Ehefrau und die Eheleute N. kauften am 20. August 1965 zu Miteigentum von je einem Viertel ein 3 463 qm großes Grundstück für 150 000 DM von den Testamentsvollstreckern einer Erbengemeinschaft (Vertrag I). Die Hälfte des Kaufpreises wurde am 1. September 1965 entrichtet; die andere Hälfte war am 31. Dezember 1965 fällig. Das FA (Beklagter) setzte durch getrennte Bescheide gegen jeden der vier erwerbenden Eheleute Grunderwerbsteuer aus einem Viertel des Kaufpreises (37 500 DM) fest. Mit Schreiben, die beim FA innerhalb der Einspruchsfrist eingegangen sind und als Einsprüche behandelt wurden, haben die erwerbenden vier Eheleute teilweisen "Erlaß" der Grunderwerbsteuer beantragt mit der Begründung, sie würden auf dem größten Teil des Grundstücks Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichten.

Durch Vertrag vom 26. November 1965 (Vertrag II) ist der Vertrag I unter Mitwirkung einer Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgesellschaft mit beschränkter Haftung dahin abgeändert worden, daß die Siedlungsgesellschaft neben den erwerbenden vier Eheleuten als Miterwerber für einen Grundstücksteil auftrat. Die ursprünglichen Käufer beschränkten sich auf den Kauf des kleineren Teils des Grundstücks in einer Größe von 1 323 qm zu Miteigentum von je einem Viertel; der - damals bereits gezahlte - Kaufpreis war 50 000 DM. Die Siedlungsgesellschaft erwarb den rückwärtigen Teil des Grundstücks mit 2 140 qm zum Preis von 100 000 DM. Dieser Betrag war bis zum 31. Dezember 1965 zu entrichten. Wegen eines Teilbetrages von 75 000 DM übernahmen die erwerbenden vier Eheleute "die selbst- und gesamtschuldnerische Bürgschaft unter Verzicht auf das Recht der Vorausklage". Für den bereits von den vier Eheleuten gezahlten Teilbetrag von 25 000 DM traten die Testamentsvollstrecker den entsprechenden Betrag der Kaufpreisforderung gegen die Siedlungsgesellschaft an die vier Eheleute zu je einem Viertel ab.

In der Einspruchsentscheidung vom ... hat das Finanzamt die Grunderwerbsteuer auf 1 750 DM für jeden der erwerbenden vier Eheleute (ausgehend von einer Gegenleistung von je 25 000 DM für das später von der Siedlungsgesellschaft erworbene Land) ermäßigt; den Erwerb der neu entstandenen Parzellen durch die vier Eheleute hat es gemäß § 1 Nr. 1 des Rheinland-Pfälzischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau unbesteuert gelassen.

Der Kläger macht geltend, die vier Eheleute hätten das ganze Grundstück nur deshalb erworben, weil die Vertreter der Erbengemeinschaft (gemeint: die Testamentsvollstrecker) das Grundstück nur im ganzen hätten veräußern wollen, und weil sie sich jedenfalls den kleineren Teil hätten sichern wollen; es sei nämlich damit zu rechnen gewesen, daß andere Interessenten das Grundstück erwerben würden. Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das angefochtene Urteil trifft im Ergebnis zu.

Der Kaufvertrag vom 20. August 1965 unterlag der Grunderwerbsteuer (§ 1a Abs. 1 Nr. 1 des Rheinland-Pfälzischen GrEStG in der Fassung vom 12. März 1963, GVBl 1963, 111, geltend auf Grund Art. 4 des Landesgesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Finanzausgleichs und des Grunderwerbsteuerrechts vom 17. Dezember 1963, GVBl 1963, 229, 231 - GrEStG -). Er war in dem Umfang, in dem die Besteuerung in der Einspruchsentscheidung aufrechterhalten worden ist, nicht (§ 1) oder nicht mehr (§ 8 Abs. 2) auf Grund des Rheinland-Pfälzischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau von der Besteuerung ausgenommen. Umstritten ist allein, ob die Steuer insoweit gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht zu erheben ist; diese Vorschrift greift nicht ein.

Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird die Grunderwerbsteuer nicht erhoben (oder erstattet), wenn ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist, und wenn die Aufhebung durch Vereinbarung, durch Ausübung eines vorbehaltenen Rücktrittsrechts oder eines Wiederkaufsrechts innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuerschuld stattfindet. Die Zweijahresfrist ist gewahrt. Die Änderung des Kaufvertrags vom 20. August 1965 (Vertrag I) durch den Vertrag vom 26. November 1965 (Vertrag II) hat aber den erstgenannten Vertrag auch nicht teilweise rückgängig gemacht.

Ein Vertrag ist seinem vollen Umfang nach rückgängig gemacht, wenn die Vertragsbeteiligten sämtliche Vertragspflichten aufheben und sich im Rahmen des Möglichen (vgl. §§ 350, 818 Abs. 2 BGB) so stellen, wie wenn der aufgehobene Vertrag nicht geschlossen worden wäre, also über die förmliche Aufhebung des Vertrags hinaus die etwa empfangenen Leistungen zurückgewähren (vgl. § 346 Satz 1 BGB sowie § 5 Abs. 5 Satz 1 StAnpG). Ein Vertrag ist dagegen nicht "rückgängig" gemacht, wenn er zwar - was die Vertragsfreiheit des Schuldrechts erlaubt - der Form nach aufgehoben wird, die durch diesen Vertrag begründeten Pflichten aber aus neuem Rechtsgrund aufrechterhalten werden.

Die Anforderungen des § 17 Abs. 1 GrEStG liegen zwischen diesen beiden Grenzpunkten. Aus der Erwähnung des "vorbehaltenen Rücktrittsrechts" (§§ 346 ff. BGB) und des "Wiederkaufsrechts" (§§ 497 ff. BGB) in Nr. 1 folgt für den letztgenannten Fall aus der gesetzlichen Ausgestaltung des Wiederkaufs (der den vorangegangenen Kauf formal bei Bestand läßt), für den Rücktritt aus der Vertragswirkung etwa vereinbarten Reugeldes (§ 359 BGB), daß nicht jede Fortwirkung einzelner Vertragsbedingungen der Auflösung der Steuer (§ 17 GrEStG) entgegenstehen muß, unbeschadet der Frage, ob nicht in einzelnen Fällen der §§ 359, 501 BGB der Rechtsgedanke des § 1 Abs. 2 GrEStG entgegenstehen kann. Im Bereich des § 17 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG steht neben dem Rücktritt wegen nicht erfüllter Vertragsbedingungen (§ 327 BGB) wahlweise der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§§ 325, 326 BGB). Andererseits ist ein Vertrag nicht schon dann im Sinn des § 17 Abs. 1 GrEStG "rückgängig gemacht", wenn zwar einzelne Vertragspflichten aufgehoben, wesentliche andere aber aufrechterhalten werden.

Welche Vertragspflichten für die Beurteilung gemäß § 17 Abs. 1 GrEStG "wesentlich" sind, folgt aus dem in den Vorschriften des § 1a des Rheinland-Pfälzischen GrEStG (vgl. § 1 GrEStG 1940) dargestellten Grundgedanken der Besteuerung. Ihr soll in der hier einschlägigen Beziehung (Abs. 1 Nr. 1) unterliegen der Erwerb eines "Anspruchs auf Übereignung"; die Preisgabe dieses Anspruchs durch Abtretung an einen Dritten beseitigt die Steuerpflicht nicht, sondern begründet eine weitere (Abs. 1 Nrn. 5 und 7). Daraus folgt, daß die Aufhebung eines Anspruchs auf Übereignung nur dann als Rückgängigmachung im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 GrEStG angesehen werden kann, wenn sie den Veräußerer (Verkäufer) nicht nur aus seiner Übereignungspflicht gegenüber dem Erwerber, sondern schlechthin aus seiner Übereignungspflicht entläßt und ihm wieder seine ursprüngliche Rechtsstellung verschafft (vgl. BFH-Urteil vom 6. Mai 1969 II 141/64, BFHE 96, 326 [329], BStBl II 1969, 630); er muß wieder frei über das Grundstück verfügen können (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juni 1972 II R 17/71, BFHE 106, 468 [471], BStBl II 1972, 864).

Die Rückkehr zur ursprünglichen, freien Rechtsstellung des Verkäufers hat eine Kehrseite: der Verkäufer kann bei einvernehmlicher, beide aus den Vertragspflichten entlassender Vertragsänderung nicht einerseits seiner Pflicht, dem Käufer das Eigentum am Grundstück zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 Satz 1 BGB), ledig werden, andererseits aber seinen vollen Kaufpreisanspruch (§ 433 Abs. 2 BGB) behalten.

Daran scheitert hier die Anwendung des § 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Denn der Kläger blieb - gesamtschuldnerisch mit seinen Mitkäufern (§ 427 BGB) - den Verkäufern für den vollen Kaufpreis von 150 000 DM für das ganze am 20. August 1965 gekaufte Grundstück in gleichem Maße verhaftet, wie wenn der erste Vertrag nicht geändert worden wäre. Zwar betrug der Preis für die an den Kläger und seine Miterwerber zu unabgeteilten Bruchteilen (§ 1008 BGB) aufzulassende Grundfläche nur noch 50 000 DM. Die damit überzahlten 25 000 DM wurden ihnen aber von den Testamentsvollstreckern nicht erstattet (§ 812 Abs. 1 Satz 2 BGB), sondern in der Weise auf die Kaufpreisschuld der Siedlungsgesellschaft verrechnet, daß ihnen dieser Teilbetrag der Forderung gegen die Siedlungsgesellschaft abgetreten wurde.

War schon insoweit der Kaufvertrag nicht "rückgängig" gemacht, so haben sich die vier Eheleute darüber hinaus noch selbstschuldnerisch (§ 421 BGB) für die restliche Kaufpreisforderung gegen die Siedlungsgesellschaft unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) verbürgt. Im Verhältnis zur Erbengemeinschaft hatten sie folglich keine andere Rechtsstellung, wie wenn sie bei voller Aufrechterhaltung des Kaufvertrags vom 20. August 1965 ihren Übereignungsanspruch hinsichtlich der im Vertrag II beschriebenen Grundflächen an die Siedlungsgesellschaft abgetreten hätten (§ 398 BGB).

Die formale Teilaufhebung des Vertrags I ist nicht deshalb erfolgt, weil die Verkäufer wegen Nichterfüllung der Vertragsbedingungen den Kläger und seine Mitkäufer gezwungen hätten, die Übereignungspflicht teilweise aufzuheben (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG), um für den größeren Grundstücksteil einen zahlungskräftigen Käufer zu erhalten. Vielmehr haben die vier Eheleute von vornherein das ganze Grundstück in der Absicht gekauft, nur einen Teil davon zu behalten. Das geschah, um sich durch den Kauf des ganzen Grundstücks die kleinere Grundfläche zu sichern, die sie anschließend bebauen wollten. Sie haben sich folglich bewußt und gewollt die Verwertungsmöglichkeit über das ganze Grundstück gesichert (vgl. § 1a Abs. 2 des Rheinland-Pfälzischen GrEStG), auch wenn der Kauf in der Erwartung geschah, daß sich für den größeren Teil des Grundstücks noch ein anderer Käufer finden werde. Der Vertrag II entsprach diesem Plan; sein sachliches Ergebnis ist kein anderes, wie wenn die vier Eheleute die dort von der Siedlungsgesellschaft gekaufte Grundfläche selbst an die Siedlungsgesellschaft verkauft hätten.

Demzufolge ist der Kauf vom 20. August 1965 auch teilweise nicht im Sinne des § 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG "rückgängig gemacht" worden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind daher nicht erfüllt, ohne daß es zur Verneinung des steuervernichtenden Tatbestandes des § 6 StAnpG bedürfte.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 362

BFHE 1974, 544

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