Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Erledigung der Hauptsache bei einseitiger Erledigungserklärung

 

Leitsatz (NV)

1. Der Streit darüber, ob das FG zu Recht die Erledigung der Hauptsache angenommen hat, ist keine Streitigkeit über Kosten i. S. v. Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG.

2. Für die Erledigung der Hauptsache bedarf es eines außerprozessualen Ereignisses, das nicht in der Erledigungserklärung selbst liegen kann.

 

Normenkette

FGO § 138; BFHEntlG Art. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr Soldat auf Zeit. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1981 machte er u. a. wegen doppelter Haushaltsführung Aufwendungen für Familienheimfahrten, für Zimmermiete am Standort und für Verpflegungsmehraufwendungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte im Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich lediglich Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für 47 Tage an. Im übrigen wurden Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung nicht berücksichtigt, da der Kläger keinen eigenen Hausstand außerhalb des Beschäftigungsorts gehabt hatte. Mit seiner Klage begehrte der Kläger zunächst die Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 3 080 DM. Nachdem das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. November 1982 VI R 102/79 (BFHE 137, 167, BStBl II 1983, 177) veröffentlicht worden war, teilte der Kläger mit, daß er die Klage nunmehr für aussichtslos halte und die Hauptsache für erledigt erkläre.

Das FA beantragte, die Klage abzuweisen. Es vertrat die Auffassung, daß kein erledigendes Ereignis eingetreten sei; das vorerwähnte BFH-Urteil hindere den Kläger nicht daran, seine Klage weiter zu verfolgen.

Das Finanzgericht (FG) stellte durch Urteil fest, daß die Hauptsache erledigt sei, und erlegte die Kosten des Verfahrens dem FA auf. Zur Begründung führte es aus, zwar sei die Hauptsache nicht durch das Urteil in BFHE 137, 167, BStBl II 1983, 177 erledigt worden, sondern dadurch, daß der Kläger erklärt habe, er wolle sein bisher verfolgtes Klagebegehren nicht mehr aufrechterhalten. Nach der in der Literatur vertretenen Auffassung (Hinweis auf Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 138 FGO Tz. 2; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 138 FGO Anm. 2) sei ,,Hauptsache" des Steuerprozesses das im Klageantrag zum Ausdruck kommende Klagebegehren. Diese Hauptsache werde hinfällig, wenn der Kläger den bisher gestellten materiellen Klageantrag fallen lasse. Dem Kläger stehe es mithin frei, ob er in Fällen wie dem vorliegenden die Klage zurücknehme oder die Hauptsache für erledigt erkläre. Die Kosten des Verfahrens habe das FA zu tragen, weil es in der Frage, ob das Verfahren in der Hauptsache erledigt sei, unterlegen sei (BFH-Urteil vom 19. Januar 1971 VII R 32/69, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307).

Mit der Revision rügt das FA die Versagung des rechtlichen Gehörs als Verfahrensmangel i. S. des § 119 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie die Verkennung des Begriffs der Erledigung der Hauptsache i. S. von § 138 FGO.

Zur Verletzung von § 138 FGO trägt das FA vor, das FG habe verkannt, daß die Erledigung der Hauptsache den Eintritt eines außerprozessualen Ereignisses erfordere, das den Kläger hindere, sein ursprüngliches Begehren, die von ihm nachgesuchte Entscheidung, durchzusetzen (Tipke/Kruse, a. a. O., § 138 FGO Tz. 4). Die Erklärung des Klägers, er wolle mangels Erfolgsaussicht seiner Klage sein Klagebegehren nicht mehr weiterverfolgen, könne nicht als ein derartiges außerprozessuales Ereignis angesehen werden, sondern nur als Klagerücknahme gewertet werden.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben, die Klage als unbegründet abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen.

Zur Verfahrensrüge trägt der Kläger vor, das rechtliche Gehör sei nicht versagt worden.

Zur Frage der Erledigung der Hauptsache ist der Kläger der Auffassung, die Entscheidung des FG decke sich mit der ständigen Rechtsprechung des BFH (Hinweis auf den Beschluß des Großen Senats vom 5. März 1979 GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375; BFH-Urteile vom 12. Juli 1979 IV R 13/79, BFHE 128, 324, BStBl II 1979, 705, und vom 27. April 1982 VIII R 36/70, BFHE 135, 264, BStBl II 1982, 407).

Außerdem sei die Revision gegen eine Kostenentscheidung gemäß Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) nicht zulässig.

Ursprünglich sei die Klage im Hinblick auf das vor dem BFH schwebende Verfahren, zu dem die Entscheidung in BFHE 137, 167, BStBl II 1983, 177 ergangen sei, nicht unbegründet gewesen, weil das FA in der Einspruchsentscheidung nicht auf die beantragten Verpflegungsmehraufwendungen eingegangen sei.

Für den Fall, daß das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werde, beabsichtige der Kläger, zu seinem ursprünglichen Klageantrag zurückzukehren, um zumindest eine Kostenentscheidung zu Lasten des FA zu erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet.

1. Die Revision ist nicht - wie der Kläger meint - wegen Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist, abweichend von § 128 FGO, in Streitigkeiten über Kosten keine Beschwerde gegen die Entscheidung des FG statthaft. Bei dem Streit, ob das FG die Erledigung der Hauptsache zu Recht angenommen hat, handelt es sich nicht um eine Streitigkeit über Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG (Beschluß vom 21. Mai 1987 IV R 101/86, BFH/NV 1988, 258, zu 1. b.). Nach der Erledigungserklärung des Klägers bleibt der Rechtsstreit vor dem FG anhängig, er beschränkt sich jedoch auf die Frage, ob eine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist, wobei die Kosten des Verfahrens diejenige Partei zu tragen hat, die in diesem Rechtsstreit unterliegt (BFH-Urteil vom 22. Mai 1979 VIII R 218/78, BFHE 128, 314, BStBl II 1979, 741). Das FG hat dabei zutreffend durch Urteil darüber entschieden, ob der Streit in der Hauptsache erledigt war. Gegen dieses Urteil ist die Revision statthaft.

2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.

Das FA rügt zu Recht die Verletzung des § 138 FGO, denn im Streitfall ist die Hauptsache nicht erledigt.

Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH (BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375 unter B. II. 2.) ist im FG-Prozeß die Hauptsache erledigt, wenn irgendein Ereignis, das nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, alle im Streit befangenen Sachfragen gegenstandslos macht. Erklärt nach einem solchen Ereignis der Kläger vor dem FG die Hauptsache für erledigt, so hat das FG festzustellen, daß die Hauptsache erledigt ist (vgl. BFHE 128, 314, BStBl II 1979, 741). Nach dem BFH-Urteil vom 27. September 1979 IV R 70/72 (BFHE 128, 492, BStBl II 1979, 779) verfolgt der Kläger, der den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, seinen ursprünglichen Sachantrag nicht mehr weiter, sondern behauptet, daß der Antrag durch ein nachträglich eingetretenes Ereignis gegenstandslos geworden sei.

Dies hat zur Folge, daß der Streitgegenstand nicht mehr durch den ursprünglich gestellten Klageantrag bestimmt wird, sondern, wie bereits ausgeführt, sich auf die Erledigungsfrage beschränkt (Beschluß des BFH vom 7. August 1979 VII B 15/79, BFHE 128, 344, BStBl II 1979, 709).

Das FG hat demnach zutreffend über die Frage entschieden, ob die Hauptsache erledigt sei. Es hat jedoch zu Unrecht die Hauptsacheerledigung festgestellt; denn ein nachträgliches, die Hauptsache erledigendes Ereignis ist im Streitfall nicht eingetreten. Vorliegend hat der Kläger nach einem Hinweis des Berichterstatters beim FG auf das Urteil in BFHE 137, 167, BStBl II 1983, 177 erkannt, daß seine Klage keinen Erfolg haben werde. Der Senat braucht hier nicht darüber zu entscheiden, ob als nachträgliches erledigendes Ereignis auch eine Änderung der Rechtsprechung des BFH anzusehen ist, denn das Urteil in BFHE 137, 167, BStBl II 1983, 177 bestätigt die schon bestehende Rechtsprechung, daß ein unverheirateter Arbeitnehmer ohne doppelte Haushaltsführung nach Ablauf von zwei Wochen seit Beginn einer Tätigkeit an einem neuen Beschäftigungsort seine Verpflegungsmehraufwendungen nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen hat (BFH-Urteil vom 23. Juli 1976 VI R 228/74, BFHE 119, 561, BStBl II 1976, 795). Demnach beruhte die Erledigungserklärung des Klägers darauf, daß er seiner Klage keinen Erfolg mehr beimaß, und nicht darauf, daß die im Streit befangenen Sachfragen gegenstandslos geworden wären. Insbesondere hat das FA den Kläger nicht klaglos gestellt.

Wenn das FG die Auffassung vertritt, die Erledigung der Hauptsache liege in der Erklärung des Klägers, er wolle sein Klagebegehren nicht mehr aufrechterhalten, verkennt es, daß es für die Erledigung der Hauptsache eines außerprozessualen Ereignisses bedarf. Die Erledigungserklärung des Klägers ist eine Prozeßhandlung, mit der der Kläger ein außerhalb des Prozesses liegendes Ereignis in den Prozeß einführt (vgl. Großer Senat des BFH in BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375, unter B. II. 2.).

Da es an einem die Hauptsache erledigenden Ereignis fehlte, durfte das FG die Erledigung der Hauptsache nicht feststellen, sondern hätte die Klage als unbegründet abweisen müssen, weil der Kläger mit seinem Antrag, die Hauptsache sei erledigt, keinen Erfolg haben konnte.

Der Antrag kann auch nicht in eine Zurücknahme der Klage (§ 72 FGO) umgedeutet werden, weil der Kläger nach einer entsprechenden Anregung des Berichterstatters ausdrücklich bei der Erledigungserklärung geblieben ist (zur Umdeutung vgl. BFHE 128, 492, BStBl II 1979, 779, zu 2. a. E.). Nach alledem kann der erkennende Senat der Auffassung des Klägers, das Urteil der Vorinstanz decke sich mit der ständigen Rechtsprechung des BFH, nicht beitreten.

Da das Urteil der Vorinstanz den dargestellten Grundsätzen nicht entspricht, war es aufzuheben. Die Streitsache ist auch spruchreif, da Tatsachenfeststellungen des FG nicht mehr erforderlich sind. Eine Zurückverweisung kommt auch nicht deshalb in Betracht, um dem Kläger nunmehr die Gelegenheit zu verschaffen, zu seinem ursprünglichen Klageantrag zurückzukehren.

Auf die Frage, ob das Recht des FA auf Gehör verletzt worden ist, kommt es nicht an, da dem Revisionsantrag des FA ohnedies in vollem Umfang entsprochen worden ist.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 448

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