Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Betriebsaufgabe beim Wechsel des Händlerbezirks; Ausgleichszahlungen nach § 89 b HGB sind Teil des laufenden Gewinns aus Gewerbebetrieb

 

Leitsatz (NV)

Überträgt ein Bezirkshändler, der Produkte eines Unternehmens über Beraterinnen im sog. Heimvorführungs-Vertriebssystem verkauft, die Rechte aus seinen Verträgen mit den Beraterinnen entgeltlich auf einen Dritten und erwirbt er gleichzeitig die Rechts positionen aus den Verträgen eines anderen Bezirkshändlers mit dessen Beraterinnen, um in Fortführung seines bisherigen Bezirkshändlervertrags die Produkte des Unternehmens an einem anderen Ort zu vertreiben, so liegt weder eine Betriebsveräußerung noch eine Betriebsaufgabe vor.

Eine Ausgleichszahlung nach § 89 b des Handelsgesetzbuches ist -- selbst dann, wenn die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs des Ausgleichsberechtigten zusammenfällt -- als laufender Gewinn beim Gewerbeertrag anzusetzen (Anschluß an BFH- Urteil vom 25. Juli 1990 X R 111/88, BFHE 162, 38, BStBl II 1991, 218).

 

Normenkette

GewStG § 7

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) schloß am 3. März 1981 einen "Bezirkshändler-Vertrag" mit der Firma A-GmbH. Der Vertrag lief zunächst ein Jahr und verlängerte sich danach jeweils um ein weiteres Jahr. Gegenstand des Vertrags ist der Verkauf der Produkte der A-GmbH im eigenen Namen des Bezirkshändlers und auf Rechnung der Gesellschaft (Kommissionsagentur). Der Bezirkshändler darf nur an private Kunden über Beraterinnen verkaufen, die ihm unterstehen und die von ihm im eigenen Namen und auf eigene Rechnung bestellt wurden. Er darf nur nach Maßgabe des Heimvorführungs-Vertriebssystems verkaufen, das für den Verkauf der Produkte ausgearbeitet ist. Hinsichtlich dieses Systems überläßt die A-GmbH jeweils verbindliche, allgemeine und besondere Richtlinien, die eine einheitliche Gestaltung des Vertriebs gewährleisten. Der Bezirkshändler kann in dem im Anhang an den Vertrag beschriebenen Gebiet dort mit erstem Wohnsitz ansässige Beraterinnen für sich zum Verkauf der Produkte anwerben (rekrutieren), jedoch mit der Maßgabe, daß das entsprechende Recht zum Rekrutieren und zum Einsetzen von Beraterinnen auch anderen Bezirkshändlern in dem Gebiet zusteht. Die A- GmbH kann in Einzelfällen Rekrutierungen, die nach ihrer Ansicht im Interesse guter nachbarschaftlicher Beziehungen unerwünscht sind, auch nachträglich untersagen und eine Überführung der Beraterin an eine andere von ihr bestimmte Bezirkshandlung verlangen. Die A-GmbH verpflichtet sich, dem Bezirkshändler ihr in Zusammenhang mit dem Heimvorführungs-Vertriebssystem seit Jahrzehnten weltweit erworbenes spezifisches Vertriebs-Know-how zur Verfügung zu stellen und den Bezirkshändler als Glied dieses Systems durch eine Vielfalt von beson deren Maßnahmen anzuleiten und zu unterstützen (Franchising). Der Bezirkshändler verpflichtet sich, alle von der Gesellschaft für den Vertrieb vorgesehenen Produkte ausschließlich nach Maßgabe des Heimvorführungs-Vertriebssystems zu vertreiben. Der Bezirkshändler hat nicht das Recht, namens der A-GmbH zu handeln oder diese in irgendeiner Weise zu verpflichten. Der Verkauf, die Abtretung oder die sonstige Übertragung von Rechten und Pflichten des Bezirkshändlers aus diesem Vertrag im ganzen oder teilweise kann wirksam nur mit schriftlicher Zustimmung der Gesellschaft erfolgen. Mit Beendigung des Vertrags erlöschen ohne Rücksicht auf den Grund alle Rechte und Ermächtigungen des Bezirkshändlers aus dem Vertrag. Er hat keinen Anspruch auf Entschädigung, welcher Art sie auch sein mag.

Die Klägerin betrieb von 1981 bis 21. Oktober 1985 eine Bezirkshandlung in B. Mit Zustimmung der A-GmbH übertrug sie diese auf einen nachfolgenden Bezirkshändler. Gegen eine Entschädigung von ... DM zuzüglich Mehrwertsteuer überließ sie ihm die Verträge der bisher für sie tätigen Gruppenberaterinnen und Beraterinnen. Unter Mitnahme ihres bisherigen Anlagevermögens und des Warenbestands übernahm sie -- ebenfalls mit Zustimmung der A-GmbH -- zum gleichen Zeitpunkt die Bezirkshandlung C. Für eine Entschädigung von ... DM zuzüglich Mehrwertsteuer erwarb sie hier die Verträge der bisher für ihren Vorgänger tätigen Gruppenberaterinnen und Beraterinnen.

Für den Veranlagungszeitraum 1985 erstellte die Klägerin zwei gesonderte Gewerbesteuererklärungen: eine für den Betrieb in B, die andere für den Betrieb in C. Sie war der Auffassung, die Aufgabe der Bezirkshandlung B stelle eine Betriebsaufgabe i. S. des § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes dar, während die Übernahme der Bezirkshandlung C die Eröffnung eines neues Betriebs verkörpere. In ihrer Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr 1986 machte die Klägerin einen Gewerbeverlust nach § 10 a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) aus dem Erhebungszeitraum 1985 geltend, den sie für die Bezirkshandlung C in Höhe von ... DM ermittelt hatte.

Den Erklärungen folgend setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag des Streitjahres 1985 für den Betrieb in B auf ... DM und denjenigen für den Betrieb in C wegen des erklärten Verlustes aus Gewerbebetrieb auf 0 DM fest. Für das Streitjahr 1986 gelangte es unter Berücksichtigung des aus 1985 geltend gemachten Gewerbeverlustes zu einem einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag von ... DM.

Im Anschluß an eine Außenprüfung erkannte das FA in dem Wechsel der Bezirkshandlungen keine Betriebsaufgabe mehr, sondern eine Betriebsverlegung. Es behandelte 1985 den als Aufgabegewinn erklärten Betrag als laufenden Gewinn und faßte die Gewinne aus beiden Bezirkshandlungen zusammen; der Gewerbesteuermeßbetrag betrug ... DM. Da sich für 1985 kein Gewerbeverlust mehr ergab, änderte das FA auch den Gewerbesteuermeßbescheid 1986, indem es den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf ... DM festsetzte. Der Einspruch gegen die Gewerbesteuermeßbescheide hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage aus anderen Gründen in geringem Umfang stattgegeben. Es führt im wesentlichen aus, die Übertragung der Bezirkshandlung in B stelle keine Betriebsveräußerung dar, weil die Klägerin nicht in einem einheitlichen Vorgang alle wesentlichen Betriebsgrundlagen an den Nachfolger veräußert habe. Da sie vom gleichen Zeitpunkt an eine gleichartige Bezirkshandlung in C betrieben habe, handle es sich um eine Betriebsverlegung. Denn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse seien der bisherige und der neue Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtung und nach der Verkehrsauffassung wirtschaftlich identisch (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 24. Juni 1976 IV R 200/72, BFHE 119, 430, BStBl II 1976, 672).

Im Streitjahr 1986 sei ein Gewerbeverlust nicht zu berücksichtigen, weil bei Verneinung einer Betriebsveräußerung im Jahre 1985 kein Verlust angefallen sei.

Bei der Zahlung des nachfolgenden Bezirkshändlers in B handle es sich um die Erfüllung eines Handelsvertreterausgleichsanspruchs der Klägerin gegen die A-GmbH. Dieser Anspruch sei nach ständiger Rechtsprechung selbst im Falle einer Betriebsveräußerung ein laufender Gewinn (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 1990 X R 111/88, BFHE 162, 38, BStBl II 1991, 218), der zum Gewerbeertrag rechne.

Das FG setzte die Gewerbesteuermeßbeträge niedriger fest. Es berücksichtigte in Übereinstimmung mit den Beteiligten in den Streitjahren Absetzung für Abnutzung auf das immaterielle Wirtschaftsgut "Beraterinnenstamm".

Die Klägerin hat gegen das Urteil des FG Revision eingelegt. Die Revisionsbegründung ist einen Tag nach Ablauf der bis 18. Dezember 1995 verlängerten Revisionsbegründungsfrist beim BFH eingegangen. Ausweislich des Poststempels ist die Revisionsbegründung am 15. Dezember 1995 in ... zur Post gegeben worden. Die Klägerin hat nach Kenntnis des verspäteten Eingangs ihrer Revisionsbegründung fristgemäß Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt; sie habe darauf vertrauen dürfen, daß per Posteinlieferung am 15. Dezember 1995 der Revisionsbegründungstermim am 18. Dezember 1995 eingehalten werden könne.

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin im wesentlichen geltend, das FG sei zu Unrecht von einer Betriebsverlegung ausgegangen.

Die Klägerin beantragt, zum Teil sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und von einer Betriebsaufgabe im Jahre 1985 auszugehen und die Gewerbesteuermeßbeträge für die Streitjahre entsprechend festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist wird der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gewährt. Die Klägerin trifft an dem verspäteten Eingang der Revisionsbegründung kein Verschulden; denn sie hat nachweislich die Revisionsbegründung am 15. Dezember 1995, einem Freitag, im Inland zur Post gegeben. Selbst unter Berücksichtigung des dazwischen liegenden Wochenendes und der erhöhten vorweihnachtlichen Beanspruchung der Post konnte sie damit rechnen, daß der Schriftsatz am Montag, dem 18. Dezember 1995, in das Postfach des BFH gelangen würde.

Die Revision ist unbegründet; sie wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO).

Zu Recht hat das FG die Einkünfte der Klägerin aus der Übertragung und Auflösung der Bezirkshandlung in B als laufenden Gewinn aus Gewerbebetrieb beim Gewerbe ertrag erfaßt. Nach § 7 GewStG ist der Gewerbeertrag der nach den Vorschriften des EStG zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. Nicht zum Gewerbeertrag i. S. des § 7 GewStG gehören Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe des Gewerbebetriebs (BFH-Urteil vom 1. Dezember 1988 IV R 140/86, BFHE 155, 341, BStBl II 1989, 386, m. w. N.). Wie der Senat in seiner Entscheidung vom heutigen Tag XI R 71/95, BFHE 181, 452 zur Einkommensteuer 1985 der Klägerin und ihres Ehemanns dargelegt hat, erfüllt die Übertragung und Auflösung der Bezirkshandlung in B jedoch nicht die Voraussetzungen einer Veräußerung oder Aufgabe des Gewerbebetriebs i. S. des § 16 EStG. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Entscheidung. Die Betriebe in B und C sind -- wie das FG zutreffend ausführt -- im Hinblick auf die fortlaufend und artgleich ausgeübte Tätigkeit aufgrund des mit der A-GmbH bestehenden Bezirkshändlervertrags wirtschaftlich identisch (vgl. BFH- Urteil vom 3. Oktober 1984 I R 116/81, BFHE 142, 381, BStBl II 1985, 131).

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob durch die Zahlung von ... DM ein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegenüber der A-GmbH abgegolten wurde; denn die Ausgleichszahlung nach § 89 b des Handelsgesetzbuches ist -- selbst dann, wenn die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs des Ausgleichsberechtigten zusammenfällt -- als laufender Gewinn beim Gewerbeertrag anzusetzen (BFH-Urteil vom 25. Juli 1990 X R 111/88, BFHE 162, 38, BStBl II 1991, 218).

Mangels Fehlbeträgen im Streitjahr 1985 kommt eine Kürzung des Gewerbeertrags nach § 10 a GewStG im Streitjahr 1986 nicht in Betracht.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 377

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