Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätete Urteilszustellung als absoluter Revisionsgrund

 

Leitsatz (NV)

Ein Urteil, das erst ein Jahr nach Beschlußfassung zugestellt worden ist, ist ,,nicht mit Gründen versehen" (absoluter Revisionsgrund; Anschluß an BFHE 151, 328, BStBl II 1988, 283).

 

Normenkette

FGO § 119 Nr. 6, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 104 Abs. 2, 1 S. 1

 

Tatbestand

Das FG wies die Klage gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ab. Das Urteil ist auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. November 1987 ergangen. Am Schluß dieser Verhandlung verkündete der Vorsitzende den Beschluß, daß eine Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde. Das Urteil ist mit Gründen am 29. November 1988 bei der Geschäftsstelle des zuständigen Senats des FG eingegangen. Es ist den Beteiligten am 7. Dezember 1988 zugestellt worden.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen. Infolgedessen sei die Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne Zulassung statthaft. Damit sei zugleich aber auch der absolute Revisionsgrund des § 119 Nr. 6 FGO gegeben. Der Rechtsstreit sei daher ohne sachliche Prüfung und Äußerung des Bundesfinanzhofs (BFH) an das FG zurückzuverweisen. Sie, die Klägerin, habe kein Vertrauen in die Unvoreingenommenheit des Senats des FG. Sie bitte daher, das Verfahren nach § 155 FGO i. V. m. § 565 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) an einen anderen Senat zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), weil der geltend gemachte absolute Revisionsgrund des Fehlens von rechtlich beachtlichen Gründen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO) vorliegt. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 10. November 1987 VII R 47/87 (BFHE 151, 328, BStBl II 1988, 283).

Im Gegensatz zu dem dort entschiedenen Fall beträgt hier die Verspätung der Zustellung allerdings nicht ganz ein Jahr, wenn man von der Berechnungsweise des Senats im zitierten Urteil ausgeht (Zeitpunkt, zu dem das Urteil spätestens der Geschäftsstelle zu übergeben war: 11. Dezember 1987; Datum der Zustellung: 7. Dezember 1988). Im vorliegenden Fall steht aber nach der Fassung der Vorentscheidung fest, daß das Urteil bereits unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung vom 27. November 1987 in der Sitzung vom gleichen Tag beschlossen worden ist. Nimmt man diesen Zeitpunkt als Ausgangspunkt für die Berechnung der Verspätung - was der Senat im zitierten Urteil nur deswegen verworfen hat, weil der Tag der Beratung häufig nicht mehr ohne weiteres feststellbar ist -, so beträgt die Verspätung der Zustellung mehr als ein Jahr. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann im vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben, von welcher Berechnungsweise auszugehen ist. Denn auch nach der Berechnungsweise im zitierten Urteil beträgt die Verspätung der Zustellung nur wenige Tage weniger als ein Jahr. Dieser Zeitraum ist so lang, daß die zutreffende Wiedergabe des Beratungsergebnisses in den Urteilsgründen nicht mehr gewährleistet erscheint.

Die von der Klägerin gewünschte Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG (§ 155 FGO i. V. m. § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist nicht veranlaßt, da ernste Zweifel an der Unvoreingenommenheit des für die Entscheidung zuständigen Senats des FG nicht bestehen (vgl. Gräber /Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 126 Anm. 13 mit einem Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH). Der Umstand allein, daß die Vorentscheidung verspätet zugestellt worden ist, ist nicht als ausreichender Anlaß anzusehen, an der Unvoreingenommenheit des Senats des FG bei der nunmehr erforderlich gewordenen neuerlichen Entscheidung in der Sache zu zweifeln.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 243

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