Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablaufhemmung der Verjährung durch Betriebsprüfung bei einem Dritten

 

Leitsatz (NV)

Die Hemmung der Verjährung des Gesellschaftsteueranspruchs tritt bei der Prüfung einer GmbH & Co. KG, die nach dem KVStG 1959 nicht selbst Schuldnerin der Gesellschaftsteuer war, auch dann ein, wenn gegen die Komplementär-GmbH eine Prüfungsanordnung nicht ergangen ist, die GmbH jedoch als alleinige Geschäftsführerin der KG positive Kenntnis der verjährungshemmenden Maßnahme haben mußte (Anschluß an BFH-Urteil vom 7. August 1980 II R 119/77, BFHE 131, 437, BStBl II 1981, 409).

 

Normenkette

AO § 146a Abs. 3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist alleinige persönlich haftende Gesellschafterin einer am 7. Dezember 1967 gegründeten KG. Die von den Kommanditisten übernommenen und eingezahlten Kommanditeinlagen betrugen insgesamt 450 000 DM. Ein Kommanditist leistete seine Einlage von 300 000 DM durch Einbringung seiner Einzelfirma.

Mit endgültigem Bescheid vom 18. März 1969, der an die Klägerin adressiert war, erhob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unter Ansatz des Nominalwerts der übernommenen Kommanditeinlagen Gesellschaftsteuer gemäß § 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 des Kapitalverkehrsteuergesetzes i. d. F. vom 24. Juli 1959 (KVStG 1959) für den Gründungsvorgang (2,5 v. H. von 450 000 DM).

Mit Verfügung vom 14. Februar 1972 ordnete das FA bei der KG eine Verkehrsteuerprüfung an, die sich u. a. auf die Gesellschaftsteuer erstrecken sollte. Laut Prüfungsbericht vom 1. Juli 1972 betraf die Prüfung die KG und die Klägerin wegen ihrer Komplementärbeteiligung an der KG. Nach den Feststellungen des Prüfers (Tz. 21.121 des Berichts) betrug der als Steuermaßstab für die Sacheinlage anzusetzende gemeine Wert der Einzelfirma 3 504 000 DM.

Das FA erhöhte mit einem auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützten Änderungsbescheid vom 22. Januar 1975 die Gesellschaftsteuer für den Gründungsvorgang auf 91 350 DM, setzte jedoch die Steuerschuld in der Einspruchsentscheidung, gegen die die Klägerin Klage erhob, auf 63 499,80 DM herab.

Der Bundesfinanzhof (BFH) verwies im ersten Rechtsgang unter Aufhebung des die Klage im wesentlichen abweisenden Urteils des Finanzgerichts (FG) die Sache mit der Maßgabe an die Vorinstanz zurück, die Frage der Verjährung des vermutlich mit Ablauf des Jahres 1968 entstandenen Steueranspruchs zu prüfen.

Das FG wies die Klage auch im zweiten Rechtsgang ab und führte zur Begründung aus:

Der Steueranspruch sei nicht verjährt. Durch die im Jahre 1972 durchgeführte Betriebsprüfung, die als eine bei der Klägerin vorgenommene Prüfung anzusehen sei, wie sich aus dem Vermerk des Prüfers im Eingang des Prüfungsberichts ergebe, sei Ablaufhemmung nach § 146a Abs. 3 AO eingetreten. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift komme es nur darauf an, worauf sich die Betriebsprüfung tatsächlich erstrecke, so daß der in der Prüfungsanordnung bezeichnete Umfang nicht allein maßgebend sein könne.

Die Ausdehnung der Prüfung auf die Klägerin sei auch sachgerecht gewesen, da diese nach dem KVStG 1959 alleiniger Steuerschuldner gewesen sei. Daß der Prüfer bei der Klägerin selbst eine tatsächliche Prüfung nicht vorgenommen habe, sei im Hinblick darauf, daß eine Prüfung bei der GmbH als Ermittlungshandlung untauglich gewesen wäre, wie der BFH im Urteil vom 7. August 1980 II R 119/77 (BFHE 131, 437, BStBl II 1981, 409) dargelegt habe, unerheblich gewesen. Zwar habe der BFH in diesem Fall nicht dazu Stellung genommen, ob eine verjährungshemmende Wirkung auch dann eintrete, wenn die Prüfung der GmbH nicht ausdrücklich angeordnet worden sei. Da der Inhalt der Prüfungsanordnung jedoch nicht maßgebend sei, müsse eine Ablaufhemmung auch dann eintreten, wenn die gegen die Klägerin gerichteten Steueransprüche in die tatsächliche Prüfung einbezogen worden seien. Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 146a Abs. 3 AO.

Bei der Klägerin selbst, die eine eigene gewerbliche Tätigkeit ausübe, ein eigenes Rechnungswesen besitze und deren betriebliche Unterlagen sich nicht in den Geschäftsräumen der KG befunden hätten, habe eine Betriebsprüfung unstreitig nicht stattgefunden. Da die Klägerin auch keinen Prüfungsbericht erhalten habe, habe für sie auch nicht erkennbar sein können, daß an einem anderen Ort eine Betriebsprüfung durchgeführt worden sei. Eine schriftliche Prüfungsanordnung sei jedoch gerade dann besonders notwendig, wenn die Grundlagen des Steueranspruchs bei einem Dritten ermittelt würden. Im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 146a Abs. 3 AO müßten klare Verhältnisse geschaffen werden. Es verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip, daß die Klägerin, ohne von der Prüfung Kenntnis zu haben, erstmals im Jahre 1975 mit der Steuerforderung konfrontiert worden sei.

Eine Erstreckung der Wirkung des § 146a Abs. 3 AO auf nicht in der Prüfungsanordnung genannte, aber tatsächlich geprüfte Steuerarten oder Zeiträume komme allenfalls in Betracht, soweit es sich um ein und denselben Steuerpflichtigen handele.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Steueranspruch war zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids noch nicht verjährt.

Nach § 146a Abs. 3 AO in der im Streitfall maßgebenden Fassung verjähren Ansprüche, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt, nicht, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.

Der BFH hat in dem vom FG angeführten Urteil in BFHE 131, 437, BStBl II 1981, 409 grundsätzlich dazu Stellung genommen, welche Auswirkung die Kapitalverkehrsteuerprüfung bei einer GmbH & Co. KG, die nach § 10 Abs. 1 KVStG 1959 nicht selbst Steuerschuldnerin der Gesellschaftsteuer ist, im Hinblick darauf hat, daß sich die Hemmung der Verjährung regelmäßig nur auf Steueransprüche gegen solche Personen erstreckt, bei denen tatsächlich mit einer Betriebsprüfung begonnen wurde. Er hat es in diesem Fall, in dem allerdings eine gesonderte Prüfungsanordnung gegen die Komplementär-GmbH ergangen war, für den Eintritt der Ablaufhemmung des § 146a Abs. 3 AO als ausreichend erachtet, daß Prüfungshandlungen lediglich bei der Personengesellschaft vorgenommen werden; gesellschaftsteuerrelevante Vorgänge könnten nur bei dieser Gesellschaft auftreten, während die Prüfung des eigentlichen Steuerschuldners als Ermittlungshandlung untauglich wäre.

In einem weiteren, nicht veröffentlichten Urteil vom 1. Juni 1983 II R 163/81 hat sich der II. Senat mit der auch im Streitfall einschlägigen Fallgestaltung auseinandergesetzt, daß es an einer Prüfungsanordnung für die Komplementär-GmbH fehlt. Er hat hierbei zunächst hervorgehoben, der Erlaß einer Prüfungsanordnung sei keine unumgängliche Voraussetzung des Eintritts einer Ablaufhemmung, dies aber daraus hergeleitet, daß das frühere Abgabenrecht im Gegensatz zur Regelung in § 196 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht von Gesetzes wegen den Erlaß einer schriftlich zu erteilenden Prüfungsanordnung mit festgelegtem Umfang vorgeschrieben habe (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 15. Dezember 1982 II R 72/81, BFHE 137, 396, BStBl II 1983, 384). Dies könne auch nicht ohne Auswirkung auf die Frage bleiben, ob die bei der KG durchgeführte Prüfung die Verjährungsfrist einer gegen die GmbH gerichteten Gesellschaftsteuerforderung zu hemmen vermag.

Allerdings hielt es der II. Senat für nicht gerechtfertigt, den Prüfungsauftrag für gänzlich unerheblich zu halten. Die Regelung des § 146a Abs. 3 AO sei ersichtlich darauf abgestellt, daß sich der Steuerpflichtige über die verjährungshemmenden Umstände Gewißheit verschaffen könne und nicht etwa nach dem gewöhnlichen Ablauf der Verjährungsfrist von der verjährungshemmenden Handlung erstmals erfahre. Solle sich für einen Steuerpflichtigen die Ablaufhemmung aus einer Betriebsprüfung bei einem Dritten ergeben, wozu insbesondere der Fall gehöre, daß wegen der nach dem KVStG 1959 der GmbH gegenüber geltend zu machenden Steueransprüche eine Prüfung bei der KG stattfinde, so müsse zusätzlich verlangt werden, daß der Steuerpflichtige Kenntnis vom Beginn dieser Prüfung erhalte. Diese Kenntnis müsse spätestens in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem der Steueranspruch ohne die Ablaufhemmung verjähren würde.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Er setzt sich hiermit nicht in Widerspruch zu seiner im Urteil vom 18. Mai 1977 I R 36/75 (BFHE 122, 248, BStBl II 1977, 652) vertretenen Ansicht, daß nach dem den Verjährungsvorschriften zugrunde liegenden Rechtsschutzgedanken Prüfungen, die bei Dritten durchgeführt werden, dem Steuerpflichtigen gegenüber den Ablauf der Verjährung nicht hemmen könnten, da solche Prüfungen nicht zur Kenntnis des Steuerpflichtigen gelangen müßten. Dem Rechtsschutzgedanken ist ausreichend Rechnung getragen, wenn man die Wirkung des § 146a Abs. 3 AO lediglich bei positiver Kenntnis der verjährungshemmenden Handlung eintreten läßt. Im übrigen weist der Streitfall die Besonderheit auf, daß die Kapitalverkehrsteuerprüfung nur bei dem Dritten durchgeführt werden konnte und es ernstlich zweifelhaft ist, ob das FA überhaupt gegen die Klägerin eine Prüfungsanordnung hätte erlassen dürfen, obwohl mit der Feststellung steuererheblicher Sachverhalte im Rahmen einer solchen Prüfung nicht gerechnet werden konnte (vgl. hierzu Tipke /Kruse, Abgabeordnung-Finanzgerichtsordnung, § 193 AO 1977, Tz. 1).

Zwar konnte die Verjährung des streitigen Steueranspruchs durch eine bei der Klägerin begonnene Betriebsprüfung nicht gehemmt werden. Eine solche Prüfung hat bei der Klägerin selbst, wie auch das FG dargelegt hat, vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht stattgefunden. Gleichwohl hat die Klägerin positive Kenntnis von der bei der KG begonnenen Kapitalverkehrsteuerprüfung erlangt.

Die Klägerin war, wie sich aus dem Prüfungsbericht vom 1. Juli 1972 ergibt, auf den das FG ausdrücklich Bezug genommen hat, einzige Komplementärin der KG und damit deren alleinige Geschäftsführerin (vgl. § 164 des Handelsgesetzbuches). Sie ist für die KG Dritten gegenüber aufgetreten und hat die Aufgaben und steuerlichen Pflichten der KG im Rahmen der Betriebsprüfung wahrgenommen. Die hierbei erlangten Kenntnisse müssen dem Geschäftsführer der Klägerin in eigener Person zugerechnet werden, ohne daß es einer gesonderten Bekanntgabe des Prüfungsberichts an die Klägerin bedurfte. Da es lediglich auf die Möglichkeit der tatsächlichen Kenntnisnahme ankommt, ist es unerheblich, auf welchem Wege sich die Personen, deren Wissen sich die Klägerin zurechnen lassen muß, die für den Eintritt der Rechtsfolge des § 146a Abs. 3 AO erforderlichen Kenntnisse verschafft oder diese erhalten haben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1987, 615

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