Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn ein Steuerberater bei der Steuererklärung eines Steuerpflichtigen mitgewirkt hat, so braucht das Finanzamt den Steuerbescheid nicht unbedingt an den Steuerberater zu senden.

Werden einem Steuerpflichtigen in einer Sendung mehrere Schriftstücke und unter diesen auch ein Steuerbescheid übersandt, so trifft den Steuerpflichtigen, wenn er den Steuerbescheid übersieht und die Rechtsmittelfrist versäumt, jedenfalls dann kein Verschulden, wenn das Finanzamt, obwohl die Gefahr des übersehens nahelag, der Sendung kein Anschreiben beifügte, das auf den Inhalt hinwies.

 

Normenkette

AO § 86; VwZG § 8

 

Tatbestand

Auf Grund der Ergebnisse einer Betriebsprüfung, über die in der Schlußbesprechung nur in unwesentlichen Punkten Einigung erzielt wurde, berichtigte das Finanzamt die die Gesellschafter der Bgin., einer KG, betreffenden einheitlichen Gewinnfeststellungen für die Jahre 1953 bis 1955. Der Sammelberichtigungsbescheid und eine Abschrift des Betriebsprüfungsberichts wurden der dem Finanzamt als Zustellungsbevollmächtigte benannten Gesellschafterin E. am 11. Dezember 1958 in einem einzigen Briefumschlag zugesandt. Eine Abschrift des Berichts ging an demselben Tage auch an den Steuerberater der Bgin.

Mit Schreiben vom 7. Januar 1959 griff der Steuerberater die Feststellungen des Betriebsprüfungsberichts an, allerdings jedoch zunächst nur hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Feststellungen, während er sich hinsichtlich der übrigen Punkte die Stellungnahme vorbehielt, "sobald die Bearbeitung abgeschlossen" sei. Mit Schreiben vom 5. Februar 1959 erhob er gegen die Gewerbesteuermeßbescheide 1953 bis 1955 Einspruch und vorsorglich - nämlich für den Fall, daß sie schon erlassen seien - auch gegen die einheitlichen Feststellungsbescheide, die ihm noch nicht vorgelegen hätten. Nachdem er am 6. und 7. Februar 1959 durch fernmündliche Anfrage beim Finanzamt und durch Rückfrage bei der Gesellschafterin E. festgestellt hatte, daß dieser der Sammelfeststellungsbescheid bereits durch den am 11. Dezember 1958 aufgegebenen Brief zugesandt worden war, beantragte er mit Schreiben vom 16. Februar 1959 Nachsicht. Das Finanzamt verwarf den Einspruch, weil er verspätet sei, als unzulässig und lehnte auch den Antrag auf Nachsichtgewährung ab, weil die Gesellschafterin E. den ihr zugesandten Brief offenbar nur oberflächlich angesehen, die Rechtsmittelfrist also schuldhaft versäumt habe. Außerdem sei die Zwei-Wochen-Frist für die Beantragung der Nachsicht abgelaufen. Die Gesellschafterin hätte bereits am 15. Januar 1959, dem Tage des Ablaufs der Rechtsmittelfrist, von dem Sammelfeststellungsbescheid, der ihr an diesem Tag vorgelegen habe, Kenntnis nehmen können; am 16. Januar 1959 habe also die Frist für die Beantragung der Nachsicht begonnen; der Antrag sei aber erst am 19. Februar 1959 beim Finanzamt eingegangen.

Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht hob die Einspruchsentscheidung auf und verwies die Sache gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 AO an das Finanzamt zur sachlichen Entscheidung zurück. Es führte aus, es seien zwar gegen die Wirksamkeit der Bekanntgabe keine Bedenken daraus herzuleiten, daß der Sammelfeststellungsbescheid nicht an den Steuerberater, sondern an die Gesellschafterin gesandt worden sei. Man müsse aber das Schreiben vom 7. Januar 1959, wenn es auch unmittelbar nur den Betriebsprüfungsbericht betreffe, doch als Rechtsmittel gegen den Sammelfeststellungsbescheid ansehen, weil aus ihm klar ersichtlich sei, daß sich die Gesellschafter durch eine dem Bericht entsprechende Gewinnfeststellung beschwert fühlten. Dies gelte um so mehr, als dem Finanzamt bereits aus der Schlußbesprechung bekannt gewesen sei, daß die Gesellschafter sich mit dem Ergebnis der Betriebsprüfung nicht zufrieden geben werden. Würde man in dem Schreiben vom 7. Januar 1959 keine Rechtsmitteleinlegung sehen, dann müßte doch Nachsicht gewährt werden. Der Gesellschafterin könne es unter den gegebenen Umständen nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie den Bescheid übersehen habe. Bei der Wichtigkeit dieses Bescheides hätte das Finanzamt durch ein besonderes Anschreiben darauf hinweisen müssen, daß nicht nur der Betriebsprüfungsbericht, sondern auch der Bescheid übersandt werde. Die Zwei-Wochen-Frist sei am 19. Februar 1959 auch noch nicht abgelaufen gewesen; denn sie habe nicht mit dem Ablauf der Rechtsmittelfrist, sondern erst am 6. oder 7. Februar 1959 begonnen, nämlich an dem Tage, als der Gesellschafterin erstmals ihre Säumnis zur Kenntnis gekommen sei.

Mit seiner Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Nach seiner Auffassung ist weder rechtzeitig ein Rechtsmittel eingelegt noch kann Nachsicht gewährt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Mit Recht nimmt das Finanzgericht an, daß die Bekanntgabe der berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide nicht schon deswegen unwirksam gewesen sei, weil sie nicht dem Steuerberater, sondern der Gesellschafterin gegenüber erfolgte. Ob die Bekanntgabe auch schon im Veranlagungsverfahren an den Steuerberater erfolgen muß, wenn der Steuerpflichtige ihn zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigt hat, oder ob dies erst im Einspruchsverfahren der Fall ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 127/60 vom 11. Juli 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 S. 351, einerseits und das Urteil des Bundesfinanzhofs V 109/69 vom 31. Mai 1961, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Verwaltungszustellungsgesetz, § 3, Rechtsspruch 3, andererseits), kann dahingestellt bleiben; denn die Gesellschafterin, an die die Bekanntgabe erfolgte, war dem Finanzamt ausdrücklich als Zustellungsbevollmächtigte benannt worden. Die Tatsache, daß bei der Abgabe der Steuererklärung und bei der Betriebsprüfung der Steuerberater mitgewirkt hatte, kann allein nicht als Ermächtigung des Steuerberaters zur Entgegennahme von Zustellungen angesehen werden, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß die Zustellung nicht auch an die Gesellschafterin selbst wirksam geschehen konnte.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts kann aber nicht schon das Schreiben des Steuerberaters vom 7. Januar 1959 als Einspruch gegen die berichtigten Feststellungsbescheide gewertet werden. Das Schreiben bezieht sich eindeutig nur auf den Betriebsprüfungsbericht. Daß in diesem Scheiben gewisse Feststellungen des Berichts angegriffen wurden, mochte es wahrscheinlich sein lassen, daß auch die auf dem Bericht beruhenden berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide angegriffen würden. Dies reicht aber nicht aus, um die Bescheide bereits als tatsächlich angefochten anzusehen. Wenn § 249 AO auch offenbar die Rechtsmitteleinlegung nicht an Formalien scheitern lassen will und es genügen läßt, daß aus dem Schreiben hervorgeht, daß der Steuerpflichtige sich durch die Entscheidung beschwert fühlt, so muß doch aber immer schon beim Eingehen eines als Rechtsmittel zu wertenden Schreibens erkennbar sein, daß der Steuerpflichtige mit einer bestimmten Entscheidung des Finanzamts nicht zufrieden ist. Die äußerung des Finanzamts, mit der der Steuerpflichtige nach dem Schreiben vom 7. Januar 1959 nicht zufrieden war, war aber eindeutig nur der Prüfungsbericht. Darin aber auf Grund späterer Erkenntnisse einen Angriff gegen die berichtigten Bescheide zu sehen, geht schon aus Gründen der Prozeßklarheit nicht an, abgesehen davon, daß eine solche Beurteilung auch dem Steuerpflichtigen ungünstig sein könnte, weil die Einlegung eines Rechtsmittels die Kostenpflicht auslöst. Die Tatsache also, daß ein Prüfungsbericht beanstandet wird, bedeutet nicht notwendig, daß auch der auf dem Prüfungsbericht beruhende Bescheid angegriffen ist.

Demnach sind die berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide erst mit dem Schreiben vom 5. Februar 1959, also verspätet, angegriffen worden. Mit dem Finanzgericht ist der Senat aber der Auffassung, daß die Versäumnis der Rechtsmittelfrist nicht auf Verschulden beruhe und demnach Nachsicht zu gewähren war. Man muß zwar mit dem Finanzamt davon ausgehen, daß ein Steuerpflichtiger in aller Regel schuldhaft handelt, wenn er ihm vom Finanzamt zugesandte Post nicht genau durchsieht. Es ist auch nicht ungewöhnlich, daß in einer Sendung des Finanzamts mehrere Schriftstücke enthalten sind. In solchen Fällen muß aber das Finanzamt den Steuerpflichtigen jedenfalls in der Regel durch ein Anschreiben auf die in der Sendung enthaltenen Schriftstücke aufmerksam machen, wenn unter ihnen solche enthalten sind, durch deren Zugehen eine Ausschlußfrist in Gang gesetzt wird. Die Pflicht zu einem entsprechenden Hinweis bestand im Streitfall um so mehr, als der Bericht und seine Anlagen ins Auge fielen und die Gefahr des übersehens des berichtigten Sammelbescheids nahelag. Unter diesen Umständen kann der Gesellschafterin daraus kein Vorwurf gemacht werden, daß sie den Bescheid übersah.

Daß das Finanzgericht über das danach zulässige Rechtsmittel nicht selbst entschieden, sondern die Sache zur Entscheidung an das Finanzamt zurückverwiesen hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Wenn eine solche Zurückverweisung auch nur ausnahmsweise zulässig ist, so wird sie hier doch durch die vom Finanzgericht angeführten Gründe gerechtfertigt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410800

BStBl III 1963, 388

BFHE 1964, 193

BFHE 77, 193

StRK, AO:86 R 94

NJW 1963, 2048

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