Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausnahme vom kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Zeichenzwang

 

Leitsatz (NV)

1. Der für die Kraftfahrzeugbesteuerung im Beitrittsgebiet geltende Zeichenzwang schließt nicht aus, daß der Nachweis der durch Steuermarken erfolgten Steuerentrichtung in anderer Weise als durch Vorlage der Steuerkarte erbracht wird, wenn diese unverschuldet in Verlust geraten ist.

2. Zur Frage des unverschuldeten Verlustes der Steuerkarte (1.) im Falle der Beachtung eines auf der Karte enthaltenen, nicht mehr zutreffenden amtlichen Hinweises.

 

Normenkette

KraftStG § 12a Abs. 4, 1 S. 2

 

Tatbestand

Für die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war von 1982 bis 17. Mai 1993 in der DDR bzw. im Beitrittsgebiet ein Kraftfahrzeug zum Verkehr zugelassen. Sie ließ das Fahrzeug im Mai 1993 durch ihren Ehemann an das Autohaus V in X veräußern (Inzahlunggabe anläßlich des Kaufs eines anderen Fahrzeugs), wobei dem Angestellten P des Erwerbers die mit Steuermarken versehene Steuerkarte übergeben wurde. Die zuständige Finanzbehörde, an deren Stelle nunmehr das revisionsklagende Finanzamt (FA) getreten ist, setzte wegen Fehlens der Original-Steuerkarte gegen die Klägerin Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit von 1991 bis 17. Mai 1993 fest (Steuerbescheid vom 7. Oktober 1994, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 3. August 1995, i. d. F. vom 19. Dezember 1995). Das Finanzgericht (FG) gab der Klage -- durch Aufhebung der Besteuerung für 1991 und 1992 -- im wesentlichen statt. Zwar fehle die Original-Steuerkarte, doch stehe aufgrund der Aussage des Zeugen P und der vorliegenden Kopie der Steuerkarte fest, daß die Klägerin die Kraftfahrzeugsteuer im Markenverfahren zutreffend entrichtet habe. Dieser Nachweis sei ausnahmsweise zuzulassen, weil die Klägerin den Verlust der Karte nicht verschuldet habe. Sie habe sich vielmehr lediglich nach dem auf der Karte befindlichen amtlichen Hinweis gerichtet und die Karte dem Angestellten P zur Übergabe an den neuen Fahrzeughalter aushändigen lassen. P habe davon die Kopie gefertigt, die an die Zulassungs-, später an die Finanzbehörde gelangt sei. Der Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung stehe der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 503 veröffentlichte Vorentscheidung wird im übrigen verwiesen.

Das FA wendet sich mit der vom FG zugelassenen Revision gegen die Vorentscheidung. Das FG habe den Grundsatz von Treu und Glauben unzutreffend ausgelegt. Die Steuerkarte sei 1982, nach DDR-Recht, ausgegeben worden; nach der Wiedervereinigung habe die Klägerin nicht mehr von einem Fortbestehen der bisher geltenden DDR-Gesetze ausgehen können. Die geänderte Rechtslage (Pflicht zur Aufbewahrung der Steuerkarte) sei bereits seit 1991 öffentlich diskutiert worden, seither hätten entsprechende Merkblätter bei den Post- und Finanzämtern ausgelegen. Eine Einzelunterrichtung der Fahrzeughalter sei mangels Datenerfassung nicht möglich gewesen. Die Vorentscheidung weiche im übrigen von dem Senatsurteil vom 20. September 1994 VII R 29/94 (BFHE 175, 456, BStBl II 1995, 79) ab, nach dem es allein auf die Original-Steuerkarte ankomme.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin wegen unverschuldeten Verlustes der Steuerkarte die Steuerentrichtung im Markenverfahren anderweitig nachweisen durfte, daß sie entsprechend belegt worden ist und daß eine Steuerfestsetzung nach § 12a Abs. 4 Satz 3 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) mithin ausscheidet. Die Angriffe der Revision rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Richtig ist allerdings, daß die Kraftfahrzeugsteuerentrichtung im Markenverfahren für im Beitrittsgebiet zugelassene Kraftfahrzeuge nur durch Vorlage der mit entsprechenden Steuermarken versehenen amtlichen Steuerkarte im Original nachgewiesen werden kann (BFHE 175, 456, BStBl II 1995, 79; vgl. aber auch BFHE 175, 456, 459, a. E.). Der Senat hat jedoch diese -- ständige -- Rechtsprechung inzwischen dahin ergänzt, daß bei unverschuldetem Verlust der Karte, etwa nach ihrer Einreichung bei der Zulassungsstelle aus Anlaß einer Neukennzeichnung des Fahrzeugs, ausnahmsweise ein anderweitiger Nachweis möglich ist (Urteil vom 26. November 1996 VII R 64/96, BFHE 181, 529).

Einen Fall des unverschuldeten Verlustes hält das FG für gegeben, wenn der Halter eine vor 1991 ausgegebene Steuerkarte in Beachtung des auf ihr befindlichen amtlichen Hinweises dem Fahrzeugerwerber aushändigt und sie bei diesem oder einem Nacherwerber verlorengeht. Diese Beurteilung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Sie allein rechtfertigt die getroffene Entscheidung, ohne daß es auf die Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben ankommt. Eines -- näheren -- Eingehens auf die entsprechenden Erwägungen der Vorinstanz bedarf es somit nicht.

Nach dem seit 1991 im Beitrittsgebiet geltenden Kraftfahrzeugsteuerrecht ist die Steuerkarte nach dem Ende der Steuerpflicht der Zulassungsstelle zur Weiterleitung an die Finanzbehörde zu übergeben (§ 12a Abs. 4 Satz 1 KraftStG). Bis zur Beendigung der Steuerpflicht, die bei Veräußerung des Fahrzeugs mit dem Eingang der Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsstelle bzw. mit der Aushändigung des Fahrzeugscheins an den Erwerber eintritt (§ 5 Abs. 5 KraftStG; dazu Senat, Urteil vom 11. Juli 1989 VII R 4/87, BFHE 157, 454, 457, BStBl II 1989, 812), hat der Halter die Steuerkarte mitzuführen (§ 12a Abs. 3 Satz 1 KraftStG). Nach dem zuvor im Beitrittsgebiet geltenden Kraftfahrzeugsteuerrecht (der DDR) war, wie vom FG näher ausgeführt (vgl. auch Wittkowski, Deutsches Autorecht 1995, 118, Anm. zu BFHE 175, 456), bei einem Eigentumswechsel die Karte dem neuen Fahrzeughalter zu übergeben; ein entsprechender Hinweis (Nr. 6) war auf der Steuerkarte enthalten. Die letztere Regelung war zwar ab 1991 überholt und durch die den Halter trefffende Pflicht zur Aufbewahrung der Karte bis Beendigung seiner Steuerpflicht ersetzt worden. Gleichwohl erscheint eine Berufung auf die frühere Rechtslage unter den hier vorliegenden besonderen Umständen nicht ausgeschlossen. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß das sog. Markenverfahren im Beitrittsgebiet auch im Hinblick darauf übergangsweise beibehalten wurde (in modifizierter Form), weil es den Vorteil hatte, "den Kraftfahrzeughaltern in der DDR bekannt zu sein" (amtliche Begründung zu § 12a KraftStG; BTDrucks 11/7817 S. 122). Bei dieser ausdrücklich bezweckten Anknüpfung an ein bereits bekanntes Entrichtungssystem, mit gesetzlich vorgesehener Weiterverwendung der bereits ausgegebenen Steuerkarten bei Fahrzeugzulassungen vor 1991 (vgl. § 12a Abs. 1 Satz 2 KraftStG), liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum vor, wenn der Halter in Befolgung des auf der Steuerkarte befindlichen amtlichen Hinweises diese bei Eigentumswechsel übergibt. Daß es sich im Streitfall so verhalten hat, hat das FG, für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend, festgestellt. Auf die Möglichkeiten, die die betroffenen Fahrzeughalter etwa hatten, sich über die neue Rechtslage zu unterrichten, kommt es aus den Gründen der Vorentscheidung nicht an. Hinweise im Rahmen des konkreten Steuerrechtsverhältnisses hat das FG ausgeschlossen. Sie kamen im übrigen, wie sich auch aus der Revisionsbegründung ergibt, nicht in Betracht, da die Fahrzeughalter den Finanzbehörden nicht bekannt waren und dementsprechend die alten Steuerkarten nicht ausgewechselt werden konnten. Deren "Makel" -- der nicht mehr zutreffende Hinweis -- ist mit der Anordnung der Weiterverwendung der alten Steuerkarten und der dadurch eröffneten Möglichkeit der Berufung auf ihren Inhalt praktisch hin genommen worden. Später ausgegebene Steuerkarten ohne diesen Hinweis bzw. mit Hinweis auf die neue Rechtslage können hingegen keinen entschuldbaren Rechtsirrtum begründen (zu einem derartigen Fall -- Steuerkarte für 1991 und 1992 -- Senat, NV- Urteil vom 6. Dezember 1994 VII R 43/94; vgl. auch Urteil des Thüringer FG vom 15. Dezember 1993 I K 48/93, EFG 1994, 413).

Tritt hiernach der gesetzliche Zeichenzwang zurück, weil die Weggabe der Steuerkarte (und ihr dadurch eingetretener Verlust) nicht als verschuldet anzusehen ist, so durfte der Nachweis der durch Steuermarken erfolgten Entrichtung in anderer Form geführt werden. Ihn hat das FG als erbracht angesehen; hiergegen hat sich das FA nicht gewandt. Soweit das FG -- insoweit unzutreffend -- auch die bloße Glaubhaftmachung anderweitiger Steuerentrichtung genügen lassen will, handelt es sich um eine beiläufige Bemerkung ohne Auswirkung auf die Entscheidung.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 626

VIZ 1998, 112

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